Demenzielle Erkrankungen stellen ein wachsendes globales Gesundheitsproblem dar, das aufgrund der steigenden Lebenserwartung immer mehr an Bedeutung gewinnt. Prognosen zufolge wird sich die Zahl der Demenzkranken in Deutschland von derzeit 1,1 Millionen auf etwa 2,3 Millionen im Jahr 2050 erhöhen. Obwohl zahlreiche Studien körperliche Aktivität als präventive Maßnahme empfehlen, mangelt es bisher an einer flächendeckenden Umsetzung entsprechender Programme. Dieser Artikel beleuchtet die aktuelle Forschungslage und stellt innovative Ansätze vor, die darauf abzielen, die positiven Effekte von Sport und Bewegung bei Demenz zu nutzen.
Die Bedeutung von Bewegung bei Demenz
Globale und nationale Herausforderungen
Weltweit sind derzeit über 46 Millionen Menschen von Demenz betroffen, und diese Zahl wird bis 2030 auf 74 Millionen ansteigen. Demenz ist eine Folge von Erkrankungen des Gehirns, die durch eine fortschreitende Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen wie Erinnerungsvermögen und Orientierung gekennzeichnet ist. Auch Persönlichkeitsveränderungen, psychische Labilität und Aggressionen können auftreten. Im Endstadium der Erkrankung ist ein selbstständiges Leben nicht mehr möglich, und die Betroffenen benötigen eine umfassende Betreuung. Im Gegensatz zu vielen anderen Krankheiten ist Demenz derzeit nicht heilbar, und wirksame Medikamente zur Prävention sind nicht in Sicht.
Präventive Wirkung von Bewegung
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt regelmäßige körperliche Aktivität zur Vorbeugung von Demenz. Studien zeigen, dass Bewegung dazu beitragen kann, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen und depressive Symptome, die oft mit Demenz einhergehen, positiv zu beeinflussen. Wer sich bewegt, fühlt sich sicherer, spürt seinen Körper und bleibt besser in Kontakt mit seiner Umgebung. Besonders in Gruppen kann Aktivität Lebensfreude schenken und das Gefühl der Zugehörigkeit stärken.
Die GESTALT-Intervention in Erlangen
Ein vielversprechender Ansatz ist die GESTALT-Intervention, die in Erlangen entwickelt wurde. Ziel dieser Intervention ist es, körperlicher Inaktivität, einem der Hauptrisikofaktoren für Demenz, entgegenzuwirken und die Teilnehmer zu einem aktiven Lebensstil zu befähigen. Das Bewegungsprogramm umfasst die Bereiche „Tanz & Bewegung zu Musik“, „Sport & Spiel“ und „Bewegung im Alltag - Gehen“. Dabei wird auf die Integration von kognitiven, physiologischen, sozialen und emotionalen Stimulierungen geachtet. Die begleitende Bewegungsberatung zielt darauf ab, die Teilnehmer langfristig an körperliche Aktivität zu binden.
Das Projekt begann mit einer lokalen Analyse und der Einbindung von Partnern und Organisationen in einen kooperativen Planungsprozess. Nach der erfolgreichen Umsetzung wurden die Ergebnisse gemeinsam mit den Partnern evaluiert und neue Strategien entwickelt, um sozial benachteiligte und körperlich inaktive Zielgruppen stärker zu fokussieren. Seit 2012 werden systematisch Strategien zur Nachhaltigkeitssicherung und Einbindung von GESTALT in die kommunalen Strukturen verfolgt. Die Trägerschaft für GESTALT liegt nun beim Sportamt Erlangen, das für die Planung, Organisation und finanzielle Absicherung der Kurse verantwortlich ist.
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Studienergebnisse und Forschungserkenntnisse
Positive Auswirkungen auf die kognitive Leistungsfähigkeit
Die Testergebnisse des ersten Programmdurchlaufs von GESTALT zeigen, dass sich das Bewegungsprogramm positiv auf die kognitive Leistungsfähigkeit der Teilnehmer auswirkt, insbesondere auf das Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis. Zudem haben 60 % der Teilnehmer während und nach dem Programm zusätzliche Bewegungsaktivitäten aufgenommen und diese auch sechs Monate nach der Intervention beibehalten.
Strukturelle Veränderungen und Nachhaltigkeit
Das GESTALT-Programm konnte erfolgreich bei verschiedenen Präventionsanbietern verankert werden. Darüber hinaus wurde eine Koordinationsstelle am Sportamt Erlangen eingerichtet, um GESTALT-Interventionen nachhaltig anbieten zu können. Im zweiten Durchlauf von GESTALT wurden ältere Menschen der Zielgruppe gezielt in die Planung und Teilnehmerwerbung eingebunden, wobei Teilnehmer des ersten Durchlaufs als Peer-Mitarbeiter gewonnen werden konnten.
DenkSport-Studie und persönliche Erfahrungen
Die DenkSport-Studie zeigt ebenfalls eine signifikante Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit und der Lebensqualität durch regelmäßiges Training. Teilnehmer berichten, dass das Projekt sie motiviert hat, (wieder) mit dem Sport zu beginnen. In Kooperation mit dem StoryAtelier Köln entstanden eindrückliche Videos, in denen Teilnehmer über ihre Sportbiographien erzählen.
Harvard-Langzeitstudie: Schrittzahl und Alzheimer
Eine Harvard-Langzeitstudie deutet darauf hin, dass bereits ein wenig Bewegung das Fortschreiten von Alzheimer-Demenz bremsen kann. Demnach könnte ein Spaziergang von 3.000 Schritten am Tag den kognitiven Abbau um bis zu drei Jahre verzögern. Die Studie ergab, dass Personen, die viel saßen und weniger als 3.000 Schritte täglich gingen, im Studienverlauf am meisten und schnellsten Verklumpungen von Tau-Proteinen im Gehirn entwickelten und auch hinsichtlich ihrer geistigen Fitness am schnellsten abbauten. Im Gegensatz dazu verzögerte sich der kognitive Verfall bei Menschen, die sich mehr bewegten. Allerdings zeigte sich, dass dieser Zusammenhang nur bei Personen gilt, die zu Studienbeginn bereits einige Amyloid-Beta-Plaques im Gehirn aufwiesen.
Wie Bewegung die Hirngesundheit verbessert
Bewegung hält das Gehirn gesund. Es gibt keine „beste“ Sportart - wichtig ist, dass sie Spaß macht und regelmäßig ausgeübt wird. Gut geeignet sind Ausdauersportarten wie Gehen, Radfahren oder Schwimmen für Herz und Kreislauf, Ganzkörpertrainings wie Yoga oder Pilates zur Förderung von Beweglichkeit und Balance sowie Tanzen oder Tai-Chi zur Stärkung der Koordination und des Gedächtnisses. Auch Krafttraining zur Vorbeugung von Muskelabbau und Stürzen ist empfehlenswert. Neben gezieltem Sport hält auch Bewegung im Alltag Körper und Geist fit.
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Körperliche Aktivität als Therapie bei Demenz
Herausforderungen und therapeutische Ansätze
Demenz betrifft Menschen in einem gehobenen Lebensalter, die oft auch mit den Belastungen des allgemeinen Alterns konfrontiert sind. Reduzierung der Ausdauerleistungsfähigkeit, Verlust von Muskelmasse und Kraftfähigkeiten, Einschränkung der koordinativen Fähigkeiten sowie arthrotische und osteoporotische Veränderungen sind typische Erscheinungen im Alter. Kommt bei den Demenzerkrankten noch die Reduktion der kognitiven Leistungsfähigkeit hinzu, führt dies zu einem hohen Verlust an Alltagsleistungen und einem erhöhten Sturzrisiko.
Daher ist es wichtig zu klären, inwieweit Bewegung diesen Faktoren entgegenwirken und therapeutisch wirksam sein kann. Studien haben gezeigt, dass Demenzerkrankte von körperlichem Training im selben Ausmaß profitieren wie gesunde Personen. Ein speziell auf Demenzerkrankte abgestimmtes Trainingsprogramm kann die Kraftleistungsfähigkeit deutlich steigern und auch die kognitive Leistungsfähigkeit verbessern.
Gleichgewicht, Kräftigung und Multitasking
In der Praxis ist es sinnvoll, mit kognitiv eingeschränkten Patienten Bewegungstherapie auszuüben. Ein Gleichgewichts- und Balancetraining ist dabei von großer Bedeutung. Auch Kräftigungstraining, das nahe an den Alltagsbewegungen gestaltet ist, sowie Multitaskingaufgaben, bei denen sportliche Bewegung mit kognitiven Aufgaben kombiniert wird, sind empfehlenswert.
Methodische Aspekte
Aus methodischer und didaktischer Sicht sind für die Sport- und Bewegungstherapie bei Demenzerkrankungen einige Punkte zu beachten. Die Anleiter sollten langsam, deutlich und geduldig vorgehen. Kurze, klare Anweisungen, verbunden mit Bildern und Bewegungsdemonstrationen, sind hilfreich. Auch taktile und rhythmische Hilfen können eingesetzt werden. Gewohnte Räumlichkeiten, ein fester Organisationsablauf und kleine Gruppengrößen sind günstige Rahmenbedingungen. Die Integration von Emotionen, ein sozialer Rahmen und der Einsatz von Musik können die Akzeptanz und den Erfolg der Therapie erhöhen.
Neurobiologische Grundlagen der Bewegungstherapie
Neuroplastizität und ihre Stimulation
Das Gehirn ist das anpassungsfähigste Organ unseres Körpers. Die Veränderungsvorgänge werden unter dem Begriff der Neuroplastizität zusammengefasst. Die Sport- und Bewegungstherapie kann diese Veränderungsprozesse stimulieren. Aktuelle Erklärungsmuster für die neurobiologischen Zusammenhänge von körperlicher Aktivität und zerebraler Leistungsfähigkeit beruhen auf Tierversuchen und Untersuchungen mit der funktionellen Magnetresonanz.
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Durchblutungssteigerung und sensorische Stimulation
Körperliche Aktivität führt zu einer Mehrdurchblutung des Gehirns, die höher ist als bei geistiger Aktivität allein. Zudem schärft Bewegung die Sinne, die die Voraussetzung für eine Informationsaufnahme aus der Umwelt bilden. Durch die Kombination von Bewegungen mit Lauten, Wörtern und Kommandos können der Tastsinn, der Hörsinn, der Sehsinn und der Gleichgewichtssinn sensibilisiert werden.
Synapsenverbindungen und Neurogenese
Je koordinativ komplexer eine Bewegung ist, desto mehr Verstrickungen der Gehirnzellen entstehen. Wichtig ist, dass diese Vernetzung nicht nur in dem Gehirnbereich stattfindet, der für die Körperteile verantwortlich ist, die die Bewegung ausführen, sondern auch mit Neuronen aus den Motivations-, Aufmerksamkeits- und Emotionszentren. Zudem können sich bei entsprechenden Stimuli auch wieder neue Neuronen bilden (Neurogenese).
Neurotransmitter und BDNF
Für die Gehirnleistung sind neben der Anzahl der Synapsen auch die Überträgerstoffe entscheidend. Eine zentrale Bedeutung nimmt der Substanzkomplex BDNF (Brain Derived Neurotrophic Factors) ein, der die Übertragungseffektivität der Synapsen steigert. Es konnte nachgewiesen werden, dass es einen kausalen Zusammenhang von körperlicher Aktivität und der kognitiven Verbesserung durch Steigerung der BDNF gibt.