Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-fortschreitende Erkrankung des zentralen Nervensystems, die das Leben der Betroffenen stark beeinflussen kann. Obwohl MS nicht heilbar ist, gibt es dank moderner Therapien und eines besseren Verständnisses der Krankheit viele Möglichkeiten, den Verlauf positiv zu beeinflussen und die Lebensqualität zu verbessern. Dieser Artikel beleuchtet die Heilungschancen, den Krankheitsverlauf, die Lebenserwartung und die vielfältigen Therapieansätze bei MS.
Krankheitsverlauf und Formen der MS
Der Verlauf der Multiplen Sklerose ist sehr individuell. Bei etwa 80 Prozent der Betroffenen äußert sie sich zu Beginn schubförmig. In diesen Phasen treten MS-Symptome auf, die Stunden oder Wochen dauern können. Zwischen den Schüben gibt es vor allem in den ersten Jahren der Erkrankung keine oder nur geringe Symptome. Nach etwa 15 bis 20 Jahren geht die schubförmige MS bei vielen Menschen in einen sekundär chronisch-progredienten Verlauf über. Das bedeutet, dass keine klaren Phasen mit MS-Symptomen mehr abgrenzbar sind.
Es gibt auch Menschen, bei denen Multiple Sklerose gleich von Beginn an kontinuierlich fortschreitet, ohne abgrenzbare Schübe. Diese Form wird als „primär chronisch-progredient“ (PPMS) bezeichnet und tritt häufiger bei Menschen auf, die erst im Alter von über vierzig Jahren an MS erkranken.
Lebenserwartung und Lebensqualität
Die Diagnose Multiple Sklerose kann sich wie ein harter Schlag anfühlen. Die Vorstellung, später im Leben auf einen Rollstuhl angewiesen zu sein, ist beängstigend. Doch die gute Nachricht ist: MS beeinflusst die Lebenserwartung nur minimal und schwerwiegende Behinderungen sind eher selten. Aktuelle Studien zeigen, dass die Lebenserwartung von Menschen mit Multipler Sklerose nur ca. drei bis fünf Jahre unter der durchschnittlichen Lebenserwartung von Menschen ohne MS liegt.
Tatsächlich können die meisten Betroffenen auch noch 25 Jahre nach der Diagnose selbstständig und ohne umfangreiche Hilfsmittel leben. Ein erfülltes und glückliches Leben mit Multipler Sklerose ist also möglich. Neben der richtigen medizinischen Behandlung ist die mentale Einstellung entscheidend für eine gute Lebensqualität. Es geht darum, die Krankheit zu akzeptieren und nicht gegen sie anzukämpfen. Betroffene müssen lernen, ihre Einschränkungen anzuerkennen und ihre Grenzen zu respektieren, ohne sie zu überschreiten.
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Faktoren, die den Krankheitsverlauf beeinflussen
Verschiedene Faktoren können den Verlauf der Multiplen Sklerose beeinflussen. Dazu gehören:
- Beginn der Krankheit: Die Krankheit beginnt vor dem 35. Lebensjahr. Zu Beginn der Krankheit treten nur einzelne Symptome wie Kribbeln, Taubheitsgefühle oder Sehprobleme auf.
- Schweregrad der Symptome: Zu Beginn der Krankheit treten bereits mehrere Symptome zusammen auf (z. B. Lähmung mit einer Sehstörung). Die Beschwerden sind hauptsächlich auf Schäden im Rückenmark und Kleinhirn zurückzuführen. Nur etwa ein Drittel von MS-Betroffenen erleben einen schweren Verlauf der Multiplen Sklerose. In erster Linie äußert sich das durch körperliche Behinderungen.
- Geschlecht: Statistisch gesehen neigen Männer dazu, schneller in die Phase der chronischen Progression überzugehen, in der sich die Symptome allmählich verschlechtern.
- Früh auftretende motorische Probleme: Früh auftretende motorische Probleme wie Lähmungen, Gangstörungen oder Spastiken deuten darauf hin, dass die MS möglicherweise aggressiver verläuft.
- Anzahl der Schübe: Die Anzahl der Schübe in den ersten Jahren nach der Diagnose kann ebenfalls einen Hinweis darauf geben, wie die MS fortschreiten wird. Studien zeigen, dass mehr als drei Schübe in den ersten beiden Jahren die Wahrscheinlichkeit einer späteren Verschlechterung erhöhen.
- Spinale Schübe: Schübe, die durch Entzündungen im Gehirn oder Rückenmark entstehen, können langfristig ungünstige Narben hinterlassen.
- Umweltfaktoren: Umweltfaktoren spielen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und dem Verlauf von MS. Ein wichtiger Faktor ist Vitamin D. Studiendaten zeigen, dass ein höherer Vitamin-D-Spiegel mit einem geringeren Risiko für eine Multiple Sklerose einhergeht. Ein weiterer bedeutender Umweltfaktor ist das Rauchen. Nikotinkonsum erhöht das Risiko von Schüben.
- Komorbiditäten: Depressionen und Angststörungen kommen bei MS häufiger vor und können die Prognose verschlechtern. Gerade im hohen Alter kommt es bei diesen Komorbiditäten zu einer eher ungünstigen Prognose, da es bei Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und Diabetes zu Gefäßschädigungen kommt - zusätzlich zur MS.
- MRT-Befunde: Die Magnetresonanztomographie (MRT) spielt eine entscheidende Rolle bei der Prognose von MS. Die Untersuchungen zeigen Läsionen und Entzündungen im Gehirn. Besonders problematisch sind Läsionen in strategisch ungünstigen Bereichen wie dem Hirnstamm oder dem Rückenmark. Auch Läsionen im Kleinhirn, das unter anderem für die Koordination und Standstabilität zuständig ist, können sich ungünstig auf Entzündungen auswirken. Die Anzahl und Lage der Läsionen, insbesondere schwarze Flecke (Black Holes), können Aufschluss über den Schweregrad der Erkrankung geben.
Moderne Therapieansätze
In der Vergangenheit ging eine Multiple-Sklerose-Erkrankung für die meisten Patienten mit einer signifikanten Behinderung und einer verkürzten Lebenserwartung einher. Mittlerweile ermöglichen moderne Immuntherapien eine nahezu normale Lebensdauer bei gutem Befinden.
Immuntherapie
Ein großer Anteil an dieser Entwicklung wird der Immuntherapie zugeschrieben. Durch eine Immuntherapie werden bei schubförmig remittierender MS (RRMS) Krankheitsschübe verhindert und die Progression der Erkrankung kann aufgehalten werden. Ein Beispiel ist der orale Immunmodulator Teriflunomid, der die Rate an Schüben mit Residuen reduziert und das Risiko einer Behinderungsprogression verringert. Langzeitdaten belegen bei Respondern einen anhaltend stabilen EDSS unter Teriflunomid und ein konstantes Sicherheitsprofil über inzwischen 8 Jahre.
Für Patienten mit hochaktiver RRMS trotz DMT kommt als Eskalation eine intravenöse Impulstherapie mit Alemtuzumab infrage. Auch für Alemtuzumab liegen Langzeitdaten vor, die eine anhaltend geringe jährliche Schubrate der Behandelten belegen.
Symptomatische Therapie
Die symptomatische Therapie sollte an die Bedürfnisse der Patienten angepasst werden. Die Behandlung von Fatigue und von Depressionen hat entscheidenden Anteil am Erfolg einer MS-Therapie und der Verbesserung der Lebensqualität.
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Lebensstil
Auch ein gesunder Lebensstil kann den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen. Die Patienten sollten Übergewicht vermeiden und regelmäßig körperlich aktiv sein. Regelmäßige Physiotherapie ist ebenfalls ein wichtiger Faktor. Empfehlenswert sind außerdem mediterrane Kost, wenig Kochsalz, wenig Alkohol und kein Nikotin. Der Stellenwert einer Vitamin-D-Supplementation ist dagegen derzeit unklar.
Naturheilkunde
Es gibt verschiedene Verfahren aus der Naturheilkunde, von denen MS-Patienten profitieren können. Die physikalische Therapie mit Krankengymnastik, Massage und Bädern kann unterstützend bei vielen verschiedenen MS Symptomen zu einer Verbesserung beitragen. Weiterhin wirken Omega-3-Fettsäuren entzündungshemmend und können so das Voranschreiten der MS verlangsamen. Auch Kurkumin und Weihrauch sollen entzündungshemmend wirken, allerdings ist ihr Nutzen wissenschaftlich nicht ausreichend bestätigt. Gegen Depression bei MS kann das pflanzliche Mittel Johanniskraut helfen. Weiterhin ist es bei MS vermutlich sinnvoll, auf einen normalen Vitamin D Spiegel im Blut zu achten und gegebenenfalls Vitamin D therapeutisch einzunehmen.
MS und Familienplanung
Nach der Diagnose Multiple Sklerose haben Betroffene wahrscheinlich viele Fragen zu ihrer Prognose und den Auswirkungen der MS auf ihr Privatleben und die Familienplanung. Multiple Sklerose beeinträchtigt weder die Fruchtbarkeit beim Mann noch bei der Frau. Aber Betroffene sollten sich unbedingt sofort bzw. am besten schon vor einer geplanten Schwangerschaft ärztlich beraten lassen, weil manche MS-Medikamente nicht während einer Schwangerschaft gegeben werden dürfen. Auch auf den Schwangerschaftsverlauf und die Geburt wirkt sich die MS kaum aus. Umgekehrt hat auch eine Schwangerschaft keine langfristigen Auswirkungen auf die MS. Eine Schwangerschaft ist grundsätzlich möglich, es sollten aber bestimmte Dinge beachtet werden, über die das Behandlungsteam im Einzelnen beraten kann.
Forschung und Ausblick
Die Forschung im Bereich der Multiplen Sklerose schreitet stetig voran. Eine bahnbrechende Studie hat gezeigt, dass es auf Zellebene drei Subtypen der Krankheit gibt, die durch ein spezifisches Profil von Immunzellen im Blut gekennzeichnet sind und mit verschiedenen Krankheitsverläufen assoziiert sind. Diese Ergebnisse sind ein entscheidender Schritt in Richtung Präzisionsmedizin bei MS. Indem die individuellen Variationen des Immunsystems von Patienten verstanden werden, kommen die Forscher der personalisierten Behandlung näher, die effektiver ist und weniger Nebenwirkungen hat.
Aktuell werden verschiedene Erfolg versprechende Medikamente zur Behandlung der MS klinisch geprüft. Ziel der neuen Medikamente ist, die bei der MS fehlgeleitete Immunreaktion zu stabilisieren und den pathologischen Entzündungsprozess einzudämmen.
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Leben mit MS
Mit Multipler Sklerose zu leben ist nicht einfach. Die Ungewissheit, ob und wann erneut ein Schub auftritt, ist sehr verunsichernd und kann Angst machen. Es gibt jedoch viele Möglichkeiten, das Leben mit MS positiv zu gestalten. Dazu gehören:
- Akzeptanz der Krankheit: Es ist wichtig, die Krankheit zu akzeptieren und sich nicht von ihr entmutigen zu lassen.
- Unterstützung suchen: Selbsthilfegruppen und der Austausch mit anderen Betroffenen können helfen, mit der Krankheit umzugehen.
- Anpassung des Lebensstils: Ein gesunder Lebensstil mit ausgewogener Ernährung, regelmäßiger Bewegung und ausreichend Schlaf kann den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen.
- Barrierefreies Wohnen: Um so lange wie möglich selbstständig zu bleiben, können Betroffene ihr Zuhause barrierearm umbauen und erhalten dafür Zuschüsse von der Pflegekasse.
- Berufliche Anpassung: Wählen Betroffene einen Beruf, der ihnen Freude bereitet und sich bei Bedarf ihren Bedürfnissen anpassen kann.
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