Multiple Sklerose: Frühe Symptome, Diagnose und Behandlungsansätze

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), bei der das körpereigene Immunsystem Teile von Gehirn und Rückenmark angreift. Diese Angriffe führen zu Entzündungen, die Nervenfasern und Nervenzellen schädigen und die Informationsweiterleitung stören können. Die MS manifestiert sich oft im jungen Erwachsenenalter und kann zu vielfältigen neurologischen Symptomen und Beeinträchtigungen führen.

Was ist Multiple Sklerose?

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der das körpereigene Immunsystem Teile von Gehirn und Rückenmark angreift. Deshalb zählt die MS zu den Autoimmunerkrankungen.

Die autoimmunen Prozesse bei einer Multiplen Sklerose bewirken, dass unter anderem Nervenfasern und Nervenzellen geschädigt werden und so Informationen fehlerhaft oder gar nicht weitergeleitet werden. Dadurch können vielfältige neurologische Funktionen gestört sein, wie z. B. das Sehen oder Bewegungsabläufe. Neurologische Symptome treten entweder in Schüben auf oder entwickeln sich langsam schleichend.

Obwohl die MS derzeit nicht heilbar ist, gibt es Therapien, die die Schübe verhindern, die Zunahme der Behinderung reduzieren und MS-Symptome lindern können. Häufig gelingt es, die Krankheitsaktivität für Jahre zu stoppen.

Formen der Multiplen Sklerose

Man unterscheidet drei Hauptformen der Multiplen Sklerose:

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  • Schubförmig remittierende Multiple Sklerose (RRMS): gekennzeichnet durch Schübe, in denen sich Symptome verschlimmern, gefolgt von Remissionsphasen, in denen sich die Symptome teilweise oder vollständig zurückbilden.
  • Sekundär fortschreitende (progrediente) Multiple Sklerose (SPMS): entwickelt sich oft aus der RRMS, wobei die Krankheit fortschreitend verläuft, mit oder ohne zusätzliche Schübe.
  • Primär fortschreitende (progrediente) Multiple Sklerose (PPMS): von Beginn an langsam fortschreitender Verlauf ohne Schübe.

Die Multiple Sklerose wird als „aktiv“ bezeichnet, wenn Schübe auftreten und/oder neue oder größer werdende Entzündungsherde („Läsionen“) mittels MRT im Gehirn oder Rückenmark zu sehen sind und/oder die körperliche oder geistige Beeinträchtigung zunimmt.

„Progredient“ bedeutet „fortschreitend“. Mit dem Wort „Progression“ wird die irreversible Zunahme der durch die Multiple Sklerose bedingten körperlichen oder kognitiven (Kognition = geistige Leistungsfähigkeit) Beeinträchtigung bezeichnet.

Frühe Symptome der Multiplen Sklerose

Die MS wird auch als "Krankheit der 1000 Gesichter" bezeichnet, da sie sich durch eine Vielzahl von Symptomen äußern kann. Die Anfangssymptome der MS treten meist unerwartet und ohne Ankündigung auf. Genauso unvorhersehbar ist es, welche Symptome zu Beginn einer MS im Vordergrund stehen. Sie können sich als einzelnes Symptom (KIS: Klinisch isoliertes Syndrom), aber auch in unterschiedlicher Kombination, Ausprägung und zeitlicher Abfolge zeigen. Viele Menschen mit MS geben Sehstörungen als erstes Symptom an. Eine Sehnervenentzündung verursacht verschwommenes Sehen, eingeschränktes Farbensehen, das Sehen von Doppelbildern oder Schmerzen bei Augenbewegungen. Auch Gefühlsstörungen mit Missempfindungen auf der Haut treten häufig als frühes Symptom auf. Diese beschränken sich meist auf eine Körperhälfte und führen dazu, dass sich beispielsweise Hände und Füße plötzlich taub oder kribbelig anfühlen.

Einige der häufigsten frühen Symptome sind:

  • Motorische Störungen: Lähmungen, Unsicherheit beim Gehen oder Greifen, Koordinationsprobleme, Spastik (Steifigkeitsgefühl, vor allem in den Beinen).
  • Sehstörungen: Verschwommenes Sehen, Nebelsehen, Doppelbilder, Schmerzen bei Augenbewegungen (Optikusneuritis). Hierbei entsteht entweder im Zentrum des Blickfeldes eines Auges ein Sehausfall, oder der Betroffene sieht nur getrübt, wie durch eine Milchglasscheibe. Gelegentlich werden auch Doppelbilder gesehen.
  • Sensibilitätsstörungen: Kribbeln, Taubheitsgefühl, Missempfindungen (schmerzhaft oder nicht) auf der Haut, oft in Armen und Beinen. Bestimmte Bereiche des Arms, Beins oder des Rumpfs empfinden Sie dann wie taub oder spüren ein ungewohntes Kribbeln.
  • Weitere Beschwerden: Blasenstörungen (häufiger Harndrang, Inkontinenz, Blasenentleerungsstörungen), "verwaschenes" Sprechen, Gleichgewichtsprobleme, Schwindel. Durch eine Änderung der Position, beispielsweise vom Liegen zum Stehen, kann ein schwummeriges Gefühl ausgelöst werden. Auch ein unsicherer Gang und die Neigung in eine Richtung können auftreten.

Es ist wichtig zu beachten, dass diese Symptome auch bei anderen Erkrankungen auftreten können. Wenn Ihnen diese Art von Symptomen auffällt, besprechen Sie dies mit Ihrer Hausärztin/Ihrem Hausarzt. Die Diagnose „MS“ ist eine Ausschlussdiagnose.

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Risikofaktoren für die Entstehung der Multiplen Sklerose

Die genauen Ursachen der MS sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass eine Kombination aus genetischer Veranlagung und Umweltfaktoren eine Rolle spielt. Zu den möglichen Risikofaktoren gehören:

  • Genetische Veranlagung: Es gibt nicht das „eine“ MS-Gen, sondern eine Vielzahl von Genen, die alleine und in Kombination das Risiko, an MS zu erkranken, erhöhen.
  • Virusinfektionen: Bestimmte Viren, wie das Epstein-Barr-Virus (EBV), werden mit einem erhöhten MS-Risiko in Verbindung gebracht. Auch ca. 95% der Menschen ohne Multiple Sklerose tragen das EBV in sich, nachdem sie sich in Kindheit und Jugend damit infiziert haben. Menschen mit Multipler Sklerose sind aber nahezu zu 100% EBV-positiv.
  • Rauchen
  • Übergewicht in der Kindheit
  • Individuelle Darmflora
  • Mangel an Sonnenlicht und Vitamin D: Sonneneinstrahlung und Vitamin D werden als mögliche Schutzfaktoren diskutiert.

Diagnose der Multiplen Sklerose

Da die Symptome der MS vielfältig und unspezifisch sein können, ist die Diagnose oft eine Herausforderung. Es gibt keinen einzelnen Test, der die MS eindeutig beweist. Die Diagnose basiert auf einer Kombination von:

  • Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte und der aktuellen Symptome. Bei einem Verdacht auf Multiple Sklerose spricht der oder die Ärztin mit demr Patient*in zuerst über Symptome und Beschwerden, Vorerkrankungen und darüber, ob MS-Krankheiten in der Familie bekannt sind.
  • Neurologische Untersuchung: Beurteilung der Nervenfunktion, einschließlich Reflexe, Muskelkraft, Koordination,Sensibilität und Sehkraft. Anschließend folgt eine ärztliche Allgemeinuntersuchung und eine neurologische Untersuchung. Hier geht es darum, die Funktionstüchtigkeit des Nervensystems zu untersuchen und Einschränkungen zu finden. Dazu werden zum Beispiel die Hirnnerven im Gesicht, Motorik, Muskelreflexe, Gefühlswahrnehmung und Koordination getestet sowie das Gedächtnis, die Sprache und Orientierung geprüft.
  • Magnetresonanztomographie (MRT): Bildgebung des Gehirns und Rückenmarks, um Entzündungsherde (Läsionen) nachzuweisen. Bei dem Verdacht auf eine Multiple Sklerose können Radiologinnen mittels Magnetresonanztomographie (MRT) andere Ursachen für neurologische Ausfälle, wie Schlaganfall oder Tumoren, ausschließen. Auf den MRT-Aufnahmen erkennen Radiologinnen typische Entzündungsherde (Läsionen) der Multiplen Sklerose. Entscheidend für die Abgrenzung zu anderen möglichen Krankheiten sind unter anderem deren Form, Lokalisation und räumliche Ausbreitung (räumliche Dissemination). Ein weiteres diagnostisches Kriterium ist die zeitliche Ausdehnung (zeitliche Dissemination) der Läsionen, d. h. deren unterschiedliches Alter. Die Radiologinnen können hierzu aktuelle und ältere MRT-Aufnahmen desr gleichen Patienten*in miteinander vergleichen. Auch mithilfe von Kontrastmitteln können akute und ältere Entzündungsherde unterschieden werden.
  • Untersuchung des Nervenwassers (Liquor): Analyse der Rückenmarksflüssigkeit, um Entzündungszeichen und oligoklonale Banden (OKB) nachzuweisen, die typisch für MS sein können. Nervenwasser, auch Liquor genannt, ist eine Flüssigkeit, die das Gehirn und das Rückenmark umgibt. Bei einer Multiplen Sklerose kann man im Liquor Hinweise für eine Entzündung finden. Hierzu gehören: Entzündungszellen oligoklonale Banden (OKB). OKB sind Antikörper, die bei autoimmunen Entzündungsprozessen entstehen. Sie treten typischerweise bei Multipler Sklerose auf, können aber auch bei anderen Erkrankungen vorkommen.
  • Evozierte Potentiale: Messung der Nervenleitgeschwindigkeit, um Funktionsstörungen der Nervenbahnen festzustellen. Über evozierte Potenziale wird die Funktion von Nervenbahnen gemessen. Bei einer Multiplen Sklerose ist die Funktion von Nervenbahnen gestört. Dadurch können Nervenimpulse häufig nur noch mit verlangsamter Geschwindigkeit fortgeleitet werden. Diese Geschwindigkeit wird durch evozierte Potentiale gemessen, die zum Beispiel durch visuelle (auf ein Schachbrett schauen) oder sensible (elektrische Impulse) Reize ausgelöst werden. Bei ca. 75 Prozent der Menschen mit Multipler Sklerose können hierbei Veränderungen nachgewiesen werden.

Behandlung der Multiplen Sklerose

Die Behandlung der MS zielt darauf ab, die Symptome zu lindern, die Schübe zu reduzieren und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen. Es gibt verschiedene Therapieansätze:

  • Schubtherapie: Kortikosteroide (z.B. Kortison) werden eingesetzt, um Entzündungen während eines akuten Schubs zu reduzieren. Die Schubtherapie steht vor allem Kortisonpräparate zur Verfügung, die die Entzündungen eindämmen sollen. Im akuten Schub werden sie über drei bis fünf Tage als Infusion verabreicht (Hochdosis-Schubtherapie). In vielen Fällen wird auf eine sogenannte Blutwäsche ausgewichen (Plasmapherese), bei der Blut entnommen, gereinigt und wieder in den Körper zurückgeleitet wird. Die Plasmapherese ist nur in speziellen Zentren möglich und wird auch nur bei schweren akuten Schüben durchgeführt. Nebenwirkungsärmer ist eine spezielle Form der Blutwäsche: die sogenannte Immunadsorption. Hierbei wird das Blut in Plasma (Blutflüssigkeit) und Blutzellen getrennt. Diese Form der Behandlung eröffnet neue Perspektiven beispielsweise bei schweren Schüben, die nicht auf eine Cortisontherapie ansprechen. Die Therapie erfolgt stationär und dauert etwa ein bis zwei Wochen. Dabei wird etwa jeden zweiten Tag eine Behandlung von etwa drei Stunden Dauer durchgeführt.
  • Immuntherapie: Medikamente, die das Immunsystem modulieren oder unterdrücken, um die Entzündungsaktivität zu reduzieren und das Fortschreiten der MS zu verlangsamen. Einfluss auf den Langzeitverlauf der Multiplen Sklerose nimmt man mit einer sogenannten Immuntherapie. Hier hat es in den vergangenen zehn Jahren große Fortschritte bei der Entwicklung von Medikamenten gegeben. Die Immuntherapie beeinflusst bei MS das fehlgesteuerte Immunsystem, indem sie dieses verändert (immunmodulierend) oder dämpft (immunsuppressiv). Am wirksamsten sind speziell entwickelte Antikörper. Sie verhindern das Eindringen von bestimmten Immunzellen ins Gehirn oder reduzieren ihre Konzentration im Blut. Dadurch können diese Zellen keine Entzündungen mehr auslösen. Mittlerweile gibt es gut 20 Immuntherapie-Mittel (Stand: April 2023), einige davon auch für die sekundär oder primär progrediente MS. Das ermöglicht weitgehend individuell zugeschnittene Behandlungspläne. Ob man eine Immuntherapie beginnt und mit welchem Medikament, hängt an einer Vielzahl von Faktoren. Dabei geht es um Aspekte wie Krankheitsverlauf, Familienplanung oder das individuelle Risikoprofil. Grundsätzlich wird empfohlen, bei allen Menschen mit MS eine Immuntherapie zu beginnen.
  • Symptomatische Therapie: Behandlung spezifischer Symptome wie Spastik, Schmerzen, Fatigue, Blasenstörungen usw. Diese Therapien wenden Spezialisten zur Behandlung der bestehenden, nicht mehr umkehrbaren Symptome und Einschränkungen an, um die Lebensqualität der Patienten zu erhalten oder zu verbessern. Dabei ergänzen sich medikamentöse Therapien und nicht-medikamentöse Maßnahmen wie Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie oder (Neuro-)Psychologie.
  • Rehabilitation: Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und andere Therapien, um dieFunktion und Lebensqualität zu verbessern. Angesichts der speziellen Bedürfnisse MS-Erkrankter ist eine neurologische Rehabilitation sehr wichtig. Diese sollte möglichst in einem nach den Kriterien der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) anerkannten MS-Rehabilitationszentrum erfolgen. Die Wirksamkeit einer solchen Reha ist wissenschaftlich gut belegt, es werden andauernde positive Effekte erzielt. Da diese jedoch häufig nach sechs bis neun Monaten wieder nachlassen, empfehlen Fachleute wiederholte Rehabilitationsmaßnahmen. Während des stationären Aufenthaltes werden die körperlichen Einschränkungen (z.B. Spastik, Ataxie, Dysarthrie, Dysphagie) behandelt, aber auch der Umgang mit der eigenen Erkrankung im Alltag und ihre Verarbeitung ins Visier genommen. Daher ist eine stationäre Rehabilitation bereits in frühen Erkrankungsstadien und nach Erstdiagnose sinnvoll, da sie die Lebensqualität langfristig verbessert.

Leben mit Multipler Sklerose

Die Diagnose MS kann eine Herausforderung sein, aber viele Menschen mit MS führen ein aktives und erfülltes Leben. Wichtig sind:

  • Frühzeitige Diagnose und Behandlung: Je früher die MS erkannt und behandelt wird, desto besser können die Symptome kontrolliert und das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamt werden.
  • Regelmäßige Bewegung und Sport: Körperliche Aktivität kann helfen, die Muskelkraft und Ausdauer zu verbessern, die Fatigue zu reduzieren und die Stimmung zu heben.
  • Gesunde Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst, Gemüse und Vollkornprodukten kann die Gesundheit fördern und das Immunsystem stärken.
  • Stressmanagement: Stress kann MS-Symptome verschlimmern. Entspannungstechniken wie Yoga, Meditation oder Atemübungen können helfen, Stress abzubauen.
  • Soziale Unterstützung: Der Austausch mit anderen Betroffenen und die Unterstützung durch Familie und Freunde können helfen, mit der Erkrankung umzugehen.

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