Die COVID-19-Pandemie hat viele Fragen bezüglich der Sicherheit und Wirksamkeit von Impfungen bei Patienten mit chronischen Erkrankungen aufgeworfen. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die Empfehlungen zur COVID-19-Impfung für Patienten mit Myasthenia gravis (MG), basierend auf aktuellen Leitlinien und Forschungsergebnissen.
Einführung
Die Myasthenia gravis ist eine seltene Autoimmunerkrankung, die durch Muskelschwäche und schnelle Ermüdung gekennzeichnet ist. Sie wird durch Antikörper verursacht, die die Signalübertragung zwischen Nerven und Muskeln stören. Die Behandlung umfasst in der Regel Immunsuppressiva, um die Antikörperproduktion zu unterdrücken.
COVID-19-Impfung bei Myasthenia Gravis: Eine Notwendigkeit
Patienten mit Myasthenia gravis, insbesondere solche, die mit Immunsuppressiva behandelt werden, haben ein erhöhtes Risiko für Infektionen. Impfpräventable Infektionen können bei nicht-geimpften Personen mit Myasthenia gravis die Morbidität und Mortalität erhöhen. Aktuelle Daten deuten darauf hin, dass Patienten mit Myasthenia gravis ein höheres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf bei COVID-19 haben, insbesondere bei Vorliegen Myasthenie-spezifischer Risikofaktoren. Daher ist ein wirksamer Schutz vor impfpräventablen Erkrankungen, einschliesslich COVID-19, für diese Patientengruppe von besonderer Bedeutung.
Eine COVID-19-Erkrankung kann das Risiko für eine neu aufgetretene Myasthenie erhöhen, die Beschwerden einer bestehenden Myasthenia gravis verschlechtern oder sogar eine myasthene Krise auslösen.
Allgemeine Impfempfehlungen für Myasthenia Gravis Patienten
Grundsätzlich gibt es bei Myasthenia gravis keine Abweichungen oder Besonderheiten bezüglich der Impfempfehlungen bei erworbener Immundefizienz der Ständigen Impfkommission (STIKO). Eine ausführliche Impfanamnese, besonders bezüglich Impfungen, die in der Kindheit erfolgt sind, stellt die Basis des Infektionsschutzes dar und sollte zu Beginn erhoben werden.
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Vor Beginn einer Immunsuppressiven Therapie
Alle empfohlenen oder noch nicht durchgeführten STIKO-Impfungen sollten für einen optimalen Impferfolg mindestens 4 Wochen vor Beginn einer immunsuppressiven Therapie abgeschlossen sein. Eine Grundimmunisierung nach STIKO-Empfehlungen sollte daher vor Therapieeinleitung abgeschlossen worden sein. Bei unklarer Impfsituation kann eine serologische Kontrolle Aufschluss geben.
Lebendimpfstoffe vs. Totimpfstoffe
Die Verabreichung von Lebendimpfstoffen ist unter Immunsuppression kontraindiziert, da die Immunantwort auf Lebendimpfstoffe derer auf den Wildtyp-Erreger ähnlich ist und dieser Erreger sich hier potenziell replizieren kann. Lebendimpfungen sollten daher mindestens vier Wochen vor Therapiebeginn abgeschlossen sein und dürfen in der Regel frühestens 3 - 6 Monate nach Beendigung der Therapie wieder angewendet werden. Als Ausnahme kann im Falle einer geringgradigen Immunsuppression von <10 mg Prednisolonäquivalent/Tag eine Impfung mit MMR-, MMR-V- bzw. Varizellen-Impfstoff in Erwägung gezogen werden.
Totimpfstoffe sind in der Regel gut verträglich und können grundsätzlich auch unter immunsuppressiver Medikation gegeben werden, da sie inaktive Erreger oder immunogene Bestandteile von Erregern enthalten und nicht infektiös sind. Das Risiko für unerwünschte Nebenwirkungen der Impfung ist bei immunsupprimierten Patienten nicht erhöht. In Abhängigkeit des entsprechenden Medikaments ist hier allerdings mit einer verminderten Impfreaktion zu rechnen. Es kann sinnvoll sein, 4 - 8 Wochen nach Impfung eine serologische Kontrolle durchzuführen.
Empfohlene Indikationsimpfungen
Zu den empfohlenen Indikationsimpfungen bei immunsuppressiver Therapie gehören zusätzlich Impfungen gegen Influenza, Pneumokokken, Meningokokken A, B, C, W135 und Y sowie Varizella Zoster. Die jährliche Influenza-Impfung soll mit einem Totimpfstoff durchgeführt werden, falls möglich 4 bis 6 Wochen vor der immunsuppressiven Therapie. Spätestens 2 Wochen vor Therapiebeginn sollte die Pneumokokken-Impfung mit dem 13-valenten Konjugat-Impfstoff (PCV13) gefolgt von dem 23-valenten Polysaccharid-Impfstoff (PPSV23) nach 6-12 Monaten durchgeführt worden sein. Vor Beginn einer Immunsuppression sollte der VZV-Titer einmalig überprüft werden.
Eine Besonderheit bei der Myasthenia gravis stellt die Impfung gegen Meningokokken dar, da bestimmte Immuntherapeutika, die das Komplementsystem inhibieren (Eculizumab / Ravulizumab), mit einem erhöhten Risiko einer Meningokokken-Infektion einhergehen.
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Spezifische Empfehlungen zur COVID-19-Impfung bei Myasthenia Gravis
Der Ärztliche Beirat der Deutschen Myasthenie Gesellschaft e.V. empfiehlt allen Menschen ab dem 18. Lebensjahr generell eine Basisimmunität. Eine Basisimmunität wird durch insgesamt 3 Antigenkontakte (Impfungen und/oder eine Infektion) erreicht. Dabei sollten zwei der 3 Kontakte hinsichtlich Schutz gegenüber dem Corona-Virus als Impfung erfolgen.
Grundimmunisierung und Auffrischimpfungen
Bisher ungeimpfte Patienten mit Myasthenia gravis sollten eine Grundimmunisierung und zwei Auffrischimpfungen (insgesamt also drei Impfungen) mit einem RNA-Impfstoff (Comirnaty von Biontech oder Spikevax von Moderna) nach altersspezifischer Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) erhalten. Gesunde unter 60 Jahren benötigen keine weiteren Auffrischimpfungen. Von der STIKO werden daher für diese Gruppe weitere jährliche Auffrischimpfungen mit einem angepassten Impfstoff empfohlen, wenn die letzte Impfung oder Infektion mindestens 12 Monate zurückliegt.
Jährliche Auffrischimpfung empfohlen
Wir empfehlen eine jährliche Auffrischimpfung für Menschen mit einer generalisierten Myasthenia gravis (oder einem anderen myasthenen Syndrom). Die Auffrischung sollte mit den angepassten RNA- oder Proteinimpfstoff erfolgen, wenn die letzte Impfung oder Infektion länger als 12 Monate zurückliegt, es sollte möglichst im Herbst geimpft werden. Die Covid-19-Auffrischimpfung kann auch zeitgleich mit der Grippeimpfung verabreicht werden, ein zeitlicher Abstand ist hier nicht notwendig, kann jedoch in Ausnahmefällen bei Patienten überdacht werden, die die Impfungen bisher schlecht vertragen haben.
Zeitpunkt der Impfung bei Rituximab-Therapie
Bei Patienten mit Rituximab-Therapie sollte die Auffrischimpfung möglichst spät nach der letzten Rituximab-Gabe und die nächste Rituximab-Gabe in der Regel frühestens vier Wochen nach der Auffrischimpfung erfolgen.
Moderne Immunmodulatoren
Zu den modernen Immunmodulatoren der Wirkstoffklassen C5-Inhibitoren (z.B. Eculizumab und Ravulizumab) sowie FcRn-Inhibitoren (zB.
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Kontaktpersonen
Kontaktpersonen von Personen mit beeinträchtigtem Immunsystem sollten vollständig geimpft sein (COVID-19-Grundimmunisierung und ab 12 Jahren auch eine bzw. 2 Auffrischimpfungen).
Zweite Booster-Impfung
Der Ärztliche Beirat der Deutschen Myasthenie Gesellschaft e.V. rät Personen mit generalisierter Myasthenia gravis generell zu einer zweiten Boosterimpfung. Die Impfung sollte mit einem Omikron-angepassten mRNA-Impfstoff (Comirnaty Original/Omicron von Biontech oder Spikevax bivalent Original/Omicron von Moderna) erfolgen. Die zweite Auffrischimpfung sollte frühestens sechs Monate nach der letzten Impfung oder der letzten Infektion erfolgen. In manchen Fällen (z.B. schwere Immunsuppression) kann der Abstand auf 3 Monate verkürzt werden. Bei Patienten mit Rituximab-Therapie sollte die Booster-Impfung möglichst spät nach der letzten Rituximab-Gabe, und die nächste Rituximab-Gabe frühestens zwei Wochen nach der erfolgen.
Testung des Impferfolges
Die Messung des „Impferfolges“, z.B. bzw. 3. Die Nachweise spezifischer Antikörper oder sogenannter T-Zellantworten gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 können als sogenannte Surrogat-Parameter für eine Impfreaktion (oder durchgemachte COVID-19 Erkrankung) betrachtet werden. Allerdings ergibt sich aus praktischer Sicht daraus keine Konsequenz, da diese Untersuchungen nicht für den klinischen Einsatz validiert sind.
Einfluss von Immunsuppressiva auf die Impfantwort
Bisher durchgeführte Studien zeigten bereits, dass Patientinnen mit einer CID und Immunsuppression einen reduzierten Antikörpertiter im Vergleich zu einer gesunden Kontrollkohorte ausbilden. Auch Art und Schwere der Immunsuppression scheinen hier entscheidend. So zeigten lediglich 40 % der organtransplantierten Patientinnen mit Immunsuppression einen messbaren Antikörpertiter.
Unsere Daten zeigen, dass Patientinnen mit einer chronischen autoimmunen NME und gleichzeitiger immunsuppressiver bzw. immunmodulierender Therapie nach Impfungen sowohl mit einem mRNA- als auch Vektorimpfstoff Anti-Spike-Protein-Antikörper bildeten. Es zeigte sich im Vergleich zu gesunden Probandinnen eine vergleichbare Anzahl an Serokonversionen durch die Impfung. Demgegenüber zeigte jedoch insbesondere die Kombination aus MMF und Prednisolon einen signifikanten Einfluss auf die Antikörpertiter.
MMF wird zu Mycophenolsäure metabolisiert und inhibiert selektiv und reversibel das Enzym Inosinmonophosphatdehydrogenase, was die Proliferation von B- und T‑Zellen hemmt. Zum einen wurde ein reduziertes Impfansprechen für Dialyse- bzw. transplantierte Patientinnen unter MMF-Therapie und zum anderen für Patientinnen mit rheumatologischen und muskuloskeletalen Erkrankungen nachgewiesen. In der rezenten Studie von Connolly et al. blieb die Antikörperantwort sowohl unter Therapie mit MMF als auch unter Rituximab nach der dritten SARS-CoV-2-Impfung weiterhin suboptimal. Dies deckt sich mit anderen Studien, die B‑Zell-depletierende Medikamente wie Rituximab oder Ocrelizumab untersuchten. Auch die JAK-Inhibitoren und Antimetaboliten (z. B. Methotrexat [MTX]) wurden ebenfalls mit abgeschwächten Antikörper- und Neutralisationstitern in Verbindung gebracht.
Überprüfung des Immunstatus und Kommunikation
Bereits im Sommer 2021 wurde noch unabhängig von der Omikron-Variante postuliert, dass der Status „vollimmunisiert“ nach 2 Impfungen insbesondere bei Patientinnen mit Autoimmunerkrankungen nicht immer verlässlich erreicht wird und eine Überprüfung des Immunstatus nach der Impfung als sinnvoll erachtet wurde, um frühzeitig Impfversagerinnen und -versager zu identifizieren und Impfdurchbrüche zu verhindern. Die Notwendigkeit von Auffrisch- bzw. Nachimpfungen sollte auch in Anbetracht der immer wieder auftretenden Verunsicherung gegenüber Impfungen offen mit den Patientinnen kommuniziert werden, zumal der Nutzen der Impfung und somit der Schutz vor COVID-19 die möglichen Komplikationen deutlich übersteigt.
Unerwünschte Impfnebenwirkungen
Auch wenn unsere Studie nicht darauf ausgelegt war, berichteten die Teilnehmer*innen von keinen relevanten unerwünschten Impfnebenwirkungen innerhalb der ersten 2 Wochen nach der Impfung. Parkinson-Patientinnen und -Patienten haben kein erhöhtes Risiko für Impfnebenwirkungen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung.
T-Zell-Antwort
Im Zusammenhang mit der fehlenden oder unzureichenden humoralen Immunantwort z. B. durch B‑Zell-depletierende Therapie wäre eine Testung der T‑Zell-Antwort (Spike-spezifische CD4+- und CD8+-T-Zellen) sinnvoll, da ein ausreichender Impfschutz durch die zelluläre Immunantwort wahrscheinlich ist. Im Hinblick auf die SARS-CoV-2-spezifische T‑Zell-Antwort sei hervorgehoben, dass auch ein Impfschutz gegen die „besorgniserregenden Varianten“ („variants of concern“) von SARS-CoV‑2 nachgewiesen werden konnte. Allerdings ist im Gegensatz zu den Antikörpertests die Bestimmung der T‑Zell-Antwort aufwendiger (Detektion der antigenspezifischen CD4+- und CD8+-T-Zellen und deren Zytokinausschüttung nach einer entsprechenden In-vitro-Stimulation) und noch nicht hinreichend verbreitet, sodass diese vorzugsweise in den Fällen einer fehlenden humoralen Antwort eingesetzt werden sollte.
Antikörperbestimmung
Bezüglich der Antikörperbestimmung sollte ebenfalls bedacht werden, dass ein Antikörper-Titer-Cut-off, ab dem ein ausreichender Schutz gegen eine SARS-CoV-2-Infektion angenommen werden kann, bislang nicht definiert ist. Die in der eigenen Studie verwendeten Grenzwerte entsprechen den Angaben des Testherstellers und sind nicht durch klinische infektiologische Studien validiert. Des Weiteren sollte bedacht werden, dass die Quantifizierung der antigenspezifischen Antikörper im Plasma durch die Gesamt-IgG-Antikörper-Bestimmung mittels ELISA keine sichere Auskunft über die Wirksamkeit der entstandenen humoralen Immunantwort gibt.
Einschränkungen der Studien
Aufgrund der Fallzahlen konnte keine Subgruppenanalyse zu den unterschiedlichen Vakzinen oder neuen Therapien erfolgen. Auch für eine alterskorrigierte Analyse der Impfantwort erwies sich die erhobene Stichprobe als zu gering.
Bedeutung der Immuntherapie bei Myasthenia Gravis und COVID-19
Patienten mit der neurologischen Erkrankung Myasthenia gravis sollten bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 eine effektive Immuntherapie keinesfalls abbrechen. Eine internationale Arbeitsgruppe hat dazu Anfang April ein Register (CARE-MG Register) eingerichtet und die Krankheitsverläufe von SARS-CoV-2-positiven Myasthenia gravis-Patienten ausgewertet. Zwischenergebnisse von 91 Patienten liegen jetzt vor. Sie zeigen, dass es bei 40 % mit COVID-19 zu einer Verschlechterung der Myasthenia gravis oder sogar zu einer sogenannten myasthenen Krise kam, die intensiviert behandelt werden musste. Nach jetziger Datenlage ist es ihm zufolge nicht sinnvoll, die Immuntherapie bei den Patienten im Rahmen einer SARS-CoV-2-Infektion abzusetzen. „Die Immunsuppression abzubrechen hieße, ein stabiles Schutzschild gegen die Autoimmunerkrankung aufzugeben und schwere Rückfälle in Kauf zu nehmen“, warnte er.
Sonstige Empfehlungen für Myasthenie-Patienten während der Pandemie
- Allgemeine Vorsichtsmaßnahmen: Denken Sie daran, sich und andere mit einer FFP2-Maske zu schützen. Vermeiden Sie größere Menschenansammlungen und den öffentlichen Nahverkehr.
- Berufstätigkeit: MS-Erkrankte sollten ganz besonders auf Arbeitsschutzmaßnahmen bezüglich der aktuellen Pandemie achten und diese vom Arbeitgeber auch einfordern. Dies gilt verstärkt insbesondere für MS-Erkrankte unter einer immunsuppressiven Therapie.
- Cortison-Pulstherapie: Bei einem Schub ist daher sorgfältig die Notwendigkeit des Cortisonpulses abzuwägen und es sollte besprochen werden, wie sich der MS-Erkrankte nach der Therapie vor einer möglichen Infektion schützen kann.
- Vermeidung ambulanter Vorstellungen: Eine ambulante Vorstellung sollte, wenn immer möglich, vermieden werden.
Schlussfolgerung
Die COVID-19-Impfung ist für Patienten mit Myasthenia gravis von entscheidender Bedeutung, um das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs zu minimieren. Die Empfehlungen umfassen eine Grundimmunisierung und Auffrischimpfungen mit mRNA-Impfstoffen, wobei der Zeitpunkt der Impfung bei Rituximab-Therapie berücksichtigt werden sollte. Trotz der potenziell verminderten Impfantwort aufgrund von Immunsuppressiva überwiegt der Nutzen der Impfung die Risiken deutlich. Eine offene Kommunikation zwischen Arzt und Patient ist entscheidend, um die bestmögliche Impfstrategie zu entwickeln und Bedenken auszuräumen.
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