Die neurologische Lyme-Borreliose, auch bekannt als Neuroborreliose, ist eine Manifestation der Lyme-Borreliose, einer Multisystemerkrankung, die durch Bakterien der Art Borrelia burgdorferi sensu lato verursacht wird. Diese Bakterien werden hauptsächlich durch Zeckenstiche auf den Menschen übertragen. Die Erkrankung kann verschiedene Organe betreffen, wobei Haut, Nervensystem und Gelenke am häufigsten betroffen sind.
Einführung
Die Lyme-Borreliose ist eine entzündliche Erkrankung, die verschiedene Organsysteme betreffen kann. Der Fokus dieses Artikels liegt auf der Neuroborreliose, die auch nach fast 100 Jahren seit ihrer Erstbeschreibung noch immer eine diagnostische Herausforderung darstellt. Die Lyme-Borreliose wurde nach dem Ort Lyme (Connecticut, USA) benannt, wo vermehrt Fälle von Gelenkentzündungen nach Zeckenstichen auftraten.
Erreger und Übertragung
Die Lyme-Borreliose wird durch Spirochäten des Borrelia burgdorferi sensu lato (Bbsl)-Komplexes verursacht. In Europa sind mindestens fünf Arten humanpathogen: B. burgdorferi sensu stricto, B. afzelii, B. garinii, B. bavariensis und B. spielmanii. Die Rolle von B. bissettiae und B. lusitaniae als Krankheitserreger wird noch diskutiert.
Als Vektoren fungieren Schildzecken, insbesondere Ixodes ricinus (gemeiner Holzbock) in Europa. In Deutschland tragen etwa 10-30 % der Holzböcke Borrelien. Die Übertragung erfolgt durch den Stich der Zecke, wobei die Borrelien nach Beginn des Saugaktes von den Speicheldrüsen der Zecke in den Menschen gelangen. Eine längere Saugdauer (mehrere Stunden) ist erforderlich, damit Borrelien übertragen werden können.
Epidemiologie
Die Lyme-Borreliose ist in der nördlichen Hemisphäre verbreitet und die häufigste durch Zecken übertragene Krankheit in Europa. In Deutschland ist von einer Infektionsgefährdung in allen Teilen des Landes auszugehen, wobei das Vorkommen von Borrelien in Zecken kleinräumig stark schwankt.
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Die genaue Häufigkeit der Lyme-Borreliose in Deutschland ist nicht bekannt, da die Erkrankung nur in neun Bundesländern meldepflichtig ist. Die Meldeinzidenz in diesen Gebieten schwankt zwischen 26 und 41 Erkrankungen pro 100.000 Einwohnern jährlich. Schätzungen basierend auf Abrechnungsdaten gehen von etwa 214.000 Lyme-Borreliose-Abrechnungen pro Jahr in Deutschland aus.
Das Infektionsrisiko ist stark von den Witterungsbedingungen abhängig, wobei die Zeckenaktivität und somit das Infektionsrisiko im Frühling und Herbst am höchsten ist. Serosurveys zeigen, dass die Antikörper-Prävalenz mit dem Alter zunimmt, wobei Kinder und Senioren besonders häufig betroffen sind.
Klinik der Neuroborreliose
Die Neuroborreliose manifestiert sich in den allermeisten Fällen als frühe Neuroborreliose, typischerweise wenige Wochen bis Monate nach dem Zeckenstich. Eine späte Neuroborreliose ist selten.
Neurologische Manifestationen bei Erwachsenen
- Polyradikulitis: Die häufigste Manifestation ist eine Entzündung mehrerer spinaler Nervenwurzeln bzw. Hirnnerven.
- Meningoradikuloneuritis (Bannwarth-Syndrom): Bei Beteiligung der Hirnhäute spricht man von einem Bannwarth-Syndrom, das nach dem Erythema migrans die häufigste Manifestation darstellt. Typisch sind massive, zosterartige segmentale Schmerzen mit nächtlicher Exazerbation, gefolgt von neurologischen Ausfällen wie schlaffen Lähmungen oder Sensibilitätsstörungen. Häufig tritt eine ein- oder beidseitige Gesichtslähmung (Fazialisparese) auf.
- Zentrale Nervensystembeteiligung: Eine Infektion des zentralen Nervensystems ist mit circa 2-4 % aller Neuroborreliose-Fälle charakteristischerweise bei einer späten oder chronischen Neuroborreliose zu finden. Es zeigt sich meist eine Rückenmarksentzündung (Myelitis) mit spastisch-ataktischem Gang und Blasenstörung, dabei können das Gehirn (60 %) im Sinne einer Encephalitis, und die Hirnnerven (40 %) zusätzlich beteiligt sein.
- Polyneuropathie/Polyneuritis: Eine Polyneuropathie wird üblicherweise nur in Assoziation mit einer Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA) als Manifestation einer Borrelieninfektion gesehen.
- Psychiatrische Manifestationen und Schlaganfälle: In Einzelfällen manifestierte sich die Enzephalitis als psychiatrisches Krankheitsbild oder hirnorganisches Psychosyndrom mit entzündlichen Liquorveränderungen. Zudem werden Schlaganfälle in Kasuistiken und kleinen Fallserien als Ausdruck einer borrelieninduzierten cerebralen Vaskulitis beschrieben.
Neurologische Manifestationen bei Kindern
Bei Kindern sind die Facialisparese (circa 55 %) und die lymphozytäre Meningitis (circa 30 %) die häufigsten Manifestationen.
Diagnostik
Die Lyme-Borreliose ist primär eine klinische Verdachtsdiagnose, die durch Labordiagnostik gestützt wird. Abgesehen vom Erythema migrans, welches rein klinisch diagnostiziert wird, ist bei Verdacht auf Lyme-Borreliose der Nachweis borrelienspezifischer Antikörper im Serum ggf. auch im Liquor ein entscheidender Baustein für die Diagnosefindung.
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Stufendiagnostik
- Stufe: ELISA oder vergleichbare Methoden.
- Stufe: Immunoblot bei positivem oder grenzwertigem Ergebnis der 1. Stufe.
Für die Diagnose einer Neuroborreliose ist der Nachweis intrathekal gebildeter Antikörper gegen Borrelien in Liquor/Serum-Paaren vom gleichen Tag erforderlich. Die Bestimmung des Liquor/Serum-Index ermöglicht den Nachweis der borrelienspezifischen intrathekalen Antikörperbildung (= positiver borrelienspezifischer Antikörperindex [AI]). Typischerweise sind auch entzündliche Veränderungen des Nervenwassers (u.a. Pleozytose, erhöhter Eiweißgehalt) nachweisbar.
Weitere diagnostische Verfahren
- Liquordiagnostik: Bei Verdacht auf Neuroborreliose ist eine Liquoruntersuchung obligat. Die Liquoranalytik soll die zytologische, proteinchemische und serologische (AI-Berechnung) umfassen.
- Kultureller Erregernachweis und PCR: In diagnostisch unklaren Fällen kann eine Infektion durch den Erregernachweis aus Liquor bestätigt werden. Die Sensitivität des Erregernachweises aus Liquor mittels Kultur oder PCR beträgt allerdings nur 10-30 %.
- CXCL13-Messung: Der Nachweis des Chemokins CXCL13 im Liquor kann bei der Diagnose unterstützend sein, insbesondere bei Verdacht auf frühe Neuroborreliose.
Diagnostische Kriterien
In Abhängigkeit vom klinischen Befund und den Labordaten lässt sich die Diagnose einer Neuroborreliose als möglich, wahrscheinlich und sicher einstufen.
Ungeeignete diagnostische Untersuchungsmethoden
Für die Diagnostik der Neuroborreliose nicht geeignet sind unter anderem:
- Lymphozytentransformationstest (LTT)
- CD57-Zellzahlbestimmung
- Borrelien-DNA-Nachweis im Urin
- Interleukin-2-Test
Therapie
Die Therapie der Neuroborreliose besteht in der Gabe von Antibiotika. Üblicherweise werden Doxycyclin (oral) oder Ceftriaxon, Cefotaxim oder Penicillin G (intravenös) eingesetzt. Die Therapiedauer beträgt in der Regel 14-21 Tage, abhängig von Art, Dauer und Schwere der Manifestation.
Antibiotika-Therapie
Generell wird allen Patienten mit borreliosetypischer neurologischer Symptomatik bei entzündlichen Liquorveränderungen und positiver Borrelienserologie eine Antibiotika-Behandlung empfohlen. Bei einer „möglichen“ Neuroborreliose (Liquorbefund nicht vorliegend oder unauffällig) kann nach einer gründlichen Differenzialdiagnostik und ausbleibendem Nachweis einer anderen Erkrankung eine Antibiotika-Behandlung erwogen werden.
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Therapiedauer
Im Rahmen der systematischen Literaturrecherche fanden sich keine kontrollierten Studien, die explizit die Antibiotikatherapie bei später (chronischer) Neuroborreliose untersucht hätten. Eine separate Auswertung dieser Fälle ist aufgrund unvollständiger Daten und wegen geringer Fallzahl nicht möglich. Wenngleich bei diesen Patienten neurologische Residualsymptome deutlich häufiger als bei der frühen Neuroborreliose auftreten (Klasse III), zeigen sich unter den berichteten Fällen keine Anhaltspunkte für Therapieversager. Somit ergibt sich unter Nutzen-Risiko-Abwägung keine wissenschaftliche Grundlage, von der bisherigen Empfehlung einer zwei- bis dreiwöchigen Antibiotikabehandlung bei Patienten mit später (chronischer) Neuroborreliose im Regelfall abzuweichen (↑↑).
Wahl des Antibiotikums und Nebenwirkungen
Das oral applizierbare Doxycyclin und die intravenös zu applizierenden Betalaktam-Antibiotika weisen entsprechend einer Metaanalyse im Hinblick auf die Rückbildung der neurologischen Symptomatik keinen statistisch signifikanten Unterschied nach einem Untersuchungszeitraum von über zwölf Monaten auf (RR: 0,98; 95-%-Konfidenzintervall: [0,68; 1,42], P = 0,93). Sie sind somit als vergleichbar gut wirksam einzustufen (Klasse Ia) (3). Bezogen auf Nebenwirkungen ergibt sich auf der Basis von zwei RCTs (26, 27) ebenfalls kein statistisch signifikanter Unterschied (RR: 0,82 [0,54; 1,25], P = 0,35) (Klasse Ia). Schwere Nebenwirkungen wurden in den Studien insgesamt zu selten berichtet, um darüber valide Vergleiche anzustellen (3).
Vor dem Hintergrund der Datenlage ist keiner der geprüften Substanzen eine klare Präferenz zu geben. Demzufolge sollte die Wahl des Antibiotikums (Tabelle) unter Abwägung individueller Patientenaspekte (wie etwa Allergien, Alter, Schwangerschaft, Applikationsweise und -frequenz) erfolgen (↑↑).
Verlauf nach Antibiotika-Therapie
Den meisten RCTs zufolge tritt nach einer 7- bis 14-tägigen antibiotischen Behandlung bei der frühen Neuroborreliose innerhalb mehrerer Wochen bis weniger Monate eine deutliche Verbesserung der neurologischen Symptome bei der Mehrzahl der Patienten ein. Nach einem Jahr sind rund 90 % der Patienten beschwerdefrei (6, 28, 29, 30). Bei der späten Neuroborreliose kommt es ebenfalls in diesem Zeitraum zu einer Stabilisierung, allerdings verbleiben bei rund 60-80 % der Patienten relevante neurologische Residualbeschwerden (3, 6, 29).
Prävention
Da es keinen Impfstoff gegen Lyme-Borreliose gibt, besteht die wichtigste Präventionsmaßnahme darin, Zeckenstiche zu vermeiden. Dies kann durch folgende Maßnahmen erreicht werden:
- Tragen von bedeckender Kleidung bei Aufenthalten im Freien (lange Hosen, langärmelige Oberteile, geschlossene Schuhe)
- Verwendung von Repellents (z.B. Icaridin oder DEET)
- Absuchen des Körpers nach Zecken nach Aufenthalten im Freien und sofortige Entfernung der Zecken mit einer Pinzette oder Zeckenkarte
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