In unserer schnelllebigen und oft stressigen Welt suchen viele Menschen nach Wegen, um zur Ruhe zu kommen und ihre Nerven zu beruhigen. Ein Hobby, das in den letzten Jahren eine Renaissance erlebt hat und wissenschaftlich fundierte Vorteile bietet, ist das Stricken. Dieser Artikel beleuchtet die beruhigende Wirkung des Strickens und die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die diese Wirkung untermauern.
Die Wiederentdeckung eines traditionellen Handwerks
Stricken ist mehr als nur ein altmodisches Hobby; es ist eine Aktivität, die sowohl entspannend als auch therapeutisch sein kann. DIY-Künstler wie Shannon Downey, bekannt als "badass-Crossstitch", haben gezeigt, wie Handarbeitsprojekte in Zeiten von sozialer Distanzierung und Quarantäne eine wichtige Rolle spielen können. Downey veranstaltet Live-Stickkränzchen über das Internet und arbeitet an Onlinekursen für Stickprojekte. Unter dem Hashtag teilen Menschen aus aller Welt ihre Handarbeitsprojekte, an denen sie arbeiten, während sie mehr Zeit zu Hause verbringen.
Stricken als Meditation und Stressabbau
Downey betont, dass Stricken für sie eine Beschäftigung für die seelische Gesundheit ist. In ihrem Unterricht beobachtet sie oft, dass Menschen nicht wissen, was sie mit ihren Händen anfangen sollen, und dass Handarbeit ihnen hilft, zur Ruhe zu kommen. Stricken wirkt wie eine Form der Meditation, die in stressigen Zeiten besonders wertvoll sein kann. Die rhythmischen, sich wiederholenden Bewegungen beim Stricken beruhigen das Denken und halten es dennoch wach, da das Zählen eines Musters Konzentration erfordert. Dieser Zustand des Flows, des völligen Aufgehens in dem, was man gerade tut, dämpft die Stresshormone, lenkt von aufwühlenden Gedanken ab, mildert innere Unruhe, Depressionen und Angst.
Wissenschaftliche Erkenntnisse zur beruhigenden Wirkung
Die beruhigende Wirkung des Strickens ist nicht nur subjektiv, sondern auch wissenschaftlich belegt. Studien haben gezeigt, dass Handarbeiten im Allgemeinen und Stricken im Besonderen positive Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit haben.
Reduzierung von Stress und Angst
Eine Studie der neuseeländischen Zeitschrift "Listener" ergab, dass 73 Prozent der 3.500 befragten Personen sich deutlich weniger gestresst fühlten, wenn sie mindestens dreimal pro Woche zu den Stricknadeln griffen. Die Gleichförmigkeit der Bewegungen versetzt den Körper in einen natürlichen Entspannungszustand. Dies senkt den Puls um bis zu elf Schläge pro Minute und somit auch den Blutdruck. Außerdem hilft das gegen Schlaflosigkeit. Und es wird beruhigendes Serotonin ausgeschüttet, was chronische Schmerzen lindert.
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Förderung des psychischen Wohlbefindens
Eine Studie aus Schweden macht das auch wissenschaftlich deutlich: Stricken verbessert das psychische Wohlbefinden. Wer mit den Händen arbeitet, macht sich selbst eine Freude. Stricken gibt Halt, wenn die Welt aus den Fugen zu geraten droht. In einer Studie berichteten drei von vier Anorexiepatientinnen, dass Stricken ihre Ängste stark verringert und ihr obsessives gedankliches Kreisen um die Essstörung reduziert habe. Jede Zweite hatte zudem das Gefühl, etwas geleistet zu haben, das sie stolz und zufrieden machte.
Kognitive Vorteile
Stricken ist nicht nur gut für die Seele, sondern auch für das Gehirn. Eine Studie der Mayo Clinic in Rochester mit 1321 Senioren kam zu dem Ergebnis, dass regelmäßiges Stricken und Häkeln das Risiko für pathologische Gedächtnisverluste, eine Vorstufe der Alzheimerdemenz, um vierzig Prozent mindere. Hirnforscher vermuten, dass Stricken die Plastizität der Nervenbahnen im Gehirn fördern kann; diese wachsen und verbinden sich dann. Dies hilft offenbar, die kognitive Gesundheit zu erhalten. Durch die gleichzeitige und rhythmische Bewegung beider Hände werden außerdem die rechte und die linke Gehirnhälfte besser miteinander verknüpft als bei vielen anderen Tätigkeiten, bei denen jeweils nur die eine oder die andere Gehirnhälfte stärker angesprochen wird.
Körperliche Vorteile
Stricken ist ein hervorragendes Training für Finger, Hände und Unterarme. Die Gelenke werden durch die ständige Bewegung geschmeidig gehalten, das wirkt dem Knorpelabbau entgegen und kann das Arthroserisiko verringern. Zudem kann es nach manchen Arm- und Handgelenksbrüchen physiotherapeutisch eingesetzt werden, weil die ständigen kleinen Bewegungen Muskeln und Sehnen guttun.
Stricken gegen Overthinking
In unserer modernen Welt sind viele Menschen von Overthinking betroffen, dem obsessiven Überdenken von Problemen und Sorgen. Stricken kann helfen, diesen negativen Kreislauf zu durchbrechen. Die Konzentration auf die Handarbeit lenkt von quälenden Gedanken ab und bringt den Geist in den gegenwärtigen Moment. Die „Kampf- oder Fluchtreaktion“, die Alarmreaktion des Nervensystems, wird ruhiggestellt, Emotionen werden reguliert. Das völlige Aufgehen in einer Beschäftigung, der so genannte Flow, dämpft die Stresshormone.
Tipps für den Einstieg ins Stricken
Wer die beruhigende Wirkung des Strickens selbst erleben möchte, findet hier einige Tipps für den Einstieg:
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- Einfache Projekte wählen: Beginnen Sie mit einfachen Projekten wie einem Schal oder einer Mütze, um die Grundlagen des Strickens zu erlernen.
- Anleitungen nutzen: Es gibt viele kostenlose Anleitungen und Ideen für Strickprojekte im Internet, zum Beispiel auf baddasscrossstitch.com oder Ravelry.
- Virtuelle Strickgruppen: Beteiligen Sie sich an einem virtuellen sogenannten Knit-Along. Dabei stricken verschiedene Nutzer weltweit das gleiche Projekt und tauschen sich gegenseitig per Forum darüber aus.
- Das richtige Material: Verwenden Sie leichtere Bambus- oder Holznadeln und grundsätzlich Rundstricknadeln, bei denen das Gewicht des Gestrickten eher auf dem Schoß ruht anstatt wie bei langen Nadeln auf den Handgelenken.
- Geduld haben: Stricken ist nichts für Eilige. Es dauert einfach, bis ein Pullover oder ein großes Tuch fertig sind. Aber das ist es ja gerade!
Stricken als Ausdruck von Kreativität und Nachhaltigkeit
Stricken ist nicht nur eine beruhigende Tätigkeit, sondern auch eine Möglichkeit, die eigene Kreativität auszuleben und nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Als StrickerIn hat man es in der Hand, denn im Gegensatz zu Konfektionsware kann man bei einem Handstrickgarn immer eines aussuchen, bei dem es gut um Umweltschutz und Tierwohl steht. Ein selbstgestricktes Kleidungsstück weiß man in aller Regel so viel mehr zu schätzen als eines, dass man „nur“ fertig im Laden gekauft hat. Es macht einem meist viel Freude, und man trägt es lange.
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