Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die individuell sehr unterschiedlich verlaufen kann. Sie gehört zu den Autoimmunerkrankungen, bei denen das körpereigene Immunsystem Teile von Gehirn und Rückenmark angreift und Nervenfasern sowie Nervenzellen geschädigt werden. Dadurch können Informationen fehlerhaft oder gar nicht weitergeleitet werden, was zu vielfältigen neurologischen Störungen führt.
Was ist Multiple Sklerose (MS)?
Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der das körpereigene Immunsystem Teile von Gehirn und Rückenmark angreift. Deshalb zählt die MS zu den Autoimmunerkrankungen. Die autoimmunen Prozesse bei einer Multiplen Sklerose bewirken, dass unter anderem Nervenfasern und Nervenzellen geschädigt werden und so Informationen fehlerhaft oder gar nicht weitergeleitet werden. Dadurch können vielfältige neurologische Funktionen gestört sein, wie z. B. das Sehen oder Bewegungsabläufe. Neurologische Symptome treten entweder in Schüben auf oder entwickeln sich langsam schleichend. Die Multiple Sklerose ist derzeit nicht heilbar. Es gibt aber Therapien, die die Schübe verhindern, die Zunahme der Behinderung reduzieren und MS-Symptome lindern können. Häufig gelingt es, die Krankheitsaktivität für Jahre zu stoppen.
Genetische Faktoren spielen eine Rolle bei der Krankheitsentstehung. Es handelt sich aber nicht um eine klassische Erbkrankheit, da äußere Faktoren (z.B. Virusinfektionen) für das Erkrankungsrisiko bedeutender sind. Die Multiple Sklerose lässt sich durch moderne Therapien günstig beeinflussen.
Formen der Multiplen Sklerose
Man unterscheidet drei Hauptformen der Multiplen Sklerose:
- Schubförmig remittierende Multiple Sklerose (RRMS): Bei dieser Form treten die Symptome in Schüben auf, bei denen sich die Krankheit innerhalb von Stunden oder Tagen verschlechtert. Nachdem ein Maximum der Symptome erreicht wurde, kommt es in der Regel zu einer Symptomrückbildung (Remission), die aber häufig nicht vollständig ist. Zwischen den Schüben ist die Erkrankung stabil, das heißt, die Symptome sind - abgesehen von Tagesschwankungen - stabil vorhanden. Manche Patient*innen sind zwischen den Schüben symptomfrei. Das ist oft in den ersten Jahren der Erkrankung der Fall.
- Sekundär fortschreitende (progrediente) Multiple Sklerose (SPMS): Eine schubförmig remittierende Multiple Sklerose kann sich zu einer fortschreitenden Krankheitsform entwickeln. Diese wird als sekundär fortschreitende (progrediente) Multiple Sklerose bezeichnet (SPMS). Das entscheidende Merkmal der SPMS ist eine fortschreitende Krankheitsverschlechterung. Bei der SPMS können noch einzelne Schübe auftreten oder sie kann schubfrei verlaufen.
- Primär fortschreitende (progrediente) Multiple Sklerose (PPMS): Etwa zehn bis 15 Prozent der Menschen mit MS leiden unter einer primär progredienten Multiplen Sklerose (PPMS), die von Beginn an langsam schleichend verläuft. Die Patient*innen sind im Durchschnitt etwas älter als die mit RRMS. Die PPMS kommt bei Männern häufiger vor als die RRMS. Selten können im Verlauf auch Schübe auftreten.
Zusätzlich zu diesen Formen gibt es noch das Klinisch isolierte Syndrom (KIS) und das Radiologisch isolierte Syndrom (RIS). Wenn ein Mensch einen Krankheitsschub mit MS-typischen Beschwerden hat, sonst aber keine weiteren Kriterien für eine MS-Diagnose erfüllt, spricht man von einem Klinisch isolierten Syndrom (KIS). Ein KIS kann auf eine beginnende Multiple Sklerose hinweisen - muss es aber nicht. Wenn Läsionen, die typisch für eine Multiple Sklerose sind, zufällig auf MRT-Aufnahmen entdeckt werden, die aus einem anderen Grund angefertigt wurden, handelt es sich um ein radiologisch isoliertes Syndrom (RIS). Auch ein RIS kann im Verlauf in eine Multiple Sklerose übergehen.
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Was bedeutet aktiv und progredient bei Multipler Sklerose?
Die Multiple Sklerose wird als „aktiv“ bezeichnet, wenn Schübe auftreten und/oder neue oder größer werdende Entzündungsherde („Läsionen“) mittels MRT im Gehirn oder Rückenmark zu sehen sind und/oder die körperliche oder geistige Beeinträchtigung zunimmt. Man spricht von „hochaktiv“, wenn innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums, zum Beispiel einem Jahr, die Schübe in kurzen Abständen auftreten und/oder die Läsionen auf den MRT-Aufnahmen sich sehr schnell vergrößern und vermehren. Ziel einer krankheitsmodifizierenden Therapie ist es, die Krankheitsaktivität möglichst auf ein Minimum zu reduzieren. Das Ausmaß der Krankheitsaktivität ist entscheidend bei der Auswahl der optimalen Therapie, die umso wirksamer sein muss je aktiver die Erkrankung ist.
„Progredient“ bedeutet „fortschreitend“. Mit dem Wort „Progression“ wird die irreversible Zunahme der durch die Multiple Sklerose bedingten körperlichen oder kognitiven (Kognition = geistige Leistungsfähigkeit) Beeinträchtigung bezeichnet. Bei einer Multiplen Sklerose spricht man von einem progredienten Krankheitsverlauf, wenn sich die Erkrankung ohne Schübe oder zwischen den Schüben schleichend verschlechtert.
Wie häufig ist Multiple Sklerose?
Bei jungen Erwachsenen ist die Multiple Sklerose die häufigste neurologische Erkrankung, die zu einer dauerhaften Behinderung führen kann. Weltweit sind mehr als zwei Millionen Menschen an Multiple Sklerose erkrankt. In Deutschland leben rund 280.000 Patientinnen mit MS. Jedes Jahr diagnostizieren Ärztinnen in Deutschland etwa 2.500 neue Fälle von Multipler Sklerose. Die Multiple Sklerose wird bei den meisten Betroffenen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr diagnostiziert. Die Multiple Sklerose kann aber auch bereits im Kindesalter oder erst im fortgeschrittenen Erwachsenenalter auftreten. Von der schubförmigen Multiplen Sklerose, der häufigsten MS-Form, sind Frauen zwei- bis dreimal häufiger betroffen als Männer.
Risikofaktoren für die Entstehung der Multiplen Sklerose
Die Ursachen für die Multiple Sklerose sind nicht vollständig geklärt. Nach aktuellem Wissensstand handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der Gene und Umweltfaktoren zusammenwirken. Man vermutet, dass folgende Risikofaktoren zur Entwicklung einer Multiplen Sklerose beitragen können:
- Genetische Veranlagung: Es gibt nicht das „eine“ MS-Gen, sondern eine Vielzahl von Genen, die alleine und in Kombination das Risiko, an MS zu erkranken, erhöhen.
- Viren: Insbesondere das Epstein-Barr-Virus (EBV). Auch ca. 95% der Menschen ohne Multiple Sklerose tragen das EBV in sich, nachdem sie sich in Kindheit und Jugend damit infiziert haben. Menschen mit Multipler Sklerose sind aber nahezu zu 100% EBV-positiv. Die genauen Zusammenhänge zwischen EBV und MS sind aber noch ungeklärt.
- Rauchen
- Übergewicht in der Kindheit
- Individuelle Darmflora
Als mögliche Schutzfaktoren werden Sonneneinstrahlung und Vitamin D diskutiert.
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Symptome einer Multiplen Sklerose
Die MS kann zu einer großen Vielfalt an Symptomen führen und wird nicht umsonst die Krankheit der 1000 Gesichter genannt. Zu den typischen MS-Symptomen gehören:
- Kraftlosigkeit einzelner oder mehrerer Extremitäten
- Gefühlsstörungen (z.B. Taubheitsgefühl, Kribbeln)
- Sehstörungen (z.B. schmerzhafte Einschränkung der Sehkraft auf einem Auge, Doppelbilder)
- Erhöhte Muskelanspannung (Spastik)
- Gangstörung mit Einschränkung der Gehstrecke
- Verringerte geistige Leistungsfähigkeit z.B. durch Konzentrations-, Aufmerksamkeits- oder Gedächtnisstörungen
- Vermehrte Ermüdbarkeit (Fatigue), sowohl bei körperlicher als auch bei geistiger Betätigung
- Gestörte Entleerung von Harnblase und/oder Darm
- Sexuelle Störungen
- Häufiger als in der allgemeinen Bevölkerung treten bei der MS auch Depression, Kopfschmerzen, Schlafstörungen und eine Epilepsie auf.
Ein sehr häufig auftretendes Erstsymptom ist eine Sehnerv-Entzündung (Retrobulbärneuritis). Hier sieht der Patient auf einem Auge verschwommener oder teilweise Farben nicht so kräftig wie sonst; manchmal können Bewegungen beim Schauen auch schmerzhaft sein - das sind die klassischen Symptome bei einer Sehnerv-Entzündung. Typisch ist hier auch, dass der Augenarzt nichts Auffälliges erkennen kann, der Patient selbst aber sehr wohl eine Einschränkung bemerkt. Ansonsten treten sensible Ausfälle bzw. Gefühlsstörungen auf; diese machen sich beim Patienten oft halbseitig bemerkbar. Seltener gibt es, je nachdem, wo der Entzündungsherd sitzt, Lähmungserscheinungen - das äußert sich durch feinmotorische Störungen. Der Patient bzw. die Patientin hat teilweise das Gefühl, dass er/sie wie leicht betrunken ist. Das ist meist vom Lagewechsel abhängig; so kann es Sie etwa beim Gehen in eine Richtung ziehen.
Prinzipiell können sich Symptome verstärken, wenn Sie Fieber haben, wenn es draußen sehr heiß ist oder wenn Sie zu heiß gebadet haben. Dann kann es passieren, dass es zu einem Leitungsblock kommt und infolgedessen die Nerven schlechter leiten; dadurch verstärken sich die Symptome.
Häufig kennzeichnet sich der Beginn einer Multiplen Sklerose (MS-Krankheit) durch einen sogenannten Schub. Einen MS-Schub zu erkennen, ist gar nicht so einfach. Die Dauer eines Multiple Sklerose-Schubs variiert zwischen einigen Stunden, Tagen oder Wochen. Danach klingen die Beschwerden langsam ab. Ein MS-Schub tritt auf, wenn mehr als 24 Stunden und mehr als 30 Tage nach Beginn des letzten Schubs neue oder bekannte Symptome auftreten.
Wenn bei Ihnen plötzlich neue neurologische Symptome auftreten oder sich bereits bekannte MS-Symptome verstärken, sollten Sie einen Arzt aufsuchen. Am besten Ihren behandelnden Neurologen.
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Verlauf, Folgen und Prognose der MS-Krankheit
Der Verlauf einer Multiplen Sklerose ist individuell sehr unterschiedlich. Ohne eine krankheitsmodifizierende Therapie entstehen bei den meisten Menschen mit MS früher oder später neurologische Einschränkungen, die die Lebensqualität verringern. Die sogenannte „gutartige“ Verlaufsform der MS, bei der auch ohne Therapie noch nach 20 Jahren keine Einschränkungen bestehen, ist sehr selten. Im Laufe der Zeit können Erwerbstätigkeit, Alltagsaktivitäten und die soziale Teilhabe der Betroffenen eingeschränkt sein.
Mit den aktuell verfügbaren Medikamenten kann die Häufigkeit der Schübe reduziert werden. Die Zunahme der körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen kann ebenfalls reduziert oder ganz verhindert werden. Wenn eine schubförmige Multiple Sklerose frühzeitig und konsequent behandelt wird, kann bei einem großen Teil der Betroffenen das Voranschreiten der Erkrankung verhindert werden. Es gibt auch Krankheitsverläufe, bei denen die MS von alleine zum Stillstand kommt. Solche Verläufe sind aber selten.
Die Lebenserwartung von Menschen mit MS hat sich in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich verbessert. Mit Einsatz der modernen Medikamente ist die Lebenserwartung der meisten Menschen mit MS heute vermutlich normal.
So wird Multiple Sklerose diagnostiziert
Praktisch alle Symptome und Befunde einer Multiplen Sklerose können auch bei anderen Erkrankungen auftreten. Es gibt keinen Test, der die MS-Krankheit eindeutig beweist. Bevor Ärzt*innen eine Multiple Sklerose diagnostizieren können, müssen nicht nur die typischen Befunde erhoben sondern auch anderen Ursachen für die vorliegenden Symptome und Beschwerden ausgeschlossen werden.
Bei einem Verdacht auf Multiple Sklerose spricht der oder die Ärztin mit demr Patient*in zuerst über Symptome und Beschwerden, Vorerkrankungen und darüber, ob MS-Krankheiten in der Familie bekannt sind. Anschließend folgt eine ärztliche Allgemeinuntersuchung und eine neurologische Untersuchung. Für die Diagnose Multiple Sklerose sind immer auch weitere Untersuchungen nötig:
- Magnetresonanztomographie von Gehirn und Rückenmark
- Untersuchung des Nervenwassers (Liquor)
- Blutuntersuchungen
- Auch können ergänzend neurophysiologische Messungen der Nervenfunktion notwendig sein.
Wenn Sie konstant anhaltende Symptome haben, die Sie bisher noch nicht gekannt haben und die nicht weggehen, gehen Sie bitte erst einmal zum Hausarzt. Viele Hausärzte denken an MS als zugrundeliegende Erkrankung, initiieren dann schon oft das MRT vom Kopf und zeitgleich einen Termin beim Neurologen/bei der Neurologin. Es sollte ein/e Facharzt/Fachärztin für Neurologie, welche/r im besten Fall in größerem Umfang Erfahrung mit Multiple Sklerose hat, aufgesucht werden.
Magnetresonanztomographie (MRT)
Bei dem Verdacht auf eine Multiple Sklerose können Radiologinnen mittels Magnetresonanztomographie (MRT) andere Ursachen für neurologische Ausfälle, wie Schlaganfall oder Tumoren, ausschließen. Auf den MRT-Aufnahmen erkennen Radiologinnen typische Entzündungsherde (Läsionen) der Multiplen Sklerose. Entscheidend für die Abgrenzung zu anderen möglichen Krankheiten sind unter anderem deren Form, Lokalisation und räumliche Ausbreitung (räumliche Dissemination). Ein weiteres diagnostisches Kriterium ist die zeitliche Ausdehnung (zeitliche Dissemination) der Läsionen, d. h. deren unterschiedliches Alter. Die Radiologinnen können hierzu aktuelle und ältere MRT-Aufnahmen desr gleichen Patienten*in miteinander vergleichen. Auch mithilfe von Kontrastmitteln können akute und ältere Entzündungsherde unterschieden werden.
Untersuchung des Nervenwassers (Liquor)
Nervenwasser, auch Liquor genannt, ist eine Flüssigkeit, die das Gehirn und das Rückenmark umgibt. Bei einer Multiplen Sklerose kann man im Liquor Hinweise für eine Entzündung finden. Hierzu gehören:
- Entzündungszellen
- oligoklonale Banden (OKB)
OKB sind Antikörper, die bei autoimmunen Entzündungsprozessen entstehen. Sie treten typischerweise bei Multipler Sklerose auf, können aber auch bei anderen Erkrankungen vorkommen.
Blutuntersuchungen
Es gibt keinen Bluttest, der eine Multiple Sklerose beweisen könnte. Weder das Blutbild noch andere üblicherweise gemessenen Blutwerte verändern sich durch die MS-Krankheit. Bei dem Verdacht auf Multiple Sklerose dient die Blutuntersuchung in erster Linie dazu, andere Krankheiten auszuschließen. Hierzu gehören zum Beispiel die Borreliose oder der Lupus Erythematodes, weil diese Krankheiten ähnliche Symptome wie die Multiple Sklerose hervorrufen können.
Evozierte Potentiale
Über evozierte Potenziale wird die Funktion von Nervenbahnen gemessen. Bei einer Multiplen Sklerose ist die Funktion von Nervenbahnen gestört. Dadurch können Nervenimpulse häufig nur noch mit verlangsamter Geschwindigkeit fortgeleitet werden. Diese Geschwindigkeit wird durch evozierte Potentiale gemessen, die zum Beispiel durch visuelle (auf ein Schachbrett schauen) oder sensible (elektrische Impulse) Reize ausgelöst werden.
McDonald-Kriterien
Expert*innen haben Kriterien erstellt, die die schwierige Diagnose der Multiplen Sklerose sicherer machen sollen. Die aktuell geltenden Diagnosekriterien heißen nach einem ihrer Verfasser McDonald-Kriterien.
Therapie der Multiplen Sklerose
Eine ursächliche Therapie der Multiplen Sklerose ist derzeit nicht bekannt. Ziel der Behandlung beim Neurologen/Nervenarzt ist es daher, das Ausmaß der Entzündungsreaktionen zu reduzieren, die funktionellen Einschränkungen zu stabilisieren sowie die Begleitsymptome zu bessern. In der Therapie der Multiplen Sklerose werden zwei „Therapiesäulen“ unterschieden. Zum einen die „Schubtherapie“ und zum anderen die vorbeugende „immunprophylaktische Therapie“. Die Schubtherapie behandelt den akuten Schub. Durch die „immunprophylaktische Therapie“ wird sowohl die Anzahl als auch die Schwere von Schüben reduziert. Sie hat zum Ziel, eine mögliche spätere Behinderung zu verhindern bzw. zu verzögern.
Schubtherapie
Während eines akuten MS-Schubes wird in der Regel zur Entzündungshemmung hochdosiertes Cortison (in Form so genannter Corticosteroide wie Methylprednisolon) eingesetzt. Bei unzureichender Rückbildung der Beschwerden wird die Cortisonbehandlung in höherer Dosis wiederholt.
Für die Schubtherapie stehen vor allem Kortisonpräparate zur Verfügung, die die Entzündungen eindämmen sollen. Im akuten Schub werden sie über drei bis fünf Tage als Infusion verabreicht (Hochdosis-Schubtherapie). In vielen Fällen wird auf eine sogenannte Blutwäsche ausgewichen (Plasmapherese), bei der Blut entnommen, gereinigt und wieder in den Körper zurückgeleitet wird. Die Plasmapherese ist nur in speziellen Zentren möglich und wird auch nur bei schweren akuten Schüben durchgeführt. Nebenwirkungsärmer ist eine spezielle Form der Blutwäsche: die sogenannte Immunadsorption. Hierbei wird das Blut in Plasma (Blutflüssigkeit) und Blutzellen getrennt. Diese Form der Behandlung eröffnet neue Perspektiven beispielsweise bei schweren Schüben, die nicht auf eine Cortisontherapie ansprechen. Die Therapie erfolgt stationär und dauert etwa ein bis zwei Wochen. Dabei wird etwa jeden zweiten Tag eine Behandlung von etwa drei Stunden Dauer durchgeführt.
Immunprophylaktische Therapie
Zur Vorbeugung von Schüben unterscheidet man verschiedene Therapiestufen. Bei einer milden/moderaten Verlaufsform werden so genannte Beta-Interferone oder Glatirameracetat eingesetzt. Diese immunmodulatorischen Medikamente hemmen schädigende und fördern aber z. T. auch schützende Prozesse des Immunsystems. Darüber hinaus sind seit 2013/14 die Substanzen Teriflunomid und Dimethylfumarat (DMF) als Behandlungsoption für MS-Patienten mit schubförmigem Verlauf zugelassen. Beide Substanzen haben vorwiegen entzündungshemmende Eigenschaften, wirken aber unterschiedlich. Das Immunsuppressivum Azathioprin kommt nur noch in absoluten Ausnahmefällen als Alternative zum Einsatz.
Bei Patienten mit einem (hoch)aktiven Verlauf (d. h. viele, schwerwiegende Schubereignisse in kurzer Zeit oder/und (hoch)aktives MRT) bzw. bei Patienten die nicht ausreichend auf die Basisimmuntherapeutika ansprechen, können weitere Medikamente notwendig werden. Infrage kommt hier die monatliche Infusionstherapie mit dem monoklonalen Antikörper Natalizumab. Dieser verhindert - über Neutralisierung eines Integrinmoleküls - das Einwandern von Immunzellen (weiße Blutkörperchen) in die Entzündungsherde des ZNS (zentrales Nervensystem, bestehend aus Gehirn und Rückenmark). Seit 2011 ist mit Fingolimod ein weiteres Medikament als Eskalationstherapie zugelassen. Durch die Blockade eines bestimmten Rezeptors auf Immunzellen, dem Sphingosin-1-Phosphat (S1P)-Rezeptor, werden die Immunzellen in den Lymphknoten zurückgehalten und damit ebenfalls an der Einwanderung ins ZNS gehindert. Seit 2013 ist der Wirkstoff Alemtuzumab zur Therapie der schubförmigen Muliplen Sklerose bei erwachsenen Patienten zugelassen. Dabei handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper, dessen Wirkung in einer nachhaltigen Elimination von T- und B-Zellanteilen (Immunzellen) im Immunsystem führt. Selten und nur alternativ kommen auch Immunsuppressiva in Frage, wie sie bei einer Krebserkrankung (z. B. Mitoxantron oder Cyclophosphamid) eingesetzt werden. Zur Verhinderung des weiteren Voranschreitens einer sekundär progredienten Multiplen Sklerose kommt die Gabe von Mitoxantron infrage. Bei weiter bestehenden Schüben werden auch Beta-Interferone eingesetzt.
Mittlerweile gibt es gut 20 Immuntherapie-Mittel (Stand: April 2023), einige davon auch für die sekundär oder primär progrediente MS. Das ermöglicht weitgehend individuell zugeschnittene Behandlungspläne. Grundsätzlich wird empfohlen, bei allen Menschen mit MS eine Immuntherapie zu beginnen. Immuntherapien können die MS nicht heilen, aber ihren Verlauf stark verbessern. Manchmal werden daher auch die Begriffe „verlaufsmodifizierend“ oder „verlaufsverändernde“ Therapien verwendet.
Weitere Therapieansätze
Neben der Schub- und Immuntherapie gibt es weitere Therapieansätze, die helfen können, die Symptome der MS zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern. Dazu gehören:
- Physiotherapie: Für pflegebedürftige Menschen mit Multiple Sklerose bietet das sogenannte Bobath-Konzept eine Möglichkeit, ihre motorischen Fähigkeiten zu fördern.
- Ergotherapie
- Logopädie
- Psychotherapie: Auf Dauer kann eine MS die Psyche belasten - vor allem bei regelmäßigen Schmerzen. Dabei entwickeln viele Patienten depressive Symptome und Ängste.
- Komplementäre Therapien: Viele MS-Betroffene greifen zu Mitteln aus der Naturmedizin, um ihre Beschwerden und Symptome zu lindern. Johanniskraut ist zum Beispiel eine beliebte und wichtige Heilpflanze bei depressiven Verstimmungen. Viele Symptome, die im Verlauf einer Multiplen Sklerose auftreten, können auch begleitend mit homöopathischen Mitteln behandelt werden.
Was Sie selbst tun können
Im täglichen Leben gibt es einiges, dass die Multiple Sklerose günstig beeinflussen kann. Ein wesentliches Element ist regelmäßige körperliche Aktivität. Ein Spaziergang oder eine Wanderung, eine Fahrradtour oder ähnliche Aktivitäten im Freien haben außerdem gleich mehrere positive Effekte: Man bewegt sich und kann schon durch kurzen, aber regelmäßigen Aufenthalt in der Sonne etwas gegen einen Vitamin-D-Mangel tun. Aber auch gezieltes Training ist wichtig. Ein weiterer wichtiger Baustein, den jeder selbst in der Hand hat, ist die Umstellung auf eine gesunde Ernährung. Selbst zubereitete Mischkost mit viel Obst und Gemüse, Fisch und Vollkornprodukten, aber wenig Zucker und Salz, tierischen Fetten und Zusatzstoffen (wie in verarbeiteten Lebensmitteln) hat positive Effekte. Zudem sollten Menschen mit Multipler Sklerose nicht rauchen. Rauchen ist ein Risikofaktor und die Betroffenen sollten alles daran setzen, die Nikotinsucht zu überwinden.
Umgang mit der Diagnose
Die Diagnose Multiple Sklerose macht den meisten Menschen zunächst große Angst. Das Leben kann also auch trotz einer MS-Diagnose durchaus lebenswert sein. Vorausgesetzt, die Betroffenen nehmen ihre Erkrankung an und gestalten ihr Leben mit der MS - statt gegen sie. Beeinträchtigungen annehmen, aber nicht zum Hauptinhalt des Lebens zu machen: Wenn das Gehen mal schwerfällt, ist Radfahren vielleicht leichter. Die körperlichen Belastungsgrenzen anerkennen und zum Beispiel das Sportprogramm so dosieren, dass Sie Ihre Leistungsfähigkeit nicht überschreiten. Generell sind Ihren Vorlieben beim Sport keine Grenzen gesetzt. Ob Sie nun Wassergymnastik bevorzugen oder Klettern im Hochgebirge.
Es gibt mittlerweile viele MS-Selbsthilfegruppen. Die MS-Selbsthilfe gibt Betroffenen Halt und ermöglicht den Austausch untereinander. Das erhöht die Lebensqualität immens.
Es ist sehr wichtig, dass Sie, wenn Sie Symptome haben, nicht den Kopf in den Sand stecken und die Symptome verneinen. Manche Symptome gehen, auch wenn man sie nicht behandelt, nach einigen Wochen von selbst wieder weg - gerade dann denkt man sich, dass alles wieder in Ordnung sei. Es ist jedoch für uns Behandelnde und auch für den Patienten selbst wichtig, diese auftretenden Symptome früh abzuklären. So kann es früh zu einer Therapie kommen; man will ja zukünftige Entzündungsherde verhindern oder auch Behinderungseinschränkungen bzw.
Leben mit Multipler Sklerose
Multiple Sklerose steht grundsätzlich weder einer Ausbildung noch der Berufsausübung, Freundschaften, Sport, sozialen Kontakten oder der Gründung einer Familie im Wege. Während der Schwangerschaft nimmt die Wahrscheinlichkeit für einen Schub ab. In den ersten drei Monaten nach der Geburt nimmt sie zu. Stillen scheint vor Schüben zu schützen. MS-Medikamente können sich auf das ungeborene Kind auswirken, weswegen besondere Vorsicht geboten ist. Nicht jedes Medikament darf in der Schwangerschaft gegeben werden.