Seltene neurologische Erkrankungen bei Kindern: Eine umfassende Übersicht

Neurologische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter stellen eine besondere Herausforderung dar. Oftmals sind sie genetisch bedingt und manifestieren sich in vielfältiger Weise, beispielsweise durch Entwicklungsverzögerungen, epileptische Anfälle oder Bewegungsstörungen. Da sich das Nervensystem von Kindern und Jugendlichen noch in der Entwicklung befindet, reagiert es besonders empfindlich auf Schädigungen. Dieser Artikel gibt einen Überblick über seltene neurologische Erkrankungen bei Kindern, wobei der Fokus auf neurodegenerativen Erkrankungen und insbesondere den Neuronalen Ceroid-Lipofuszinosen (NCL) liegt.

Was sind seltene neurologische Erkrankungen?

Eine Erkrankung gilt in Europa als selten, wenn weniger als einer von 2.000 Menschen betroffen ist. Obwohl jede einzelne dieser Erkrankungen selten ist, machen sie in der Summe etwa ein Drittel aller bekannten Krankheiten aus. Viele seltene neurologische Erkrankungen haben unspezifische Symptome, was die Diagnose erschwert. Manche sind so selten, dass selbst erfahrene Ärzte sie selten oder nie sehen. Für die Betroffenen und ihre Familien kann es ein langer und belastender Weg sein, bis sie Spezialisten finden, die sich mit ihrer Erkrankung auskennen.

Neurodegenerative Erkrankungen im Kindesalter

Neurodegenerative Erkrankungen im Kindesalter betreffen vor allem das zentrale Nervensystem (ZNS) und führen zu einem fortschreitenden Verlust von Nervenzellen und damit verbundenen Funktionen. Zu den häufigsten Formen gehören:

  • Neuronale Ceroid-Lipofuszinosen (NCL)
  • Einige Formen der Mukopolysaccharidosen (MPS)
  • Leukodystrophien

Diese Krankheiten werden oft unter dem Begriff "Kinderdemenz" zusammengefasst, da sie zu einem unaufhaltsam fortschreitenden Verlust bereits erlernter kognitiver Fähigkeiten führen. Die Mehrzahl dieser Krankheiten ist progredient und unheilbar, was zu einem frühen Tod der betroffenen Kinder führt.

Ursachen und Klassifikation

Die überwiegende Mehrzahl der neurodegenerativen Erkrankungen im Kindesalter ist monogenen Ursprungs, d.h. sie werden durch Mutationen in einem einzelnen Gen verursacht. Es gibt jedoch auch multifaktorielle und erworbene Krankheiten, wie z.B. früh beginnende multiple Sklerose oder amyotrophe Lateralsklerose.

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Die NCL-Krankheiten sind lysosomale Speicherkrankheiten und die häufigste Ursache für Kinderdemenz. Bei diesen Erkrankungen wird lysosomales Speichermaterial - sogenanntes Ceroid-Lipofuszin - nicht mehr abgebaut und lagert sich in den Zellen ab. Traditionell wurden die NCL-Krankheiten nach dem Erkrankungsalter eingeteilt. Da die NCL-Krankheiten jedoch deutlich heterogener sind als bisher angenommen und Mutationen im selben Gen zu sehr unterschiedlichen Phänotypen und klinischen Verläufen führen können, wurde die bisherige Nomenklatur durch eine international entwickelte kombinierte genetische und klinische Klassifikation ersetzt.

Symptome und Diagnose

Die Hauptalarmsymptome der NCL-Krankheiten sind die Kombination von mindestens zwei Symptomen wie Demenz, Epilepsie, motorische Verschlechterung und Sehverlust. Das Alter bei Krankheitsbeginn kann von der Geburt bis zum Erwachsenenalter reichen. Die Reihenfolge, in der Symptome auftreten, ist variabel und hängt von der Kombination der zugrunde liegenden Mutationen ab, die das Alter beim Ausbruch und den Krankheitsphänotyp beeinflussen.

Eine Verzögerung der expressiven Sprachentwicklung kann ein Vorläufer der Regression der psychomotorischen Funktion sein und zur Verbesserung der Frühdiagnose verwendet werden. Epilepsie ist bei fast allen NCL-Patienten therapieresistent, wobei die Anfallshäufigkeit und -schweregrad bei jungen, spätinfantilen CLN2-Patienten besonders hoch ist. Die motorischen Symptome umfassen Ataxie, Dysphagie, Myoklonus, Chorea, Tremor und Dystonie.

Neben den "klassischen" Phänotypen gibt es auch "atypische" Phänotypen, bei denen eines der NCL-Hauptsymptome vorherrschend sein kann, während andere fehlen. Zum Beispiel gibt es bei der CLN2-Erkrankung den SCAR7-spinozerebellären Ataxie-Phänotyp, bei dem Patienten hauptsächlich an Ataxie leiden und keine Epilepsie oder Sehverlust aufweisen.

Die Diagnose von NCL-Erkrankungen umfasst genetische Diagnostik, Enzymtestung und elektronenmikroskopische Untersuchung auf lysosomales Speichermaterial. Die Enzymaktivitätsmessung ist in einer Trockenblutprobe möglich. Fehlende Aktivität des Enzyms PPT1 bestätigt die Diagnose CLN1-Krankheit, fehlende Aktivität von TPP1 diejenige einer CLN2-Krankheit.

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Behandlung

Bis vor Kurzem galten alle NCL-Krankheiten als unheilbar und es standen lediglich palliative Therapien zur Verfügung. Die erste intracerebroventrikuläre Enzymersatztherapie (ICV-ERT) für CLN2 ist daher ein wichtiger Fortschritt und stellt die erste zugelassene Behandlung für eine der NCL-Formen dar. Weitere Therapieoptionen für andere Formen der NCL-Krankheiten, die sich in Entwicklung befinden, sind Gentherapie, Immunmodulation und Stammzelltherapie.

Mukopolysaccharidosen (MPS)

Wie die NCL gehören die MPS zu den lysosomalen Speicherkrankheiten. Durch den Defekt verschiedener lysosomaler Enzyme kommt es zur Ablagerung von Glykosaminoglykanen (GAGs) in verschiedenen Geweben, wovon bei manchen MPS-Formen auch die Nervenzellen des Gehirns betroffen sind. Auch die MPS sind eine heterogene Krankheitsgruppe, bei der die klinische Ausprägung selbst innerhalb der einzelnen MPS-Subtypen variieren kann. In der Regel äußern sich die MPS in Form von vergröberten Gesichtszügen, fortschreitenden Skelettdeformitäten, Gelenkkontrakturen, Beteiligung von Herz und Lunge, Vergrößerung von Leber und Milz sowie fortschreitender psychomotorischer Retardierung.

Leukodystrophien

Leukodystrophien sind Krankheiten, bei denen die Myelinentwicklung im zentralen Nervensystem aufgrund eines genetischen Defektes gestört ist. Im Zuge dessen kommt es zur Degeneration weißer Gehirnsubstanz. Die genetischen Ursachen können vielfältig sein; bislang wurden etwa 137 Gene identifiziert, welche bei Mutationen zu Leukodystrophien führen können. Während Organe außerhalb des Nervensystems meist nicht betroffen sind, führen Leukodystrophien häufig zu fortschreitender Spastik sowie progressivem Abbau der kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten.

Leben mit einer seltenen neurologischen Erkrankung

Das Leben mit einer seltenen neurologischen Erkrankung kann für die Betroffenen und ihre Familien sehr belastend sein. Es ist wichtig, so früh wie möglich eine präzise Diagnose zu stellen, um mit einer geeigneten Therapie zu beginnen. Eine frühzeitige Diagnosestellung kann viele Symptome abmildern und den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen. Dies kann unter anderem durch medikamentöse Behandlungen geschehen, die abhängig von den klinischen Symptomen durch Frühförderung, Physio-, Logo- und Ergotherapie ergänzt werden können.

Es gibt spezialisierte Zentren, die sich auf die Diagnostik und Therapie neurologischer Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter konzentrieren. Diese Zentren bieten eine umfassende Versorgung durch ein multidisziplinäres Team aus Ärzten, Psychologen, Therapeuten und Pflegepersonal.

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Forschung und Ausblick

Die Forschung im Bereich seltener neurologischer Erkrankungen ist von großer Bedeutung, um die Ursachen und Mechanismen dieser Krankheiten besser zu verstehen und neue Therapieansätze zu entwickeln. Die zunehmende Implementierung von "Next Generation Sequencing Panels" und Exom-Sequenzierung als essenzielle diagnostische Werkzeuge zur Beurteilung seltener Erkrankungen führt zu mehr Diagnosen von NCL-Patienten einschließlich jener, die von den klassisch anerkannten Phänotypen abweichen.

Forschende untersuchen detailliert den genetischen Hintergrund und die biochemischen und zellbiologischen Mechanismen, die zur Krankheitsentstehung führen. Sie fahnden auch nach geeigneten Biomarkern, um verschiedene Kinderdemenzen möglichst früh zu erkennen und eine präzise Diagnose zu stellen.

Beispiele für seltene neurologische Erkrankungen

Neben den bereits genannten neurodegenerativen Erkrankungen gibt es eine Vielzahl weiterer seltener neurologischer Erkrankungen bei Kindern, darunter:

  • Dunbar-Syndrom: Seltene chronische Durchblutungsstörung des Darms, die zu Übelkeit, Erbrechen, Krämpfen und Schmerzen im Oberbauch führt.
  • MEN (Multiple Endokrine Neoplasie): Eine seltene, erblich bedingte Erkrankung, bei der es durch Genveränderungen zur Bildung mehrerer Tumoren in hormonbildenden Drüsen kommt.
  • Phenylketonurie (PKU): Eine seltene, erbliche Stoffwechselerkrankung, bei der der Körper die Aminosäure Phenylalanin nicht richtig abbauen kann, was zu einer Anhäufung im Blut führt.
  • Roberts-Syndrom: Eine sehr seltene genetische Erkrankung, die durch Mutationen im ESCO2-Gen verursacht wird. Sie führt zu schweren Wachstumsstörungen, Fehlbildungen der Gliedmaßen, Gesichtsauffälligkeiten und teilweise inneren Organanomalien.
  • Tay-Sachs-Krankheit: Eine seltene genetische Stoffwechselerkrankung, bei der ein Enzymmangel dazu führt, dass eine Substanz in den Nervenzellen nicht abgebaut werden kann.
  • Treacher-Collins-Syndrom: Eine seltene genetische Erkrankung, die das Gesicht und den Schädelknochen betrifft und zu charakteristischen Gesichtszügen führt.
  • Turner-Syndrom: Eine seltene genetische Störung, die nur bei Frauen auftritt und durch das Fehlen oder teilweise Fehlen eines X-Chromosoms gekennzeichnet ist.
  • Van-der-Woude-Syndrom: Eine seltene genetische Störung, die Fehlbildungen im Gesicht verursacht.

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