Schlaganfallrisiko und Chiropraktik: Eine umfassende Betrachtung

Einleitung

Die Frage, ob chiropraktische Eingriffe das Risiko eines Schlaganfalls erhöhen können, ist Gegenstand anhaltender Diskussionen. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte dieser Kontroverse, unter Berücksichtigung von Fallbeispielen, wissenschaftlichen Studien und rechtlichen Aspekten. Ziel ist es, ein umfassendes Bild der potenziellen Risiken und Nutzen der Chiropraktik zu vermitteln, insbesondere im Hinblick auf die Halswirbelsäulenmanipulation.

Fallbeispiele und ihre Bedeutung

Ein prominenter Fall, der die Debatte um das Schlaganfallrisiko nach Chiropraktik befeuert, ist der eines Mandanten, der nach einem chiropraktischen Eingriff an der Halswirbelsäule einen Schlaganfall erlitt. Dieser Fall führte zu bleibenden neurologischen Schäden und erheblichen Beeinträchtigungen im Alltag des Betroffenen. Der Mandant forderte daraufhin Schmerzensgeld und Schadensersatz in Höhe von insgesamt 500.000 Euro.

Ein weiteres Beispiel ist der Fall von Caitlin Jensen, einer jungen Frau, die nach einer chiropraktischen Behandlung einen Schlaganfall erlitt, gefolgt von einem Herzinfarkt und einem zehnminütigen Herzstillstand. Die neurologischen Schäden waren immens, aber sie kämpfte sich zurück ins Leben.

Diese Fälle verdeutlichen die potenziell schwerwiegenden Folgen, die im Zusammenhang mit chiropraktischen Eingriffen auftreten können, und unterstreichen die Notwendigkeit einer umfassenden Aufklärung und Risikobewertung.

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Wie kommt es zu einem Schlaganfall nach Chiropraktik?

Im oben genannten Fall litt der Mandant unter Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule und suchte deshalb eine orthopädische Praxis auf. Dort wurde ihm ohne vorherige Untersuchung ein "akutes HWS-Syndrom" diagnostiziert und ein chiropraktischer Eingriff an der Halswirbelsäule durchgeführt. Zwei Wochen später erlitt der Mandant während seines Urlaubs einen Schlaganfall mit halbseitiger Lähmung, starken Kopfschmerzen und Übelkeit. Im Krankenhaus wurde ein Schlaganfall im unteren Kleinhirn diagnostiziert, verursacht durch eine Dissektion der Vertebralisarterie.

Eine MRT-Untersuchung bestätigte, dass der Schlaganfall durch eine Vertebralisdissektion ausgelöst wurde, d.h. durch einen Riss in der Arteria vertebralis, die den Hirnstamm und das Kleinhirn mit Blut versorgt. Der Riss in der Arterie befand sich auf Höhe des Atlaswirbels, genau dort, wo auch der chiropraktische Eingriff vorgenommen wurde.

Was ist ein akutes HWS-Syndrom?

Als HWS-Syndrom - auch Halswirbelsäulen-, Zervikal- oder Cervicalsyndrom - bezeichnet man Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule. Häufig treten dabei Verspannungen, Schwindel sowie Kopfschmerzen auf. Es ist akut, wenn es unvermittelt auftritt.

Was ist Chiropraktik?

In der Chiropraktik werden Gelenke mit gezielten schnellen Impulstechniken behandelt, den sogenannten Manipulationen. Diese Techniken rufen das für die Chiropraktik typische Knacken hervor, weshalb diese Art der Therapie häufig als "Einrenken" umschrieben wird. Diese Behandlungsmethode ist medizinisch sehr umstritten.

Was ist eine Vertebralisdissektion?

Die Vertebralarterien verlaufen im Nacken durch Knochenkanäle der Querfortsätze der Halswirbelkörper. Sie versorgen den Hirnstamm und das Kleinhirn mit Blut. Unter Dissektion wird eine durch einen Riss in der Arterie verursachte Einblutung in die Wand der Arterie verstanden. Durch die Einblutung in die Gefäßwand wird eine zunehmende Gefäßverengung verursacht. In vielen Fällen kommt es sogar zu einem Verschluss der Arterie im befallenen Segment.

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Mögliche Behandlungsfehler

Im oben genannten Fall wurden dem Arzt mehrere Behandlungsfehler vorgeworfen:

  • Unzureichende Diagnose: Die Ursache der Beschwerden wurde vor dem Eingriff nicht ermittelt.
  • Anwendung einer medizinisch nicht anerkannten Behandlungsmethode: Die Chiropraktik ist keine anerkannte medizinische Behandlungsmethode.
  • Fehlende Aufklärung: Der Mandant wurde nicht über die Risiken des Eingriffs aufgeklärt.

Folgen eines Schlaganfalls nach Chiropraxis

Der Schlaganfall kann bleibende Spuren hinterlassen. Betroffene leiden möglicherweise unter:

  • Sprachstörungen
  • Missempfindungen
  • Gleichgewichtsstörungen
  • weiteren schweren neurologischen Symptomen

Die Betroffenen können ihren Beruf möglicherweise nicht mehr ausüben und sind im Alltag stark eingeschränkt.

Chiropraktik und Schlaganfall: Rechtliche Aspekte

Ein Schlaganfall nach einer chiropraktischen Behandlung kann einen Arzthaftungsfall darstellen. Der Arzt haftet, wenn er bei der Behandlung einen Fehler gemacht hat und dieser Fehler zu dem Schlaganfall geführt hat.

Beweislast

In der Arzthaftung trägt der Patient die Beweislast. Er muss beweisen, dass der Arzt einen Fehler gemacht hat und dass dieser Fehler zu dem Schaden geführt hat. Dies kann schwierig sein, da es oft keine eindeutigen Beweise gibt. Wenn es um die Aufklärung geht, muss der Arzt eine ordnungsgemäße Aufklärung des Patienten beweisen.

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Gutachten

In der Regel wird in Arzthaftungsverfahren ein medizinisches Gutachten eingeholt. Dieses Gutachten soll klären, ob der Arzt einen Fehler gemacht hat und ob dieser Fehler zu dem Schaden geführt hat. Liegt der Fehler in der unterlassenen Aufklärung, bedarf es eines Gutachtens, um festzustellen, ob die Beschwerden tatsächlich auf die Behandlung zurückzuführen sind.

Höhe des Schmerzensgeldes

Die Höhe des Schmerzensgeldes richtet sich nach der Schwere des Schadens und den individuellen Lebensumständen des Patienten. Bei einem Schlaganfall mit bleibenden Schäden kann das Schmerzensgeld in die Hunderttausende von Euro gehen.

Verjährung

Arzthaftungsansprüche verjähren nach drei Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Zeitpunkt, an dem der Patient von dem Schaden und dem Arztfehler Kenntnis erlangt hat.

Die Bedeutung der ärztlichen Aufklärung

In dem Fachbuch "Manuelle Medizin an der Halswirbelsäule" werden als mögliche Komplikationen chiropraktischer Manipulationsbehandlungen unter anderem eine Verletzung der Arteria vertebralis mit Durchblutungsstörungen einzelner Hirnareale bis hin zur bleibenden Lähmung oder Todesfolge genannt.

Das OLG Oldenburg hat in einem ähnlich gelagerten Fall entschieden, dass ein Patient vor einer chiropraktischen Manipulation an der Halswirbelsäule über die damit verbundenen Risiken, insbesondere einer möglichen Verletzung der Arterie vertebralis, aufzuklären ist.

Eine solche Aufklärung erfolgte gegenüber dem oben genannten Mandanten jedoch nicht. Es wurde vom behandelnden Arzt weder auf das Schlaganfall-Risiko noch auf alternative, medizinisch anerkannte Behandlungsmethoden hingewiesen. Dadurch wurde der Mandant in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt, da er keine Kenntnis über die Risiken des Eingriffs hatte und somit nicht selbstbestimmt entscheiden konnte, ob er mit der Vornahme des Eingriffs einverstanden ist.

Was tun bei Verdacht auf einen Behandlungsfehler?

Wenn es bei Ihnen oder einem Angehörigen nach einer Behandlung beim Orthopäden/Chiropraktiker zu einem Schlaganfall gekommen ist, sollten Sie einen Experten für Medizinrecht konsultieren. Ein spezialisierter Anwalt kann Ihnen helfen, Ihre Rechte zu wahren und eine angemessene Entschädigung zu erhalten.

Tipps nach einem Schlaganfall nach chiropraktischer Behandlung

  • Wenden Sie sich unverzüglich an einen Anwalt.
  • Lassen Sie sich von einem spezialisierten Anwalt für Medizinrecht beraten.
  • Bewahren Sie alle Unterlagen auf, die mit der Behandlung und dem Schlaganfall zusammenhängen.
  • Melden Sie den Schlaganfall Ihrer Krankenkasse.

Die Kontroverse um das Schlaganfallrisiko

Obwohl die oben genannten Fälle und rechtlichen Aspekte die potenziellen Risiken der Chiropraktik verdeutlichen, ist es wichtig zu betonen, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft geteilter Meinung ist, wie hoch das tatsächliche Risiko ist.

Einige Studien deuten darauf hin, dass Manipulationen an der Halswirbelsäule kein erhöhtes Risiko für ischämische Schlaganfälle bergen. Eine Studie aus dem Jahr 2016 ergab beispielsweise keinen Zusammenhang zwischen HWS-Manipulationen und Carotisdissektionen bei über 45-Jährigen. Bei unter 45-Jährigen zeigte sich zwar ein zeitlicher Zusammenhang mit Arztbesuchen aufgrund von Nacken- oder Kopfschmerzen, aber es machte keinen Unterschied, ob die Patienten beim Chiropraktiker oder beim Hausarzt waren.

Eine Querschnittsuntersuchung von 2023 bestätigte ebenfalls, dass chiropraktische Manipulationen der HWS nicht mit einem erhöhten Risiko für ischämische Schlaganfälle im Stromgebiet der Aa. Carotis einhergehen. Auch hier wurden keine Unterschiede zwischen Konsultationen beim Allgemeinmediziner oder Chiropraktiker beobachtet. Es ist somit eher wahrscheinlich, dass frühe Symptome der Dissektion die Betroffenen mit Nacken- und Kopfschmerzen zum Arzt geführt haben.

Es ist jedoch wichtig anzumerken, dass diese Studien Dissektionen der Vertebralarterien nicht berücksichtigen, die aufgrund ihrer anatomischen Lage viel eher für Schädigungen durch Manipulationen an der HWS gefährdet sind.

Risikofaktoren und Kontraindikationen

Unabhängig von der Kontroverse um das tatsächliche Risiko ist es wichtig, bestimmte Risikofaktoren und Kontraindikationen für chiropraktische Manipulationen der Halswirbelsäule zu berücksichtigen. Dazu gehören:

  • Vorherige Gefäßerkrankungen
  • Blutgerinnungsstörungen
  • Akute Entzündungen
  • Tumore

Vor einer chiropraktischen Behandlung sollte eine gründliche Anamnese und Untersuchung durchgeführt werden, um potenzielle Risiken zu identifizieren.

Die Rolle der Aufklärung und Einwilligung

Angesichts der potenziellen Risiken ist es unerlässlich, dass Patienten vor einer chiropraktischen Behandlung umfassend über die Risiken und Nutzen aufgeklärt werden. Dies sollte auch eine Diskussion über alternative Behandlungsmethoden beinhalten.

Patienten sollten in der Lage sein, eine informierte Entscheidung zu treffen, ob sie sich einer chiropraktischen Behandlung unterziehen möchten, und ihre Einwilligung sollte schriftlich dokumentiert werden.

Die Perspektive der Chiropraktoren

Es ist wichtig, auch die Perspektive der Chiropraktoren zu berücksichtigen. Sie argumentieren, dass die Chiropraktik eine sichere und wirksame Behandlungsmethode für eine Vielzahl von Beschwerden ist, wenn sie von qualifizierten und erfahrenen Therapeuten durchgeführt wird.

Sie betonen, dass das Risiko von Komplikationen gering ist, insbesondere wenn alle bekannten Risikofaktoren und Kontraindikationen vor der Behandlung beachtet werden. Einige Chiropraktoren verwenden auch Techniken, die endgradige Rotation des Kopfes vermeiden, um das Risiko einer Schädigung der Vertebralarterien zu verringern.

Alternativen zur Chiropraktik

Für Patienten, die Bedenken hinsichtlich der Risiken der Chiropraktik haben, stehen eine Reihe alternativer Behandlungsmethoden zur Verfügung. Dazu gehören:

  • Physiotherapie
  • Manuelle Therapie
  • Akupunktur
  • Schmerzmittel
  • Entspannungsübungen

Die Wahl der geeigneten Behandlungsmethode sollte in Absprache mit einem Arzt oder Therapeuten getroffen werden.

Missverständnisse und Klarstellungen

Es gibt viele Missverständnisse über die Chiropraktik. Eines davon ist, dass Chiropraktoren angeblich verschobene Wirbel ruckartig einrenken. Tatsächlich geht es darum, etwas in Bewegung zu versetzen, was vorher blockiert war. Es wird nichts "eingerenkt", was verrutscht oder gar draussen war.

Ein weiteres Missverständnis ist, dass chiropraktische Behandlungen immer zu einem Schlaganfall führen können. Dies ist nicht der Fall. Das Risiko ist gering, aber es ist wichtig, sich der potenziellen Risiken bewusst zu sein.

Zusammenfassung der wissenschaftlichen Erkenntnisse

Die wissenschaftliche Evidenzlage zum Thema Schlaganfallrisiko und Chiropraktik ist komplex und nicht eindeutig. Einige Studien deuten auf ein geringes Risiko hin, während andere keine signifikanten Zusammenhänge feststellen konnten.

Es ist wichtig zu beachten, dass viele Studien methodische Schwächen aufweisen, die ihre Aussagekraft einschränken. Zukünftige Forschung sollte sich auf hochwertige Studien konzentrieren, die das Risiko von Vertebralisdissektionen und anderen vaskulären Komplikationen im Zusammenhang mit chiropraktischen Manipulationen der Halswirbelsäule untersuchen.

Fazit

Die Frage, ob chiropraktische Eingriffe das Risiko eines Schlaganfalls erhöhen, ist komplex und kontrovers. Es gibt Fallbeispiele, die auf ein potenzielles Risiko hindeuten, aber die wissenschaftliche Evidenzlage ist nicht eindeutig.

Es ist wichtig, dass Patienten vor einer chiropraktischen Behandlung umfassend über die Risiken und Nutzen aufgeklärt werden und eine informierte Entscheidung treffen können. Ärzte und Therapeuten sollten die Risikofaktoren und Kontraindikationen für chiropraktische Manipulationen der Halswirbelsäule sorgfältig berücksichtigen und alternative Behandlungsmethoden in Betracht ziehen.

Letztendlich sollte die Entscheidung für oder gegen eine chiropraktische Behandlung auf einer individuellen Risikobewertung und einer offenen Kommunikation zwischen Patient und Arzt/Therapeut basieren.

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