Jährlich erleiden in Deutschland etwa 260.000 Menschen einen Schlaganfall. Ein erheblicher Teil dieser Betroffenen, nämlich drei bis vier Prozent, erleidet innerhalb eines Jahres einen erneuten Schlaganfall. Diese wiederholten Schlaganfälle, auch Rezidive genannt, sind oft mit schwerwiegenderen Langzeitfolgen und einer höheren Sterblichkeit verbunden. Die SANO-Studie (Strukturierte Ambulante Nachsorge nach Schlaganfall) hat untersucht, wie durch ein strukturiertes Nachsorgeprogramm die ambulante Versorgung nach einem Schlaganfall optimiert und somit die Rate an Rezidiven gesenkt werden kann.
Hintergrund: Schlaganfall als chronische Erkrankung
Die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft e.V. (DSG) betont, dass ein Schlaganfall als chronische Erkrankung verstanden werden muss, die eine langfristige und engmaschige Betreuung erfordert, ähnlich wie bei anderen chronischen "Volkskrankheiten" wie Diabetes, COPD oder Asthma. Langfristige Verbesserungen bei Schlaganfall-Betroffenen sind häufig nur durch eine Kombination von Lebensstilveränderungen und Medikamenten zu erreichen, die konsequent eingehalten bzw. eingenommen werden müssen. Etwa 20 % der Betroffenen erleiden innerhalb von fünf Jahren nach dem ersten Ereignis einen erneuten Schlaganfall. Bis zu 50 % dieser Rezidive könnten durch eine optimierte Behandlung kardiovaskulärer Risikofaktoren verhindert werden.
Die SANO-Studie: Einblicke in die strukturierte Nachsorge
Die SANO-Studie ist ein bundesweites Projekt, das die Effektivität einer strukturierten Nachsorge nach Schlaganfall untersucht. An der Studie nahmen rund 2.800 Schlaganfall-Patientinnen und -Patienten in 30 Regionen Deutschlands teil. Ziel des Projekts ist die Verbesserung der ambulanten Weiterversorgung nach einem Schlaganfall mit einer gezielten Diagnostik und Therapie von Komplikationen, um wiederholte Schlaganfälle zu verhindern.
Studiendesign und Methodik
Die teilnehmenden Patientinnen und Patienten wurden in zwei Gruppen unterteilt: Eine Gruppe erhielt die übliche Standardversorgung, während die andere Gruppe an einem strukturierten Nachsorgeprogramm teilnahm. Dieses Programm umfasste eine ausführliche Beratung in Form von Studienvisiten, in denen die Patienten individuelle Gesundheitsziele festlegten. Die Nachbeobachtungszeit betrug ein Jahr.
In Frankfurt Höchst umfasste das SANO-Team unter der Leitung von Prof. Dr. Thorsten Steiner ein sektorenübergreifendes Netzwerk, bestehend aus der Klinik für Neurologie sowie Haus- und Fachärzten, einem Schlaganfallkoordinator und einer geschulten Schlaganfallpflegekraft, der „Stroke Nurse“, sowie Therapeuten und Diätassistenten. Die beteiligten Patienten erhielten im Klinikum ein Jahr lang eine ausführliche Beratung in Form von Studienvisiten, in denen sie sich selbst individuelle Gesundheitsziele mit Einbeziehung ihrer Angehörigen setzten. Insgesamt nahmen 114 Patienten der Neurologischen Klinik an der Studie teil.
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Ergebnisse der SANO-Studie
Die Ergebnisse der SANO-Studie zeigen, dass durch eine strukturierte Nachbetreuung im ersten Jahr nach dem Schlaganfall eine Senkung der kardiovaskulären Risikofaktoren erreicht werden konnte. Das bedeutet, dass die Betroffenen besser in Bezug auf Blutdruck, Blutzucker oder Cholesterin eingestellt waren. Bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der strukturierten Nachsorge konnten mehrere Gefäßrisikofaktoren nachweislich verringert werden (3). Bei der Nachbeobachtungszeit, die ein Jahr dauerte, traten zudem seltener Todesfälle auf. Allerdings zeigte sich hier kein Unterschied bei der Rate der Schlaganfall-Rezidive oder Herzinfarkte. Dies könne jedoch an der Kürze der Nachbeobachtungszeit liegen.
Prof. Jürgen Faiss, Geschäftsführer der DSG, fasst die Ergebnisse zusammen: „Das galt insbesondere für das Rauchen und die Cholesterinwerte. Beim Blutdruck, Diabetes mellitus, körperlicher Aktivität und Ernährung zeigten sich zudem positive Trends.“
Bedeutung der Risikofaktorenkontrolle
Einer der wichtigsten Risikofaktoren für einen Schlaganfall ist Bluthochdruck. „Durch eine gute Blutdruckeinstellung wären ca. 50 Prozent der Schlaganfälle vermeidbar", betont Prof. Dr. Steiner. Das Studienpersonal der Klinik traf die am Projekt beteiligten Patienten während fünf ambulanter Visiten, um über die persönlichen Risikofaktoren, noch bestehende neurologische Defizite und die Maßnahmen der Sekundärprävention inklusive der Arzneimitteltherapie zu sprechen und zu beraten. Im Mittelpunkt dieser Gespräche standen die persönlichen Gesundheitsziele wie Blutdruckeinstellung, Rauchentwöhnung, Ernährungsumstellung und Bewegungssteigerung.
Telefonische Nachsorgevisiten als Ergänzung
Die SANO-Studie hat auch gezeigt, dass telefonische Nachsorgevisiten eine effektive Ergänzung zur persönlichen Betreuung sein können. „In Zukunft könnte man Schlaganfallpatienten möglicherweise ergänzende telefonische Nachsorgevisiten anbieten, da diese effektiver sind als zuvor vermutet. Sie sind zudem eine gute Alternative für weniger mobile Patienten“, fasst Studienärztin Mari-Carmen Lichti zusammen. Persönliche Visiten würden allerdings weiterhin benötigt, um genauere Untersuchungen durchzuführen.
SANO EXTEND: Langzeitbeobachtung
Um die langfristigen Auswirkungen der strukturierten Nachsorge zu untersuchen, wurde die SANO EXTEND-Studie initiiert. In dieser Studie werden die Teilnehmer der ursprünglichen SANO-Studie fünf bis sechs Jahre nach ihrem ersten ischämischen Schlaganfall telefonisch oder postalisch zu ihrem allgemeinen Gesundheitszustand, ihrer Lebensqualität und ihren Risikofaktoren befragt.
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Folgerungen und Ausblick
Die SANO-Studie verdeutlicht, dass Schlaganfallversorgung nicht mit der Entlassung aus der Klinik endet, sondern eine langfristige, strukturierte Betreuung erfordert. Die Ergebnisse legen nahe, dass durch eine gezielte Nachsorge die Risikofaktoren für einen erneuten Schlaganfall reduziert und somit die Gesundheit der Betroffenen langfristig verbessert werden kann.
Die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft fordert daher eine Verbesserung der Schlaganfallnachsorge und plädiert für eine umfassende Betreuung der Patientinnen und Patienten in einem lokalen Behandlungsnetzwerk, das in engem Austausch mit der hausärztlichen Praxis steht. Je nach Bedarf sollten Ärztinnen und Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen ebenso in die Nachsorge involviert sein wie Pflegende, Therapeutinnen und Therapeuten sowie gesundheitsnahe Dienstleister.
Die Bundesregierung hat das Vorhaben, die Betreuung chronisch Kranker durch Patientenlotsen zu verbessern, in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen. Dies unterstreicht die Bedeutung einer strukturierten und koordinierten Nachsorge für Schlaganfallpatienten und andere chronisch Kranke. Es bleibt abzuwarten, ob sich langfristige Effekte in Bezug auf Schlaganfallrezidive, Herzinfarkte und Todesfälle in der SANO EXTEND-Studie zeigen werden.
Die Bedeutung der SANO-Studie für die Zukunft der Schlaganfallversorgung
Die SANO-Studie liefert wichtige Erkenntnisse für die Weiterentwicklung der Schlaganfallversorgung in Deutschland. Sie zeigt, dass eine strukturierte, sektorenübergreifende Nachsorge einen positiven Einfluss auf die Risikofaktorenkontrolle und die Lebensqualität von Schlaganfallpatienten haben kann. Die Studienergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, Schlaganfall als chronische Erkrankung zu betrachten und langfristige Betreuungsangebote zu schaffen, die auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten zugeschnitten sind.
Das varisano Klinikum Frankfurt Höchst
Das varisano Klinikum Frankfurt Höchst ist ein leistungsstarker Maximalversorger im größten kommunalen Klinikverbund der Region, der varisano Kliniken Frankfurt Main-Taunus GmbH. In den 22 Kliniken, Instituten und Fachabteilungen werden am Standort Frankfurt Höchst jährlich mehr als 37.000 stationäre und 100.000 ambulante Patienten versorgt. Über 2.000 Mitarbeiter setzen sich täglich mit modernster Diagnostik und Therapie für die Gesundheit der uns anvertrauten Patienten ein. Fünf Schulen für pflegerische und nichtärztliche medizinische Fachberufe leisten einen wichtigen Beitrag zum Ausbildungsangebot in der Region.
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Beteiligte Institutionen und Experten
Die SANO-Studie wurde am Institut für Klinische Epidemiologie und Biometrie (IKE-B) mitkoordiniert. Zu den beteiligten Experten gehören:
- Institut für Klinische Epidemiologie und Biometrie (IKE-B) der Universität Würzburg: Prof. Dr. Peter U. Heuschmann
- Neurologische Klinik Klinikum der Stadt Ludwigshafen a.Rh.: Dr. med. Christopher Schwarzbach
- Klinikum Frankfurt Höchst: Prof. Dr. Thorsten Steiner, Diana Isabella Dmytrow, Mari-Carmen Lichti, Jana Zarzitzky, Dr. rer. nat. Melanie Ferschke
- Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft e.V. (DSG): Prof. Dr. med. Darius Nabavi, Professor Dr. med. Jürgen H. Faiss
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