Nerven- und Muskelbiopsie: Verfahren, Diagnostik und klinische Studien

Die Nerven- und Muskelbiopsie sind wichtige diagnostische Verfahren zur Untersuchung von erworbenen und angeborenen Erkrankungen der Muskulatur und der peripheren Nerven. Diese Eingriffe ermöglichen es, Gewebeproben zu entnehmen, die anschließend licht- und elektronenmikroskopisch sowie mit enzym- und immunhistochemischen Methoden untersucht werden können. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die Verfahren, ihre Anwendungsbereiche und aktuelle klinische Studien in diesem Bereich.

Indikationen für Nerven- und Muskelbiopsien

Eine Muskelbiopsie wird in der Regel dann empfohlen, wenn Symptome wie Muskelschwäche und -abbau auf eine Schädigung des Muskels hindeuten und die genaue Diagnose auf andere Weise nicht gestellt werden kann. Zu den spezifischen Indikationen gehören:

  • Entzündungen der Muskulatur (z.B. Polymyositis)
  • Generalisierte entzündliche Erkrankungen (z.B. Gefäßentzündungen - Vaskulitis)
  • Degenerative Muskelerkrankungen (z.B. Duchenne-Muskeldystrophie)
  • Angeborene Myopathien (z.B. Central-Core-Myopathie)
  • Nerval bedingte Muskelatrophien (z.B. spinale Muskelatrophie durch Schädigung des Rückenmarks, Amyotrophische Lateralsklerose)
  • Stoffwechselbedingte Muskelerkrankungen
  • Verdacht auf medikamentenbedingte Muskelschädigungen

Die Untersuchung von Nervenbiopsaten, in der Regel vom N. suralis, wird zur Diagnostik von Neuropathien eingesetzt.

Diagnostische Methoden

Die neuropathologische Diagnostik der Nervenbiopsie erfolgt an:

  • Formalinfixiertem, in Paraffin eingebetteten Material, insbesondere bei Fragestellungen einer entzündlichen Genese oder Amyloidneuropathie.
  • Glutaraldehyd-fixiertem, in Kunststoff eingebetteten Gewebe.

Zur optimalen Muskel- und Nervendiagnostik ist es essentiell, dass natives (unfixiertes) Gewebe zur Verfügung steht. Der Großteil des Gewebes wird eingefroren und für die Diagnostik mittels Gefrierschnitten verwendet. Am Gefriermaterial kann eine bessere Orientierung der Präparate erfolgen, und nur am Gefriermaterial können spezielle enzymhistochemische Färbungen (in der Muskeldiagnostik z.B. zur Fasertypdifferenzierung oder für mitochondriale Enzyme) durchgeführt werden. Routinemäßig wird auch Material für eventuell erforderliche biochemische Untersuchungen asserviert. Ein weiterer Teil der Biopsiepräparate wird formalinfixiert. Die Paraffineinbettung ist diagnostisch besonders hilfreich bei der Frage nach entzündlichen Myo- bzw. Neuropathien und Vaskulitiden. Schließlich erfolgt eine Kunststoffeinbettung eines Teils des Gewebes zur Anfertigung von Semi- und Ultradünnschnitten und zur nachfolgenden elektronenmikroskopischen Untersuchung.

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Das Spektrum der verfügbaren Methoden umfasst die dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft entsprechenden Standard- und Spezialfärbungen (Immunhistochemie und Enzymhistochemie) sowie Elektronenmikroskopie. In Zusammenarbeit mit anderen Labors werden auch biochemische und molekulargenetische Untersuchungen bei entsprechenden Fragestellungen durchgeführt bzw. veranlasst.

Durchführung der Biopsie

Muskelbiopsie

Der erste Schritt ist die Auswahl des Muskels, aus dem die Probe entnommen werden soll. Bei Myopathien wählt man hier in der Regel einen Muskel, der zwar deutlich befallen, aber auch noch nicht zu stark geschädigt ist. Nach Desinfektion wird ein kleiner Hautschnitt über dem ausgewählten Muskel vorgenommen. Dann wird ein etwa 0,5 cm dickes Muskelfaserbündel etwas angehoben und in Verlaufsrichtung der Muskelfasern ein etwa 3 cm langes Holzstäbchen darunter geschoben. Die Muskelfasern werden dann oben und unten an das Holzstäbchen gebunden und anschließend mit dem Skalpell abgetrennt. Die so gewonnene Muskelfaserprobe wird dann zusammen mit dem Holzstäbchen herausgenommen, in eine spezielle Lösung eingelegt und zur Untersuchung an den Pathologen verschickt.

Es gibt verschiedene Methoden zur Entnahme von Muskelgewebe:

  • Offene Muskelbiopsie: Nach einem kleinen Hautschnitt wird eine geeignete Muskelfaser freigelegt, und eine kleine, etwa erbsengroße Gewebeprobe der Muskulatur entnommen.
  • Stanzbiopsie: Mit einer Stanzkanüle mit einem Durchmesser von wenigen Millimetern wird nach einer Lokalanästhesie die Stanzkanüle durch die Haut in das Muskelgewebe eingeführt, so dass mit dieser Methode ein kleiner Gewebezylinder entfernt wird, der Muskelmaterial enthält.

Nervenbiopsie

In der Regel wird der rein sensible N. suralis biopsiert. Es sollte darauf geachtet werden, Quetschung und Zerrung zu vermeiden. Wir empfehlen die Entnahme einer ca. 2 cm langen Nervenbiopsie. Das unfixierte Nervengewebe kann durch Zerrung und Druck leicht artifiziell geschädigt werden. Die Nervenbiopsie sollte in einem fest verschlossenem Gefäß unfixiert bei kurzem Transportweg (1-2 Stunden) oder fixiert (1. gepuffertes 4% Formalin und 2. gepuffertes Glutaraldehyd) bei längerem Transportweg in separaten Kunststoffgefäßen zugeschickt werden.

Vorbereitung und Nachsorge

Nehmen Sie wegen anderer Erkrankungen regelmäßig Medikamente, sollten Sie den Arzt rechtzeitig vorher darüber informieren, da einige Medikamente wie z.B. Antikoagulantien die Blutgerinnung beeinflussen und das Blutungsrisiko erhöhen können. Wird der Eingriff bei Ihrem Kind in Vollnarkose vorgenommen, sollte Ihr Kind am Tag des Eingriffes 6 Stunden vor der Anästhesie nichts mehr essen und keine trüben Flüssigkeiten mehr trinken! 2 Stunden vor der Anästhesie sollten auch keine klaren Flüssigkeiten mehr getrunken werden. In den ersten Tagen nach dem Eingriff sollten Sie den betroffenen Muskel noch etwas schonen. Einige Zeit nach dem Eingriff, wird der Arzt Sie zu einer Kontrolluntersuchung in die Praxis bestellen, um die Wunde zu kontrollieren und evtl. die Fäden zu ziehen. Bekommen Sie zu Hause Fieber oder starke Schmerzen oder stellen Sie an der Wunde Rötungen und andere Entzündungszeichen fest, sollten Sie umgehend mit dem Arzt Kontakt aufnehmen.

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Die Wunde nach einer Stanzbiopsie ist nur wenige Millimeter groß und kann ebenfalls durch eine einfache Naht verschlossen werden. Die Wundversorgung und die Nachkontrolle erfolgt analog zur offenen Muskelbiopsie. Im Fall von örtlichen Schmerzen nach der Gewebeentnahme bzw. der Stanzbiopsie sind reguläre Schmerzmittel, z. B. Ibuprofen oder Paracetamol geeignet und hinreichend. Schmerzmedikamente mit einer Hemmung der Blutgerinnung, z. B. ASS und Aspirin sind explizit nicht geeignet.

Einsendung von Untersuchungsmaterial

Insbesondere für die Befundung von Muskelbiopsaten ist ein optimaler Gewebeerhalt und eine Prozessierung der Gewebeproben ohne Zeitverluste erforderlich. Bei Einsendungen wird um telefonische Voranmeldung gebeten. Wenn Sie zum ersten Mal Muskel einschicken, ist eine Absprache bezüglich des Probenversandes und der Entnahmetechnik zu empfehlen. Für eine effiziente Befundung, insbesondere für eine Auswahl der benötigten Spezialuntersuchungen sind detaillierte klinische Angaben zu Art und Dauer der Erkrankung, elektrophysiologische Voruntersuchungen sowie Laboruntersuchungen, z. B. Höhe und Verlauf der Kreatinkinase (CK) unerlässlich.

Anforderungen an die Probe

  • Muskel: Auswahl eines klinisch betroffenen Muskels, jedoch kein hochgradig betroffenes Muskelgewebe im Endzustand, das weitgehend durch Fettgewebe ersetzt ist. Geeignet sind insbesondere bei proximal betonter Muskelschwäche der M. quadriceps femoris und M. deltoideus, bei distal betonter Muskelschwäche der M. tibialis anterior. Möglichst keine sehnenansatznahe Entnahme von Muskelgewebe, spezielle Fragestellungen (z.B. eosinophile Fasziitis) ausgenommen. Keine Entnahme an einer Stelle, an der kurz zuvor ein EMG oder eine intramuskuläre Injektion erfolgte. Muskel (ca. 2,0 cm Länge und 0,5 cm Durchmesser).
  • Nerv: In der Regel wird der rein sensible N. suralis biopsiert (ca. 15-20 mm langes Gewebestück). Quetschung und Zerrung sind nach Möglichkeit zu vermeiden.

Unverzüglicher Transport des Biopsiepräparates per Boten nativ in einer feuchten Kammer (z.B. Beilage eines NaCl-getränkten Tupfers).

Klinische Studien: Untersuchung von Nogo-A bei ALS

Aktuell wird eine klinische Studie (GSK-NOG113531) durchgeführt, um ein neuartiges Verfahren der Muskeluntersuchung im Zusammenhang mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS) zu untersuchen. Diese Studie dient der Vorbereitung einer zukünftigen Arzneimittelstudie des pharmazeutischen Unternehmens GlaxoSmithKline (GSK). GSK hat ein innovatives Medikament entwickelt, das einen Antikörper gegen das Eiweiß Nogo-A darstellt.

Hintergrund

Die Entwicklung und Testung des Nogo-A-Antikörpers geht auf eine grundlagenwissenschaftliche Untersuchung bei der ALS zurück, die eine erhöhte Konzentration von Nogo-A im Muskelgewebe von ALS-Patienten zeigt. Es wird vermutet, dass Nogo-A die Verbindungsstelle zwischen den Nervenfasern und der Muskulatur („neuromuskuläre Endplatte“) beeinträchtigt. Aufgrund dieser Beobachtung könnte eine Hemmung von Nogo-A durch einen pharmazeutisch hergestellten Antikörper ein therapeutischer Ansatz sein, um den Abbauprozess von Nerven und Muskelgewebe bei der ALS zu vermindern. Diese Hypothese wird durch erste Untersuchungen im ALS-Mausmodell unterstützt, in dem der Nogo-A-Antikörper zu einer Symptomverlangsamung und einer Überlebensverlängerung führte.

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Ziele der Studie

Die Untersuchung von Nogo-A als Biomarker der ALS ist für das Grundverständnis der ALS-Erkrankung sowie die Planung der zukünftigen Wirksamkeitsstudie mit dem Nogo-A-Antikörper von elementarer Bedeutung. Die Untersuchung von Nogo-A in der Muskulatur ist nach dem bisherigen Erkenntnisstand nur durch eine offene Muskelbiopsie etabliert. In der laufenden Biopsiestudie (NOG113531) soll untersucht werden, ob mit einem geringer intensiven Biopsieverfahren der Stanzbiopsie gleichwertige Ergebnisse zur offenen Biopsie erreicht werden können. Diese Frage hat eine wesentliche Bedeutung für die Vorbereitung der geplanten Arzneimittelstudie, da das therapeutische Ansprechen während der Wirksamkeitsstudie in jedem Fall durch eine Nogo-A-Untersuchung im Muskel kontrolliert werden soll. Zur Vermeidung von zusätzlichen Belastungen durch eine offene Muskelbiopsie stellt sich die Frage, ob die Stanzbiopsie eine offene Biopsie ersetzen oder zumindest die Anzahl der offenen Muskelbiopsien reduzieren kann.

Studienablauf

An der Studie werden insgesamt 50 ALS-Patienten in verschiedenen Ländern teilnehmen, wobei in der ALS-Ambulanz der Charité 10 bis 15 Patienten mitwirken können. Die Studie wird in zwei unterschiedlichen Protokollen (Protokoll A und B) angeboten, wobei eine kombinierte Durchführung der Protokolle A & B den größten wissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnisgewinn verspricht.

Die Protokolle A und B beinhalten mehrere Termine und Untersuchungsschritte:

Protokoll A & B (kombiniert)

  • Visite 1: Voruntersuchung
  • Visite 2: Biopsie-Tag (innerhalb von 28 Tagen nach der Voruntersuchung)
    • Blutprobe
    • Offene Biopsie
    • Nadelbiopsie
    • Kontroll-Nadelbiopsie am gleichen Muskel
  • Visite 3: Nachuntersuchung (7-14 Tage nach der Visite 2)
  • Visite 4: Biopsie-Tag (4 oder 6 Monate nach der ersten Biopsie)
    • Blutprobe
    • Nadelbiopsie
    • Kontroll-Nadelbiopsie am gleichen Muskel (optional)
  • Visite 5: Nachuntersuchung (7-14 Tage nach der Biopsie)

Die Biopsie findet in einer Kooperation zwischen der ALS-Ambulanz und der Neurochirurgischen Klinik am Campus Virchow-Klinikum der Charité statt. Die Studienteilnehmer werden in der ALS-Ambulanz untersucht und für die Biopsie in einen ambulanten Operationssaal der Neurochirurgischen Klinik geleitet. Die Biopsie wird in einer lokalen Betäubung (Lokalanästhesie) vorgenommen. Die entstehende Wunde (mit einem Hautschnitt von etwa 2 bis 3 cm) wird durch eine Naht verschlossen und mit einem regulären Verband versorgt. Die Wunde erfordert keine spezifische Nachsorge und sollte hausärztlich kontrolliert werden. In einer Kontrolluntersuchung 7-14 Tage nach der Biopsie erfolgt eine Kontrolle in der ALS-Ambulanz und ggf. durch den Arzt für Neurochirurgie. Zu diesem Zeitpunkt wird das Nahtmaterial entfernt und die Wundversorgung abgeschlossen.

Teilnahme und Vergütung

Die Aufwendungen für die Muskelbiopsie werden mit 100€ pro Biopsietag vergütet (insgesamt maximal 200€). Eine Vergütung der Vorbereitungs- und Nachsorgevisite ist nicht vorgesehen. Die Fahrtkosten für alle studienbezogenen Visiten können jedoch vom Sponsor der Studie übernommen werden. Als Studienteilnehmer verauslagen Sie die Kosten zunächst privat, die dann mit Nachweis von Rechnungen bzw. mit einer Kilometerpauschale rückerstattet werden.

Interessenten können sich mit den folgenden Unterlagen an die ALS-Ambulanz wenden:

  • Brief über stationäre oder ambulante Diagnostik, in dem die Diagnose einer ALS gestellt wird
  • Der letzte zur Verfügung stehende Befundbericht durch einen Arzt oder eine neurologische Klinik
  • Medikamentenübersicht

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