Neue Sklerose-Krankheit Forschung: Fortschritte und Innovationen

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die sich bei jedem Patienten anders manifestiert. Obwohl moderne Therapien die Lebensqualität der Betroffenen verbessern können, ist MS bis heute nicht heilbar. Dies liegt vor allem daran, dass die genauen Ursachen der Erkrankung noch immer nicht vollständig verstanden sind. Die Forschung arbeitet jedoch kontinuierlich daran, neue Therapieansätze zu entwickeln und die Krankheit besser zu verstehen.

Neue Erkenntnisse über die Ursachen von MS

Ein US-Forschungsteam hat eine Entdeckung gemacht, die einen vielversprechenden Ansatz für zukünftige Therapien bieten könnte. Die Forscher beschreiben eine Art "Bremse", die die Reifung wichtiger Gehirnzellen steuert. Bei MS scheint diese Bremse zu lange angezogen zu bleiben. Wenn es gelingt, diese Bremse zu lösen und die Zellreifung zu steuern, könnte dies einen potenziellen Weg zur Reparatur der durch MS verursachten Schäden darstellen.

Im Fokus dieser Forschung stehen die Myelinscheiden im Gehirn, deren Schädigung zu den typischen Behinderungen bei MS führt. Oligodendrozyten, eine spezielle Art von Gliazellen, sind die einzigen Zellen, die diese Myelinscheiden reparieren können. Um die Ursache für den Verlust der Myelinscheiden bei MS zu finden, untersuchten die Forscher den Entwicklungsprozess der Oligodendrozyten. Dabei stießen sie auf das Protein SOX6, das wie eine Bremse wirkt und die Zellen in einem unreifen Zustand blockiert. Im Hirngewebe von MS-Patienten fanden die Forscher ungewöhnlich viele Zellen, die in diesem unreifen Zustand "steckengeblieben" waren. Dieser Befund war spezifisch für MS und trat nicht bei Alzheimer- oder Parkinson-Patienten auf.

Um die Funktion von SOX6 genauer zu untersuchen, setzten die Forscher ein molekulares Medikament namens Antisense-Oligonukleotid (ASO) ein, um SOX6 in Mausmodellen zu reduzieren. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Oligodendrozyten bei MS möglicherweise nicht dauerhaft zerstört, sondern lediglich in ihrer Reifung blockiert sind.

Risikofaktoren im Kindes- und Jugendalter

Wissenschaftler des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) und des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) haben im Rahmen der NAKO Gesundheitsstudie potenzielle Risikofaktoren für MS im Kindes- und Jugendalter untersucht. Ihre Analyse zeigt, dass häufige Infektionen in der Kindheit, belastende Lebensereignisse, ein höheres Alter der Mutter bei der Geburt des ersten Kindes sowie geringe körperliche Aktivität mit einem erhöhten MS-Risiko in Zusammenhang stehen könnten.

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KI-Analyse revolutioniert das Verständnis des Krankheitsverlaufs

Eine große internationale Studie unter Beteiligung der Universitätsklinik Freiburg und der Universität Oxford hat mithilfe von KI-gestützten Analysen über 8.000 Patientendaten mit mehr als 118.000 Visiten sowie mehr als 35.000 MRT-Aufnahmen ausgewertet. Das Ergebnis: MS ist kein starres System mit festen "MS-Typen" (schubförmig oder progredient), sondern ein kontinuierlicher Krankheitsprozess, der sich in verschiedene Zustände einteilen lässt.

Dieses neue Modell beschreibt MS als eine Abfolge von Zuständen mit spezifischen Übergangswahrscheinlichkeiten. Frühe, milde Zustände gehen meist über entzündliche Zwischenphasen in fortgeschrittene, irreversible Krankheitsstadien über. Bemerkenswert ist, dass ein direkter Übergang in die schweren Stadien ohne vorherige Entzündungsaktivität praktisch ausgeschlossen ist. Stille, symptomfreie Entzündungen oder klinische Schübe sind zentrale Treiber der Verschlechterung. Außerdem gilt: Wer einmal ein klinisch fortgeschrittenes Zustandsbild erreicht hat, kehrt nicht mehr in die frühen Stadien zurück.

Das bisherige System mit festen "MS-Typen" kann den Zugang zu Medikamenten erschweren, weil Therapien oft nur für bestimmte Verlaufsformen zugelassen sind. Das neue Modell könnte bei einer individuellen Risikoeinschätzung helfen. Statt Patienten zu kategorisieren, sollte man ihren Zustand quantifizieren und dynamisch verfolgen. Patienten mit aktiver, aber klinisch stummer Entzündungsaktivität benötigen nach diesem Modell frühzeitige Therapieentscheidungen.

Fortschritte in der Therapie

Seit der Einführung von Beta-Interferon-1b im Jahr 1993, dem ersten Medikament, das die Anzahl der Krankheitsschübe deutlich reduzieren und das Fortschreiten der Krankheit hinauszögern konnte, wurden enorme Fortschritte in der MS-Therapie erzielt. Heute stehen rund zwanzig verschiedene Substanzen für die verschiedenen Ausprägungen der Krankheit zur Verfügung.

Ein vielversprechender neuer Therapieansatz ist die CAR-T-Zelltherapie, die ursprünglich in der Onkologie entwickelt wurde. Bei dieser Therapie werden T-Zellen aus dem Blut der Patienten entnommen und im Labor genetisch verändert, sodass sie andere Immunzellen (B-Zellen) erkennen und unschädlich machen können, die sich bei Autoimmunerkrankungen gegen den eigenen Körper richten. Erste Erfolge mit CAR-T-Zellen wurden bereits bei MS erzielt.

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Daten belegen, dass es für Patienten mit schubförmiger MS langfristig von Vorteil sein kann, wenn rechtzeitig im frühen Stadium der MS hochwirksam therapiert wird. Arzneimittelinnovationen haben dazu beigetragen, die Schubrate deutlich zu senken und die schleichende MS besser zu behandeln. Neue Wirkstoffe zielen darauf ab, chronische Entzündungsprozesse zu bremsen und die Neurodegeneration zu verlangsamen. Ein sogenannter Bruton-Tyrosin-Kinase-Hemmer (BTKi) wird von der Fachwelt als möglicher Durchbruch in der Therapie der schleichenden MS gehandelt.

Dank der Fortschritte in der Forschung haben MS-Patienten heute eine gleich hohe Lebenserwartung wie Menschen ohne die Krankheit. Vor der Einführung der in den Krankheitsprozess eingreifenden Arzneimittel zeigten Studien, dass bei älteren Menschen bis zu sieben Lebensjahre verloren gehen können.

Die Bedeutung von Biomarkern

Ein zentrales Innovationsfeld sind Biomarker wie das Neurofilament-Leichtkettenprotein (NfL). Ein einfacher Bluttest kann NfL-Werte erfassen und so frühzeitig Krankheitsaktivität anzeigen - oft noch vor sichtbaren MRT-Veränderungen - und damit eine individuellere Therapieüberprüfung ermöglichen.

Hoffnung durch Tolebrutinib

Der Wirkstoff Tolebrutinib weckt große Hoffnungen für die Therapie der MS. Studien haben gezeigt, dass Tolebrutinib bei schubförmiger MS mindestens ebenso gut wie das Standardmedikament Teriflunomid akute Schübe reduziert. Darüber hinaus gab es deutliche Hinweise darauf, dass die Krankheit langsamer voranschreitet - auch unabhängig von Rückfällen. Eine weitere Studie belegte erstmals signifikant positive Effekte bei sekundär progredienter MS. Damit ist Tolebrutinib eines der wenigen Medikamente mit Wirkung bei dieser schwer behandelbaren Verlaufsform.

Diese Ergebnisse sind ein wichtiger Schritt in der MS-Therapie, da ein dringender Bedarf an Medikamenten besteht, die das Fortschreiten der Behinderung verlangsamen. Tolebrutinib kann die Krankheit bremsen, selbst wenn keine akuten Entzündungen sichtbar sind.

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Innovative Zelltherapie

Ein völlig neues Verfahren zur Behandlung der MS wurde mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) erfolgreich in einer klinischen Studie geprüft. Dabei werden die T-Zellen des Immunsystems dazu gebracht, ihre Angriffe auf die Myelinscheide der Nervenzellen einzustellen.

Aus dem Blut der MS-Patienten werden weiße Blutkörperchen entnommen und im Labor mit Peptiden, die Bestandteil der Myelinscheide sind, gekoppelt. Diese veränderten Leukozyten werden den Patienten wieder verabreicht. Im Körper entwickeln die T-Zellen eine Immuntoleranz gegenüber den Myelinpeptiden, sodass sie diese nicht mehr als fremd erkennen.

Die Ergebnisse der klinischen Studie zeigen, dass die Therapie von allen Patienten gut vertragen wurde und keine Hinweise auf Sicherheitsrisiken auftraten. Bei den Patienten, die eine hohe Dosierung erhalten hatten, konnten sogar positive Effekte auf den Krankheitsverlauf beobachtet werden.

Der Einfluss des Darms

Zwillingsstudien deuten darauf hin, dass Mikroorganismen des Darms eine Rolle bei der Entstehung von MS spielen könnten. Forschende haben Stuhlproben und Mikroorganismen direkt aus dem Dünndarm eineiiger Zwillinge untersucht, bei denen nur ein Zwilling an MS erkrankt ist. Dabei konnten sie erstmals Lachnoclostridium und Eisenbergiella tayi als potenzielle krankheitsauslösende Bakterien in den Darmproben der an MS erkrankten Zwillinge identifizieren.

Diese Studie zeigt, wie sich krankmachende Bakterien identifizieren lassen und könnte langfristig den Weg zu neuen Therapieansätzen im Menschen aufzeigen.

Personalisierte Therapieentscheidung

Eine Studie unter Leitung der Universität Münster hat einen genetischen Biomarker identifiziert, der vorhersagt, ob MS-Patienten besonders gut auf eine Behandlung mit Glatirameracetat (GA) ansprechen. Menschen mit dem Gewebetyp HLA-A*03:01 profitieren demnach signifikant stärker von GA als von Interferon-beta (IFN).

Mit diesem genetischen Marker lässt sich vor Therapiebeginn vorhersagen, ob Glatirameracetat oder Interferon die wahrscheinlich bessere Wahl ist. Dies ist ein entscheidender Fortschritt für die personalisierte MS-Behandlung.

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