Multiple Sklerose und Stuhlinkontinenz: Ursachen, Behandlung und Lebensqualität

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die Gehirn und Rückenmark betrifft. Sie manifestiert sich meist im Alter zwischen 20 und 40 Jahren, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Die Erkrankung ist durch Entzündungsherde im Gehirn und Rückenmark gekennzeichnet, die zu vielfältigen Beschwerden und Funktionseinschränkungen führen können. Die Symptome sind unvorhersehbar und treten oft schubweise auf. Obwohl MS nicht heilbar ist, gibt es wirksame Behandlungen, die den Krankheitsverlauf verlangsamen und die Lebensqualität verbessern können.

Ursachen der Multiplen Sklerose

Die genauen Ursachen der MS sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren eine Rolle spielt:

  • Genetische Veranlagung: Etwa 20 % der MS-Betroffenen haben Familienmitglieder mit der gleichen Erkrankung. Allerdings gibt es keine direkte Vererbungslinie. Das Risiko für Kinder eines erkrankten Elternteils, ebenfalls an MS zu erkranken, ist gering (unter 1 % für Söhne, etwa 5 % für Töchter).
  • Umweltfaktoren: Geografische Unterschiede im Auftreten der MS deuten auf den Einfluss von Umweltfaktoren hin. In tropischen und subtropischen Regionen ist die Krankheit seltener als in gemäßigten Klimazonen. Es wird vermutet, dass bestimmte Viren und Bakterien, wie Herpesviren oder das Epstein-Barr-Virus, an der Entstehung der MS beteiligt sein könnten.
  • Immunologische Faktoren: Reaktionen des Immunsystems spielen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der MS. Es wird angenommen, dass Immunzellen in das ZNS einwandern und dort Entzündungen und den Abbau der Myelinschicht verursachen. Diese Myelinschicht umgibt die Nervenfasern und ermöglicht eine schnelle Signalübertragung. Bei MS greifen Immunzellen fälschlicherweise diese Schutzschicht an.

Weitere Faktoren, die den MS-Verlauf negativ beeinflussen können, sind psychischer Stress, Rauchen und Fieber.

Symptome der Multiplen Sklerose

Die Symptome der MS sind vielfältig und können unterschiedliche Körperregionen betreffen. Daher wird die MS auch als "Krankheit der 1000 Gesichter" bezeichnet. Einige Symptome treten bereits früh auf, während andere erst im späteren Verlauf der Erkrankung auftreten. Häufige Symptome sind:

  • Sehstörungen: Entzündung des Sehnervs (Optikusneuritis), Augenschmerzen, Störungen des Farbsehens, verschwommenes Sehen, Doppelbilder, Augenzittern.
  • Fatigue: Außerordentliche Müdigkeit, Erschöpfung, fehlende Kraftreserven, starkes Bedürfnis nach Ruhe.
  • Störungen der Blasenfunktion: Häufiger Harndrang, Harndrang, Harninkontinenz, Schwierigkeiten beim Entleeren der Blase.
  • Darmstörungen: Verstopfung, Stuhlinkontinenz.
  • Muskelstörungen: Kraftlosigkeit, Lähmungen, erhöhte Muskelspannung (Spastik), Gleichgewichtsstörungen, Koordinationsprobleme.
  • Sensibilitätsstörungen: Brennen, Kribbeln, Taubheit.
  • Sprech- und Schluckstörungen: Verwaschene Sprache, Nuscheln, abgehackte Sprache, Schwierigkeiten beim Schlucken.
  • Kognitive Störungen: Störungen des Denkens und der Merkfähigkeit.

Stuhlinkontinenz bei Multipler Sklerose

Darmstörungen, insbesondere Stuhlinkontinenz und Verstopfung, treten bei MS-Patienten häufig gemeinsam mit Blasenstörungen auf. Schätzungsweise 40-70 % der MS-Erkrankten leiden unter neurogenen Darmfunktionsstörungen. Diese Beschwerden können bereits zu Beginn der Erkrankung vorhanden sein und die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen.

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Ursachen der Stuhlinkontinenz bei MS

Die Ursache für Stuhlinkontinenz bei MS liegt in Störungen der Nerven, die Darm und Blase versorgen und für deren Funktion verantwortlich sind. Die Nervenenden im Rektum signalisieren normalerweise, wenn Stuhl in das Rektum gelangt und dieses entleert werden muss. Bei Menschen mit MS können diese Signale verloren gehen oder unvollständig sein. Dies kann zu folgenden Problemen führen:

  • Verstopfung: Eine allgemeine Muskelschwäche, Bewegungsmangel oder Nebenwirkungen von Medikamenten können zu Verstopfung führen. Bei einer Verstopfung verbleibt der Stuhl zu lange im Dickdarm, wodurch er austrocknet und sich verhärtet. Dies kann zu Schmerzen und Schwierigkeiten bei der Stuhlentleerung führen.
  • Stuhlinkontinenz: Wenn die Nervenimpulse, die den Stuhldrang signalisieren, nicht richtig weitergeleitet werden, können Betroffene den Stuhlgang nicht mehr kontrollieren. Der Stuhl geht dann unkontrolliert ab, was zu einem großen Schamgefühl führen kann.
  • Kombination aus beidem: Manche Menschen mit MS leiden sowohl unter Verstopfung als auch unter Stuhlinkontinenz. In diesem Fall kann es sein, dass sich harter Stuhl im Darm staut, während gleichzeitig flüssiger Stuhl unkontrolliert austritt.

Diagnose der Stuhlinkontinenz

Um die Ursache und den Schweregrad der Stuhlinkontinenz festzustellen, führt der Arzt zunächst ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten (Anamnese). Dabei werden Fragen zu den Beschwerden, der Häufigkeit des ungewollten Stuhlverlusts und den Lebensgewohnheiten gestellt. Anschließend erfolgt eine körperliche Untersuchung, bei der der Arzt den Enddarmbereich abtastet.

Weitere Untersuchungsmethoden können sein:

  • Spiegelung des Enddarms oder Dickdarms (Endoskopie): Um Schäden oder Erkrankungen im Darm zu erkennen.
  • Stuhltagebuch: Um die Toilettengewohnheiten besser kennenzulernen und den Einfluss von Ernährung und Gewohnheiten auf die Kontinenz zu beurteilen.
  • MR-Defäkografie: Eine spezielle Form der Magnetresonanztomographie, bei der der Ablauf der Stuhlentleerung dargestellt wird.

Behandlung der Stuhlinkontinenz

Die Behandlung der Stuhlinkontinenz richtet sich nach der Ursache und dem Schweregrad der Beschwerden. In vielen Fällen können bereits konservative Therapien zu einer Besserung führen.

Konservative Maßnahmen

  • Stuhlgangsregulierung: Ziel ist eine möglichst weiche Stuhlkonsistenz. Der Stuhl sollte weder zu fest noch zu flüssig sein.
  • Ernährungsumstellung: Eine ballaststoffreiche und ausgewogene Ernährung ist wichtig. Blähende Lebensmittel sollten vermieden werden. Eine ausreichende Flüssigkeitsaufnahme (mindestens 1,5 Liter pro Tag) ist ebenfalls entscheidend. Koffeinhaltige Getränke und Alkohol sollten gemieden werden, da sie den Darm zusätzlich reizen können.
  • Bewegung: Regelmäßige Bewegung kann die Darmtätigkeit anregen.
  • Beckenbodentraining: Gezielte Übungen zur Stärkung der Beckenbodenmuskulatur können helfen, die Kontinenz zu verbessern.
  • Biofeedback: Der Patient lernt, seine Schließmuskelspannung bewusst wahrzunehmen und zu steuern.
  • Elektrostimulation: Der Schließmuskel wird durch Reizstrom passiv angespannt und langsam gestärkt.
  • Anale Irrigation: Eine spezielle Flüssigkeit wird über den After in den Darm eingebracht, um die Entleerung anzuregen.

Medikamentöse Therapie

  • Abführmittel (Laxanzien): Können bei Verstopfung eingesetzt werden.
  • Peristaltikhemmer: Können bei Durchfall eingesetzt werden.
  • Flohsamenschalen: Können bei dünnflüssigem Stuhl helfen, überschüssiges Wasser im Darm zu binden und den Stuhlgang zu formen.

Operative Maßnahmen

Wenn konservative Therapien keine ausreichende Verbesserung bringen, können operative Maßnahmen in Betracht gezogen werden:

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  • Sakrale Nervenstimulation: Ein kleiner Schrittmacher wird ins Gesäß implantiert, der schwache elektrische Impulse an die Sakralnerven abgibt. Dies kann die Darm- und Blasenfunktion verbessern.
  • (Natürliche) Schließmuskel-Rekonstruktion: Der defekte Schließmuskel wird rekonstruiert.
  • (Künstliche) Schließmuskel-Rekonstruktion: Ein künstlicher Schließmuskel wird implantiert.
  • Anlage eines künstlichen Darmausgangs (Stoma): In schweren Fällen kann die Anlage eines permanenten künstlichen Darmausgangs in Betracht gezogen werden.

Hilfsmittel

Es gibt verschiedene Hilfsmittel, die Menschen mit Stuhlinkontinenz im Alltag unterstützen können:

  • Aufsaugendes Inkontinenzmaterial: Windeln für Erwachsene, Inkontinenzeinlagen.
  • Bettschutzeinlagen: Zum Schutz der Matratze und anderer Oberflächen.
  • Analtampons: Können bei Inkontinenz des Darms verwendet werden.
  • Euroschlüssel: Er öffnet behindertengerechte Toiletten.

Multiple Sklerose und Blasenfunktionsstörungen

Neben Darmfunktionsstörungen treten bei MS-Patienten häufig auch Blasenfunktionsstörungen auf. Störungen der Blasenfunktion (Harninkontinenz) treten bei etwa 90 Prozent der MS-Patienten auf. Sie gehören gemeinsam mit Störungen der Darmkontrolle (Stuhlinkontinenz) und der Fatigue zu den MS-Symptomen, die die Lebensqualität am stärksten beeinträchtigen.

Ursachen der Blasenfunktionsstörungen bei MS

Die Blase wird über das Nervensystem kontrolliert. Da multiple Sklerose die Nerven schädigt, kann auch die Blasenfunktion beeinträchtigt werden. Für das Öffnen und Schließen der Blase sind Schließmuskeln und Nerven verantwortlich, welche für eine normale Blasenfunktion gut zusammenarbeiten müssen. Bei der MS sind jedoch Areale im Gehirn und Rückenmark teilweise oder ganz zerstört, sodass die entsprechenden Impulse nicht mehr oder nur noch unvollständig verarbeitet werden und somit die Zusammenarbeit der Muskeln und Nerven nicht mehr richtig funktioniert. Das kann die für MS typischen Beschwerden wie Harninkontinenz, starker Harndrang und Schmerzen verursachen. Die Symptome variieren je nach Position der Entzündungsherde.

Arten von Blasenfunktionsstörungen

  • Hyperaktive Blase (Dranginkontinenz): Der MS-Patient hat Probleme, den Urin einzuhalten. Ursache ist unter anderem, dass der Blasenmuskel sich nicht ausreichend entspannen kann, um größere Urinmengen in der Blase zu sammeln. Deshalb entsteht sehr häufig der Drang, die Toilette aufzusuchen, obwohl dann nur kleine Urinmengen ausgeschieden werden. Der Harndrang kann auch während des Schlafs entstehen.
  • Überlaufinkontinenz: Der Blasenmuskel ist zu schwach und kann sich nicht richtig zusammenziehen. Dadurch sammeln sich sehr große Urinmengen in der Blase an. Sie werden nicht wie bei Gesunden regelmäßig komplett entleert.
  • Kombination aus beiden: In manchen Fällen liegen beide Formen der neurogenen Blasenstörung in Kombination vor.

Diagnose der Blasenfunktionsstörungen

Eine wichtige Diagnosetechnik ist die Blasendruckmessung (Urodynamik). Das Führen eines Miktionsprotokolls über einige Tage hinweg kann erste Aufschlüsse darüber geben, ob eine Harninkontinenz vorliegt.

Behandlung der Blasenfunktionsstörungen

Auf die Behandlung von Blasenfunktionsstörungen bei Multipler Sklerose sind Neuro-Urolog*innen spezialisiert. Es gibt eine große Bandbreite moderner Inkontinenzprodukte, die den Betroffenen helfen, sicher und diskret mit der Situation umzugehen. Hierzu gehören aufsaugende Produkte wie Windeln für Erwachsene und Inkontinenzeinlagen, und ableitende Systeme wie Urinalkondome und Blasenkatheter. Letztere werden bei Blasenentleerungsstörungen mit der Gefahr der Bildung von Restharn eingesetzt. Da in der Therapie gegen die MS-Symptome meist Immunsuppressiva eingesetzt werden, die das Immunsystem unterdrücken, besteht eine erhöhte Infektionsgefahr, insbesondere auch für Harnwegsinfekte. Gerade diese bergen einige Gefahren, denn durch sie kann sich der Gesundheitszustand des Patienten deutlich verschlechtern und u.U. sogar ein neuer Schub ausgelöst werden. Ferner werden Harnwegsinfekte leicht als Schub fehlinterpretiert, da die eigentlichen Symptome des Infekts aufgrund der verringerten Empfindlichkeit der Nervenbahnen weniger bis gar nicht wahrgenommen werden. Daher ist es für MS-Patienten besonders wichtig, sich so selten wie möglich mit Harnwegsinfekten zu infizieren. Die Anwendung der richtigen Technik sowie ein hydrophil beschichteter Katheter kann ebenfalls das Risiko von Harnwegsinfektionen reduzieren.

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Leben mit Multipler Sklerose und Inkontinenz

Inkontinenz, sowohl Stuhl- als auch Harninkontinenz, kann für Menschen mit MS eine große Belastung darstellen. Schamgefühl, soziale Isolation und Depressionen sind häufige Folgen. Es ist wichtig, offen über die Probleme zu sprechen und sich professionelle Hilfe zu suchen.

Tipps für den Alltag

  • Sprechen Sie mit Ihrem Arzt: Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung können helfen, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern.
  • Nehmen Sie professionelle Hilfe in Anspruch: Es gibt viele Spezialisten, die Menschen mit MS und Inkontinenz unterstützen können.
  • Tauschen Sie sich mit anderen Betroffenen aus: Der Austausch mit anderen Menschen, die ähnliche Erfahrungen machen, kann sehr hilfreich sein.
  • Nutzen Sie Hilfsmittel: Inkontinenzmaterialien und andere Hilfsmittel können den Alltag erleichtern.
  • Achten Sie auf eine gesunde Lebensweise: Eine ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung und ausreichend Schlaf können das Wohlbefinden verbessern.
  • Informieren Sie sich über Ihre Rechte: Menschen mit MS haben Anspruch auf bestimmte Leistungen und Unterstützung.

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