Schlechte Nerven und Aggression: Ursachen, Bewältigung und Therapieansätze

Nervosität, Reizbarkeit und Aggressionen sind weit verbreitete menschliche Erfahrungen. Obwohl sie oft als negativ angesehen werden, können sie auch wichtige Funktionen erfüllen. Wenn diese Gefühle jedoch übermäßig stark, unkontrolliert oder chronisch werden, können sie das Leben der Betroffenen und ihrer Mitmenschen erheblich beeinträchtigen. Dieser Artikel beleuchtet die vielfältigen Ursachen von schlechten Nerven und Aggressionen, untersucht verschiedene Bewältigungsstrategien und stellt therapeutische Ansätze vor, die helfen können, einen konstruktiven Umgang mit diesen Emotionen zu erlernen.

Was sind schlechte Nerven?

Nervosität kann als ein quälendes Gefühl der Anspannung und inneren Getriebenheit beschrieben werden, das oft mit Reizbarkeit und körperlicher Unruhe einhergeht. Betroffene leiden häufig unter Unkonzentriertheit, Vergesslichkeit und Denkblockaden. Typische Stressreaktionen wie Herzklopfen, Zittern der Hände oder Muskelanspannung können ebenfalls auftreten. In manchen Fällen entwickeln sich sogar Stresskrankheiten mit körperlichen Symptomen wie Kopfschmerzen, Schwindelanfällen, Reizdarm oder chronischen Schlafstörungen.

Ursachen von Nervosität und Reizbarkeit

Die Ursachen für Nervosität und Reizbarkeit sind vielfältig und können sowohl physischer als auch psychischer Natur sein:

  • Seelische Belastung und Überforderung: Länger anhaltende seelische Belastungen, dauernde Überforderung oder Lärmbelastung können Nervosität und Reizbarkeit verursachen. Besonders gefährdet sind Menschen, die sich selbst ständig unter Druck setzen und nicht entspannen können.
  • Hormonelle Veränderungen: Eine lange Phase erhöhter Reizbarkeit erleben viele Menschen in der Pubertät, unter anderem als Folge der hormonellen Umstellung. Extreme Stimmungsschwankungen sind manchmal nicht leicht von einer Depression oder den Folgen eines jugendlichen Drogen- oder Alkoholmissbrauchs zu unterscheiden.
  • Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS): Eine dauernde Übererregbarkeit, Unkonzentriertheit und Impulsivität bei Kindern und Jugendlichen ist typisch für das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS).
  • Abhängigkeiten: Nervosität, Unruhe und Reizbarkeit können auch durch den Konsum von Suchtmitteln wie Alkohol, Cannabis oder harten Drogen sowie durch Medikamentenabhängigkeit verursacht werden.
  • Nährstoffmangel: Ein Mangel an bestimmten Nährstoffen, wie Magnesium oder B-Vitaminen, kann ebenfalls zu Nervosität und Reizbarkeit führen.
  • Krankheiten: Eine erhöhte Reizbarkeit kann auch als Begleiterscheinung verschiedener Erkrankungen auftreten. Es ist daher wichtig, die Ursache von einem Arzt abklären zu lassen.

Aggression: Definition und Formen

Aggressionen sind beabsichtigte Verhaltensweisen, die darauf abzielen, einem Organismus oder Organismusersatz auf direkte oder indirekte Weise zu schädigen. Ein aggressiver Erregungszustand ist kulturunabhängig bei allen Menschen durch ähnliche Merkmale gekennzeichnet, wie z.B. unruhiges Hin- und Herlaufen, Gestikulieren, muskuläre Anspannung, Schreien, Beschimpfungen, Drohungen, Fäuste ballen, Zerstören, Schlagen oder Treten.

In der wissenschaftlichen Literatur werden verschiedene Formen von Aggression unterschieden:

Lesen Sie auch: Der Zusammenhang: Zähne und Demenz

  • Autoaggression: Gegen die eigene Person gerichtetes, selbstverletzendes Verhalten.
  • Appetitive Aggression: Geplant und zielgerichtet jemand anderem Schaden zufügen, was zu positiver Erregung bei dem Täter führt.
  • Erleichternde Aggression: Gegen andere Person gerichtet, um dieser zu schaden, mit dem Ziel, den aversiven Zustand des Täters zu reduzieren.
  • Heiße Aggression: Die Selbststeuerung des Täters ist in diesem Zustand beeinträchtigt, sein Herzschlag ist erhöht, seine Muskeln sind angespannt, er schreit. Es kommt zu einer Eskalation mit einem Wutausbruch.
  • Indirekte Aggression: Wegen innerer Hemmung des Täters oder äußerer Hindernisse kommt es zu keinem direkten körperlichen Angriff, sondern einer Schädigung wie Mobbing oder Diebstahl.
  • Instrumentelle Aggression: Dient einer Zielerreichung und ist geplant. Der Täter erhält eine positive Verstärkung.
  • Kalte Aggression: Ist gesteuert und rational. Zur Zielerreichung werden Emotionen abgespalten.
  • Konstruktive Aggression: Dient einer Zieleerreichung und schadet weder der eigenen noch einer anderen Person.
  • Negative Aggression: Eine Aggression, die von der Gesellschaft missbilligt wird.
  • Offene Aggression: Körperlicher oder verbaler Angriff auf ein Opfer.
  • Passive Aggression: Auf indirektem Weg geäußert, durch unkooperatives Verhalten oder Manipulation.

Ursachen von Aggression

Als wichtige Komponenten bei der Entstehung von Aggressionen werden aktuell die Gene (Vererbung) und die Lernerfahrung des Individuums genannt. In der kindlichen Entwicklung können gewalttätige Erwachsene als Vorbild genommen werden. Weiterhin können sogenannte „positive Verstärker“ dazu führen, dass sich Kinder aggressives Verhalten angewöhnen.

Neben Theorien, die Lernerfahrungen als grundlegend für die Entwicklung von aggressivem Verhalten erachten, gibt es auch Theorien, laut denen Aggressionen in der menschlichen Natur verankert sind. Die prominentesten sind dabei die psychoanalytische Aggressionstheorie nach Freud und die Instinkttheorie nach Lorenz.

Es existieren viele verschiedene Annahmen über die Entstehung und Gründe von Aggressionen:

  • Das Durchsetzen eigener Wünschen und Interessen, die mit den Wünschen anderer Personen in Konflikt stehen.
  • Um Beachtung von anderen Personen zu erhalten.
  • Als Reaktion auf eine Aggression einer anderen Person.
  • Zur Vergeltung eigener erlittener Aggressionsakte.

Wenn Aggressionen krankhaft sind: Persönlichkeitsstörungen

Regelmäßige starke Aggressionsausbrüche und Gleichgültigkeit für die Gefühle anderer Menschen können bei den Betroffenen auf eine dissoziale Persönlichkeitsstörung hindeuten. „Die Patienten neigen zu unvorhersehbarer und launischer Stimmung, emotionalen Ausbrüchen, Streitsucht und der Unfähigkeit, ihr impulsives und aggressives Verhalten zu kontrollieren“, erläutern Experten. Dabei werden regelmäßig die Rechte anderer Menschen missachtet und verletzt und in letzter Konsequenz ihnen auch körperlicher Schaden zugefügt. Reue und Mitgefühl für Menschen, denen sie Leid zugefügt haben, sind ihnen fremd.

Menschen mit einem solchen auffälligen Sozialverhalten weisen häufig eine Beeinträchtigung von Gehirnregionen auf, in denen beispielsweise Furchtreaktionen erlernt werden und die an der Entwicklung von moralischen Werten und Mitgefühl beteiligt sind. Zudem gibt es genetische Anlagen, die das Risiko antisozialen Verhaltens erhöhen. Eine übersteigerte Aggressivität und Impulsivität gepaart mit einer ausgeprägten Gefühlskälte tritt deshalb häufig bei Personen auf, die als Kind selbst vernachlässigt, misshandelt oder hart bestraft wurden und zu wenig liebevolle Zuwendung erhielten.

Lesen Sie auch: Ursachen und Symptome von Demenz

Auch die paranoide Persönlichkeitsstörung kann mit Gereiztheit und Aggressionen einhergehen. Menschen mit dieser Störung haben keinerlei Vertrauen in andere Menschen und gehen ständig davon aus, dass andere ihnen schaden wollen, ohne dafür Belege zu haben.

Bewältigungsstrategien für Nervosität und Aggression

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Nervosität und Aggressionen zu bewältigen:

  • Entspannungstechniken: Gut erprobt sind Verfahren wie Yoga, Meditation oder die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen. Auch Entspannungsrituale können helfen, um abzuschalten, wie kleine Spaziergänge in der Natur, eine heiße Tasse Tee oder ein entspannendes Vollbad.
  • Bewegung: Ausdauersportarten wie Radfahren und Joggen bauen innere Spannungen ab, die sich durch Stresshormone wie Kortisol und Adrenalin anstauen. Auch Sportarten, bei denen man sich richtig abreagieren kann, sind geeignet.
  • Schlafroutine: Ausreichend und regelmäßiger Schlaf ist für eine gute Erholung unabdingbar.
  • Heilpflanzen: Viele Heilpflanzen haben eine entspannende Wirkung auf unsere Psyche. Einige Kräuter eignen sich gut für Teezubereitungen, etwa Baldrian, Johanniskraut oder Passionsblume. Pflanzen wie Lavendel gibt es beispielsweise auch als Badezusatz oder in Form von ätherischen Ölen.
  • Ernährung: Gelassenheit ist auch eine Frage der richtigen Ernährung. Es ist ratsam, den Kaffee- und Alkoholkonsum zu reduzieren und auf eine gesunde Ernährung zu achten. Nahrungsmittel mit Magnesium (z. B. in Bananen und Hülsenfrüchten) und vielen B-Vitaminen können helfen.
  • Aktivitäten zum Abbau von Aggressionen: Sportliche Aktivitäten (z.B. Ausdauertraining oder gegen einen Boxsack schlagen), ablenkende Verhaltensweisen (Raumwechsel, Gesprächsthema ändern), Atemübungen zur Ablenkung und Beruhigung, Rechenübungen zum Fokuswechsel, Ausschreien in geeigneter Umgebung, Zerreißen von fester Pappe oder Kartons, Kneten von (fester) Therapieknete oder laute Musik hören und mitsingen können helfen, aufgestaute Emotionen und Energie abzubauen.

Therapieansätze bei chronischer Reizbarkeit und Aggression

Nicht jede Form von Aggression führt zu der Notwendigkeit einer Therapie. Kommt es jedoch zur Gefährdung der eigenen oder anderer Personen, Strafanzeigen oder anderen Konsequenzen, so empfiehlt sich eine Vorstellung bei einem Psychiater und/oder Psychologen.

  • Psychotherapie: Bei einer Psychotherapie wird ein konstruktiver Umgang mit Aggressivität erlernt, das heißt, dass angemessene Aggressionen kontrolliert zugelassen werden sollen bei gleichzeitigem Erlernen von Strategien zur Vermeidung unangemessener Aggressionen. Ebenso kann es nötig sein, gehemmte Aggressionen aufzuarbeiten und zu lernen, diese zu spüren und zuzulassen.
    • Ziele der psychotherapeutischen Behandlung von Aggressionen: Erregung und Handlung voneinander trennen können, Lernen, sich von einer Situation zu distanzieren, Lernen, Kompromisse einzugehen, Analyse der Beweggründe für Aggressionen, Besprechung vorgekommener aggressiver Vorfälle, Auslösesituationen eruieren, Besprechung anstehender schwieriger Situationen, Stärkung von Selbstkontrolle, Stärkung der Eigenverantwortung, Erlernen von Selbstreflexion, Lernen, die Perspektive zu wechseln, Konfliktlösungsstrategien erlernen.
    • Spezifische Therapieverfahren: Anti-Aggressions-Therapie oder Neuroaktive Aggressionstherapie (NAT).
  • Kognitive Verhaltenstherapie: Hier wird betont, dass die Patienten bei den verschiedenen Schritten in der Therapie oder bei konkreten Aufgabenstellungen immer das Gefühl haben sollten, selbst entscheiden zu können. Deshalb wird versucht, ihnen immer mehrere mögliche Themen und mehrere Vorgehensweisen vorzuschlagen, aus denen die Patienten etwas für sie Passendes auswählen können. Weiterhin werden typische kognitiv-verhaltenstherapeutische Vorgehensweisen verwendet, wie sie auch bei anderen Persönlichkeitsstörungen zum Einsatz kommen.
  • Psychoanalytische und tiefenpsychologisch-fundierte Therapie: Hier wird eine aktive, unterstützende Haltung des Therapeuten als wichtig angesehen, weil eine eher zurückhaltende, abwartende Haltung bei den Patienten Passivität und Aggression hervorrufen kann. Zunächst wird eine tragfähige therapeutische Beziehung angestrebt. Anschließend kann daran gearbeitet werden, den Patienten Einsicht in ihre problematischen Beziehungsmuster zu vermitteln und diese allmählich zu verändern.
  • Medikamentöse Therapie: Grundsätzlich werden Aggressionen mit einer Psychotherapie behandelt. Diese kann zeitweilig auch von Medikamenten begleitet werden. Jedoch gibt es kein Medikament, dass explizit für die Behandlung von Aggressivität entwickelt wurde. Psychopharmaka werden bei der Behandlung der passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung meist nicht als sinnvoll angesehen.

Umgang mit Reizbarkeit und Aggressionen bei Kindern

Für die Entwicklung von Kindern ist es wichtig, dass sie einen konstruktiven Umgang mit allen Gefühlen erlernen. Dabei sollten „negative“ Gefühle wie Aggressionen nicht tabuisiert werden. Es ist stattdessen wichtig, dass Kinder erlernen, mit diesen Gefühlen auf eine Art und Weise umzugehen, die ihnen und anderen nicht schadet.

Treten bei Kindern häufig Aggressionen und Aggressionsausbrüche auf, muss nicht zwingenderweise eine Störung vorliegen. Häufig zeigen Kinder auch Aggressionen, wenn zum Beispiel ihre Bedürfnisse nach Aufmerksamkeit oder Wertschätzung akut nicht erfüllt sind.

Lesen Sie auch: Zahnpflege bei MS: Was Sie wissen müssen

Mögliche Ursachen für Aggressionen eines Kindes:

  • Unnatürliche Reizüberflutung
  • Nachahmung eigener Gewalterfahrungen
  • Konflikte zwischen den Eltern/ in der Familie
  • Angst
  • Unsicherheit
  • Versuch, die eigenen Bedürfnisse durchzusetzen
  • Phase des Trotzverhaltens
  • Wunsch, Aufmerksamkeit zu erhalten
  • Kognitive Überforderung
  • Kognitive Unterforderung

Die häufigsten Formen, in denen sich die Aggressionen von Kindern zeigen, sind Mobbing anderer Kinder, Diebstähle, verbale Gewalt und physische Angriffe.

Um Aggressionen bei Kindern kurzfristig, aber auch langfristig abzubauen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zunächst kann körperliche Bewegung dabei helfen, überschüssige Energie zu kanalisieren. Um langfristig konstruktive Umgangsformen mit negativen Gefühlen zu etablieren, können zum Beispiel Rollenspiele oder Spiele mit Handfiguren verwendet werden. So können positive Verhaltensweisen erlernt und schließlich auch in die Praxis umgesetzt werden. Kinder reagieren zudem sehr stark auf Belohnung. Deshalb ist es wichtig, erwünschte Verhaltensweisen zu verstärken, indem man Kinder für bestimmte Handlungen bewusst belohnt.

tags: #schlechte #nerven #aggression #ursachen