Die Polyneuropathie und die Myopathie sind beides neuromuskuläre Erkrankungen, die das periphere Nervensystem bzw. die Muskulatur betreffen. Obwohl sie unterschiedliche Strukturen angreifen, können sich ihre Symptome überschneiden, was die Diagnose erschweren kann. Dieser Artikel beleuchtet die Unterschiede zwischen Polyneuropathie und Myopathie, ihre Ursachen, Diagnosemethoden und Behandlungsansätze.
Einführung
Neuromuskuläre Erkrankungen umfassen ein breites Spektrum von Störungen, die das periphere Nervensystem, die neuromuskuläre Endplatte und/oder die quergestreifte Muskulatur beeinträchtigen. Pathogenetisch liegt diesen Erkrankungen eine Störung der elektrischen Erregungsfortleitung entlang des Axons, eine neuromuskuläre Übertragungsstörung oder eine strukturelle Schädigung von Nerven- oder Muskelfasern zugrunde. Die Unterscheidung zwischen Polyneuropathie und Myopathie ist entscheidend für die Wahl der geeigneten Therapie und die Prognose des Patienten.
Polyneuropathie
Definition und Ursachen
Die Polyneuropathie ist eine Erkrankung, die mehrere periphere Nerven betrifft. Die peripheren Nerven sind für die Übertragung von Signalen zwischen dem Gehirn und dem Rückenmark und dem Rest des Körpers verantwortlich. Sie steuern Muskelbewegungen, Empfindungen und autonome Funktionen wie Schwitzen und Verdauung.
Die Ursachen für Polyneuropathien sind vielfältig. Diabetes mellitus und chronischer Alkoholkonsum sind für etwa 50 % aller Fälle verantwortlich. Andere Ursachen sind:
- Genetische Faktoren: Hereditäre motorisch-sensible Neuropathien (HMSN), wie die Charcot-Marie-Tooth-Krankheit.
- Autoimmunerkrankungen: Guillain-Barré-Syndrom (GBS), chronisch-inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP).
- Infektionen: Campylobacter jejuni (GBS).
- Toxische Substanzen: Alkohol, Medikamente.
- Stoffwechselstörungen: Diabetes mellitus, Hypokaliämie, Porphyrie.
- Maligne Erkrankungen: Paraneoplastische Polyneuropathie.
Symptome
Die Symptome einer Polyneuropathie können je nach betroffenem Nerventyp variieren. Häufige Symptome sind:
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- Sensible Störungen: Taubheitsgefühl, Kribbeln, Brennen, Schmerzen, gestörte Temperatur- oder Schmerzempfindung, Lagesinnstörung.
- Motorische Störungen: Muskelschwäche, Lähmungen, Muskelkrämpfe.
- Autonome Störungen: Herzrhythmusstörungen, Magen-Darm-Beschwerden, Störungen der Schweißsekretion, orthostatische Hypotonie.
Diagnose
Die Diagnose einer Polyneuropathie umfasst eine umfassende Anamnese, neurologische Untersuchung und elektrophysiologische Tests.
- Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte, einschließlich möglicher Ursachen wie Diabetes, Alkoholkonsum oder Medikamenteneinnahme.
- Neurologische Untersuchung: Beurteilung der Muskelkraft, Sensibilität, Reflexe und Koordination.
- Elektrophysiologie:
- Neurographie: Messung der Nervenleitgeschwindigkeit, um Schädigungen der Nervenfasern festzustellen.
- Elektromyographie (EMG): Untersuchung der elektrischen Aktivität der Muskeln, um Muskelschäden oder Nervenfunktionsstörungen zu erkennen.
- Laboruntersuchungen: Blutuntersuchungen zur Identifizierung möglicher Ursachen wie Diabetes, Vitaminmangel oder Autoimmunerkrankungen.
- Liquoruntersuchung: Analyse des Nervenwassers, um Entzündungen oder Infektionen auszuschließen.
- Nervenbiopsie: In seltenen Fällen kann eine Nervenbiopsie erforderlich sein, um die Diagnose zu bestätigen oder die Ursache der Polyneuropathie zu ermitteln.
Behandlung
Die Behandlung der Polyneuropathie richtet sich nach der zugrunde liegenden Ursache.
- Behandlung der Grunderkrankung: Bei Diabetes mellitus ist eine engmaschige Blutzuckerkontrolle wichtig. Bei Alkoholkonsumstörung ist absolute Alkoholkarenz erforderlich.
- Symptomatische Therapie: Schmerzmittel, Antikonvulsiva, Antidepressiva zur Linderung von Schmerzen und neuropathischen Beschwerden.
- Immuntherapie: Plasmapherese oder intravenöse Immunglobuline bei Autoimmunerkrankungen wie GBS oder CIDP.
- Physiotherapie: Verbesserung der Muskelkraft und Koordination.
- Ergotherapie: Anpassung des Alltags an die Einschränkungen durch die Polyneuropathie.
Myopathie
Definition und Ursachen
Myopathien sind Erkrankungen, die die Muskulatur direkt betreffen. Sie können erblich bedingt oder erworben sein.
Die Ursachen für Myopathien sind vielfältig:
- Genetische Faktoren: Muskeldystrophien (z.B. Duchenne-Muskeldystrophie), metabolische Myopathien, myotone Dystrophien.
- Autoimmunerkrankungen: Polymyositis, Dermatomyositis, Einschlusskörperchen-Myositis.
- Infektionen: Virale oder bakterielle Myositis.
- Toxische Substanzen: Medikamente (z.B. Statine), Alkohol.
- Endokrine Störungen: Hypothyreose, Hyperthyreose.
- Elektrolytstörungen: Hypokaliämie, Hyperkaliämie.
- Critical-Illness Myopathie (CIM): Muskelschwäche, die im Rahmen einer schweren Erkrankung auf der Intensivstation auftritt.
Symptome
Die Hauptsymptome einer Myopathie sind Muskelschwäche, Muskelschmerzen und Muskelschwund. Weitere Symptome können sein:
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- Schwierigkeiten beim Aufstehen und Treppensteigen.
- Schwäche der Kopfbeugung und -streckung.
- Ermüdbarkeit.
- Muskelkrämpfe.
- Schluckbeschwerden.
- Atembeschwerden.
- Kardiomyopathie (bei einigen Myopathien).
Diagnose
Die Diagnose einer Myopathie umfasst eine umfassende Anamnese, neurologische Untersuchung, Laboruntersuchungen, elektrophysiologische Tests und Muskelbiopsie.
- Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte, einschließlich möglicher Ursachen wie familiärer Vorbelastung, Medikamenteneinnahme oder Grunderkrankungen.
- Neurologische Untersuchung: Beurteilung der Muskelkraft, Reflexe, Sensibilität und Koordination.
- Laboruntersuchungen:
- Kreatinkinase (CK): Erhöhte CK-Werte im Blut deuten auf Muskelschäden hin.
- Muskelenzyme: Bestimmung anderer Muskelenzyme wie Aldolase, Laktatdehydrogenase (LDH) und Aspartat-Aminotransferase (AST).
- Autoantikörper: Nachweis von Autoantikörpern bei Autoimmunmyopathien.
- Genetische Tests: Identifizierung von Genmutationen bei erblichen Myopathien.
- Elektrophysiologie:
- Elektromyographie (EMG): Untersuchung der elektrischen Aktivität der Muskeln, um Muskelschäden oder Nervenfunktionsstörungen zu erkennen.
- Muskelbiopsie: Entnahme einer Muskelprobe zur mikroskopischen Untersuchung, um die Art der Myopathie zu bestimmen.
- Bildgebende Verfahren: Magnetresonanztomographie (MRT) der Muskeln, um Muskelveränderungen zu visualisieren.
Behandlung
Die Behandlung der Myopathie richtet sich nach der zugrunde liegenden Ursache.
- Behandlung der Grunderkrankung: Bei Autoimmunmyopathien kommen Immunsuppressiva wie Kortikosteroide, Azathioprin oder Methotrexat zum Einsatz. Bei endokrinen Myopathien wird die Hormonstörung behandelt.
- Symptomatische Therapie: Schmerzmittel, Physiotherapie, Ergotherapie zur Verbesserung der Muskelkraft und Koordination.
- Gentherapie: Bei einigen erblichen Myopathien gibt es vielversprechende Ansätze zur Gentherapie.
- Ernährungstherapie: Anpassung der Ernährung an die Bedürfnisse des Patienten.
- Unterstützende Maßnahmen: Atemtherapie bei Beteiligung der Atemmuskulatur, Herzschrittmacher bei Kardiomyopathie.
Critical-Illness Polyneuropathie und Myopathie (CIPM)
Die Critical-Illness Polyneuropathie (CIP) und die Critical-Illness Myopathie (CIM) sind erworbene neuromuskuläre Erkrankungen, die häufig bei Patienten auf der Intensivstation auftreten. Sie sind durch Muskelschwäche, Atrophie und Schwierigkeiten bei der Entwöhnung von der Beatmung gekennzeichnet.
Ursachen und Risikofaktoren
Die genauen Ursachen von CIP und CIM sind noch nicht vollständig geklärt. Zu den Risikofaktoren gehören:
- Sepsis.
- Multiorganversagen.
- Längere Beatmung.
- Einsatz von bestimmten Medikamenten (z.B. Kortikosteroide, Muskelrelaxantien).
- Hyperglykämie.
- Mangelernährung.
Diagnose
Die Diagnose von CIP und CIM basiert auf der klinischen Untersuchung, elektrophysiologischen Tests und Muskelbiopsie.
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- Klinische Untersuchung: Beurteilung der Muskelkraft, Reflexe und Sensibilität.
- Elektrophysiologie: Neurographie und EMG zur Unterscheidung zwischen CIP und CIM.
- Muskelbiopsie: In einigen Fällen kann eine Muskelbiopsie erforderlich sein, um die Diagnose zu bestätigen.
Behandlung
Die Behandlung von CIP und CIM ist hauptsächlich unterstützend.
- Frühzeitige Mobilisierung: Physiotherapie und Ergotherapie zur Verbesserung der Muskelkraft und Koordination.
- Optimierung der Ernährung: Ausreichende Zufuhr von Kalorien und Proteinen.
- Kontrolle des Blutzuckerspiegels: Vermeidung von Hyperglykämie.
- Vermeidung von Risikofaktoren: Reduktion des Einsatzes von potenziell schädlichen Medikamenten.
- Behandlung der Grunderkrankung: Behandlung der Sepsis oder des Multiorganversagens.
Differenzialdiagnose
Die Differenzialdiagnose zwischen Polyneuropathie und Myopathie kann schwierig sein, da sich die Symptome überschneiden können. Eine sorgfältige Anamnese, neurologische Untersuchung und elektrophysiologische Tests sind entscheidend, um die richtige Diagnose zu stellen.
| Merkmal | Polyneuropathie | Myopathie |
|---|---|---|
| Betroffene Struktur | Periphere Nerven | Muskulatur |
| Symptome | Sensible und motorische Störungen, autonome Störungen | Muskelschwäche, Muskelschmerzen, Muskelschwund |
| CK-Wert | Normal | Erhöht (in der Regel) |
| Neurographie | Auffällig (verlangsamte Nervenleitgeschwindigkeit) | Normal |
| EMG | Auffällig (Hinweise auf Nervenschädigung) | Auffällig (Hinweise auf Muskelschädigung) |
| Muskelbiopsie | Normal (in der Regel) | Auffällig (Hinweise auf Muskelschädigung) |
Neurologische Rehabilitation bei PICS
Auch wenn die Grunderkrankung, die zum Krankenhausaufenthalt führte, keine neurologische war, ist bei Vorliegen eines Post-Intensive-Care-Syndroms (PICS) mit Schädigung der Nerven, der Muskeln und/oder der kognitiven Leistungsfähigkeit eine neurologische Rehabilitation wichtig. Je nach Ausprägung der Symptome werden Patienten in der Frührehabilitation Phase B, in der postprimären Rehabilitation Phase C oder in der Anschlussheilbehandlung Phase D betreut. Das Behandlungsspektrum reicht von der Beatmungsentwöhnung und Entwöhnung von einer Trachealkanüle, der Schlucktherapie mit dem Ziel des oralen Kostaufbaus, der Physiotherapie zur Mobilisation in Sitz, Stand und Gang, der Ergotherapie zum Erlangen einer größtmöglichen Alltagsselbständigkeit bis hin zur neuropsychologischen Diagnostik und Therapie.
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