Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die eine Vielzahl von Symptomen hervorrufen kann. Eines der häufigsten und oft beunruhigenden Symptome ist die Taubheit, insbesondere in den Fingerkuppen. Diese Empfindungsstörung kann verschiedene Ursachen haben und den Alltag der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen von Taubheitsgefühlen bei MS, die verschiedenen Verlaufsformen der Erkrankung und die vielfältigen Möglichkeiten, mit diesem Symptom umzugehen.
Was ist Multiple Sklerose?
Multiple Sklerose ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die Myelinscheide angreift, die die Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark schützt. Dieser Angriff führt zu Entzündungen und Schädigungen der Myelinscheide, was die Kommunikation zwischen dem Gehirn und den verschiedenen Körperteilen stört. Der Name „Multiple Sklerose“ leitet sich davon ab, dass sich an vielen (multiplen) Stellen in Gehirn und Rückenmark verhärtete Vernarbungen (Sklerosen) bilden.
Die Erkrankung manifestiert sich sehr unterschiedlich und wird daher auch als „Krankheit der 1000 Gesichter“ bezeichnet. Die Symptome hängen davon ab, an welchen Stellen im Gehirn und Rückenmark es zu einer Entzündung kommt und wie ausgeprägt diese ist. MS kann zu vorübergehenden oder bleibenden Behinderungen führen und sich auf Familie, Partnerschaft, Beruf und das eigene seelische Befinden auswirken.
Ursachen von Taubheitsgefühlen bei MS
Taubheitsgefühle, Kribbeln oder ein Gefühl von "Ameisenlaufen" sind typische Frühsymptome der MS. Sie entstehen durch die Schädigung der Nervenbahnen, die für die Übertragung von sensorischen Informationen verantwortlich sind. Wenn diese Nervenbahnen durch die Entzündungsprozesse der MS beeinträchtigt werden, kann dies zu einem Verlust der Empfindung in den betroffenen Bereichen führen.
Empfindungsstörungen (Parästhesien) kommen bei Multipler Sklerose häufig vor und können sich ganz unterschiedlich äußern:
Lesen Sie auch: MS-Medikamente im Detail erklärt
- Hyperästhesie: Verstärkte Empfindlichkeit gegenüber Berührungen.
- Hypästhesie: Verminderte Empfindlichkeit gegenüber Berührungen.
- Parästhesien: Missempfindungen wie Kribbeln, "Ameisenlaufen", Brennen oder Taubheit.
Diese Missempfindungen können sehr unangenehm sein oder sogar Schmerzen auslösen. Sie können durch Hitze, psychischen Stress und körperliche Überlastung verursacht werden - manchmal reicht jedoch schon eine leichte Berührung als Auslöser.
Verlaufsformen der Multiplen Sklerose
Die Multiple Sklerose ist eine sehr variable Erkrankung, die unterschiedliche Verlaufsformen annehmen kann. Die Einteilung in verschiedene Verlaufsformen hilft, den Krankheitsverlauf besser zu verstehen und die Therapie entsprechend anzupassen. Grundsätzlich unterscheidet man vier Hauptformen:
Schubförmig-remittierende MS (RRMS)
Die schubförmig-remittierende Multiple Sklerose (RRMS) ist die häufigste Verlaufsform. Sie ist durch Schübe gekennzeichnet, in denen plötzlich neue Symptome auftreten oder bestehende sich verschlimmern. Diese Schubphasen können Tage bis Wochen andauern. Anschließend folgt meist eine Remission, in der die Symptome wieder nachlassen oder ganz verschwinden. Die Dauer der Remission kann von Wochen bis zu Jahren reichen. Der Verlauf der schubförmig-remittierenden MS ist unvorhersehbar und es gibt keine klaren Muster oder Zeitintervalle zwischen den Schüben. Manche Betroffene erleben nur wenige Schübe im Leben, andere deutlich mehr. Die genauen Auslöser sind unklar, doch Stress, Infektionen und Umweltfaktoren könnten eine Rolle spielen.
Sekundär progrediente MS (SPMS)
Die sekundär progrediente Multiple Sklerose (SPMS) ist eine Übergangsphase, die oft Jahre nach der Diagnose der schubförmig-remittierenden MS beginnt. Es treten keine typischen Schübe mehr auf, stattdessen verschlechtern sich die Symptome langsam und kontinuierlich. Dies kann zu einer allmählichen Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Funktionen führen. Es ist wichtig zu betonen, dass der Übergang von der schubförmig-remittierenden MS zur sekundär progredienten MS nicht bei allen Betroffenen eintritt. Manche bleiben viele Jahre in der RRMS-Phase, während andere früher oder später in die SPMS übergehen. Da der Verlauf meist schleichend ist, wird die Diagnose oft erst rückblickend gestellt.
Primär progrediente MS (PPMS)
Die primär progrediente Multiple Sklerose (PPMS) ist eine seltenere Verlaufsform, die sich durch einen schleichenden und progressiven Verlauf auszeichnet. Bei der PPMS nehmen die Symptome von Beginn an stetig zu, ohne dass Schübe oder ausgeprägte Remissionen auftreten. Betroffen sind häufig Menschen, die erst später im Leben, meist nach dem 40. Lebensjahr, diagnostiziert werden. Die Beschwerden können vielfältig sein und hängen von den jeweils betroffenen Bereichen des zentralen Nervensystems ab. Durch das fortschreitende Krankheitsbild fällt es vielen Betroffenen schwer, ihren Alltag uneingeschränkt zu bewältigen.
Lesen Sie auch: Wie man MS vorbeugen kann
Progressiv-rezidivierende MS (PRMS)
Die progressiv-rezidivierende Multiple Sklerose (PRMS) ist eine seltene und besonders herausfordernde Form. Dieser Verlaufstyp zeichnet sich durch eine kontinuierliche Verschlechterung der Symptome von Beginn an aus, wobei jedoch gelegentliche Schubphasen auftreten können. Diese Schübe unterscheiden sich von denen der schubförmig-remittierenden MS, da sie meist weniger ausgeprägt und schwerer vorhersehbar sind. Das erschwert sowohl die Diagnose als auch die Behandlung.
Diagnose von MS und Taubheitsgefühlen
Die Diagnose von MS und ihren spezifischen Symptomen erfordert eine gründliche neurologische Untersuchung. An erster Stelle stehen die Erhebung der Vorgeschichte (Anamnese) und die körperlich-neurologische Untersuchung. Ärzte verwenden eine Kombination aus klinischen Bewertungen, MRT-Scans und anderen diagnostischen Tests, um die Schädigung der Nervenbahnen zu lokalisieren und den Grad der Beeinträchtigung zu bestimmen.
- Magnetresonanztomografie (MRT): Die Magnetresonanztomografie erlaubt eine sehr genaue und frühe Diagnostik. Durch ein starkes Magnetfeld werden Signale aus unterschiedlichen Geweben des Gehirns und Rückenmarks aufgefangen und mit sehr hoher Auflösung in Schichtbilder umgewandelt.
- Lumbalpunktion: Gehirn und Rückenmark sind von Nervenwasser umspült. Die Lumbalpunktion ist eine neurologische Routine-Untersuchung dieses Nervenwassers. Sie dient zum Nachweis einer Entzündung des Nervensystems.
- Evozierte Potentiale: Bestimmte Eingänge in das Nervensystem lassen sich durch minimale elektrische, akustische oder visuelle Reize anregen.
Behandlung von Taubheitsgefühlen bei MS
Die Behandlung von tauben Fingerkuppen oder anderen Taubheitsgefühlen bei MS konzentriert sich in erster Linie auf die Linderung der Symptome und die Verlangsamung des Fortschreitens der Krankheit.
- Medikamentöse Therapie: Medikamente wie Kortikosteroide können Entzündungen reduzieren und die Symptome lindern. Es gibt auch verschiedene immunmodulierende Therapien, die den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen können. Eine frühe Therapie kann den Erkrankungsverlauf verlangsamen und die Beschwerden abmildern.
- Physiotherapie: Spezielle Übungen können helfen, die Feinmotorik zu verbessern und die Handfunktion zu erhalten. Bewährt haben sich beispielsweise eine Desensibilisierung durch Training des Tastsinns mit z. B. einem Igelball oder einer Bürste. Auch Wechselbäder oder eine Eisbehandlung können helfen.
- Ergotherapie: Ergotherapeuten helfen, den Alltag trotz der Einschränkungen durch die MS bestmöglich zu gestalten.
- Alternative Therapien: Einige Betroffene finden Linderung durch alternative Ansätze wie Akupunktur, Massage oder Yoga.
- Selbstmanagement: Lernen Sie, Ihre Symptome zu erkennen und zu verwalten. Achten Sie auf Veränderungen und sprechen Sie mit Ihrem Arzt, wenn Sie dies bemerken.
- Unterstützung suchen: Der Austausch mit anderen Betroffenen kann wertvolle Unterstützung bieten. Es gibt zahlreiche Selbsthilfegruppen und Online-Foren für Menschen mit MS.
- Stressbewältigung: Stress kann die Symptome von MS verschlimmern. Entspannungstechniken wie Meditation oder autogenes Training können helfen, Stress abzubauen.
- Hilfsmittel: Greifen Sie auf geeignete Hilfsmittel zurück; ein Gehstock kann z. B. Sicherheit geben.
Weitere Symptome der Multiplen Sklerose
Neben Taubheitsgefühlen gibt es eine Vielzahl weiterer Symptome, die bei MS auftreten können:
- Sehstörungen: Sehnerventzündung, Doppelbilder, verschwommenes Sehen, Sehausfall.
- Spastik: Steife Muskeln, unkontrollierbare Muskelkrämpfe, Muskelschwäche.
- Fatigue: Ausgeprägte Erschöpfung, die nicht mit normaler Müdigkeit zu vergleichen ist.
- Blasenstörungen: Häufiger Harndrang, Inkontinenz, gestörte Blasenentleerung.
- Kognitive Störungen: Gedächtnisprobleme, Konzentrationsstörungen, verlangsamtes Denken.
- Schmerzen: Nervenschmerzen, Kopfschmerzen, Schmerzen aufgrund von Spastik.
- Schluckstörungen: Husten oder Verschlucken beim Essen oder Trinken.
- Depressionen: Erhöhtes Risiko für Depressionen aufgrund der chronischen Erkrankung und der damit verbundenen Einschränkungen.
- Gleichgewichtsstörungen: Schwindel, Koordinationsprobleme.
- Sprachstörungen: Probleme beim Sprechen, undeutliche Sprache.
Leben mit Multipler Sklerose
Obwohl MS eine komplexe und herausfordernde Erkrankung ist, gibt es viele Möglichkeiten, die Symptome zu bewältigen und ein erfülltes Leben zu führen. Es ist wichtig, sich frühzeitig mit der Erkrankung auseinanderzusetzen, sich gut zu informieren und ein unterstützendes Netzwerk aufzubauen.
Lesen Sie auch: MS und Rückenschmerzen: Ein Überblick
- Akzeptanz: Die Diagnose MS zu akzeptieren ist ein wichtiger Schritt, um mit der Erkrankung umzugehen.
- Information: Informieren Sie sich umfassend über MS und die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten.
- Netzwerk: Bauen Sie sich ein Netzwerk aus Familie, Freunden, Ärzten, Therapeuten und anderen Betroffenen auf.
- Selbsthilfe: Treten Sie einer Selbsthilfegruppe bei oder suchen Sie den Austausch mit anderen Betroffenen online.
- Aktivität: Bleiben Sie aktiv und nehmen Sie am Leben teil.
- Positive Einstellung: Versuchen Sie, eine positive Einstellung zu bewahren und sich auf die Dinge zu konzentrieren, die Ihnen Freude bereiten.
tags: #multiple #sklerose #taubheitsgefuhl #ursachen