Neurologisches Gutachten zur Fahrtauglichkeit: Voraussetzungen und Rahmenbedingungen

Um am Straßenverkehr teilnehmen zu dürfen, muss ein Fahrer eines Kraftfahrzeuges körperlich, geistig und charakterlich in der Lage sein, ein Kfz sicher zu beherrschen und zu führen. Eine eingeschränkte oder mangelnde Fahreignung oder Fahrtauglichkeit können eine Gefährdung des Straßenverkehrs darstellen und im schlimmsten Fall zu schweren Verkehrsunfällen führen. Deswegen muss sowohl bei der Neuerteilung als auch bei der Verlängerung oder Wiedererteilung der Fahrerlaubnis die Fahreignung bzw. Fahrtauglichkeit nachgewiesen werden.

Die Begriffe "Fahreignung" und "Fahrtauglichkeit" werden in der Regel synonym miteinander verwendet. Grundsätzlich haben sie auch eine Bedeutung gemeinsam: die Fähigkeit, ein Kfz im Straßenverkehr sicher zu führen. Doch es gibt einen wichtigen Unterschied: Fahreignung meint die generelle Befähigung, mit einem Fahrzeug sicher am Straßenverkehr teilzunehmen. Hierbei sind zum Beispiel auch charakterliche Eigenschaften des Fahrers von Bedeutung.

Wann ist ein neurologisches Gutachten zur Fahrtauglichkeit erforderlich?

Die Fahrerlaubnisbehörde kann ein ärztliches Gutachten anfordern, sobald sie an der Fahreignung zweifelt. Dies kann sowohl Anwärter auf den Führerschein als auch Inhaber einer Fahrerlaubnis betreffen. Es gibt viele Anlässe, warum die Führerscheinstelle ein ärztliches Gutachten verlangen kann. Im entsprechenden Schreiben der Behörde werden die genauen Anlässe für die Zweifel an der Fahreignung mitgeteilt.

Gründe für die Anordnung eines solchen Gutachtens können sein:

  • Erkrankungen und andere Beeinträchtigungen, die die Fahreignung beeinflussen.
  • Verdacht auf Alkohol- oder Drogenkonsum.
  • Auffälligkeiten in einer Verkehrskontrolle.
  • Medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU).
  • Neurologische Erkrankungen (z. B. Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, neurodegenerative Erkrankungen etc.), die zu Ausfällen und Funktionseinschränkungen führen können. Hierzu gehören neben motorischen Einschränkungen auch Sehstörungen und Beeinträchtigungen der Denkfähigkeit oder bestimmter Aufmerksamkeitsleistungen.

Wer führt das Gutachten durch?

Seit dem 01.01.1999 werden Fahrtauglichkeitsgutachten durch entsprechend vorgebildete Ärzte angefertigt. Hierfür zugelassen sind:

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  • Ärzte mit verkehrsmedizinischer Qualifikation (zumeist Neurologen oder Psychiater)
  • Ärzte des Gesundheitsamtes
  • Ärzte der öffentlichen Verwaltung
  • Ärzte mit der Gebietsbezeichnung „Arbeitsmedizin“
  • Ärzte mit der Gebietsbezeichnung „Facharzt für Rechtsmedizin“
  • Ärzte in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung, die die Anforderungen nach Anlage 14 erfüllt.

Die Straßenverkehrsbehörden führen Listen mit Ärzten, die die Zusatzqualifikation Verkehrsmedizin erworben haben. Betriebsärzte bzw. Grundsätzlich gilt, dass der untersuchende Facharzt nicht der behandelnde Arzt sein darf. Die Behörde bestimmt in der Anordnung, ob das Gutachten von einem für die Fragestellung zuständigen Facharzt mit verkehrsmedizinischer Qualifikation, Arzt des Gesundheitsamtes oder einem anderen Arzt der öffentlichen Verwaltung, Arzt mit der Gebietsbezeichnung „Arbeitsmedizin“ oder der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“, Arzt mit der Gebietsbezeichnung „Facharzt für Rechtsmedizin“ oder Arzt in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung, der die Anforderungen nach Anlage 14 erfüllt, erstellt werden soll.

Ablauf der Begutachtung

Nachdem die Entscheidung für einen Gutachter getroffen wurde, muss dies der Fahrerlaubnisbehörde mitgeteilt werden. Diese nimmt dann Kontakt zum Arzt auf, der das ärztliche Gutachten durchführt. Die Begutachtungsstellen für Fahreignung (BfF) bieten zum Thema „Ärztliches Gutachten zur Fahreignung“ häufig Beratungen an und können auch verkehrsmedizinische Gutachten erstellen.

Die Untersuchung ist weniger umfangreich als eine MPU. Es geht auch nicht darum, eine Prognose zu erstellen, stattdessen soll die gegenwärtige Situation in Bezug auf die Fahreignung abgeklärt werden. Im Fokus der Untersuchung stehen ggf. die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit. Der Arzt wird den Patienten entsprechend seiner Krankheit begutachten und in Fragen zur Fahrtauglichkeit beraten.

Das ärztliche Gutachten über die Fahreignung beinhaltet sowohl eine körperliche Untersuchung als auch ein Gespräch mit dem Betroffenen über die jeweilige Krankheit bzw. Beeinträchtigung. Anhand der Laborergebnisse und des Gesprächs soll der Arzt herausfinden, ob ein regelmäßiger Konsum von Alkohol oder Drogen vorliegt. Häufig werden dazu Drogenscreenings durchgeführt bzw. bei Verdacht auf Alkoholabhängigkeit entsprechende Blutuntersuchungen. Der Facharzt kann dabei helfen, einen unbegründeten Verdacht auszuräumen.

Spezielle Aspekte bei Epilepsie

Ein wichtiger Aspekt im Rahmen der neurologischen Begutachtung der Fahrtauglichkeit ist das Vorliegen von Epilepsie. Menschen mit Epilepsie können eine eingeschränkte Fahrtauglichkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen haben, da das plötzliche Auftreten von Anfällen häufig zur erheblichen oder vollständigen Beeinträchtigung des Bewusstseins führt. Selbst kleine (einfach-fokale) Anfälle, bei denen es definitionsgemäß nicht zum Verlust des Bewusstseins kommt, können die Fahrtauglichkeit beeinträchtigen, beispielsweise durch Störungen im Gesichtsfeld, im Hörvermögen oder der Beweglichkeit. Dies kann zu Eigengefährdung, Fremdgefährdung von mitfahrenden Personen und Fremdgefährdung von vollkommen unbeteiligten Straßenverkehrsteilnehmern führen.

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Grundlage für die Beurteilung der Fahrtauglichkeit von Menschen mit epileptischen Anfällen und Epilepsien sind die "Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung gültig für Epilepsie seit dem Jahre 2022". Diese Leitlinien haben in der Praxis einen nahezu verbindlichen Charakter.

Wesentliche Inhalte der Begutachtungsleitlinien (2022)

Grundsätzlich wird festgestellt, dass wer an epileptischen Anfällen leidet, nicht in der Lage ist, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen gerecht zu werden, solange ein wesentliches Risiko von Anfallsrezidiven besteht. Dies gilt auch für andere anfallsartig auftretende Störungen mit akuter Beeinträchtigung des Bewusstseins, der Motorik oder anderer handlungsrelevante Funktionen, wie z.B. für Synkopen (Kreislaufkollaps) oder psychogene Anfälle. Assoziierte körperliche oder psychische Störungen müssen berücksichtigt werden. Besteht eine antiepileptische Medikation, so darf die Fahrtüchtigkeit hierdurch nicht herabgesetzt werden. Bei Fahrerlaubnis Inhabern sind fachneurologische Untersuchungen sowie fachneurologische Kontrolluntersuchungen in zunächst jährlichen Abständen erforderlich. Im Verlauf der Erkrankung (etwa bei einer langjährigen Anfallsfreiheit) kann das Intervall zwischen den Untersuchungen verlängert werden.

Führerscheingruppen

Es wird zwischen zwei Führerscheingruppen unterschieden:

  • Führerscheingruppe 1: Motorräder und PKW (A- und B-Klassen)
  • Führerscheingruppe 2: Lastkraftwagen und Fahrgastbeförderung (C- und D-Klassen)

Für die Führerscheingruppe 2 bestehen strengere Bestimmungen als für die Führerscheingruppe 1, begründet durch das höhere Risiko anfallsbedingter Unfälle und die mögliche größere Unfallschwere. Generell gilt, dass die Fahreignung für die Gruppe 2 nur dann erteilt werden darf, wenn der Betroffene keine Antiepileptika einnimmt.

Regelungen in der Führerscheingruppe 1

  • Erstmaliger Anfall: Nach einem unprovozierten, erstmaligen Anfall kann die Kraftfahreignung nach einer anfallsfrei gebliebenen Beobachtungszeit von 6 Monaten wieder bejaht werden, wenn die fachneurologische Abklärung keine Hinweise auf ein grundsätzlich erhöhtes Anfallsrisiko im Sinne einer beginnenden Epilepsie ergeben hat.
  • Provozierter Anfall: Sofern der Anfall an eine plausible anfallsauslösende Bedingung geknüpft war (z.B. ausgeprägter Schlafentzug oder akute Erkrankungen) und wenn diese Bedingungen nicht mehr gegeben sind, kann die Kraftfahreignung nach einer anfallsfrei gebliebenen Beobachtungszeit von 3 Monaten wieder bejaht werden.
  • Epilepsien: Wird die Diagnose einer Epilepsie gestellt (d.h. nach wiederholten Anfällen) ist eine mindestens 1-jährige Anfallsfreiheit die Voraussetzung für das Erlangen der Kraftfahreignung.
  • Ausschliesslich an den Schlaf gebundene Anfälle: Eine Fahreignung ist gegeben, wenn ausschließlich an den Schlaf gebundene Anfälle auftreten. Hierfür ist eine mindestens 3-jährige Beobachtungszeit erforderlich.
  • Ausschliesslich einfach-fokale Anfälle: Die Fahreignung ist auch gegeben, wenn ausschließlich einfach-fokale Anfälle auftreten, die ohne Bewusstseinsstörung und nicht mit motorischer, sensorischer oder kognitiver Behinderung für das Führen eines Kraftfahrzeug einhergehen. Hierzu ist eine mindestens einjährige Beobachtungszeit notwendig.

Regelungen in der Führerscheingruppe 2

  • Erstmaliger Anfall: Nach einem unprovozierten erstmaligen Anfall kann die Fahreignung nach einer anfallsfrei gebliebenen Beobachtungszeit von 2 Jahren wieder bejaht werden, wenn die fachneurologische Abklärung keine Hinweise auf ein grundsätzlich erhöhtes Anfallsrisiko im Sinne einer beginnenden Epilepsie ergeben hat.
  • Provozierter Anfall: Sofern der Anfall an eine plausible Anfalls-auslösende Bedingung geknüpft war und wenn diese Bedingungen nicht mehr gegeben sind, kann die Kraftfahreignung nach einer anfallsfrei gebliebenen Beobachtungszeit von 6 Monaten wieder bejaht werden.
  • Epilepsien: Wird die Diagnose einer Epilepsie gestellt (d.h. nach wiederholten Anfällen oder Hinweisen auf eine erhöhtes Wiederholungsrisiko nach einem 1. Anfall) bleibt die Kraftfahrereignung dauerhaft ausgeschlossen. Als Ausnahme gilt eine 5-jährige Anfallsfreiheit ohne antiepileptische Behandlung.

Kosten des Gutachtens

Die Kosten für ein verkehrsmedizinisches Gutachten sind vom Einzelfall abhängig. Die Art der Untersuchung beeinflusst die Kosten genauso wie die Wahl des Gutachters. Die Gebühren sollten im Vorfeld bei der entsprechenden Stelle erfragt werden. Unter Umständen können die Kosten für Gutachten als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder als Leistung zur sozialen Teilhabe bezahlt bekommen werden.

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Pflichten des Arztes und Eigenverantwortung des Patienten

Behandelnde Ärzte müssen ihre Patienten nach oder bei Krankheiten und Gesundheitsstörungen auf etwaige Einschränkungen der Fahrtauglichkeit durch die gesundheitlichen Probleme oder durch Nebenwirkungen von Medikamenten hinweisen. Ist die Fahrtauglichkeit nicht gegeben, so muss er dies dem Patienten in klarer und eindeutiger Weise gegenüber äußern und dies in der Akte dokumentieren. Grundsätzlich besteht ärztliche Schweigepflicht, aber es besteht ein Melderecht, aber keine Meldepflicht gegenüber den Straßenverkehrsbehörden.

Verlässlichkeit und ein hohes Maß an Eigenverantwortung sind somit Voraussetzung für eine ärztliche Beratung. Wer wegen einer Krankheit oder wegen eingenommener Medikamente über die eigene Fahrtauglichkeit unsicher ist, muss das Fahrzeug stehen lassen. Steuert eine fahruntaugliche Person dennoch ein Kraftfahrzeug, macht sie sich strafbar und haftet für etwaige Schäden.

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