Multiple Sklerose: Altersverteilung und Statistik

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die Gehirn und Rückenmark betrifft. Sie manifestiert sich typischerweise im jungen Erwachsenenalter, kann aber auch bei Kindern oder im höheren Erwachsenenalter erstmals auftreten. Die Erkrankung ist durch vielfältige Symptome und einen individuellen Verlauf gekennzeichnet.

Prävalenz und Inzidenz in Deutschland

Deutschlandweit liegt die Prävalenz der MS nach aktuellen Auswertungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bei 0,362 Prozent der 73,2 Millionen gesetzlich Versicherten. Unter Berücksichtigung eines gleichen Anteils an Privatversicherten wird die Gesamtzahl der MS-Erkrankten in Deutschland auf etwa 300.000 geschätzt (Holstiege 2024). Die Anzahl der jährlich neu diagnostizierten MS-Erkrankungen ist steigend (Heitmann et al., 2020). Jährlich werden in Deutschland etwa 15.000 Menschen neu mit MS diagnostiziert, wobei zunehmend mehr Frauen als Männer betroffen sind.

Altersverteilung bei MS

Das mittlere Alter der MS-Patienten liegt nach GKV-Daten bei 49 Jahren (7). In der letzten Erhebung des Registers der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) sind etwa 40 % der Patienten älter als 50 Jahre (7). Die Diagnose einer Late-Onset-MS (LOMS), also einer MS-Erkrankung, die nach dem 50. Lebensjahr beginnt, ist auch bei über 80-jährigen Menschen möglich, wenn auch selten.

Zunehmende Prävalenz bei älteren Menschen

Die Prävalenz der MS bei älteren Menschen nimmt stetig zu. Dies hat zwei Hauptgründe:

  1. Verbesserte Diagnostik: Früher wurde die Diagnose MS bei Personen über 50 Jahren seltener gestellt. Heute wird diese Form als Late-Onset-MS (LOMS) bezeichnet und macht bis zu 5 % aller MS-Diagnosen aus (1). Fortschritte in der MRT-Diagnostik und die revidierten McDonald-Kriterien (2, 3) erleichtern die Diagnosestellung bei älteren Menschen.
  2. Steigende Lebenserwartung: Die verbesserte medizinische Versorgung und die damit einhergehende steigende Lebenserwartung führen dazu, dass mehr Menschen mit MS ein höheres Alter erreichen (4, 5). Die moderne Immuntherapie der MS hat die früher um etwa 15 Jahre kürzere Lebenserwartung (6) betroffener Menschen normalisiert.

Altersgruppen bei MS

Neben der LOMS werden auch die Paediatric-Onset-MS (POMS; ≤ 18 Jahre) und die Adult-Onset-MS (AOMS; 19-48 Jahre) unterschieden. Diese Einteilung hilft, die unterschiedlichen Verläufe und Herausforderungen der MS in verschiedenen Lebensphasen zu berücksichtigen.

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Herausforderungen bei älteren MS-Patienten

Die Betreuung älterer Menschen mit MS stellt besondere Herausforderungen an die ärztliche und soziale Betreuung dar. Diese Herausforderungen umfassen:

  • Differenzialdiagnostik: Symptome und Befunde müssen sorgfältig von Alterskomorbiditäten abgegrenzt werden, um Fehldiagnosen zu vermeiden. Relevant sind insbesondere die Abgrenzung von Schlaganfällen, Demenz, Blasenentleerungsstörungen und Motoneuronerkrankungen.
  • Therapie: Bei älteren Patienten ist mit einer Zunahme von Medikamentenunverträglichkeiten und vermehrten Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln aufgrund von Polypharmazie zu rechnen. Ein ganzheitlicher Ansatz der Gesundheit ist daher besonders wichtig.
  • Immunseneszenz: Das Altern und die veränderte Aktivität des Immunsystems (Immunseneszenz) spielen eine wesentliche Rolle bei älteren Menschen mit MS. Immunseneszenz führt zu einer verminderten Regenerationsfähigkeit und chronischen Entzündung („Inflamm-Aging“), was die Behinderungsprogression verstärken kann.
  • Rehabilitation: Die Rehabilitationstherapie nimmt bei älteren MS-Patienten einen besonderen Stellenwert ein, um Resilienz zu stärken, schleichender Progression entgegenzuwirken und der spontan schlechteren Rückbildungstendenz nach Schüben besonders aktiv zu begegnen.

Diagnostische Aspekte bei älteren Menschen mit MS

Die klinische Präsentation einer LOMS unterscheidet sich häufig von der einer AOMS:

  • Symptome: Motorische Defizite stehen häufiger im Vordergrund, gefolgt von sensiblen Symptomen, Hirnstamm-Symptomen und in geringerem Maße visuellen Symptomen. Bei der AOMS manifestiert sich die MS meist mit visuellen und sensiblen Symptomen.
  • Geschlecht: Während bei der AOMS Frauen deutlich häufiger betroffen sind (80-85 %), zeigt sich bei der LOMS eine Verschiebung zuungunsten des männlichen Geschlechts, obwohl Frauen mit 65 % immer noch häufiger betroffen sind.
  • Verlaufsform: In nur knapp 50 % der Fälle liegt eine schubförmige Verlaufsform (RRMS) vor, entsprechend häufiger eine primär progrediente (PPMS) oder sekundär progrediente (SPMS) Form (19).

Schübe zeigen bei älteren Menschen mit MS eine deutlich schlechtere Rückbildung als bei jüngeren. Als Faustformel gilt, dass je 10 Jahre Alterszunahme das Risiko einer anhaltenden Verschlechterung nach einem Schub um das 1,3-Fache steigt (20).

Biomarker

In den letzten Jahren hat sich der Biomarker „Serum Neurofilament Leichtketten“ (sNfL) als Aktivitätsmarker für die axonale Schädigung etabliert. Da sNfL mit dem Alter korreliert und ansteigt, wurden alters- und gewichtsadaptierte Z-Scores entwickelt (21). Im Zusammenhang mit Progression etabliert sich zudem der sGFAP-Wert aus astrozytären Gliosen als Biomarker (22).

Therapie von älteren Menschen mit MS

Das größte Problem bei der Therapie älterer Menschen mit MS ist, dass alle bisherigen Zulassungsstudien der krankheitsmodifizierenden Therapien (Disease Modifying Therapies, DMTs) Patienten bis zu einem Alter von 55, in seltenen Fällen bis 60 Jahren eingeschlossen haben. Es fehlen daher Daten zur Wirksamkeit moderner MS-Therapeutika trotz einer gleichzeitig wachsenden Zahl älterer Menschen mit MS (5, 32). Darüber hinaus ist bekannt, dass DMTs mit zunehmendem Alter eine schlechtere Wirksamkeit haben, da in der Immunseneszenz die adaptive Immunität schlechter reagiert (33).

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Therapiebeginn und -fortsetzung

Aus den Besonderheiten der MS im höheren Alter und den Eigenschaften der Therapien leiten sich zwei elementare praktische Fragen ab:

  1. Soll man eine Therapie bei älteren Menschen mit MS überhaupt beginnen?
  2. Soll man eine Therapie bei älteren Menschen mit stabiler MS fortsetzen oder diese beenden?

Die erste Frage ist mit der aktuellen Evidenz mit „ja“ zu beantworten. Die zur Verfügung stehenden Therapien verhindern nachweislich auch im höheren Alter Schübe und schubassoziierte Behinderungszunahme (26, 34, 35). Sowohl Schübe als auch vorbestehende Behinderung im höheren Alter wirken sich negativ auf die Rückbildung von Symptomen aus. Einige hochaktive Substanzen, zum Beispiel Natalizumab, Ocrelizumab, Ofatumumab und Fingolimod, haben zusätzlich Evidenz, bei frühem Einsatz auch in geringerem Maß PIRA und primär progressive Formen zu adressieren (25, 26, 27, 36, 37, 38, 39).

Die zweite Frage, nämlich die nach dem Beenden einer laufenden Therapie bei längerer Stabilität, lässt sich mit dem heutigen Stand der Evidenz nicht abschließend beantworten. Daher kann nur individuell unter Berücksichtigung des Patientenwunsches bei älteren Menschen mit MS und sowohl klinischer als auch paraklinischer Stabilität das Absetzen einer Therapie erwogen werden und ist keine generelle Empfehlung. Hocheffektive Therapien sollten jedoch nicht unmittelbar abgesetzt werden.

Rehabilitation und nicht-medikamentöse Therapieansätze

Bei einem zumindest nicht endgültig bewiesenen Stellenwert der Immuntherapie im Alter nimmt die Rehabilitationstherapie in dieser Patientengruppe einen besonderen Stellenwert ein, um Resilienz zu stärken, schleichender Progression entgegenzuwirken oder der spontan schlechteren Rückbildungstendenz nach Schüben besonders aktiv zu begegnen.

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