Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die das Gehirn und das Rückenmark betrifft. Da das zentrale Nervensystem alle Funktionen im Körper steuert, kann sich eine MS-Erkrankung auf fast alle Bereiche auswirken und unterschiedlichste Symptome hervorrufen. Es gibt also nicht das eine typische MS-Symptom. Die Erkrankung kann in Schüben verlaufen, und die Symptome können je nach betroffenem Bereich des Nervensystems variieren. Eines der weniger bekannten, aber dennoch bedeutsamen Symptome von MS können Probleme mit den Ohren sein. Dieser Artikel befasst sich mit den verschiedenen Auswirkungen von MS auf das Ohr, einschließlich der Symptome, Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten.
Multiple Sklerose: Ein Überblick
Multiple Sklerose ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die Myelinscheide angreift, die die Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark schützt. Dies führt zu Entzündungen und Schäden, wodurch die Reizweiterleitung gestört oder vollständig unterbrochen werden kann. Die genauen Ursachen von MS sind noch nicht bekannt, aber es wird angenommen, dass genetische und Umweltfaktoren eine Rolle spielen.
Häufige Symptome von MS
Die Symptome von MS können sehr unterschiedlich sein und hängen davon ab, welche Bereiche des zentralen Nervensystems betroffen sind. Zu den häufigsten Symptomen gehören:
- Erschöpfung (Fatigue)
- Sehprobleme (z. B. Doppelbilder, Sehnerventzündung)
- Muskelschwäche und Spastik
- Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen (Ataxie)
- Taubheitsgefühle und Kribbeln (Sensibilitätsstörungen)
- Kognitive Beeinträchtigungen (Konzentrations- und Gedächtnisprobleme)
- Schwindel
Auswirkungen von MS auf das Ohr
Obwohl MS primär das Gehirn und das Rückenmark betrifft, können auch die Nervenbahnen, die für das Hören und das Gleichgewicht verantwortlich sind, in Mitleidenschaft gezogen werden. Dies kann zu verschiedenen Symptomen im Ohrbereich führen.
Hörstörungen
Probleme beim Hören (Verarbeitungsprobleme) können durch MS verursacht werden. Die Uniklinik Göttingen hat vor kurzem eine Hörstörung diagnostiziert, bei der auch der Hörnerv in einer Messung beeinträchtigt war. Bei Umgebungsgeräuschen höre ich sehr schlecht, in Ruhe höre ich sehr gut. Eine AEP (akustisch evozierte Potentiale) kann Aufschluss geben.
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- Vermindertes Hörvermögen: Einige MS-Patienten berichten von einem plötzlichen oder allmählichen Verlust des Hörvermögens, oft auf einem Ohr. Betroffene haben ein ähnliches Problem, mal hören sie schlechter, mal viel zu sensibel, also empfindlich gut. Auch ein schlagartiger, stark verminderter Hörverlust auf einem Ohr für etwa eine Woche wurde beobachtet.
- Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen (Hyperakusis): Andere Patienten erleben eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Geräuschen, bei der normale Alltagsgeräusche als unerträglich laut empfunden werden.
- Tinnitus: Ein weiteres häufiges Symptom ist Tinnitus, der sich als Klingeln, Rauschen oder Pfeifen im Ohr äußern kann. Des Weiteren habe ich seit 2008 einen sehr lauten Tinnitus.
Gleichgewichtsstörungen und Schwindel
Schwindel ist eine häufige und belastende Begleiterscheinung der MS, die den Alltag stark einschränken kann. Ein Hauptgrund für Schwindel bei Multipler Sklerose ist, dass die Nervenverbindungen zwischen dem Gleichgewichtsorgan im Innenohr und dem Gehirn entzündet oder beschädigt sind. Dadurch erhält das Gehirn falsche Signale über unsere Körperhaltung und Bewegungen, was Schwindel entstehen lässt. Da die Ursache für die Schwindelgefühle im Gehirn liegt, handelt es sich bei Multipler Sklerose um sogenannten zentralen Schwindel.
- Schwindel: Viele MS-Patienten leiden unter Schwindelgefühlen, die von leichtem Benommenheit bis zu starkem Drehschwindel reichen können.
- Gleichgewichtsprobleme: Die Beeinträchtigung der Nervenbahnen, die für das Gleichgewicht verantwortlich sind, kann zu Unsicherheit beim Gehen und Stehen führen. Zusätzlich können auch die für das Gehen verantwortlichen Muskeln keine Informationen mehr von den Nerven erhalten. So eine Muskelschwäche in den Beinen tritt dann oft einseitig auf. Dadurch entstehen Gangstörungen und Fehlhaltungen, die die Betroffenen schnell ins Schwanken geraten lassen. Das Risiko von Stürzen erhöht sich und das tägliche Leben wird stark beeinträchtigt.
Seltene Symptome
- Druckgefühl im Ohr: Manche Betroffene beschreiben ein Gefühl von Druck oder Völlegefühl im Ohr. Aktuell habe ich seit mehren Wochen vor allem in Ruhe immer einige Minuten lang andauernde Probleme auf dem rechten Ohr. Dabei höre ich mein Blut im Ohr rauschen, habe Druck auf dem Ohr und ein Watte Gefühl.
- Ohrenschmerzen: Obwohl seltener, können auch Ohrenschmerzen im Zusammenhang mit MS auftreten.
Ursachen von Ohrproblemen bei MS
Die genauen Mechanismen, die zu Ohrproblemen bei MS führen, sind noch nicht vollständig verstanden. Es gibt aber verschiedene Theorien:
- Entzündung der Nervenbahnen: Die Entzündung und Schädigung der Myelinscheide kann die Nervenbahnen beeinträchtigen, die das Innenohr und das Gehirn verbinden.
- Schädigung des Hirnstamms: Läsionen im Hirnstamm, der wichtige Zentren für die Hör- und Gleichgewichtsfunktion enthält, können zu entsprechenden Symptomen führen.
- Medikamentennebenwirkungen: Einige Medikamente, die zur Behandlung von MS eingesetzt werden, können als Nebenwirkung Hörstörungen oder Schwindel verursachen. Neben dem zentralen Schwindel durch die Schädigung von Nervenbahnen infolge von MS, können Schwindelgefühle auch durch die Einnahme von Medikamenten hervorgerufen werden, die für die Therapie bei Multipler Sklerose notwendig sind.
Differentialdiagnose: Trigeminusneuralgie
Es ist wichtig zu beachten, dass Ohrenschmerzen und andere Symptome im Ohrbereich auch durch andere Erkrankungen verursacht werden können, wie z.B. durch die Trigeminusneuralgie (TN). Die Trigeminusneuralgie ist eine neurologische Störung, die den trigeminalen Nerv betrifft, der für die Übertragung von Schmerz- und Tastempfindungen im Gesicht verantwortlich ist. Wenn dieser Nerv das Ohr betrifft, können Schmerzen und andere Symptome auftreten.
Symptome der Trigeminusneuralgie im Ohr
Symptome der Trigeminusneuralgie im Ohr können sehr schmerzhaft und plötzlich auftreten. Häufigste Symptomatik bei einer Trigeminusneuralgie im Ohr sind scharfe, stechende Ohrenschmerzen, die sehr intensiv und plötzlich auftreten können. Diese Schmerzen werden oft als elektrisierend beschrieben und können durch einfache Bewegungen wie Kauen oder Sprechen ausgelöst werden. Die Schmerzen sind in der Regel kurz, aber sehr intensiv und können einige Sekunden bis Minuten dauern. Ein weiteres häufiges Symptom ist das Auftreten von Tinnitus (Ohrgeräuschen), das mit einem ständigen Rauschen oder Klingeln im Ohr verbunden sein kann. Betroffene können auch das Gefühl haben, dass das Ohr "eingeschaltet" oder "überempfindlich" auf Geräusche reagiert. Dies kann zu einem ständigen Unbehagen und zu einer Verstärkung der Ohrenschmerzen führen, besonders bei lauten Geräuschen oder Wind. Einige Patienten berichten von einem Gefühl eines „verstopften Ohrs“ oder eines Völlegefühls im Ohr.
Ursachen der Trigeminusneuralgie
Trigeminusneuralgie tritt auf, wenn der trigeminale Nerv, der für die Übertragung von Schmerz- und Tastempfindungen im Gesicht verantwortlich ist, beschädigt oder gereizt wird. Wenn dieser Nerv das Ohr betrifft, können Schmerzen und andere Symptome auftreten. Mögliche Ursachen sind:
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- Blutgerinnsel oder Gefäßkompression: Ein Blutgefäß kann den trigeminalen Nerv komprimieren und so Schmerzen verursachen.
- Erkrankungen wie Multiple Sklerose (MS): MS kann zu einer Schädigung des Nervs führen und trigeminusbedingte Schmerzen auslösen.
- Verletzungen oder Traumata im Kopfbereich: Traumatische Verletzungen im Bereich des Nervs können zu einer Neuralgie führen.
- Altersbedingte Veränderungen: Mit zunehmendem Alter können Veränderungen im Nervensystem zu einer erhöhten Anfälligkeit für Trigeminusneuralgie führen.
Behandlung der Trigeminusneuralgie
Die Behandlung der Trigeminusneuralgie kann medikamentös oder chirurgisch erfolgen. Antikonvulsiva (z. B. Carbamazepin) werden häufig eingesetzt, um die Schmerzen zu lindern und die Nervenaktivität zu stabilisieren. In einigen Fällen können auch Schmerzmittel verschrieben werden. Wenn die medikamentöse Behandlung nicht ausreichend hilft, kann eine chirurgische Behandlung in Erwägung gezogen werden. Eine der gängigsten Methoden ist die Mikrovaskuläre Dekompression, bei der der Nerv von komprimierenden Gefäßen befreit wird.
Diagnose von Ohrproblemen bei MS
Wenn ein MS-Patient über Ohrprobleme klagt, ist eine gründliche Untersuchung durch einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt (HNO-Arzt) erforderlich. Diese umfasst in der Regel:
- Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte und der genauen Symptome.
- Otoskopie: Untersuchung des äußeren Gehörgangs und des Trommelfells.
- Audiometrie: Hörtest zur Bestimmung des Hörvermögens.
- Gleichgewichtsprüfungen: Tests zur Überprüfung des Gleichgewichtssystems.
- MRT: Eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Gehirns und des Rückenmarks kann helfen, Läsionen im Nervensystem zu identifizieren, die für die Symptome verantwortlich sein könnten.
Behandlung von Ohrproblemen bei MS
Die Behandlung von Ohrproblemen bei MS zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern. Es gibt verschiedene Therapieansätze:
- Medikamentöse Behandlung: Kortikosteroide können bei akuten Schüben helfen, die Entzündung zu reduzieren und die Symptome zu lindern. Gegen Schwindel können Antivertiginosa eingesetzt werden.
- Physiotherapie: Gleichgewichtstraining und Übungen zur Verbesserung der Koordination können helfen, Schwindel und Gleichgewichtsstörungen zu reduzieren. Bei einem starken MS-Schub mit Schwindelanfällen kann eine Kortison-Therapie helfen. Danach ist intensives Gleichgewichtstraining mit einem Physiotherapeuten wichtig, um wieder stabil auf den Beinen zu stehen. Anschließend kann mit Übungen für zuhause das Gleichgewicht weiter verbessert werden, zum Beispiel mit Fixationsübungen. Dabei wird mit den Augen ein Gegenstand fokussiert und der Kopf gedreht.
- Hörgeräte: Bei Hörverlust können Hörgeräte helfen, das Hörvermögen zu verbessern.
- Tinnitus-Therapie: Es gibt verschiedene Ansätze zur Behandlung von Tinnitus, wie z. B. Tinnitus-Retraining-Therapie oder die Verwendung von Rauschgeneratoren.
- Psychologische Unterstützung: Ohrprobleme können die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Eine psychologische Beratung kann helfen, mit den Symptomen umzugehen und Stress abzubauen. Schmerzepisoden sein, weshalb Stressbewältigungstechniken wie Meditation, Yoga oder regelmäßige Bewegung hilfreich sein können, um die Symptome zu minimieren.
Zusätzliche Tipps und Strategien
Neben den medizinischen Behandlungen gibt es auch einige zusätzliche Tipps und Strategien, die MS-Patienten mit Ohrproblemen helfen können:
- Vermeidung von Auslösern: Identifizieren und vermeiden Sie Faktoren, die Ihre Symptome verschlimmern, wie z. B. laute Geräusche, Stress oder bestimmte Bewegungen.
- Entspannungstechniken: Erlernen Sie Entspannungstechniken wie Meditation, Yoga oder Atemübungen, um Stress abzubauen und die Symptome zu lindern.
- Gesunde Lebensweise: Achten Sie auf eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Schlaf und regelmäßige Bewegung, um Ihr allgemeines Wohlbefinden zu verbessern. Eine ausgewogene Ernährung, reich an Vitaminen und Nährstoffen, die die Nerven- und Gefäßgesundheit unterstützen, kann helfen, das Risiko von Trigeminusneuralgie zu verringern und den Allgemeinzustand zu verbessern. Regelmäßige körperliche Aktivität fördert die Durchblutung, stärkt das Nervensystem und kann dazu beitragen, das Risiko für viele Erkrankungen, einschließlich Trigeminusneuralgie, zu senken.
- Unterstützung suchen: Treten Beschwerden nur kurz, aber wiederkehrend auf, sprechen Mediziner:innen von sogenannten „paroxysmalen Symptomen“. Selbsthilfegruppen haben für MS-Betroffene eine hohe Bedeutung. Hier werden nicht nur Erfahrungen geteilt, sondern sie sind eine wertvolle Anlaufstelle für Fragen zur Versorgung. Hier finden auch viele Aspekte des alltäglichen Lebens Platz wie Fragen zu Schwangerschaft und Beziehung bei MS, Arbeitsfähigkeit, Probleme mit Versicherungen, Erfordernisse für Auslandsaufenthalte und neue Erkenntnisse aus der Medizin.
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