Der Schlaganfall stellt eine akute Erkrankung von erheblicher Bedeutung dar. Die Notwendigkeit einer flächendeckenden Notfallversorgung bei Schlaganfällen ist aus gesundheitsökonomischer Sicht unumstritten. In Deutschland erleiden jährlich etwa 200.000 Menschen einen erstmaligen und 70.000 einen wiederholten Schlaganfall.
Einführung
Diese Leitlinie befasst sich mit den Medikamenten und Richtlinien für den Rettungsdienst bei Schlaganfällen. Ein Schlaganfall, definiert als eine plötzliche Schädigung des Hirngewebes aufgrund eines Gefäßverschlusses oder einer Hirnblutung, erfordert schnelles Handeln, um die bestmöglichen Ergebnisse für die Betroffenen zu erzielen.
Definition und Arten des Schlaganfalls
Ein Schlaganfall wird definiert als eine gefäßbedingte Erkrankung des Gehirns, die durch eine plötzlich auftretende Schädigung von Hirngewebe aufgrund eines Gefäßverschlusses oder einer Hirnblutung gekennzeichnet ist. Es gibt zwei Hauptarten von Schlaganfällen:
- Ischämischer Schlaganfall: Verursacht durch eine Verengung oder einen vollständigen Verschluss einer Hirnarterie, was zu einer Minderversorgung des Gehirns mit Sauerstoff und Nährstoffen führt. Ursachen können Thrombosen oder Embolien sein. Etwa 80 % aller Schlaganfälle sind ischämisch.
- Hämorrhagischer Schlaganfall: Verursacht durch eine Blutung im Gehirn, entweder direkt in das Hirngewebe (intrazerebrale Blutung) oder in den Subarachnoidalraum (Subarachnoidalblutung). Ursachen können chronische Hypertonie, Gefäßmissbildungen oder Tumore sein. Etwa 20 % aller Schlaganfälle sind hämorrhagisch.
Eine transitorisch-ischämische Attacke (TIA) ist eine vorübergehende Schlaganfall-Symptomatik, die sich innerhalb von 24 Stunden vollständig zurückbildet. Patienten mit TIA-Symptomatik innerhalb der letzten 48 Stunden sollten umgehend auf einer Stroke Unit behandelt werden.
Die Prähospitalphase: Zeit ist Hirn
Die Prähospitalphase, definiert als das Intervall zwischen dem Beginn des Schlaganfalls und der Aufnahme im Krankenhaus, ist entscheidend für den Behandlungserfolg. Ein strukturiertes Vorgehen in dieser Phase bildet die Grundlage für eine erfolgreiche Akuttherapie in einer Stroke Unit und gewährleistet:
Lesen Sie auch: Ursachen und Risikofaktoren für Schlaganfälle bei Katzen
- Eine verkürzte Einweisungszeit.
- Eine optimale Dokumentation von Anamnese, Ereigniszeitpunkt, Begleitmedikation und vorausgegangenen Erkrankungen bzw. Operationen.
Identifizierung eines Schlaganfallpatienten
Sowohl das Personal der Rettungsleitstelle als auch das Sprechstundenpersonal in den Praxen niedergelassener Ärzte müssen in der Lage sein, mit höchstmöglicher Genauigkeit festzustellen, ob es sich bei dem gemeldeten Ereignis um einen Schlaganfall handelt, der einer dringenden Aufnahmeindikation bedarf. Dies kann durch standardisierte Filterfragen erfolgen.
Die Stichworte:
- Plötzlich aufgetretene Lähmungen
- Akute Sprach- oder Sehstörung
- Stärkste erstmalig eingesetzte Kopfschmerzen
- Vigilanzminderung
müssen als Warnhinweise („red flags“) angesehen werden, die die sofortige stationäre Einweisung in ein Krankenhaus mit Stroke Unit unter Umgehung des hausärztlichen Notdienstes und des Hausarztes zur Folge haben müssen.
Checkliste und FAST-Test vor Ort
Das erstbehandelnde Notfallpersonal muss neben dem Beginn der Symptomatik und deren Verlauf (spontane Besserung, Verschlechterung bzw. Stabilität der Symptome) potenzielle Kontraindikationen gegen eine Thrombolyse registrieren, um dem spezialisierten Arzt in der Stroke Unit die Indikationsstellung zur Thrombolyse zu erleichtern. Wichtige Kontraindikationen sind:
- Maligne Erkrankungen
- Operationen in den letzten drei Monaten
- Invasive Maßnahmen (Punktionen) in den letzten vier Wochen
- Frühere hämorrhagische Ereignisse
- Eine bestehende Therapie mit Antikoagulanzien
- Bekannte Gerinnungsstörungen
Für ein standardisiertes Schlaganfallscreening stehen mehrere validierte Tests zur Verfügung, die auch von nicht ärztlichen Personen angewendet werden können. Im europäischen Raum hat der FAST (face-arm-speech-test), abgeleitet von der Cincinnati Prehospital Stroke Scale große Verbreitung gefunden. Die korrekte und zuverlässige Anwendung des FAST-Tests erfordert eine gezielte Schulung.
Lesen Sie auch: Gesundheitliche Rückschläge und politische Leistungen von Lafontaine
Praktisches Vorgehen vor und während des Transportes
Jeder Schlaganfallpatient, der innerhalb von sechs Stunden nach Symptombeginn in einem Krankenhaus mit Stroke-Unit-Expertise behandelt werden kann, ist prinzipiell ein Kandidat für eine Thrombolyse bzw. endovaskuläre Intervention, sofern keine offensichtliche Kontraindikation besteht. Die telefonische Vorankündigung des Lysekandidaten beim zuständigen Stroke-Team ist unabdingbar und hilft, zusätzliche Zeit zu sparen.
Für das praktische Vorgehen vor und während des Transportes gibt es wenig evidenzbasierte Daten. Die meisten hier gegebenen Angaben basieren auf einem Analogieschluss zur Akutbehandlung auf der Stroke Unit.
Sämtliche Patienten sind mit einer peripheren Kanüle zu versorgen, wenn möglich in dem nicht paretischen Arm, um eine verschlechterte Verteilung des Infusats und eine verstärkte Komplikation im Falle eines Paravasats in die paretische Extremität zu vermeiden.
Bei Zeichen der Hypoxämie, das heißt bei klinischen Zeichen oder bei einer peripheren Sauerstoffsättigung von < 95 %, erfolgt die Gabe von 4 L O2/min nasal (Zielwert > 95 %). Eine generelle O2-Gabe ist nicht indiziert.
Vor dem Transport ist eine Stabilisierung des Kreislaufes notwendig. Bei hypertensiven Werten muss bei einem Blutdruck therapeutisch interveniert werden, wenn er 220 mmHg systolisch bzw. 120 mmHg diastolisch überschreitet. Bei einer arteriellen Hypotonie RR systolisch unter 120 mmHg ist unter Berücksichtigung möglicher Kontraindikationen (schwere Herzinsuffizienz) die Gabe von Elektrolytlösung bzw. physiologischer NaCl-Lösung indiziert.
Lesen Sie auch: Rehabilitation bei Gesichtsfeldausfall
Bei hypoglykämischen Werten unter 60 mg/dL (< 3,3 mmol/L) Glukose wird die Gabe von 30 mL 20 bis 40 prozentiger Glukose i.v. empfohlen. Bei einer Hyperglykämie mit Werten von über 200 mg/dL (> 11 mmol/L) ist besonders auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu achten.
Wichtig ist, dass keinerlei antithrombotische oder thrombozytenaggregationshemmende Substanzen gegeben werden, bevor das Ergebnis der zerebralen Bildgebung, das heißt eine Differenzierung zwischen ischämischem Infarkt und Hirnblutung erfolgt ist.
Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls
In der Akutphase des ischämischen Schlaganfalls stellt die systemische Thrombolyse die einzige durch Studien belegte medikamentöse und arzneimittelrechtlich zugelassene Therapieoption dar. Um diese Therapieoption nutzen zu können, muss ein möglichst enges Zeitfenster zwischen Ereignisbeginn und Lyse eingehalten werden („Time is brain“).
Die spezifische Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls besteht in der Rekanalisation eines verschlossenen hirnversorgenden Gefäßes mittels EVT („Thrombektomie“) sowie systemischer Thrombolyse. Nach Ausschluss von Kontraindikationen wird die systemische, das heißt intravenöse Thrombolyse routinemäßig in einem Zeitfenster von 4,5 h durchgeführt, bei geeigneten Patienten auch im unklaren Zeitfenster oder im erweiterten Zeitfenster bis 9 h unter Zuhilfenahme der Magnetresonanztomographie und/oder einer magnetresonanz- bzw.
Bei der EVT werden mit verschiedenen Arten spezieller Katheterverfahren hirnversorgende Gefäßverschlüsse rekanalisiert. Dies kann abhängig von den jeweiligen bildgebenden und patientenspezifischen Kriterien zusammen mit oder ohne vorherige Thrombolyse erfolgen. Wenngleich eine zeitliche Obergrenze von 24 h üblich ist, können einzelne Patienten auch noch darüber hinaus endovaskulär behandelt werden.
Übergabe im Krankenhaus
Das Rettungspersonal hat dafür Sorge zu tragen, dass die prähospital gewonnenen Informationen an das weiterbehandelnde Team im Krankenhaus übergeben werden. Folgende Informationen sollten anhand einer strukturierten Kurzübergabe kommuniziert werden:
- Zeitpunkt des Symptombeginns bzw. letzter Zeitpunkt ohne das neue Defizit
- Art der Beschwerden
- Relevante Begleiterkrankungen
- Informationen zum prämorbiden Niveau
- Mitteilung der Telefonnummer der Angehörigen für sofortigen Kontakt zur Feinanamnese
- Aktuelle Medikation
Klinikzuweisung: Die richtige Klinik für den Patienten
Grundsätzlich sollen alle Patienten mit einem akuten Schlaganfall bzw. einer transitorischen ischämischen Attacke in eine Klinik mit Stroke Unit gebracht werden, wo die Möglichkeit zur Akutdiagnostik und Thrombolysetherapie besteht. Allerdings ist bei Großgefäßverschlüssen die alleinige Thrombolyse nur in etwa 10-20 % der Fälle effektiv.
In vielen Regionen Deutschlands wird daher aktuell erwogen, Patienten mit einem schweren Schlaganfallsyndrom direkt in ein Thrombektomiezentrum einzuweisen, sofern dies mit einer geringen Fahrtzeitverzögerung möglich ist. Laut Leitlinie könnte in Ballungsgebieten eine Direktzuweisung bei einer Fahrtzeit von < 30-45 min bevorzugt werden, bei längeren Fahrtzeiten sollte der Primärtransport in die nächstgelegene Stroke Unit erfolgen. Studiendaten für einen entsprechenden Cut-off-Wert gibt es jedoch nicht.
Eine Kombination aus der skalenbasierten Schweregradbeurteilung und einer telefonischen Absprache mit den Neurologen der Zielklinik bzw. einer Telekonsultation ist zu empfehlen, um den Transportweg zu präzisieren und Behandlungszeiten zu verkürzen.
Notarztbegleitung und Telenotarzt
Bei wachen Patienten mit Schlaganfall ohne ABC-Problem ist unter Berücksichtigung der zeitkritischen Erkrankung in der Regel eine Verlegung mit Rettungswagen ohne Arztbegleitung ausreichend. Eine prähospitale Notarztversorgung und -begleitung ist bei kreislaufinstabilen Patienten oder Notwendigkeit der Korrektur von Vitalparametern indiziert. Zudem erfordert eine Sekundärverlegung unter laufender Lysetherapie u.U. eine Arztbegleitung.
Ein vielversprechender Ansatz, die fachärztliche Expertise in der Schlaganfallversorgung präklinisch zur Verfügung zu stellen, besteht im Einsatz von neurologischen Telenotärzten. Telekonsultationen zwischen Rettungspersonal und Teleneurologen per Telefon können bei der Einschätzung der Schlaganfallschwere und der Auswahl der Zielklinik hilfreich sein und zu einem häufigeren und schnelleren Einsatz rekanalisierender Therapien führen.
Medikamentöse Therapie im Rettungsdienst
Anders als etwa beim akuten Koronarsyndrom ist eine prähospitale Therapie mit gerinnungshemmenden Medikamenten streng kontraindiziert.
Eine Empfehlung zur Akuttherapie des Blutdrucks besteht erst ab Werten ≥ 220 mm Hg systolisch oder ≥ 120 mm Hg diastolisch, wobei der Blutdruck in den ersten 24 h um nicht mehr als 25 % des Ausgangswerts gesenkt werden soll. Bei Patienten mit Großgefäßverschluss kann eine Blutdrucksenkung auch zu einer negativen Beeinflussung der kritischen kollateralen Blutversorgung führen.
Mobile Stroke Unit (MSU)
Das Ziel einer mobilen Stroke Unit (MSU) ist es, eine schnelle Schlaganfalldiagnostik und Therapieeinleitung vor Ort zu bieten - mit Thrombolyse bei ischämischem Schlaganfall oder Normalisierung der Gerinnung bei Hirnblutung. Studiendaten zu den MSU sind vielversprechend. Trotz der positiven Studiendaten ist ein zeitnaher flächendeckender Ausbau der MSU in Deutschland unwahrscheinlich.
tags: #schlaganfall #medikamente #rettungsdienst #leitlinien