Schlaue Gehirne fördern: Wie die Kindheit die Intelligenz beeinflusst

Etwa die Hälfte unserer Intelligenz ist angeboren, der Rest hängt von verschiedenen Faktoren ab, insbesondere von den Erfahrungen in der Kindheit. Intelligenz ist vielschichtig, und während manche Menschen ausgeprägte analytische Fähigkeiten haben, fehlt es ihnen möglicherweise an sozialer oder emotionaler Intelligenz. Einige brillieren in sprachlicher, musikalischer, mathematischer oder zwischenmenschlicher Intelligenz.

Das Zusammenspiel von Anlage und Umwelt

Unsere Intelligenz basiert auf einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Hirnareale, von denen einige gut erforscht sind, während andere noch Rätsel aufgeben. Eine indische Studie zeigte, dass Wohnort, Bewegungsverhalten, finanzielle Situation, Berufe der Eltern und Bildung den IQ eines Kindes stark beeinflussen können. Der Einfluss der Umwelt, vor allem der Eltern, auf die Entwicklung der Intelligenz wird in den ersten drei Lebensjahren auf etwa 30 Prozent geschätzt, danach sinkt er auf 20 und schließlich auf zehn Prozent.

Die ersten sechs Monate sind entscheidend für die Bindungserfahrung und die Persönlichkeitsentwicklung, da das Gehirn in dieser Zeit besonders plastisch ist. Fühlen sich Kinder in dieser Lebensphase geliebt und sicher, wirkt sich das positiv auf ihre Fähigkeiten zur Stressverarbeitung und Selbstberuhigung aus.

Sprachliche Förderung

Eine Studie der britischen Universität von York ergab, dass der verbale Umgang von Eltern mit ihren Kindern sich positiv auf deren Intelligenz auswirken kann. Wenn Mütter und Väter viel mit ihrem Nachwuchs sprachen, zeigten die Kinder bessere Fähigkeiten im Bereich Argumentation, Zahlenverständnis und dem Verständnis für Formen. Der Tonfall spielt ebenfalls eine wichtige Rolle: Wohlwollende, nicht herablassende oder belehrende Gespräche wirken sich positiv auf die Entwicklung aus, da die Sprachverarbeitung im Gehirn nicht nur kognitiv, sondern auch emotional abläuft.

Der Einfluss von Förderung und Umwelt

Ein Kind mit durchschnittlicher Intelligenz kann durch überdurchschnittlich gute Förderung durch liebevolle Eltern, motivierende Erzieher und Lehrer sowie optimale Umstände (Finanzen, Wohnort, Sicherheit) seinen IQ von 100 auf bis zu 115 erhöhen. Umgekehrt kann ein Kind, das mit seiner Umwelt eher Pech hat und wenig Förderung erfährt, einen Intelligenzquotienten von ursprünglich 100 auf etwa 85 Punkte fallen.

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Nicht alle Aspekte, die die Entwicklung der Intelligenz von Kindern beeinflussen können, liegen in der Hand der Eltern. Während Mütter und Väter darauf achten können, wie viel und auf welche Art sie mit ihrem Nachwuchs sprechen, haben sie bei ihren wirtschaftlichen Umständen möglicherweise weniger Spielraum. Das bedeutet jedoch nicht, dass finanziell schlechter gestellte Menschen automatisch weniger schlaue Kinder erziehen. Intelligenz beruht auf so vielen verschiedenen Faktoren, von denen wir einige positiv oder negativ beeinflussen können.

Die erstaunliche Komplexität des Gehirns

Das Gehirn, das von außen unscheinbar aussieht, ist ein erstaunliches Organ. Es regelt Temperatur und Blutdruck, steuert Verdauung, Atmung und Schlaf. Es kann mathematische Aufgaben lösen, Maschinen entwerfen, Romane ersinnen, Fakten lernen und sich an Ereignisse erinnern. Lange Zeit wurde vor allem der präfrontale Kortex für den Verstand des Menschen verantwortlich gemacht, doch neuere Studien zeichnen ein differenzierteres Bild.

Hirnforschung und ihre Bedeutung für die Erziehung

Die Hirnforschung hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht und viele neue Erkenntnisse über das Gehirn, seine Struktur und die darin ablaufenden Prozesse gesammelt. Diese Forschungsergebnisse sind auch für Erzieher von Bedeutung, da sie ihnen helfen, Lern- und Bildungsprozesse besser zu verstehen und effektiver zu gestalten.

Das Gehirn besteht aus dem Großhirn (mit linker und rechter Hemisphäre), dem Kleinhirn, dem Zwischenhirn (mit Thalamus und Hypothalamus) und dem Hirnstamm. Die linke Hirnhälfte ist für Sprache, Denkprozesse, Mathematik und Logik zuständig, während die rechte Hemisphäre visuell-räumliche Wahrnehmung, Gefühle, Kreativität, Fantasie, Kunst und Musik verarbeitet. Der Stirnlappen kontrolliert die Motorik, die grammatikalische Verarbeitung der Sprache und das Bewusstsein. Der Scheitellappen ist zuständig für selektive Aufmerksamkeit, räumliche Orientierung und visuelle Steuerung von Bewegungen. Der Schläfenlappen ist verantwortlich für das Hören und das Wortverständnis.

Das Gehirn besteht aus rund 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen), die über 100 Billionen Synapsen (Kontaktstellen) miteinander kommunizieren. Neuronen machen nur die Hälfte der Masse des Gehirns aus, die andere Hälfte umfasst Gliazellen, die ein Stützgerüst für die Neuronen bilden und am Stoff- und Flüssigkeitstransport im Gehirn beteiligt sind.

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Lernen und Gedächtnisbildung

In jedem Augenblick strömen Eindrücke und Wahrnehmungen zum Gehirn. Diese werden in spezialisierten Teilregionen verarbeitet und interpretiert. Das Gehirn wählt aus, ignoriert Bekanntes, unterscheidet Wichtiges von Unwichtigem, bildet Kategorien, Muster und Hierarchien, ordnet Ereignisse in Sequenzen und stellt Beziehungen zu anderen Daten her. Eindrücke und Informationen werden leichter behalten, wenn sie mit Emotionen verknüpft sind, wenn sie neuartig, ungewöhnlich und besonders interessant wirken, wenn sie leicht in die vorhandenen Gedächtnisinhalte integriert werden können und wenn ein Lebens- bzw. Alltagsbezug gegeben ist. Schlafen und Träumen helfen, Gedächtnisinhalte zu festigen.

Die Entwicklung des Gehirns im Mutterleib und in der frühen Kindheit

In der dritten Woche nach der Empfängnis entsteht aus dem Neuralrohr das Gehirn und das Rückenmark. In den kommenden Lebenswochen werden weiterhin neue Neuronen produziert und wandern zu ihrem Bestimmungsort. Schon im Mutterleib nimmt das Gehirn Informationen auf und verarbeitet diese. Bei der Geburt enthält das Gehirn eines Säuglings rund 100 Milliarden Neuronen, die gleiche Anzahl wie beim Erwachsenen. Die Nervenzellen des Neugeborenen sind aber noch nicht voll ausgebildet und wenig vernetzt. Bedingt durch die Unmenge der Wahrnehmungen und Erfahrungen nimmt die Zahl der Synapsen in den ersten drei Lebensjahren rasant zu. Das Gehirn eines Dreijährigen ist mehr als doppelt so aktiv wie das eines Erwachsenen und hat somit auch einen fast doppelt so hohen Glukoseverbrauch.

Die im dritten Lebensjahr erreichte Anzahl von Synapsen bleibt bis zum Ende des ersten Lebensjahrzehnts relativ konstant. Die Ausbildung von doppelt so vielen Synapsen wie letztlich benötigt ist ein Zeichen für die große Plastizität des Gehirns und die enorme Lern- und Anpassungsfähigkeit des Säuglings bzw. Kleinkinds. Das Neugeborene fängt geistig praktisch bei null an und ist weitgehend auf Wahrnehmung und Reaktion beschränkt.

Die Bedeutung von Feinmotorik und Kreativität

Wissenschaftlich erwiesen ist, dass mit der Verbesserung der Feinmotorik des heranwachsenden Menschen zugleich seine Lernfähigkeit reift. Schreiben, Zeichnen, Malen und Basteln sind fundamentale Übungen für die Ausbildung der neuronalen Vernetzungen im Gehirn. Tätigkeiten wie Kneten mit Knetgummi oder Kritzelbilder mit Bleistift können als Vorstufe des Schreibens verstanden werden.

Eine Studie von Steve Graham zeigte, dass Schüler, die in Handschrift-Entwicklung unterrichtet wurden, nicht nur schneller schreiben konnten, sondern auch ihre Gedanken komplexer und differenzierter äußern konnten. Auch die Fähigkeit, eine Sprache zu erlernen, wird durch das Schreiben von Hand unterstützt. Kinder, die mit der Hand schreiben, prägen sich die visuelle Form eines Buchstabens zusammen mit der Aussprache und der notwendigen Bewegung ein.

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Je früher Eltern damit beginnen, ihren Kindern gute Erfahrungen mit dem BeGreifen zu vermitteln, desto solider und langfristiger sind Aufbau und Wirkung der damit verbundenen Denkleistungen des Gehirns. Eltern sollten ihren Kindern die Erlaubnis zum freien Gestalten (Malen, Zeichnen etc.) geben. Gut ist regelmäßiges, gemeinsames Malen und/oder Basteln.

Kinder lieben das Betrachten davon, wie andere etwas machen, und beginnen dann selbst mit eigenen Gestaltungen. Auch lieben sie es, wenn ihre eigenen Bilder durch Bilder der Erwachsenen „kommentiert“ werden. Kinder, welche in der Zeit der Stärkung ihrer ersten Identitätskräfte viel mit Buntstiften malen dürfen, entwickeln große Chancen für eine farbige Identität und Intelligenz in späteren Entwicklungsphasen. Haptik, Farben und Gestaltungen wirken konstruktiv auf die rechte Hirnhemisphäre, animieren „innere Bilder“ und bestärken die Sinne des Fühlens, Tastens, Riechens etc.

Erwachsene sollten ein Kinderbild immer als Grundlage für Gespräche nutzen und Kinderbilder sollten nie diagnostiziert und von oben herab besserwisserisch betrachtet werden. Jedes Kinderbild ist Ausdruck des Inneren, und dem Inneren eines Menschen sollte man grundsätzlich mit Würde begegnen.

Motorik, Musik und soziale Intelligenz

Alles Motorische wirkt grundsätzlich auf die kreative (rechte) Seite des Gehirns und fördert die Intuitionskraft des Menschen. Musik beim Gestalten zu hören, verstärkt diese Fähigkeit um ein Vielfaches. Musik hören, Singen und Musik machen assistieren dem Gehirn bei der „Automatisierung“ gewisser Funktionen in den Bereichen Ausdrucksstärke und Erinnerung.

Malen, Schreiben und Gestalten fördern die Intelligenz des Individuums, jedoch ohne Ergänzung noch nicht das, was mit sozialer Intelligenz gemeint ist. Die Förderung sozialer Intelligenz geschieht auch durch einen guten Rahmen, in dem Eltern, Erzieher und Lehrer an den Gestaltungen der Kinder (und Jugendlichen) mitwirken, anstatt sie ausschließlich zu beaufsichtigen.

Die Folgen von Vernachlässigung

Ganz viele Zeitfenster, in denen Erfahrungen besonders stark wirken, liegen in der frühen Kindheit. Vernachlässigung von Kindern ist für eine Gesellschaft sehr teuer. Vernachlässigung verkürzt das Leben. "Die Hauptfolge ist, dass die Lebenserwartung deutlich runter geht. Es kommt zu Veränderungen in bestimmten Hirnbereichen, es kommt aber auch zu Veränderungen im Verhalten, das heißt in der Art, wie man mit belastenden Situationen im Alltag umgeht. Und diese ungünstigen Strategien von Bewältigung führen dazu, dass das Stressempfinden massiv ansteigt.

Vernachlässigung führt zu einer höheren Empfindlichkeit gegenüber Stress und zu riskanten Gegenmaßnahmen, um mit Stress fertig zu werden. Beides gemeinsam führt dann zu Erkrankungen in Folge dieses Verhaltens. Stressoren in der frühen Kindheit, wie Trauma-Erfahrungen, sexueller Missbrauch, physischer Missbrauch sind assoziiert mit einer ganzen Reihe von biologischen Veränderungen, die dann für ein erhöhtes Depressionsrisiko im späteren Leben prädisponieren.

Stress der Mutter wirkt sich auch auf die Erbanlagen des Kindes aus. Dabei spielen die Telomere an den Enden der Erbanlagen eine Rolle. "Telomere sind Marker auf den Chromosomen, die mit jeder Zellteilung etwas kürzer werden und die werden als ‚biologische Uhr' betrachtet. Je kürzer die Telomere, desto weniger oft kann die Zelle sich noch teilen und desto früher bricht sozusagen das physiologische System zusammen. Das Neugeborene einer gestressten Mutter hat sehr wahrscheinlich kürzere Telomere und wird weniger lang leben, weil sich seine Zellen weniger oft teilen können.

Die Bedeutung von Unterstützung und Bindung

Kinder brauchen zur richtigen Zeit die geeignete Unterstützung. Manche Fähigkeiten muss man nach einander lernen und viele am besten in einem bestimmten Zeitraum. Eltern, die genügend Zeit und Kraft haben, aber auch das nötige Feingefühl, spüren oft intuitiv, was ihr Kind gerade braucht.

Eine gelungene Bindung zwischen dem Kind und seinen Eltern ist das wichtigste Gegenmittel gegen Stresserfahrungen in der Schwangerschaft. Die bei Vernachlässigung zu wenig entwickelte Fähigkeit Mitmenschen zu verstehen, führt sowohl für die direkt und indirekt Betroffenen zu erhöhtem Stress.

Selbstverständlich wäre es schön, wenn alle Eltern, ja alle Erwachsenen Kindern gegenüber immer genau das Richtige täten, aber das ist unrealistisch. Wenn man mal einen Fehler macht, muss das für das Kind keine schlechten Folgen haben, wenn sonst alles mehr oder minder in Ordnung ist. Wenn Menschen aber ständig unter großem Stress stehen, dann kann es geschehen, dass die Kinder leiden und die Eltern lernen und üben müssen, wie sie reagieren sollten. Sie brauchen Hilfe.

Die Gesellschaft könnte schädliche Einflüsse von werdenden Müttern fern halten und für Eltern Bedingungen schaffen, unter denen sie liebevoll und feinfühlig mit ihren Kindern umgehen können. Auch wer als Erwachsener den Eindruck hat, dass in seinem Leben, vielleicht in früher Kindheit, etwas schief lief, der kann dann noch Hilfe finden. Man kann mit gezielter Psychotherapie heute ganz viel tun, um diese ganze Stress-Thematik zu verändern.

Tipps zur Förderung der Intelligenz

Eltern können maßgeblich zur Entwicklung der Intelligenz ihrer Kinder beitragen. Lernforscherin Elsbeth Stern empfiehlt:

  1. Lesen: Lesen hilft bei der Sprachentwicklung und trainiert die Konzentrationsfähigkeit. Eltern sollten dem Kind so viel wie möglich vorlesen und mit ihm lesen. Vor allem interaktives Lesen verbessert die sprachliche Kompetenz.
  2. Früher Kontakt zu Gleichaltrigen: Mit Gleichaltrigen beisammen zu sein fördert kognitive Prozesse. Kinder können beim gemeinsamen Spielen ihre Interessen teilen und sich einfach mal ausprobieren.
  3. Stillen: Muttermilch ist gut für die Entwicklung des Gehirns. Sie enthält langkettige Fettsäuren, die eine zentrale Rolle bei der Hirnentwicklung spielen.
  4. Loben: Ein Lob soll eigentlich motivieren oder für eine Bemühung belohnen. Lob sollte auf eine konkret erbrachte Leistung angewendet und nicht auf eine Eigenschaft. Außerdem muss ein Lob aufrichtig sein.

Frühkindliche Förderung ist wichtig, aber es ist auch wichtig zu wissen, welche Art von Förderung am effektivsten ist. Eine Studie zeigte, dass Lesefähigkeit in der Kindheit über Intelligenz im späteren Leben entscheidet. Lesen stärkt die Fähigkeit, abstrakt zu denken, und schult die Fähigkeit, sich über einen längeren Zeitraum mit einer Materie zu befassen.

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