Der Zusammenhang zwischen Hörverlust und Demenz ist ein zunehmend wichtiges Forschungsgebiet. Aktuelle Studien deuten darauf hin, dass Hörverlust ein signifikanter, potenziell modifizierbarer Risikofaktor für die Entwicklung von Demenz sein könnte. Schwerhörigkeit wird nur selten mit kognitivem Abbau assoziiert. Doch Demenz und Hörverlust teilen sich gemeinsame Risikofaktoren, darunter soziale Isolation, mangelnde Kommunikation und Depressionen.
Überlappende Symptome und Risikofaktoren
Hörverlust und Demenz weisen oft ähnliche Symptome auf, was die Diagnose erschweren kann. Zu diesen Symptomen gehören sozialer Rückzug, Fehleinschätzung sozialer Situationen, Niedergeschlagenheit, Ängstlichkeit und Kommunikationsprobleme. Professor Dr. Jan Löhler, Präsident des Deutschen Berufsverbands der Hals-Nasen-Ohrenärzte, wies darauf hin, dass Menschen mit Hörverlust soziale Situationen falsch einschätzen könnten, weil sie meinen, andere redeten über sie oder Ironie in der Stimme nicht mehr erkennen.
Einem Bericht von »The Lancet« zufolge könnten bis zu 45 Prozent der Demenzerkrankungen verhindert oder verzögert werden, wenn modifizierbare Risikofaktoren ausgeschaltet würden. Schwerhörigkeit im mittleren Alter wurde neben hohem LDL-Cholesterin als einer der wichtigsten Risikofaktoren identifiziert.
Studienergebnisse zum Zusammenhang
Zahlreiche Studien haben den Zusammenhang zwischen Hörverlust und Demenz untersucht. Eine frühe Studie von Richard Uhlmann und Kollegen aus dem Jahr 1989 ergab, dass Hörverlust bei älteren Erwachsenen zu kognitiven Störungen beiträgt. Je stärker der Hörverlust, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer Demenzerkrankung. Die Studie zeigte, dass Hörverlust mit einer reduzierten kognitiven Leistung verbunden war, auch bei Patienten ohne Demenz.
Frank Lin und sein Team von der Johns Hopkins School of Medicine führten eine umfassendere Studie durch, in der sie 639 Patienten 18 Jahre lang beobachteten. Während der Beobachtungszeit wurde bei 58 Patienten Demenz diagnostiziert. Patienten mit leichtem, mittelschwerem und schwerem Hörverlust hatten ein 2-, 3- bzw. 5-fach erhöhtes Risiko, an Demenz zu erkranken, verglichen mit Probanden mit normalem Hörvermögen.
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Eine Studie von Gallacher et al. aus dem Jahr 2012 bestätigte diese Ergebnisse. Sie fanden einen deutlichen Zusammenhang zwischen Hörverlust und Demenz sowie dem Abbau kognitiver Fähigkeiten bei 1057 beobachteten Männern über einen Zeitraum von 17 Jahren. Für jede 10 dB (A) des zunehmenden Hörverlusts erhöhte sich das Risiko, eine Demenz zu entwickeln, um das 2,7-fache.
Eine dänische Studie, die Anfang 2024 im Fachjournal »JAMA Otolaryngology - Head & Neck Surgery« publiziert wurde, unterstreicht diese vorsichtigere Einschätzung. Menschen mit audiometrisch diagnostiziertem Hörverlust erkrankten laut der Studie häufiger an einer Demenz als Hörgesunde und das Risiko war geringer, wenn sie ein Hörgerät verwendeten. Allerdings unterstreicht die Gruppe um Manuella Lech Cantuaria von der Universität von Süddänemark, dass das Risiko deutlich geringer war als in früheren Studien, und fordert mehr qualitativ hochwertige Longitudinalstudien. Die aktuelle Studie liefert eine Bestätigung dieses Zusammenhanges: Sie kommt zu dem Ergebnis, dass von Hörverlust Betroffene ein um 13 Prozent höheres Risiko haben an Demenz zu erkranken als Menschen mit normalem Gehör.
Mögliche Mechanismen
Die genauen Mechanismen, die den Zusammenhang zwischen Hörverlust und Demenz erklären, sind noch nicht vollständig geklärt. Es gibt jedoch mehrere Theorien:
- Gemeinsame Pathologie: Eine allgemeine Pathologie könnte sowohl Hörverlust als auch Demenz verursachen.
- Kognitive Überlastung: Die Anstrengung, Geräusche über Jahre hinweg zu dekodieren, könnte das Gehirn von hörgeschädigten Menschen überfordern und sie anfälliger für Demenz machen.
- Soziale Isolation: Hörverlust kann zu sozialer Isolation führen, einem bekannten Risikofaktor für Demenz und andere kognitive Störungen.
- Veränderungen im Gehirn: Vermutlich führt der Hörverlust auch zu Veränderungen im Gehirn: Aufgrund der Dauerbelastung durch starke Konzentration auf das Hören werden andere Hirnfunktionen vernachlässigt. Besonders die Hirnrinde und der Hippocampus, die Schaltstelle zwischen Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis, scheinen betroffen zu sein.
Die Rolle von Hörgeräten und Cochlea-Implantaten
Studien deuten darauf hin, dass die Verwendung von Hörgeräten das Risiko für Demenz verringern könnte. Eine aktuelle Studie ergab, dass das Risiko, an Demenz zu erkranken, bei Menschen, die keine Hörgeräte trugen, um 20 Prozent höher war als bei Menschen mit normalem Gehör. Bei Personen, die ein Hörgerät trugen, war das Risiko nur um sechs Prozent erhöht.
Für Menschen mit schwerem bis hochgradigem Hörverlust sind Cochlea-Implantate oft die einzige Möglichkeit, wieder hören zu können. Eine aktuelle Studie aus Belgien kommt zu dem Schluss, dass Cochlea-Implantate einen positiven Effekt auf die Kognition haben könnten. Das könnte daran liegen, dass ein besseres Hörvermögen Kommunikation, soziale Kontakte und kognitive Stimulation fördert.
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Prävention und Früherkennung
Angesichts des potenziellen Zusammenhangs zwischen Hörverlust und Demenz ist die Prävention und Früherkennung von Hörverlust von großer Bedeutung. Fachleute empfehlen, ab dem 50. Geburtstag regelmäßig einen Hörtest zu machen. Moderne Hörgeräte sind heute winzig, kaum sichtbar und werden von der Krankenkasse übernommen.
MED-EL unterstreicht die Bedeutung von Hörgesundheit als Teil eines gesunden Alterns und bietet kostenlose Online-Hörtests an, um niederschwellig einen eventuellen Hörverlust zu entdecken.
Praktische Tipps für Hörgesundheit und geistige Fitness
- Regelmäßige Hörtests: Machen Sie Hörtests zu einem Fixpunkt Ihrer jährlichen Gesundheitsvorsorge.
- Frühzeitige Behandlung: Unternehmen Sie früh etwas gegen Schwerhörigkeit und verwenden Sie bei Bedarf eine Hörhilfe.
- Soziale Kontakte pflegen: Bewahren Sie Ihre sozialen Kontakte und Ihre Kommunikationsfähigkeit, um auch im Alter geistig fit zu bleiben.
Die Bedeutung der ärztlichen Untersuchung
Bei Anzeichen von Hörverlust sollte unbedingt ein Arzt aufgesucht werden. Der erste Weg wäre der Gang zum Hausarzt, der dann an den HNO-Facharzt überweist. Bestandteil der Untersuchung ist unter anderem ein Hörtest, um zu prüfen, welche Töne und Frequenzen gehört werden. Bei Schwerhörigkeit wird zusätzlich ein Sprachtest durchgeführt.
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