Die Syphilis, auch bekannt als Lues, ist eine sexuell übertragbare Infektionskrankheit, die durch das Bakterium Treponema pallidum verursacht wird. Obwohl die Inzidenz der Syphilis in den letzten Jahrzehnten zunächst zurückgegangen ist, verzeichnen viele Länder, darunter auch Deutschland, seit der Jahrtausendwende wieder einen Anstieg der Fallzahlen, insbesondere in städtischen Ballungszentren. Dieser Wiederanstieg hat auch dazu geführt, dass die Neurosyphilis, eine Manifestation der Syphilis im zentralen Nervensystem (ZNS), wieder an Bedeutung gewinnt.
Epidemiologie und Risikofaktoren
Die Syphilis-Inzidenz ist in großstädtischen Ballungszentren deutlich höher als in ländlicheren Regionen. Der weit überwiegende Anteil von Infektionen wird bei Männern diagnostiziert (>90%). Bei Frauen ist die Altersgruppe der 25- bis 29-Jährigen, bei Männern die der 30- bis 39-Jährigen am häufigsten betroffen. Der überwiegende Anteil von Infektionen bei Männern wird von Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), erworben. Bei Frauen erfolgen Infektionen ganz überwiegend auf heterosexuellem Weg. Der seit 2010 zu beobachtende Anstieg von Syphilis-Fällen ist zum größten Teil durch einen Anstieg von Infektionen bei MSM bedingt.
Ein wichtiger Risikofaktor für die Entwicklung einer Neurosyphilis ist die Koinfektion mit HIV. HIV-positive Syphilispatienten erkranken häufiger an einer Syphilis maligna und einer Neurosyphilis. Syphilitische Ulzera begünstigen das Zustandekommen einer Infektion mit HIV, zudem kann eine floride Syphilis den Verlauf einer HIV-Infektion ungünstig beeinflussen und umgekehrt.
Übertragung und Pathogenese
Treponema pallidum wird am häufigsten durch direkte sexuelle Kontakte übertragen, wobei das Bakterium durch Mikroläsionen der Schleimhaut oder Haut in den Organismus eindringt. Geschlechtsverkehr mit einem infizierten Partner führt in etwa 30 % der sexuellen Kontakte zu einer Infektion. Übertragungsvorgänge durch kontaminierte Nadeln oder andere kontaminierte Gegenstände sind selten. Übertragungen durch Bluttransfusionen sind durch systematische Testung aller Spenden extrem selten und in Deutschland seit über 20 Jahren nicht mehr berichtet worden.
Nach der Infektion kann die Syphilis in verschiedenen Stadien verlaufen, die sich durch unterschiedliche klinische Manifestationen auszeichnen. Die akute Infektion (symptomatisch wie asymptomatisch) kann in einen chronischen Prozess übergehen, der durch mehrere Stadien hindurch verschiedene Organsysteme betreffen kann. Der klinische Verlauf der Erkrankung wird eingeteilt in die Frühsyphilis und die Spätsyphilis.
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Stadien der Syphilis und ihre neurologischen Manifestationen
Die Syphilis verläuft in vier überlappenden Stadien: primäre, sekundäre, latente und tertiäre Syphilis. Jedes Stadium weist charakteristische Symptome und klinische Manifestationen auf, die mit einer entsprechenden Infektiosität einhergehen.
Primäre Syphilis (Lues I)
Das erste Stadium der Frühsyphilis wird als Primäre Syphilis (auch Lues I) bezeichnet. Hier äußert sich die Erkrankung zunächst durch eine derbe Induration an der Eintrittspforte des Erregers, aus der im Verlauf ein schmerzloses Ulkus entsteht (Synonyme: Primäraffekt, Ulkus durum, harter Schanker), sowie regionale Lymphadenopathie. Das Ulkus durum bildet mit den geschwollenen Lymphknoten den sog. Primärkomplex. Der Primäraffekt beginnt als Papel in Gestalt eines derben hirsekorngroßen Knotens. Daraus entsteht das Ulkus durum mit einem scharfen abgesetzten wallartigen Rand und geringgradig eingesunkenem Zentrum. Im Gegensatz zum Ulkus molle bestehen keine unterminierten Ränder. Beim Mann sind meist die Glans penis und der Sulcus coronarius, bei der Frau häufig die Labien betroffen. In dieser typischen Lokalisation sind die Ulzera in der Regel schmerzlos. Je nach Art der ausgeübten Sexualpraktiken finden sich extragenitale Primäraffekte aber auch an den Lippen, in der Mundhöhle und im Rachen sowie am Anus und im Rektum; diese extragenital lokalisierten Ulzera können schmerzhaft sein. Der Primäraffekt heilt nach 4-6 Wochen spontan ab. Charakteristisch für die regionale Lymphknotenschwellung sind das langsame Anschwellen der Lymphknoten, die geringe Schmerzhaftigkeit, das Fehlen von Entzündungszeichen und Einschmelzungen. Differenzialdiagnostisch sollte an Herpes genitalis, Karzinome und Ulkus molle gedacht werden.
Neurologische Symptome sind in diesem Stadium selten.
Sekundäre Syphilis (Lues II)
Diese Phase der hämatogenen und lymphogenen Aussaat beginnt 4-10 Wochen nach der Infektion und kann durch eine vielfältige klinische Symptomatik gekennzeichnet sein. Zu Beginn des Sekundärstadiums können Fieber, Müdigkeit, Kopf-, Gelenk- oder Muskelschmerzen auftreten. Gleichzeitig besteht fast immer eine harte Schwellung vieler Lymphknoten (Polyskleradenitis). Es folgen spezifische Exantheme und Enantheme, Syphilide genannt, mit einer hohen Variabilität. Typischerweise tritt ein erst stammbetontes, oft kaum erkenntliches masernähnliches Exanthem ohne Juckreiz auf (makulöses Syphilid oder Roseola). Dieses Exanthem tritt charakteristisch für die Syphilis an den Handflächen und den Fußsohlen auf, ist aber nicht darauf beschränkt bzw. kann auch fehlen. Differenzialdiagnostisch sollte an eine Pityriasis rosea, Psoriasis, ein Arzneimittelexanthem, aber auch an akute Virusexantheme (HIV-Infektion!) gedacht werden. Bei ungewöhnlich schlechter immunologischer Abwehrlage können frühzeitig ulzerierende und nekrotisierende Herde auftreten (Lues maligna). Während des Sekundärstadiums können über 1 bis 3 Wochen Rezidivexantheme auftreten. Diese verlieren immer mehr ihre charakteristischen Eigenschaften, sind oft mehr papulös als makulös, können sich gruppieren (serpiginöse Formen, Lichen syphiliticus und korymbiformes Syphilid) und konfluieren. Im Kopfhaarbereich kann es zu mottenfraßartigem Haarausfall kommen (Alopecia specifica areolaris). Dort und besonders im Bartbereich treten himbeer- bis blumenkohlähnliche Papillome auf (frambösi¬formes Syphilid). Im Bereich der seitlichen Halsabschnitte beobachtet man häufig postinflammatorische Depigmentierungen („Halsband der Venus“). Innerhalb der Mundhöhle können sich verschiedene Plaques bilden (düsterrote Plaques muqueuses, gefurchte Plaques lisses auf der Zunge, derbe weißliche Leukoplakia oris). Neben den Syphiliden der Hohlhand oder der Fußsohlen (Palmoplantarsyphilide) beobachtet man häufiger übermäßige Hornhautbildung (Clavi syphilitici). Im Bereich der intertriginösen Areale können sich derbe Papeln bilden, die später zu erregerreichen vegetierenden Papelbeeten konfluieren (Condylomata lata).
In diesem Stadium kann es zu einer "frühen Neurosyphilis" in Form einer syphilitischen Meningitis kommen. Typische Symptome sind Kopfschmerzen, Übelkeit/Erbrechen, Meningismus und Hirnnervenläsionen einschließlich Befall des N. opticus.
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Latente Syphilis (Lues latens)
Neben den klinischen Stadien der Lues II und Lues III wird die durch serologische Befunde definierte früh latente und spät latente Syphilis unterschieden. In diesem Stadium treten keine klinischen Symptome auf, aber die Infektion kann durch serologische Tests nachgewiesen werden.
Tertiäre Syphilis (Lues III) und Neurosyphilis (Lues IV)
Wurde die Frühsyphilis (Lues I und II) nicht ausreichend behandelt, kann es zur Tertiären Syphilis (Lues III) kommen. Lassen Betroffene auch die Tertiäre Syphilis nicht ausreichend behandeln, kann es zur Manifestation der Syphilis am Zentralen Nervensystem (ZNS) kommen. Dieses Stadium der Spätsyphilis wird dann Neurosyphilis (Quartäre Syphilis, Lues IV) genannt.
Unter Neurosyphilis werden die Manifestationen der Spätsyphilis am ZNS zusammengefasst. Diese waren selten geworden, haben aber heute durch das nicht allzu seltene Zusammentreffen von Syphilis und HIV-Infektion eine aktuelle Bedeutung erlangt. Bei 15-40% der unbehandelten Patienten können nach langjährigem Verlauf der Infektion Treponemen im Liquor nachgewiesen werden.
Die Neurosyphilis kann verschiedene Formen annehmen:
- Asymptomatische Neurosyphilis: In diesem Fall liegen keine klinischen Symptome vor, aber Treponemen können im Liquor nachgewiesen werden.
- Tabes dorsalis: Folge einer Degeneration der Hinterstränge des Rückenmarks, die bei einem Drittel der unbehandelten Neurosyphilis-Fälle durchschnittlich 20 Jahre nach Erstinfektion auftritt; typisch sind in Unterbauch und Beine einschießende Schmerzen sowie Sensibilitätsverluste. Betroffene leiden unter einem unsicheren Gang, Störungen des Lagesinns und blitzartigen Schmerzen im Abdomen, den Geschlechtsorganen, dem Kehlkopf oder den Beinen.
- Syphilitische Meningitis: Mit Hirnnervenparesen oder intrakranieller Drucksteigerung, gekennzeichnet durch eine aseptische Meningitis, entzündliche Liquorveränderungen und spezifischen Antikörpernachweis im Liquor und Blut. Bei chronischer Meningitis können eine meningovaskuläre Syphilis des Spinalkanals mit Parästhesien bzw. Paraplegie oder eine vaskuläre Syphilis mit Hemiparesen oder -plegie, Aphasie oder Krampfanfällen entstehen.
- Parenchymatöse Syphilis (progressive Paralyse): Bei fehlender Behandlung entwickelt sich nach 15-20 Jahren eine parenchymatöse Syphilis mit zahlreichen neurologischen und psychiatrischen Auffälligkeiten (typisch ist das Argyll-Robertson-Phänomen, d.h. die Beeinträchtigung der Lichtreaktion bei erhaltener Konvergenzreaktion). Im Vordergrund steht das hirnorganische Psychosyndrom. Weitere Symptome können epileptische Anfälle und kognitive Beeinträchtigungen bis hin zur Demenz, Sehstörungen, Hörverlust, Neuropathien, Impotenz und Inkontinenz sein.
Besonderheiten des Verlaufs bei HIV-Infektion
Bei retrospektiven Untersuchungen fiel auf, dass HIV-positive Syphilispatienten häufiger an einer Syphilis maligna und einer Neurosyphilis erkrankten. Die sonst selten gesehene Syphilis maligna wurde bei HIV-Infektion bisher unter dem Bild eines pustulo-nekrotischen Syphilids, einer Rupia syphilitica (austernschalenartige Krustenbildung) oder am häufigsten eines Ecthyma syphiliticum gesehen. Gleichzeitig bestehen häufiger Allgemeinsymptome wie erhöhte Temperaturen oder Abgeschlagenheit, wobei eine Skleradenitis fehlt. Wenn zu einer bestehenden HIV-Infektion zusätzlich eine Syphilis hinzukommt und unbehandelt bleibt, ist das Risiko für eine Neurosyphilis erhöht.
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Diagnostik der Neurosyphilis
Bei Verdacht auf Neurosyphilis sind umfassende Untersuchungen erforderlich. Hierzu zählen Syphilis-Suchtests im Serum und der VDRL-Test (Veneral-Disease-Research-Laboratory-Test) zur Verlaufsbeurteilung. Eine Liquoruntersuchung des Gehirnwassers ist essenziell, um Zellzahlen, Proteine und spezifische Antikörper gegen Treponema pallidum zu bestimmen. Bildgebende Verfahren wie ein MRT des Gehirns helfen bei der Diagnose. Die Leitlinien unterscheiden zwischen einer wahrscheinlichen und gesicherten Neurosyphilis, wobei spezifische Kriterien erfüllt sein müssen.
Zur Diagnosestellung kommen serologische Tests zur Anwendung. Dabei dienst der TPPA-Test als Screening, Der FTA-Abs-Test zur Sicherung der Diagnose. Außerdem erfolgt die Untersuchung des Liquors, in dem sich in der Regel ein entzündlicher Liquor mit erhöhter Zellzahl mit dominierenden Makrophagen und Lymphozyten sowie eine Vermehrung des Proteingehalts zeigt.
Therapie der Neurosyphilis
Die Therapie der Neurosyphilis besteht in der hoch dosierten Gabe von Penicillin G intravenös über 14 Tage. Der Therapieerfolg wird durch klinische Besserung und rückläufige Liquorparameter beurteilt. Eine erneute Liquoruntersuchung nach sechs Monaten ist empfehlenswert. Trotz erfolgreicher Behandlung kann es zu Rückfällen kommen, sodass bei erneut auftretenden Symptomen eine rasche Abklärung notwendig ist. Zudem sollte eine HIV-Infektion ausgeschlossen werden, da beide Erkrankungen häufig gemeinsam auftreten.
Die Therapie der Wahl ist eine über mindestens 10 Tage durchzuführende hochdosierte Therapie mit Benzylpenicillin (z.B. 10 Millionen IE drei mal täglich).
Deutsche Leitlinien empfehlen eine Initialdosis von 4 g Ceftriaxon. Behandlungsalternativen sind Doxycyclin (z.B. Doxyhexal SF) 2x 100 mg/täglich oder Erythromycin (z.B. Erythrocin®) 4x 500 mg/täglich für mindestens 3 Wochen. Bei Makroliden ist allerdings eine Resistenzentwicklung möglich.
Nach dem Ende der Therapie erfolgen regelmäßige Kontrolluntersuchungen und Bluttests. Dabei wird beurteilt, inwieweit die Symptome abklingen und die Zahl bestimmter Antikörper im Blut abnimmt. Bei der Frühsyphilis gehen nach der Therapie die Symptome meistens rasch zurück. Betroffene sollten bis zur vollständigen Ausheilung sexuelle Kontakte vermeiden. Im Rahmen einer Spätsyphilis entstandene Organschäden können allerdings nicht rückgängig gemacht werden und führen möglicherweise zu bleibenden Beeinträchtigungen.
Prävention
Angesichts der weltweit steigenden Zahl von Syphilis- und Neurosyphilis-Fällen ist Prävention besonders wichtig. Safer Sex und der Gebrauch von Kondomen können das Ansteckungsrisiko erheblich reduzieren. Auch regelmäßige Gesundheitsuntersuchungen und ein offener Umgang mit dem Thema tragen dazu bei, die Verbreitung der Erkrankung einzudämmen.
Syphilis kann beim Sex über kleinste Wunden in den Körper eindringen, zum Beispiel an den Geschlechtsorganen, im Mund oder am Anus. Durch geschützten Geschlechtsverkehr kann man das Risiko einer Infektion senken. Beim Anal- oder Vaginalverkehr kann man dafür Kondome oder Femidome verwenden. Femidome funktionieren ähnlich wie Kondome und schützen auch ebenso gut, werden aber in die Scheide eingeführt. Beim Oralsex kann man neben Kondomen außerdem Dental Dams, auch Lecktücher genannt, verwenden. Das sind dünne Tücher, die man zwischen den Mund und die Vagina oder den Anus legen kann.
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