Multiple Sklerose (MS), bekannt als die "Krankheit mit den 1000 Gesichtern", ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die Gehirn und Rückenmark betrifft. Sie nimmt unter den Erkrankungen, die einen Pflegegrad hervorrufen, eine Sonderrolle ein, da sie ein vielfältiges Beschwerdebild aufweist und Patienten oft in vergleichsweise jungem Alter erkranken. Der Verlauf der MS ist sehr individuell und kann von einzelnen oder wiederkehrenden Krankheitsepisoden bis zu raschen Verläufen reichen. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die Prophylaxe der Multiplen Sklerose, einschließlich der verschiedenen Therapieansätze und begleitenden Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität.
Was ist Multiple Sklerose?
Multiple Sklerose (MS) ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das körpereigene Immunsystem das schützende Gewebe (Myelin) um die Nervenzellen im Gehirn und Rückenmark angreift und zerstört. Dieser Prozess wird als Demyelinisierung bezeichnet. Je nachdem, welche Nervenbahnen betroffen sind, können verschiedene Symptome auftreten. Bei manchen Menschen verläuft die Erkrankung schleichend, bei anderen in Schüben, wobei die Symptome teilweise wieder verschwinden können. Die genaue Ursache der MS ist noch unbekannt, aber es gibt Hinweise auf eine erbliche Veranlagung sowie auf Umweltfaktoren, die eine Rolle spielen könnten.
Häufigkeit
MS ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen. Etwa 4 von 100.000 Personen erkranken pro Jahr. Betroffen ist vor allem das mittlere Lebensalter, wobei Frauen fast doppelt so häufig erkranken wie Männer. In Deutschland wird die Anzahl der MS-Erkrankten auf etwa 252.000 geschätzt, mit etwa 14.600 Neudiagnosen pro Jahr.
Symptome
Die Symptome der MS sind höchst vielgestaltig und können von Sehstörungen über Lähmungen, Gefühlsstörungen und Gleichgewichtsstörungen bis hin zu Störungen von Blase und Mastdarm reichen. Auch psychische Veränderungen und Schmerzen können auftreten. Die Störungen können entweder schubweise auftreten und sich dann auch wieder zurückbilden oder sich schleichend entwickeln.
Typische Manifestationen und Symptome sind:
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- Optikusneuritis (Entzündung des Sehnervs) mit Sehstörungen
- Störungen der Okulomotorik (Augenbewegungsstörungen) mit Doppelbildern
- Motorische Störungen: zentrale Paresen (Lähmungen), spastische Tonuserhöhung
- Ataxie (Koordinationsstörungen)
- Sensibilitätsstörungen: Parästhesien (Kribbeln, Taubheitsgefühle), Hypästhesien (verminderte Empfindlichkeit)
- Zerebelläre Symptome: Intentionstremor (Zittern bei Bewegung), Nystagmus (Augenzittern), skandierende Sprache
- Vegetative Symptome: Miktionsstörungen (Blasenfunktionsstörungen), Störungen der Sexualfunktion
- Kognitive Veränderungen: Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
- Affektive Veränderungen: Depressionen, inadäquate Euphorie
- Uhthoff-Phänomen: wärmeinduzierte Zunahme der Beschwerden
- Schmerzen
- Spastik (Muskelverkrampfung)
- Fatigue (Erschöpfung)
Diagnose
Die Diagnose der MS kann anhand der charakteristischen Verlaufsmuster sowie der Störungen, die auf Schädigungen an verschiedenen Stellen des Zentralnervensystems hinweisen, vermutet werden. Gesichert wird sie durch den Nachweis von Entzündungsherden im Magnetresonanztomogramm (MRT) des Schädels und von entzündlichen Veränderungen im Liquor cerebrospinalis ("Nervenwasser"). Elektrophysiologische Untersuchungen können Hinweise auf weitere Schäden liefern und die Diagnose stützen. Die Diagnose wird üblicherweise nach den international anerkannten McDonald-Kriterien gestellt.
Therapie der Multiplen Sklerose
Die Therapie der MS gliedert sich in die Behandlung akuter Schübe, eine vorbeugende Behandlung (Prophylaxe), um Schübe und Behinderung langfristig zu verhindern, und eine symptomatische Therapie.
Schubtherapie
In der Schubtherapie werden meist hochdosierte, intravenös gegebene Kortikosteroidpräparate ("Kortison") eingesetzt. Bei der Gabe von Kortison werden zusätzlich Medikamente verabreicht, die Magengeschwüren vorbeugen.
Prophylaxe
Das Ziel einer jeden Therapie ist, das Widerauftreten von Krankheitsschüben zu verhindern (Prophylaxe). Welches Präparat zur Vorbeugung in Frage kommt, muss bei jedem Patienten individuell eingeschätzt werden und erfordert eine ausführliche Aufklärung über Wirkungsmechanismen und mögliche Nebenwirkungen. Das gilt besonders bei bestehendem Kinderwunsch oder vorliegenden Begleiterkrankungen.
In erster Linie werden Medikamente (Interferone oder Glatirameracetat) eingesetzt, die sich die Patienten selbst unter die Haut oder in den Muskel injizieren. Wenn es trotz dieser Präparate weiterhin zu Krankheitsschüben kommt, werden heute neue Präparate verwendet, die zum Teil auch als Tabletten eingenommen werden können. Hierzu zählen die Fumarsäure oder das Fingolimod. Diese Wirkstoffe unterdrücken die Immunabwehr sehr stark, so dass das Auftreten von infektiösen Krankheiten möglich ist.
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Für die Eskalationstherapie stehen sowohl Natalizumab als auch Fingolimod zur Verfügung. Mitoxantron wird als Infusionslösung alle 3 Monate verabreicht. Natalizumab wird ebenfalls als Infusionslösung verabreicht, wobei die Intervalle zwischen den Infusionen jeweils 4 Wochen betragen. Fingolimod ist die erste Tablettentherapie für die schubförmige Multiple Sklerose.
In zwei randomisierten Studien an Patienten mit schubförmiger MS führte eine Therapie mit Ofatumumab zu niedrigeren jährlichen Schubraten als Teriflunomid. Ofatumumab, ein subkutaner monoklonaler Anti-CD20-Antikörper, führt zu einer selektiven Depletion von B-Zellen. Teriflunomid ist ein oraler Inhibitor der Pyrimidinsynthese und reduziert die Aktivierung von T-Zellen und B-Zellen. Die jährliche Schubrate betrug in Studie 1 mit Ofatumumab 0,11 und mit Teriflunomid 0,22 (Differenz -0,11; 95%-Konfidenzintervall [KI] -0,16 bis -0,06; p < 0,001), in Studie 2 mit Ofatumumab 0,10 und mit Teriflunomid 0,25 (Differenz -0,15; 95%-KI -0,20 bis -0,09; p < 0,001).
Symptomatische Therapie
Die symptomatische Therapie zielt darauf ab, die verschiedenen Symptome der MS zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Dazu gehören:
- Medikamente zur Behandlung von Spastik: Baclofen, Tizanidin
- Medikamente zur Behandlung von Schmerzen: Antidepressiva, Antikonvulsiva
- Medikamente zur Behandlung von Fatigue: Amantadin, Modafinil
- Physiotherapie: zur Verbesserung der Beweglichkeit und Koordination
- Ergotherapie: zur Verbesserung der Alltagsfähigkeiten
- Logopädie: zur Behandlung von Sprach- und Schluckstörungen
- Psychotherapie: zur Bewältigung von Depressionen und Angstzuständen
Weitere prophylaktische Maßnahmen
Neben der medikamentösen Therapie gibt es eine Reihe von weiteren Maßnahmen, die dazu beitragen können, den Verlauf der MS positiv zu beeinflussen:
- Bewegung: Regelmäßige körperliche Aktivität kann Müdigkeit und Spastiken reduzieren und die Denkleistung fördern. Empfohlen werden zwei- bis dreimal die Woche Ausdauertraining von jeweils 40 Minuten.
- Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit viel Ballaststoffen, guten Ölen und Antioxidantien kann entzündliche Prozesse im Körper positiv beeinflussen.
- Entspannungstechniken: Einige MS-Betroffene profitieren von Entspannungstechniken wie Bio-Feedback.
- Soziale Kontakte: Isolation sollte vermieden werden. Es ist wichtig, soziale Kontakte zu pflegen und so lange wie möglich berufstätig zu bleiben. Verschiedene Reha-Träger können den Berufsalltag erleichtern.
- Vitamin D: Eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung kann möglicherweise vor MS schützen.
- Rauchen: Nikotin scheint ein Risikofaktor bei der Krankheitsentstehung zu sein und sollte vermieden werden.
Pflege bei Multipler Sklerose
Die Pflege von MS-Betroffenen stellt für viele Pflegende eine besondere emotionale Herausforderung dar, da die Multiple Sklerose häufig bereits junge Menschen zwischen 20 und 40 Jahren betrifft. Zudem benötigt jede:r Betroffene unterschiedlich viel Pflege bei MS. Die notwendigen Pflegeleistungen können zum Beispiel folgende Bereiche beinhalten:
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- Kleinere Hilfsmittel, wie dickeres Besteck oder Schuhe ohne Schnürsenkel
- Das Vorschneiden oder Pürieren von Essen
- Transport zu (Arzt-)Terminen, Hobbys, Beruf und Verabredungen
- Unterstützung beim Umsetzen in einen Rollstuhl
- Die Pflege bettlägeriger Patient:innen, Körperpflege und Lagerungsmaßnahmen
In allen Situationen wird heutzutage aktivierende Pflege empfohlen. Dies bedeutet, Betroffene werden so viel wie nötig unterstützt - darüber hinaus sollen sie allerdings alles selbst tun, was möglich ist. Speziell bei MS variieren die Symptome häufig stark im Tagesverlauf.
Die Entscheidung, ob Angehörige die Pflege auf sich nehmen oder ob eine professionelle Pflegekraft in Anspruch genommen wird, sollte gut überlegt werden. Es ist sinnvoll, zusätzlich zum Pflegegrad einen Grad der Behinderung zu beantragen.
Umgang mit MS - Tipps für Betroffene
- Versuchen Sie sich auch mit Mobilitätseinschränkungen, viel zu bewegen. Damit dies gelingt, ist eine gute Versorgung mit Gehhilfen wichtig.
- Körperliche Aktivität kann Müdigkeit und Spastiken reduzieren und die Denkleistung fördern.
- Machen Sie zwei- bis dreimal die Woche Ausdauertraining von jeweils 40 Minuten.
- Einige MS-Betroffene profitieren von Entspannungstechniken, wie zum Beispiel Bio-Feedback.
- Isolieren Sie sich nicht. Suchen Sie den sozialen Kontakt. Bleiben Sie so lange wie möglich berufstätig. Verschiedene Reha-Träger können Ihnen den Berufsalltag erleichtern.
Umgang mit MS - Tipps für Angehörige
- Informieren Sie sich ausführlich über die Krankheit.
- Nehmen Sie Pflegekurse von der Pflegekasse in Anspruch.
- Bleiben Sie positiv. Auch mit MS haben Sie und Ihr Angehöriger noch viele schöne Momente im Leben.
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