Multiple Sklerose Medikamente und ihre Nebenwirkungen

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der die Nervenstrukturen zerstört werden. Die Krankheit verläuft meist in Schüben und kann je nach betroffenem Hirnareal unterschiedliche Verlaufsformen haben. Obwohl MS nicht heilbar ist, können moderne Medikamente den Verlauf der Erkrankung hinauszögern und verbessern. Diese Medikamente wirken auf das Immunsystem, um Krankheitsschübe zu verhindern und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen.

Immunsuppressive Therapie bei Multipler Sklerose

Eine immunsuppressive Therapie, auch verlaufsmodifizierende Therapie oder Basis-Therapie genannt, beinhaltet die langfristige Gabe von Immuntherapeutika. Diese Wirkstoffe unterdrücken die Aktivität des Immunsystems (Immunsuppressiva) oder verändern Immunreaktionen gezielt (Immunmodulatoren). Die immunsuppressive Therapie kann den Verlauf der MS günstig beeinflussen, insbesondere bei schubförmig verlaufender MS und aktiver sekundär progredienter MS (SPMS).

Bei nicht aktiver SPMS sowie bei primär progredienter MS ist die Wirksamkeit der immunsuppressiven Therapie geringer. Die Auswahl geeigneter MS-Immuntherapeutika richtet sich nach verschiedenen Faktoren, wie der Verlaufsform der MS, der Krankheitsaktivität und vorhergehenden Behandlungen. Auch individuelle Faktoren wie Alter, Verträglichkeit und Begleiterkrankungen spielen eine Rolle. Die aktuelle medizinische Leitlinie teilt MS-Immuntherapeutika in drei Kategorien ein - nach ihrer relativen Reduktion der Entzündungsaktivität.

Arten von Immuntherapeutika

Zur Behandlung von Multipler Sklerose stehen verschiedene Immuntherapeutika zur Verfügung:

  • Beta-Interferone (inkl. PEG-Interferon)
  • Glatirameracetat
  • Dimethylfumarat
  • Teriflunomid
  • S1P-Rezeptor-Modulatoren: Fingolimod, Siponimod, Ozanimod, Ponesimod
  • Cladribin
  • Natalizumab
  • Ocrelizumab
  • Ofatumumab
  • Rituximab (keine Zulassung für Multiple Sklerose)
  • Alemtuzumab

Im Folgenden werden einige dieser Medikamente und ihre spezifischen Nebenwirkungen detaillierter betrachtet.

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Beta-Interferone

Beta-Interferone sind Zytokine, die Immunreaktionen modulieren. Die Anwendung erfolgt als Spritze unter die Haut (subkutan) oder in einen Muskel (intramuskulär). Die Häufigkeit der Anwendung variiert je nach Präparat. Ein pegyliertes (PEG-)Interferon muss nur alle zwei Wochen injiziert werden.

Nebenwirkungen:

  • Grippeähnliche Beschwerden (Kopf- und Muskelschmerzen, Schüttelfrost, Fieber), besonders zu Beginn der Therapie
  • Reaktionen an der Einstichstelle (Rötung, Schmerzen, Juckreiz, Entzündung, Nekrose) bei subkutaner Anwendung
  • Verstärkung von Depressionen bei bekannter Depression
  • Mangel an neutrophilen Granulozyten und Blutplättchen
  • Erhöhte Blutwerte für Transaminasen
  • Entwicklung neutralisierender Antikörper gegen das Medikament

Glatirameracetat

Glatirameracetat (GLAT) ist ein Immunmodulator, dessen Wirkweise nicht genau bekannt ist. Es wird je nach Dosierung einmal täglich oder dreimal wöchentlich unter die Haut gespritzt.

Nebenwirkungen:

  • Lokale Reaktionen an der Einstichstelle (Rötung, Schmerzen, Quaddeln, Juckreiz)
  • Lokale Lipo-Atrophie (Verlust von Unterhaut-Fettgewebe)
  • Systemische Reaktion mit Gefäßerweiterung, Brustschmerz, Atemnot oder Herzklopfen direkt nach der Injektion
  • Schwere allergische (anaphylaktische) Reaktionen, auch Monate bis Jahre nach Behandlungsbeginn

Teriflunomid

Teriflunomid wirkt immunsuppressiv und hemmt die Neubildung eines Enzyms, das für das schnelle Wachstum von Zellen wichtig ist, insbesondere bei Lymphozyten. Es wird einmal täglich als Tablette eingenommen.

Nebenwirkungen:

  • Anstieg bestimmter Leberwerte (Transaminasen)
  • Kopfschmerzen
  • Dünneres Haar
  • Durchfall
  • Übelkeit
  • Abnahme der weißen Blutkörperchen und der Blutplättchen
  • Weitere Veränderungen im Blutbild (Mangel an Neutrophilen, Blutarmut)
  • Infektionen (obere Atemwege, Lippenherpes)
  • Störungen peripherer Nerven (periphere Neuropathien), z.B. Karpaltunnelsyndrom

Wichtiger Hinweis: Teriflunomid kann dem ungeborenen Kind schaden und Mutationen in der Kindesentwicklung begünstigen. MS-Patientinnen mit Kinderwunsch sollten eine alternative Behandlung suchen.

Dimethylfumarat

Dimethylfumarat (DMF) wirkt immunmodulierend und hemmt Entzündungen. Es wird zweimal täglich als Kapsel eingenommen.

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Nebenwirkungen:

  • Juckreiz
  • Hitzegefühl oder Flush (anfallsartig auftretende Hautrötung mit Hitzegefühl)
  • Magen-Darm-Beschwerden (Durchfall, Übelkeit, Bauchschmerzen)
  • Mangel an Lymphozyten (Lymphopenie)
  • Progressive Multifokale Leukenzephalopathie (PML), eine lebensbedrohliche Viruserkrankung des Gehirns
  • Gürtelrose
  • Erhöhtes Risiko für Proteinurie (gesteigerte Ausscheidung von Eiweiß mit dem Urin)

Fingolimod

Fingolimod ist ein S1P-Rezeptor-Modulator, der die Anzahl der Lymphozyten im Blut verringert. Es wird einmal täglich als Kapsel eingenommen.

Nebenwirkungen:

  • Mangel an Lymphozyten (Lymphopenie)
  • Störungen der Reizleitung im Herz (AV-Block)
  • Grippe und Nasennebenhöhlen-Entzündungen
  • Bronchitis
  • Kleienpilzflechte (Hautpilz)
  • Herpes-Infektionen
  • Kryptokokkose (Pilz-Infektion), z.B. Hirnhautentzündung (Meningitis)
  • Progressive Multifokale Leukenzephalopathie (PML)
  • Makulaödem (Augenerkrankung)
  • Erhöhtes Risiko für bestimmte Krebsarten (Basalzell-Karzinome, Schwarzer Hautkrebs)
  • Anstieg der Leber-Enzyme
  • Neurologisches Krankheitsbild mit Hirnschwellung (posteriores reversibles Enzephalopathie-Syndrom)
  • Krankheitsbild mit unkontrolliert überschießender Immunreaktion (Hämophagozytisches Syndrom)
  • Atypische Multiple-Sklerose-Verläufe

Siponimod, Ozanimod und Ponesimod

Siponimod, Ozanimod und Ponesimod sind weitere S1P-Rezeptor-Modulatoren, die in der MS-Therapie eingesetzt werden. Ihre Nebenwirkungen ähneln denen von Fingolimod.

Cladribin

Cladribin ist ein Immunsuppressivum, das hauptsächlich bei Lymphozyten für den Zelltod sorgt. Die Therapie besteht aus zwei Zyklen über zwei Jahre, mit kurzen Einnahmephasen in zwei aufeinanderfolgenden Monaten pro Jahr.

Nebenwirkungen:

  • Mangel an Lymphozyten (Lymphopenie)
  • Verminderte Anzahl der Neutrophilen Granulozyten
  • Gürtelrose
  • Schwere Infektionen
  • Erhöhtes Risiko für Krebs-Erkrankungen

Natalizumab

Natalizumab ist ein Antikörper, der den Übertritt von Lymphozyten über die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn hemmt.

Risiko:

  • Erhöhtes Risiko, an einer bestimmten Form einer viralen Gehirnentzündung (PML) zu erkranken.

Dimethylfumarat und Diroximelfumarat

Dimethylfumarat (DMF) und Diroximelfumarat (DRF) sind Wirkstoffe, die zur Behandlung der schubförmig remittierenden MS eingesetzt werden. DMF ist unter den Handelsnamen Tecfidera®, Dimethylfumarat Mylan®, Dimethylfumarat Accord® und Dimethylfumarat Neuraxpharm® erhältlich. DRF wird unter dem Handelsnamen Vumerity® verkauft.

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Indikation:

Beide Wirkstoffe werden zur Behandlung von Erwachsenen und Jugendlichen ab 13 Jahren mit schubförmig remittierender MS eingesetzt.

Verabreichung:

  • Tecfidera® wird als Hartkapsel (240 mg) zweimal täglich oral eingenommen. In den ersten sieben Tagen beträgt die Dosis zweimal täglich 120 mg, danach wird sie auf zweimal täglich 240 mg erhöht.
  • DMF Mylan/Accord/Neuraxpharm sind als Kapseln zum Einnehmen erhältlich, die zweimal täglich zu einer Mahlzeit eingenommen werden. In der ersten Behandlungswoche wird eine niedrigere Dosis eingenommen, die ab der zweiten Woche erhöht wird.
  • DRF (Vumerity®) ist in Form von Kapseln zum Einnehmen erhältlich. Die Dosis beträgt in den ersten sieben Tagen zweimal täglich 231 mg (eine Kapsel) und wird anschließend auf zweimal täglich 462 mg (zwei Kapseln) erhöht.

Wirkweise:

Dimethylfumarat hat eine entzündungshemmende Wirkung und möglicherweise auch neuro- und myelinprotektive Eigenschaften. Diroximelfumarat wird im Körper in Monomethylfumarat umgewandelt, das die Wirkung eines Proteins namens Nrf2 verstärkt, wodurch die Produktion von Antioxidantien erhöht wird.

Nicht geeignet bei/für:

  • DMF: Schwangerschaft, Stillzeit, Überempfindlichkeit/Allergie gegen den Wirkstoff, schweren Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes, schweren Leberfunktions- und Nierenerkrankungen, chronischen Infektionskrankheiten (HIV, Hepatitis B und C).
  • DRF: Schwangerschaft, Stillzeit, Minderjährige, Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder andere Fumarsäureester, vermutete oder bestätigte progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML).

Nebenwirkungen:

  • DMF: Juckreiz, Hitzegefühl/„Flush“, gastrointestinale Ereignisse (z. B. Diarrhoe, Übelkeit, Abdominalschmerz, Schmerzen im Oberbauch), Lymphopenie, Varizella-Zoster-Infektionen, PML.
  • DRF: Hautrötungen, Magen-Darm-Beschwerden (wie Durchfall, Übelkeit und Schmerzen im Bauchbereich).

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Therapiemonitoring

Die unerwünschten Arzneimittelwirkungen der verschiedenen MS-Medikamente können erheblich sein und die Patienten vital gefährden. Daher ist ihre Kenntnis für Neurologen und die hausärztliche Versorgung essenziell. Eine enge Überwachung der Therapieverläufe und eine individuelle Abwägung von Nutzen und Risiken sind notwendig.

Häufige UAWs umfassen:

  • Dermatologische Veränderungen
  • Veränderungen der Schilddrüsenhomöostase und des Blutbildes
  • Ophthalmologische, kardiovaskuläre, hepatische und gastroenterologische Komplikationen
  • Mögliche Häufung neoplastischer Erkrankungen
  • Infektiöse Therapierisiken, insbesondere PML

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