Multiple Sklerose (MS) kann die Erwerbsfähigkeit stark beeinträchtigen. Viele Betroffene sind nicht mehr in der Lage, ihren erlernten Beruf auszuüben und müssen eine Erwerbsminderungsrente (EMR) beantragen. Doch was tun, wenn der Antrag abgelehnt wird? Dieser Artikel gibt Ihnen einen Überblick über die möglichen Gründe für eine Ablehnung und zeigt Ihnen, welche Schritte Sie unternehmen können, um Ihre Ansprüche durchzusetzen.
Erwerbsminderungsrente bei MS: Anspruch und Voraussetzungen
Die EMR ist eine Leistung der Deutschen Rentenversicherung (DRV), die Ihren Verdienstausfall ausgleichen und Sie finanziell absichern soll. Um Anspruch auf EMR zu haben, müssen Sie folgende Voraussetzungen erfüllen:
- Sie haben die sogenannte Vorversicherungszeit erfüllt. Das bedeutet, Sie müssen mindestens fünf Jahre in der Rentenversicherung versichert gewesen sein und in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge gezahlt haben.
- Sie haben die Regelaltersgrenze für die gesetzliche Rente noch nicht erreicht.
- Ihre Erwerbsfähigkeit ist aufgrund Ihrer Erkrankung dauerhaft eingeschränkt. Die DRV prüft, ob Sie noch in der Lage sind, mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten.
Die Rolle der Erwerbsfähigkeit
Die Krankheit an sich ist noch kein Grund für die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente bei Multipler Sklerose, ausschlaggebend ist Ihre Erwerbsfähigkeit pro Tag:
- Können Sie mit MS noch sechs Stunden und mehr arbeiten? Dann haben Sie keinen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente.
- Können Sie mit MS noch drei Stunden aber weniger als sechs Stunden pro Tag arbeiten? Dann haben Sie Anspruch auf eine Teilerwerbsminderungsrente. (Bei Vorliegen einer teilweisen Erwerbsminderung kann sogar auch eine Rente wegen voller Erwerbsminderung als sogenannte Arbeitsmarktrente gewährt werden, wenn der Arbeitsmarkt als verschlossen gilt. Das ist der Fall, wenn der Versicherte länger als ein Jahr keinen seinem Restleistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz mehr innehat oder ihm kein solcher angeboten werden kann. Aufgrund der schlechten Beschäftigungssituation ist auch eine solche Stelle die dem Restleistungsvermögen entspricht nicht auf dem Arbeitsmarkt zu finden. Dann hat man Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.)
- Können Sie mit MS nur noch unter drei Stunden pro Tag Ihrer Tätigkeit nachkommen? Dann haben Sie einen Anspruch auf volle Erwerbsminderungsrente.
Reha-Maßnahme vor Rentenantrag
Normalerweise fordert der Rententräger eine Rehabilitationsmaßnahme, bevor er die Erwerbsminderungsrente bewilligt. Mithilfe verschiedener Tests ermitteln Ärztinnen oder Ärzte, wie leistungsfähig Du bist und in welcher Form Du auf dem Arbeitsmarkt tätig sein kannst.
Gründe für die Ablehnung der Erwerbsminderungsrente
Trotz erfüllter Voraussetzungen wird die EMR häufig abgelehnt. Zu den häufigsten Gründen gehören:
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- Fehlende medizinische Nachweise: Die DRV benötigt umfassende medizinische Unterlagen, um Ihre Erwerbsminderung zu beurteilen. Dazu gehören Arztberichte, Gutachten und Reha-Berichte. Wenn diese nicht ausreichend sind oder widersprüchliche Angaben enthalten, kann dies zur Ablehnung führen.
- Gutachten des Sozialmedizinischen Dienstes: Der Sozialmedizinische Dienst der DRV beurteilt Ihren Gesundheitszustand in einem Gutachten. Wenn dieses Gutachten zu dem Schluss kommt, dass Sie noch erwerbsfähig sind, wird Ihr Antrag abgelehnt.
- Verweisbarkeit auf andere Tätigkeiten: Die DRV kann Sie auf eine andere Tätigkeit verweisen, die Sie trotz Ihrer Erkrankung ausüben könnten. Dabei wird geprüft, ob Sie in der Lage sind, eine andere zumutbare Tätigkeit auszuüben, auch wenn diese nicht Ihrem erlernten Beruf entspricht.
- Fehlende versicherungsrechtliche Voraussetzungen: In einigen Fällen fehlen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die EMR. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn Sie nicht genügend Pflichtbeiträge gezahlt haben.
Typische Argumente der Rentenversicherung
Die Rentenversicherungsträger bringen oft ähnliche Argumente vor, um einen Reha-Antrag abzulehnen:
- "Ambulante oder akute Maßnahmen sind besser geeignet." Der Kostenträger ist der Ansicht, dass Ihre Gesundheit auch mit einer ambulanten Behandlung soweit wiederhergestellt werden kann, damit Sie wieder erwerbsfähig sind oder am sozialen Leben teilhaben können. Oder der Kostenträger argumentiert, dass eine Akutbehandlung im Krankenhaus der bessere Weg sei.
- In beiden Fällen gilt es, in Zusammenarbeit mit Ihrem Arzt darzulegen, dass nur eine Reha zum gewünschten Erfolg führt. So könnten etwa alle infrage kommenden ambulanten Maßnahmen bereits durchgeführt worden sein und die Erkrankung trotzdem fortbestehen. Das gleiche gilt für Akutbehandlungen. Zudem könnte der Fall sein, dass akute Maßnahmen das Problem immer nur kurzfristig lösen, die Beschwerden aber regelmäßig wiederkehren.
- "Die Reha führt zu keiner Verbesserung." Der Kostenträger argumentiert, dass eine Reha keine deutliche Verbesserung Ihres Gesundheitszustandes erwarten lässt.
- Auch hier kommt es auf die medizinischen Argumente Ihres Arztes an. Er könnte etwa aufzeigen, dass bei Patienten mit der gleichen Indikation ein Reha-Aufenthalt zur Heilung führte.
- "Die Wartezeit von 4 Jahren ist noch nicht vorüber." Grundsätzlich werden Reha-Maßnahmen abgelehnt, wenn seit der letzten Reha weniger als vier Jahre vergangen sind. Das ist jedoch nicht immer gerechtfertigt.
- Im Widerspruch könnten Sie etwa darlegen, dass es sich nicht um die gleiche Erkrankung wie bei der letzten Reha handelt und Sie daher eine zusätzliche Therapie benötigen. Oder es ist tatsächlich medizinisch notwendig, bereits jetzt wieder in Reha zu gehen, da sich Ihr Zustand wieder stark verschlimmert hat und bei weiterem Warten Ihre Erwerbsfähigkeit bzw. Teilnahme am sozialen Leben gefährdet ist. Um dies zu untermauern, sind dem Widerspruch ausführliche Befunde von Fachärzten beizufügen.
Was tun bei Ablehnung der Erwerbsminderungsrente?
Wenn Ihr Antrag auf EMR abgelehnt wurde, sollten Sie nicht aufgeben. Ihnen stehen verschiedene Rechtsmittel zur Verfügung, um Ihre Ansprüche durchzusetzen:
1. Widerspruch einlegen
Legen Sie innerhalb eines Monats nach Zugang des Ablehnungsbescheids Widerspruch bei der DRV ein. Die Frist beginnt mit dem Datum, an dem Sie den Bescheid erhalten haben. Es empfiehlt sich, den Widerspruch schriftlich einzureichen und eine Kopie für Ihre Unterlagen aufzubewahren.
Begründung des Widerspruchs
In Ihrem Widerspruchsschreiben sollten Sie die Gründe für Ihre Ablehnung detailliert darlegen und gegebenenfalls neue medizinische Unterlagen beifügen. Es ist ratsam, sich hierbei von einem Arzt oder einem Anwalt für Sozialrecht beraten zu lassen.
Unterstützung durch den Arzt
Besprechen Sie den Ablehnungs-Bescheid und die Begründung mit Ihrem Arzt. Dieser kann beurteilen, ob und wie die Begründung entkräftet werden kann. Erstellen Sie gemeinsam mit Ihrem Arzt eine Stellungnahme, die auf die Ablehnungsgründe eingeht. Ihr Arzt kann Ihnen zudem ein Attest ausstellen, das Ihre Reha-Fähigkeit wie die Reha-Notwendigkeit unter Berücksichtigung des Ablehnungsgrundes bestätigt.
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2. Klage vor dem Sozialgericht
Wird Ihr Widerspruch von der DRV abgelehnt, können Sie Klage vor dem Sozialgericht erheben. Die Klage muss innerhalb eines Monats nach Zugang des Widerspruchsbescheids beim Sozialgericht eingegangen sein.
Anwaltliche Vertretung
Vor dem Sozialgericht besteht keine Anwaltspflicht. Es ist jedoch ratsam, sich von einem Anwalt für Sozialrecht vertreten zu lassen, da das Verfahren komplex sein kann. Der Anwalt kann Ihnen helfen, Ihre Ansprüche zu formulieren, Beweise vorzulegen und Ihre Interessen vor Gericht zu vertreten.
Gutachten vor Gericht
Im Rahmen des Klageverfahrens wird das Gericht in der Regel ein medizinisches Gutachten einholen, um Ihren Gesundheitszustand zu beurteilen. Das Gutachten wird von einem unabhängigen Sachverständigen erstellt.
3. Auskunfts- und Beratungsstellen
Wenn Sie Unterstützung bei der Antragstellung oder im Widerspruchsverfahren benötigen, können Sie sich an eine Auskunfts- und Beratungsstelle der DRV wenden. Dort erhalten Sie kostenlose Informationen und Beratung zu IhrenRechten und Pflichten.
4. Versicherungsältesten der Krankenkasse
Gehen Sie zu Ihrer gesetzlichen Krankenkasse und sprechen Sie dort mit dem Versicherungsältesten. Dieser kann Ihnen gegenüber der Bfa behilflich sein. Die Krankenkassen haben auch Interesse daran, dass so ein Antrag glatt über die Bühne geht.
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5. Unterstützung durch den Neurologen
Sprechen Sie mit Ihrem behandelnden Neurologen. Er soll einen Brief an den Rentenversicherer schreiben und eine eindeutige Diagnose mit Prognose erstellen. Der Neuro muss begründen, warum die Bildschirmarbeit nicht ausgeübt werden kann und er muss sagen, dass a) körperliche Belastung sowie b) Stress Faktoren sind, die die MS sehr negativ beeinflussen.
Berufsunfähigkeitsversicherung als Alternative
Neben der Erwerbsminderungsrente kann auch eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) eine wichtige finanzielle Absicherung darstellen. Wenn Sie aufgrund Ihrer MS Ihren Beruf nicht mehr ausüben können, zahlt die BU eine monatliche Rente.
Ablehnungsgründe bei der BU-Versicherung
Auch bei der BU-Versicherung kommt es häufig zu Ablehnungen. Zu den häufigsten Gründen gehören:
- Zweifel am Vorliegen der Berufsunfähigkeit: Die Versicherung bezweifelt, dass eine mindestens 50%ige Berufsunfähigkeit vorliegt. Der Versicherungsnehmer muss durch Arztberichte und Gutachten nachweisen, dass er seinen Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann.
- Konflikte zwischen Gutachten: Oft schaltet die BU-Versicherung eigene medizinische Gutachter ein. Kommt der vom Versicherer beauftragte Gutachter zu einem anderen Ergebnis als die behandelnden Ärzte, beruft sich der Versicherer meist auf das für ihn günstigere Ergebnis und lehnt die Leistung ab.
- Verweisung auf eine andere Tätigkeit: Viele BU-Verträge erlauben es dem Versicherer, die Leistung abzulehnen, wenn der Kunde noch einen zumutbaren anderen Beruf ausüben könnte. Dieses Verweisungsrecht (abstrakte oder konkrete Verweisung) wird gerne als Ablehnungsgrund genutzt. So behauptet die Versicherung zum Beispiel, trotz der Erkrankung könne der Versicherte noch eine andere vergleichbare Tätigkeit ausüben.
- Vorwurf der Anzeigepflichtverletzung: Ein weiterer Ablehnungsgrund ist der Vorwurf, bei Vertragsabschluss Vorerkrankungen verschwiegen oder unvollständig angegeben zu haben. Die vorvertragliche Anzeigepflicht verlangt, alle bekannten Gesundheitsprobleme wahrheitsgemäß offenzulegen. Gerade bei Autoimmunerkrankungen schauen Versicherer genau hin, ob bereits vor Vertragsbeginn Symptome aufgetreten sind. Schon kleine, längst vergessene Beschwerden oder Arztbesuche können im Nachhinein als Anzeichen einer Vorerkrankung gewertet werden.
Vorgehen bei Ablehnung der BU-Leistung
Auch gegen die Ablehnung der BU-Leistung können Sie vorgehen. Zunächst sollten Sie Widerspruch gegen die Ablehnung einlegen. Wenn der Widerspruch erfolglos bleibt, können Sie Klage vor dem zuständigen Gericht erheben. Es ist ratsam, sich hierbei von einem Anwalt für Versicherungsrecht vertreten zu lassen.