Tanzen ist weit mehr als nur eine Freizeitbeschäftigung; es ist eine ganzheitliche Aktivität, die Körper, Geist und Seele anspricht. Insbesondere für Menschen mit Demenz bietet Tanzen eine Vielzahl von Vorteilen, die von der Verbesserung der körperlichen Fitness bis hin zur Förderung der sozialen Interaktion und der kognitiven Fähigkeiten reichen.
Die Bedeutung von Bewegung und sozialer Interaktion bei Demenz
Demenz betrifft in Deutschland etwa 1,8 Millionen Menschen. Charakteristisch für diese Erkrankung ist der Verlust kognitiver Fähigkeiten, der sich in Gedächtnisproblemen, Sprachschwierigkeiten und Orientierungslosigkeit äußern kann. Erinnerungen aus dem Langzeitgedächtnis bleiben jedoch oft erhalten. Bewegung und soziale Interaktion spielen eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung der Lebensqualität von Menschen mit Demenz.
Tanzen als umfassende Therapieform
Tanzen vereint auf einzigartige Weise körperliche Aktivität, geistige Stimulation, soziale Interaktion und emotionalen Ausdruck. Studien haben gezeigt, dass Tanzen eine wirksame Präventionsmaßnahme gegen Demenz sein kann. Eine Studie der Albert Einstein Universität in New York aus dem Jahr 2001 wies nach, dass Tanzen die beste Prävention gegen Demenz ist. Tanzen hält fit - körperlich, seelisch und geistig. Es beinhaltet alles, was zur Prävention beiträgt: Gedächtnistraining, Sport, Geselligkeit, soziale Interaktion, Kommunikation und Musik.
Körperliche Vorteile des Tanzens
Tanzen verbessert die Ausdauer und Muskelkraft, reduziert die Sturzgefahr, fördert die Hirn-Muskelkoordination und verbessert die Körperhaltung und den Gleichgewichtssinn. Es kann auch das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduzieren. Durch die Aktivierung vieler Muskelgruppen, Gelenke und Körperzentren trägt Tanzen dazu bei, die vorhandenen Bewegungsfähigkeiten zu erhalten.
Sturzprophylaxe durch Tanzen
Ältere Menschen mit Demenz haben ein erhöhtes Sturzrisiko, das durch Gangunsicherheiten noch verstärkt wird. Tanzen kann helfen, die Gangregelmäßigkeit zu verbessern und das Gleichgewicht zu schulen, wodurch das Sturzrisiko reduziert wird.
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Geistige und kognitive Vorteile des Tanzens
Tanzen ist nicht nur gut für den Körper, sondern auch für den Geist. Es stärkt die Aufmerksamkeit, Wachsamkeit, geteilte Aufmerksamkeit, Gleichgewicht und Flexibilität. Das Erlernen neuer Tanzschritte und das Erinnern an komplexe Bewegungsabfolgen fordern das Gehirn heraus und fördern die Bildung neuer Nervenzellen.
Tanzen und neuronale Plastizität
Studien haben gezeigt, dass sich sowohl bei professionellen Tänzern als auch bei Hobbytänzern bestimmte Areale im Gehirn verbessern, insbesondere jene für motorische Fähigkeiten. Gesellschaftstanz wirkt sich vorteilhaft auf die neuronale Plastizität aus, also die Erweiterung der Anzahl an Hirnzellen.
Musik als Schlüssel zur Erinnerung
Musik spielt eine wichtige Rolle beim Tanzen für Menschen mit Demenz. Vertraute Lieder und rhythmische Musik motivieren zur Bewegung und wecken Erinnerungen. Das Hirnareal des musikalischen Langzeitgedächtnisses weist im Verlauf einer Alzheimer-Erkrankung nur eine minimale kortikale Atrophie auf, was erklärt, warum Patienten in fortgeschrittenen Demenzstadien oft noch ganze Liedstrophen mitsingen können.
Psychosoziale Vorteile des Tanzens
Tanzen fördert die soziale Interaktion und hilft gegen Einsamkeit. Es ermöglicht Menschen mit Demenz, sich auszudrücken, ohne Worte zu verwenden, und schafft Kontakt zu anderen. Tanzen vermittelt ein Gefühl von Unabhängigkeit und trägt zur Wahrung der Würde bei.
Tanzen als Kommunikationsmittel
Gerade wenn Menschen mit Demenz die Worte fehlen, kann Tanzen eine Möglichkeit sein, sich auszudrücken und zu kommunizieren. Durch Körpersprache und nonverbale Kommunikation können sie ihre Gefühle und Bedürfnisse zum Ausdruck bringen.
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Tanzen als Integrationsförderung
Tanzen fördert die Integration zwischen Menschen mit Demenz und anderen Menschen. Für Angehörige bietet der Tanz die Möglichkeit, gemeinsam mit ihrem Partner eine Freizeitbeschäftigung nachzugehen und den anstrengenden Alltag zu vergessen.
Tanzangebote für Menschen mit Demenz
Es gibt verschiedene Tanzangebote, die speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz zugeschnitten sind. Dazu gehören:
- Demenztanz: Spezielle Tanzkurse, die auf die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz angepasst sind.
- Tanzen im Sitzen: Eine sanfte Form des Tanzens, die sich besonders für Menschen mit Bewegungseinschränkungen eignet.
- Rollatortanz: Tanzen mit dem Rollator als Tanzpartner.
- Rollstuhltanz: Tanzen im Rollstuhl in der Gruppe zur Musik.
- Tanzen in der Gruppe: Gemeinsames Tanzen mit anderen Menschen mit und ohne Demenz.
- Resonare: Ein Musikprojekt für Menschen mit Demenz und deren Angehörige, das Tanzen und andere musikalische Aktivitäten beinhaltet.
Besonderheiten bei der Unterrichtsgestaltung
Bei der Gestaltung von Tanzstunden für Menschen mit Demenz ist es wichtig, die folgenden Aspekte zu berücksichtigen:
- Anpassung an die Teilnehmenden: Methodik und Inhalte sind an die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Teilnehmenden angepasst.
- Vertraute Musik: Vertraute Lieder und rhythmische Musik, die zu Bewegung motiviert.
- Mitsingen erlaubt: Das Mitsingen ist ausdrücklich erlaubt und erwünscht.
- Anwendungsorientierung: Das Ziel der Tanzstunde ist die Anwendung, der Schwerpunkt wird nicht auf neue Inhalte gesetzt.
- Der Mensch im Mittelpunkt: Der Mensch steht im Mittelpunkt und nicht der Tanz.
- Differenzierungsqualität: Die Unterrichtsinhalte haben eine hohe Differenzierungsqualität, sodass jeder mitmachen kann, unabhängig von seiner Bewegungsfähigkeit.
- Modifizierte Tanzformen: Walzer, Tango, Samba und andere Gesellschaftstänze sind so modifiziert, dass jeder mitmachen kann.
- Kommunikationsblöcke: Zwischendurch gibt es Kommunikationsblöcke, die sich thematisch auf die Musik oder den Tanz beziehen.
Wissenschaftliche Erkenntnisse und Studien
Die wissenschaftliche Evidenz zur therapeutischen Bedeutung von Musik und Bewegung bei Demenz ist zwar noch begrenzt, aber es gibt zunehmend Studien, die positive Effekte zeigen.
Studien zu Musikinterventionen
Eine spanische Interventionsstudie zeigte, dass eine aktive musikalische Gruppenintervention mit Tanzen, Rhythmik und einem Musikquiz bei Pflegeheimbewohnern mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Erkrankung positive Effekte hatte. Eine Metaanalyse von 21 randomisierten, kontrollierten Studien ergab, dass aktives Musikmachen einen kleinen, aber signifikanten positiven Effekt auf die Kognition von Studienteilnehmern mit leichter kognitiver Beeinträchtigung und Demenz hatte.
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Studien zu körperlicher Aktivität
Studien haben gezeigt, dass körperliche Aktivitätsinterventionen positive Effekte auf demenzassoziierte Verhaltensauffälligkeiten haben können. Regelmäßiges und intensives körperliches Training kann auch wesentliche funktionelle Verbesserungen bewirken.
Einstein-Aging-Kohortenstudie
Die Einstein-Aging-Kohortenstudie ergab, dass regelmäßiges Tanzen als Freizeitbeschäftigung mit einem bis zu 80 % erniedrigten späteren Demenzrisiko assoziiert war.
Praktische Tipps und Empfehlungen
- Frühzeitig beginnen: Wer sich früh mit dem Thema Bewegung und Demenz auseinandersetzt, kann viel für seine eigene Gesundheit tun.
- Spaß haben: Es muss nicht perfekt sein - Hauptsache, es fühlt sich gut an.
- Kleine Schritte: Ein kurzer Spaziergang, ein paar Tanzschritte in der Küche oder gemeinsames Gärtnern können schon viel bewirken.
- Vertraute Bewegungen: Oft sind es die vertrauten Bewegungen, die Sicherheit geben und Freude machen.
- An alte Gewohnheiten anknüpfen: Wer früher gern getanzt oder Gymnastik gemacht hat, kann auch mit Demenz davon profitieren.
- Individuelle Bedürfnisse berücksichtigen: Jede Zielgruppe hat andere Bedürfnisse, so auch Menschen mit Demenz.
- Professionelle Beratung: Wer gesundheitliche Bedenken hat, kann sich von einer Sportmedizinerin oder einem Sportmediziner beraten lassen.
Resonare: Ein Beispiel für gelungene Tanzprojekte
Ein Beispiel für ein gelungenes Tanzprojekt für Menschen mit Demenz ist Resonare, ein Musikprojekt in der Komischen Oper in Berlin. Hier tanzen Demenzbetroffene und ihre Begleiter im Kreis Boogie Woogie. Die Stunde wird am Klavier begleitet, und zu vielen Liedern werden Bewegungen gemacht. Auch wenn manche Teilnehmer schwere demenzielle Einschränkungen haben, spiegeln sie nach einiger Zeit die Bewegungen und kommen für kurze Momente in der Gruppe an.