Multiple Sklerose und COVID-19: Ein Überblick über Risiken, Schutzmaßnahmen und Impfempfehlungen

Die COVID-19-Pandemie hat das Leben vieler Menschen stark verändert, insbesondere für diejenigen mit Vorerkrankungen wie Multiple Sklerose (MS). Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über den Zusammenhang zwischen MS und COVID-19, einschließlich Risiken, Schutzmaßnahmen und Impfempfehlungen, basierend auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Empfehlungen von Experten.

Aktuelle Situation und Risikobewertung

Die aktuelle Situation deutet darauf hin, dass wir uns in einer Phase befinden, in der COVID-19 eher als eine endemische Erkrankung mit wellenartigen Ausbrüchen betrachtet wird, ähnlich wie bei der Grippe. Das Robert-Koch-Institut (RKI) geht von lokal begrenzten, wellenartigen Ausbrüchen aus. Dies bedeutet, dass keine strengen Maßnahmen mehr erforderlich sind, aber Vorsicht weiterhin geboten ist.

Für bestimmte Bevölkerungsgruppen besteht weiterhin ein erhöhtes Risiko für eine Infektion und einen schweren Verlauf. Dazu gehören ältere Menschen, Personen mit Vorerkrankungen und solche mit unzureichendem Immunschutz. Einige Menschen mit Multipler Sklerose fallen ebenfalls in diese Kategorie. Immunsupprimierende Medikamente und schlecht belüftete Atemwege können das Risiko einer SARS-CoV-2-Infektion und eines schweren Verlaufs erhöhen.

Impfempfehlungen für MS-Patienten

Der Ärztliche Beirat der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) und das Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) empfehlen MS-Patienten, sich zwölf Monate nach der letzten Impfung oder Infektion einer Auffrischungsimpfung zu unterziehen. Ein günstiger Zeitpunkt dafür ist der Herbst, da Corona voraussichtlich saisonal auftritt. Professor Mathias Mäurer sprach sich bereits im Sommer 2023 für eine jährliche Impfung bei Multipler Sklerose aus, selbst wenn die Patienten bisher gut durch die Pandemie gekommen sind. Eine Wildtyp-Infektion sei unangenehmer als die möglichen, temporären Nebenwirkungen einer Impfung.

Besonders gefährdete Gruppen, wie ältere MS-Betroffene, Patienten mit ausgeprägten Behinderungen und Patienten, die mit Anti-CD20-Antikörpern behandelt werden, sollten eine Impfung im Herbst in Betracht ziehen, da sie ein höheres Risiko für schwere COVID-19-Verläufe haben. Es ist auch sinnvoll, wenn sich Familienmitglieder bzw. Betreuungspersonen impfen lassen, um diese gefährdeten Personen zu schützen.

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Medikamentöse Behandlung von COVID-19 bei MS

Für besonders gefährdete Personen stehen Medikamente zur Verfügung, die einen schweren COVID-19-Verlauf vermeiden sollen. Dazu gehören Lagevrio®, Paxlovid® und Veglury®. Diese Medikamente müssen jedoch innerhalb von fünf Tagen nach Beginn der COVID-19-Symptome eingenommen werden. Es ist wichtig, dem Arzt sowohl von der MS als auch von den eingenommenen Medikamenten zu berichten, da Paxlovid Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten verursachen kann.

Schutzmaßnahmen in geschlossenen Räumen

Für gefährdete Personen sind die AHA-L-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske, Lüften) nach wie vor wichtig, insbesondere in geschlossenen Räumen mit vielen Menschen. Das Tragen einer Maske und regelmäßiges Lüften können das Infektionsrisiko verringern. Typische Orte, an denen diese Maßnahmen wichtig sind, sind Theater, Kinos, Bahnen und Busse. Auch wenn es keine Vorschriften mehr für den Aufenthalt in Seniorenheimen gibt, empfiehlt der Ärztliche Beirat des Bundesverbandes Menschen mit Symptomen weiterhin, im Zweifel vorher einen Coronatest zu machen oder von einem Besuch abzusehen.

Auswirkungen von COVID-19-Impfungen auf MS-Schübe

Eine Studie im Fachmagazin „Neurology“ zeigt, dass COVID-19-Impfungen keine MS-Schübe verursachen. Die Studie ergab, dass es nach COVID-Impfungen sogar etwas seltener zu Schüben kam. Allerdings ist bei Patienten mit hoher MS-Aktivität in den letzten zwei Jahren Vorsicht geboten. Dr. Xavier Moisset von der Universität Clermont Auvergne rät, dass Patienten mit der höchsten Entzündungsaktivität vor einer Auffrischungsimpfung eine krankheitsmodifizierende Behandlung erhalten sollten, da das Risiko für einen Schub nach einer dritten Impfung geringfügig erhöht war.

COVID-19 vs. Grippe

Ein wichtiger Unterschied zwischen einer Corona-Virus-Infektion und einer normalen Grippe ist, dass gegen die Grippe ein Großteil der Bevölkerung und auch MS-Erkrankte Impfschutz haben. Gegen das Corona-Virus gab es zunächst keinen Impfstoff. Die Sterblichkeit bei der Grippe ist deutlich niedriger. Das Corona-Virus greift häufiger direkt die Lunge an und führt zu schweren Kreislaufkomplikationen.

Infektionsrisiko bei MS-Erkrankten

MS-Erkrankte, die keine immunmodulierende Therapie erhalten oder mit Interferon beta oder Glatirameracetat behandelt werden, sind grundsätzlich nicht stärker gefährdet als gesunde Personen. Bei stärkerer Behinderung ist das Risiko für Atemwegsinfektionen erhöht, da die Belüftung der Lunge weniger gut ist. Das bedeutet zwar nicht, dass das Infektionsrisiko höher ist, aber das Risiko, bei einem Kontakt mit dem Corona-Virus schwer zu erkranken, ist höher.

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Eine italienische Studiengruppe analysierte Daten von 232 MS-Patienten mit Symptomen einer COVID-19-Infektion. Davon hatten 96 Prozent einen milden, 2 Prozent einen schweren und 3 Prozent einen kritischen Verlauf. Fünf der kritisch eingestuften Patienten verstarben.

Risikopatienten unter MS-Erkrankten

MS-Erkrankte, die aufgrund einer immunsuppressiven Therapie einen Immundefekt haben, könnten theoretisch ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung haben. Es gelten auch für MS-Erkrankte dieselben Begleiterkrankungen als erhöhtes Risiko für einen ungünstigen Verlauf wie für die Normalbevölkerung. Für MS-Erkrankte mit starker Behinderung ist das Risiko generell für Atemwegsinfektionen erhöht, da die Belüftung der Lunge weniger gut ist. Einige Berufe, insbesondere im Gesundheitsbereich, gehen allgemein mit einem erhöhten Infektionsrisiko einher. MS-Erkrankte sollten ganz besonders auf Arbeitsschutzmaßnahmen bezüglich der aktuellen Coronavirus-Pandemie achten und diese vom Arbeitgeber auch einfordern.

Auswirkungen von COVID-19 auf das Schubrisiko

Es ist bekannt, dass nach Virusinfekten ein leicht erhöhtes Schubrisiko besteht. Bei der Grippe wurde ein erhöhtes Schubrisiko in mehreren Studien beobachtet. Ob auch nach COVID-19-Erkrankungen ein erhöhtes Schubrisiko besteht, ist noch nicht abschließend geklärt. Falls aufgrund einer COVID-19-Erkrankung eine Immuntherapie beendet würde, könnte dies zu einem erhöhten Schubrisiko führen.

Schubtherapie mit Cortison

Eine Cortison-Pulstherapie kann kurzfristig das Infektionsrisiko erhöhen. Bei einem Schub sollte daher sorgfältig besprochen werden, wie sich der MS-Erkrankte nach dem Cortisonpuls vor einer möglichen Infektion schützen kann. Hilfreich und sinnvoll ist gegebenenfalls eine begrenzte Arbeitsunfähigkeit. Die Notwendigkeit einer Cortison-Pulstherapie sollte bei sehr leichten Schüben abgewogen werden. Bei der Durchführung der Infusionen sollte auf die Vermeidung möglicher Kontakt-Risiken geachtet werden.

Infektionsrisiko unter verlaufsmodifizierenden Therapien

  • Natalizumab/Tysabri: Die Behandlung kann uneingeschränkt fortgeführt werden, da kein erhöhtes Risiko für Atemwegsinfektionen besteht.
  • Dimethylfumarat/Tecfidera: Bei normalen Lymphocytenzahlen ist das Infektionsrisiko nicht erhöht.
  • Teriflunomide/Aubagio: Bei den Dosierungen in der MS-Therapie ist ein erhöhtes Infektionsrisiko nicht anzunehmen.
  • Modulatoren Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptoren (Fingolimod/Gilenya und Siponimod/Mayzent): Unter diesen Therapien besteht ein erhöhtes Infektionsrisiko, insbesondere von Atemwegserkrankungen. MS-Erkrankte, die auf diese Therapien eingestellt sind, sollten sie trotzdem fortführen, da bei Absetzen das Risiko einer Krankheitsaktivierung besteht.
  • Depletierende Immuntherapien (Ocrelizumab/Ocrevus, Rituximab/Mabthera, Cladribin/Mavenclad, Alemtuzumab/Lemtrada, Mitoxantron): Diese Therapien erhöhen das Infektionsrisiko insbesondere unmittelbar nach der Infusionsbehandlung. Eine Verlängerung des Intervalls ist individuell zu diskutieren, ohne dass die Gefahr einer Aktivierung der MS besteht.

Infektionsrisiko und Übertragung

Das Corona-Virus wird durch Tröpfchen übertragen, beispielsweise durch Husten und Niesen, durch Händedruck und Berühren von Gegenständen, die Kontakt mit einem Virus-Infizierten hatten. Diskutiert wird auch, dass eine Aerosol-Entstehung in einem geschlossenen Raum in Anwesenheit eines Corona-Infizierten ein Risiko darstellen kann. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, Räume zur Senkung des Gefährdungspotentials mit Durchzug zu belüften. Je mehr Menschen sich in einem geschlossenen Raum aufhalten, desto höher ist das Risiko sich anzustecken. Geheizte Räume stellen ein höheres Risiko für Infektionen dar als ungeheizte. Auch voll besetzte öffentliche Verkehrsmittel und öffentliche Groß-Veranstaltungen zählen zu den erhöhten Infektions-Risiken.

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Erfahrungen von MS-Betroffenen mit COVID-19

Lena, eine 23-jährige MS-Patientin, erkrankte im März 2020 an COVID-19. Sie hatte zunächst Kopfschmerzen, Atemnot und Fieber. Nach fünf Tagen ging es ihr wieder gut. Sie hatte Sorge, dass sich die Infektion auf ihre MS auswirken könnte, aber es kam nicht zu einem Schub. Ihr Beispiel zeigt, dass die Erkrankung auch leicht verlaufen kann.

Antikörperbildung nach COVID-19-Impfung bei Anti-CD20-Therapie

Eine Studie hat gezeigt, dass Menschen mit MS, die mit Anti-CD20-Therapien behandelt werden, auch nach drei oder vier COVID-19-Impfungen weniger Antikörper gegen SARS-CoV-2 bilden als gesunde Impflinge. Dennoch entwickelte jeder fünfte Betroffene, der nach zwei Impfungen keine Antikörper im Blut hatte, diese doch noch nach einer dritten Impfung. Auch die Funktionalität der vorhandenen SARS-CoV-2-Antikörper verbesserte sich nach einer dritten oder vierten Impfung. Die Antikörper banden stärker an das Virus und neutralisierten neuere SARS-CoV-2-Varianten besser. Die Ergebnisse unterstützen die Leitlinien-Empfehlungen für zusätzliche Auffrischungsimpfungen bei dieser Personengruppe.

Allgemeine Empfehlungen und Verhaltensregeln

Laut den bundesweiten Empfehlungen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) sollte im öffentlichen Raum weiter aufeinander geachtet werden: d.h. mindestens 1,5 Meter Abstand halten, Hygieneregeln beachten und Alltagsmasken tragen - die sogenannte „AHA Formel“. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird weiterhin insgesamt als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen als sehr hoch.

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