Nerve: Eine Erklärung des echten Spiels

Der Film "Nerve" präsentiert ein gleichnamiges Online-Spiel, das die Massen auf die Straße holt. Wie das Internet im Allgemeinen ist es zu weiten Teilen illegal, oberflächlich, manipulativ und schlichtweg ziemlich gefährlich. Der Film wirft eine drängende Frage auf: Wie weit lassen wir unser Leben vom Internet beeinflussen? Im Fall der Hauptdarsteller ganz klar: Sehr weit.

Einführung in Nerve

Nerve ist ein Online-Spiel, das in New York City einen Mega-Hype auslöst, Jugendliche zu irren Smombies macht und Erwachsene ratlos dastehen lässt. Das Spiel "Nerve" ist die moderne Version von Wahrheit oder Pflicht. Nur ohne das Flaschendrehen - und ohne die Wahrheit. Zu Beginn müssen die User entscheiden, ob sie Watcher oder Player sein möchten. Watcher beobachten das Spiel von außen und geben den Playern, den eigentlichen Spielern, Anweisungen. Mutprobe 2.0 sozusagen.

Die Handlung von Nerve

Die Heldin des Films heißt Vee (Emma Roberts). Sie ist mehr so Typ Mauerblümchen - cool genug, um mal locker lässig Wu-Tang-Lyrics zu zitieren, bei Weitem zu schüchtern, dem Schwarm zu winken. Das wird sich bald ändern, denn entgegen ihrer gepflegten Friedlichkeit lässt sie sich ausnahmsweise mal provozieren: Vee spielt "Nerve".

Vee (Emma Roberts), die weibliche Protagonistin, ist eigentlich der typische Watcher: zurückhaltend, unsicher und lieber hinter als vor der Kamera. Gedrängt von ihrer impulsiven Freundin Sydney (Emily Maede) meldet sie sich trotzdem als Player an. Hier fällt der Film bereits in typische Schemata: Das schüchterne Mädchen von nebenan wird von ihrer übertrieben extrovertierten Freundin in eine neue Welt gelockt, blüht darin vollkommen auf und wird von einem Moment zum anderen zu einem neuen Menschen. Dass kurz darauf auch noch ein geheimnisvoller Unbekannter namens Ian (Dave Franco) auftaucht und Vee tiefer in den "Nerve"-Kosmos zieht, ist auch nicht wirklich überraschend.

Als "Watcher" ist man Fan und Moderator zugleich, die Gruppe stellt die Aufgaben. Als "Player" kann man zum Star werden, in dem man immer irrsinnigere Herausforderungen meistert, doch man bleibt auch Spielball. Nicht dass sich einer der Teilnehmer vorab über die entsprechenden Implikationen der eigenen Rolle Gedanken machen würden.

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Für Vee beginnt alles mit einem harmlosen Kuss, der sich als schicksalhaft erweisen wird. Der Geküsste, Ian (Dave Franco), wird ihr Partner für eine Nacht. Als Lieblinge der "Watchers" erhalten die beiden Geschenke, die anzunehmen sie sich vielleicht besser zweimal hätten überlegen sollen.

Die Gefahren von Nerve

Halbnackt aus einem Laden rennen, Überraschungs-Tattoos stechen lassen oder mit verbundenen Augen Motorrad fahren - Vee und Ian lassen sich auf die wahnsinnigsten Aufgaben ein. Die Gefahren, in die sie sich dabei begeben, sind ihnen offenbar nicht bewusst. Auch tausende Watcher, die das Geschehen live mitverfolgen oder sogar initiieren, greifen nicht ein. Was die zweite, wichtige Frage aufwirft: Was macht Anonymität im Internet mit uns?

Die Aufgaben werden immer verrückter und sind sogar lebensgefährlich. Sobald man eine Aufgabe nicht schafft, wird man automatisch vom Spiel ausgeschlossen und verliert auch all seine Gewinne. Das treibt die Player natürlich an immer weiter zu machen und für jede Aufgabe noch einen Schritt weiter zu gehen.

Die Themen von Nerve

"Nerve" deswegen einen 08/15-Stempel zu verpassen, wäre trotzdem falsch. Denn der Film wirft eine drängende Frage auf: Wie weit lassen wir unser Leben vom Internet beeinflussen? Im Fall der Hauptdarsteller ganz klar: Sehr weit.

Der Film wirft eine drängende Frage auf: Wie weit lassen wir unser Leben vom Internet beeinflussen? Im Fall der Hauptdarsteller ganz klar: Sehr weit. Die Aufgabe der Privatsphäre, der Wunsch, immer auf dem neuesten Stand zu sein, und das Streben nach größtmöglicher Aufmerksamkeit - der Young-Adult-Roman „Nerve“ und seine Verfilmung greifen Themen auf, die in unserer schnelllebigen Internetwelt immer größere Bedeutung erhalten. Die Protagonistin Vee steht stellvertretend für viele junge Menschen, die ihr noch nicht gefestigtes Selbstbild durch eine medial vermittelte Performance stärken wollen.

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Im Kern handelt „Nerve“ von einer hochaktuellen Illusion: Menschen glauben Akteure ihres Lebens zu sein, obwohl sie in ihrem Denken und Tun von anderen gelenkt werden. Das wird hier überaus spannend vermittelt und auf die Meta-Ebene gesellschaftlicher Verfasstheit ausdehnt. Die Suchtkomponente erhöht im Fall von „Nerve“ die Risikobereitschaft, und irgendwann ist das eigene Leben der Einsatz.

Die Inszenierung von Nerve

Hinzu kommt in diesem Zusammenhang die extrem einfallsreiche Inszenierung, die immer wieder Chat-Verläufe und Nachrichten in das Geschehen einbindet, auf Smartphone-Kameraaufnahmen schwenkt, den Aufenthaltsort innerhalb der Stadt mittels knallbunter GPS-Signale abbildet, den Blick von hinter dem (gespiegelten) Display eines Smartphone oder Laptop auf die Protagonisten richtet und auch ansonsten alles dafür tut, das Geschehen optisch aufzuwerten, was ihm auch überwiegend gelingt, wobei ich es hier wieder sehr interessant gefunden habe, dass man - zumindest bei der Blu-ray-Fassung - sämtliche Texte nicht einfach untertitelt, sondern im Bild selbst übersetzt hat, ähnlich, wie es schon bei Non-Stop der Fall gewesen ist.

Die Bildgestaltung ist ein stimmiger Mix zwischen Hollywood Kino und YouTube Ästhetik. Immer wieder kommen GoPros und Handykameras zum Einsatz, die visuell aus dem Film ein abwechslungsreiches Sehvergnügen machen. Gerade actionreiche Szenen, wie eine schnelle Motorradfahrt oder Skateboardszenen, werden dadurch noch aufregender. Diese Art von Gestaltung lässt die Szenen auch realer wirken, da wir über soziale Netzwerke viele solcher YouTube Videos kennen, die wir mehrmals täglich konsumieren oder auch produzieren. Bildschirme betten sich transparent in das Kinobild ein und lassen dich subjektiv mit den Darstellern auf die Bildschirme sehen. Diese Effekte sind großartig gemacht.

Im Fall von „Nerve“ ergab sich als Herausforderung, die Ästhetik von Handy-Filmen und YouTube-Videos zu integrieren. Das ist definitiv gelungen, wobei deren Amateurcharakter durch die Glamour-Inszenierung der Challenges gebrochen wird. Lange schon wirkte das nächtliche New York im Kino nicht mehr so bedrohlich. Produktionsdesigner Chris Trujillo hat Räume geschaffen, die seltsam abschattiert glitzern, wie die Umkleiden im Luxuskaufhaus Bergdorf-Goodman, wo Vee und Ian laut Auftrag Haute-Couture-Kleidung klauen müssen. Als Zuschauer verspürt man eine durchaus ambivalente und damit alarmierende Faszination für den Up-Tempo-Sound und den Glamour von Cyber- wie realer Welt in diesem schnellen, bunten Film.

Kritik an Nerve

Je länger man den Film Nerve schaut, desto unlogischer wird er. Das Drehbuch von Jeanne Ryan wirft einige Fragen auf. Laut Film spielen die Figuren Ty und Ian schon lange das Spiel Nerve und arbeiten bereits Monate auf einen Sieg hin. Vee schafft es innerhalb von einer Nacht ins Finale. Zum Ende tauchen immer mehr vermummte Menschen auf, die die Hauptdarsteller zum Finale leiten und ihnen im Real Life Aufgaben geben statt wie vorher über die App. Eigentlich müssen die Spieler scheitern, um nicht ins Finale zu kommen. In einer Arena stehen sich die Finalisten Vee und Ian mit Waffen gegenüber. Plötzlich springt Ty über den Zaun und will noch einmal seine Chance wahrnehmen zu gewinnen. Sehr theatralisch schafft es am Ende Vees Highschool Freund Tommy mit seinem Hackerclub alle User*innen der App zum ausloggen zu bewegen.

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Das Problem: Die hochrelevanten Themen rücken angesichts der vielen Action und der obligatorischen Liebesgeschichte zusehends in den Hintergrund. Hinzu kommt, dass der Film immer wieder die falsche Botschaft sendet. Hirnrissige Aktionen, wie sich von einem fahrenden Zug überrollen zu lassen oder auf einer Leiter von einem Hochhausfester ins andere zu klettern, bleiben nämlich jedes Mal folgenlos und werden als cool und mutig dargestellt. Natürlich fiebert man mit den Hauptfiguren mit, der bittere Beigeschmack einer unreflektierten Inspirationsquelle für lebensgefährliche Mutproben bleibt aber.

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