Ein Schlaganfall kann das Leben von einer Minute auf die andere verändern und tiefgreifende Folgen für die Betroffenen und ihre Angehörigen haben. Glücklicherweise haben sich die Therapiemöglichkeiten in den letzten Jahren deutlich verbessert. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über moderne Therapieansätze nach einem Schlaganfall, von der Akutbehandlung bis zur langfristigen Rehabilitation.
Schlaganfall: Eine wachsende Herausforderung
In Deutschland erleiden jährlich rund 270.000 Menschen einen Schlaganfall. Er gehört zu den häufigsten Ursachen für erworbene Behinderungen und stellt somit kein Randthema dar. Ein Schlaganfall entsteht durch eine Unterbrechung der Hirndurchblutung, meist durch einen Gefäßverschluss (ischämischer Schlaganfall) oder seltener durch eine Blutung (hämorrhagischer Schlaganfall). Dies führt dazu, dass Nervenzellen nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt werden und Hirngewebe abstirbt. Die Folgen eines Schlaganfalls können vielfältig sein und reichen von motorischen Einschränkungen und Sprachstörungen bis hin zu kognitiven Defiziten und emotionalen Veränderungen.
Akuttherapie: "Time is Brain"
In der Akuttherapie gilt das Prinzip "Time is Brain" - je schneller die Behandlung erfolgt, desto besser sind die Chancen auf eine erfolgreiche Genesung. Im Vordergrund steht die rasche Wiederherstellung einer ausreichenden Durchblutung der betroffenen Hirnareale.
Erweiterung des Zeitfensters für die Katheterbehandlung (Thrombektomie)
Ein Meilenstein in der akuten Behandlung ist die Erweiterung des Zeitfensters für die Katheterbehandlung (Thrombektomie). Studien haben gezeigt, dass Patientinnen und Patienten mit einem Verschluss großer hirnversorgender Gefäße sogar bis zu 24 Stunden nach dem Ereignis von dieser Behandlung profitieren können.
Medikamentöse Schlaganfalltherapie
Auch die medikamentöse Schlaganfalltherapie hat deutliche Fortschritte gemacht. Das Thrombolytikum Tenecteplase hat in vielen deutschen Schlaganfallzentren den Einsatz des bisherigen Medikaments Alteplase abgelöst.
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Flächendeckende Etablierung von Stroke Units
Gerade in Deutschland hat die akute Schlaganfalltherapie große Fortschritte gemacht, nicht zuletzt durch die flächendeckende Etablierung und Zertifizierung von Stroke Units. Obwohl die Zahl der Patientinnen und Patienten mit Schlaganfall um 25 % gestiegen ist, hat sich die Krankheitslast für die einzelnen Betroffenen deutlich reduziert.
Neuropsychologische Folgen eines Schlaganfalls
Die neuropsychologischen Folgen eines Schlaganfalls können vielfältig sein und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Sie sind oft nicht auf den ersten Blick erkennbar, können aber dennoch einschneidende Defizite in den Bereichen Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Handlungsplanung und Sprache verursachen.
Kognitive Beeinträchtigungen
Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen: Laut Schätzung der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe leiden bis zu 80 % aller Schlaganfall-Betroffenen, insbesondere in der Akutphase, unter Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen. Besonders betroffen ist die Fähigkeit, sich länger zu fokussieren, Ablenkungen zu widerstehen und mehrere Aufgaben zu bewältigen.
Gedächtnisstörungen: Diese betreffen vor allem das episodische Gedächtnis (Erinnerung an persönliche Ereignisse) sowie das prospektive Gedächtnis (Erinnerung an geplante Handlungen).
Beeinträchtigungen der exekutiven Funktionen: Insbesondere nach frontalen und subkortikalen Läsionen sind exekutive Funktionen wie Handlungsplanung, Flexibilität, Fehlerkontrolle und Zielausrichtung beeinträchtigt. Typische Symptome reichen von starker Antriebsarmut und Apathie bis hin zu Impulsivität, Enthemmung oder Beharrungsneigung.
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Sprachstörungen (Aphasie): Je nach Lokalisation der Schädigung können eine Broca- oder eine Wernicke-Aphasie, eine globale Aphasie oder eine mildere Variante wie eine Wortfindungsstörung auftreten. Obwohl die Intelligenz unverändert bleibt, ist das Sprachvermögen deutlich beeinträchtigt.
Neglect: Ein Neglect, also das Ausblenden der gegenüberliegenden Raum- oder Körperhälfte, tritt oft nach rechtshemisphärischen Parietalläsionen auf (meist wird die linke Seite ignoriert).
Apraxie: Bei einer Apraxie sind erlernte Handlungsfolgen nicht mehr korrekt ausführbar, obwohl die Motorik und die Sprache an sich intakt sind.
Vaskuläre kognitive Störung bis hin zur Demenz: Ein Teil der Patientinnen und Patienten entwickelt im Verlauf eine vaskuläre kognitive Störung bis hin zur Demenz, die sich durch kombinierte Gedächtnis-, Aufmerksamkeits- und Exekutivdefizite sowie durch emotionale Veränderungen auszeichnet.
Emotionale und Verhaltensänderungen
Depressive Störungen: Depressive Störungen gehören zu den häufigsten neuropsychiatrischen Folgen eines Schlaganfalls.
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Angststörungen: Neben depressiven Symptomen leiden viele Betroffene unter Ängsten, beispielsweise vor einem erneuten Insult, vor Abhängigkeit, Kontrollverlust oder sozialer Isolation.
Apathie: In der Akutphase kann sich beispielsweise eine ausgeprägte Apathie mit Antriebslosigkeit, Initiativmangel und fehlender emotionaler Resonanz entwickeln.
Post-Stroke Fatigue: Diese anhaltende Erschöpfung betrifft die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit gleichermaßen und schränkt das Alltagsleben oft massiv ein.
Affektinkontinenz: Selten, aber für das Umfeld besonders belastend, ist das Auftreten von Affektinkontinenz bzw. einer pseudobulbären Affektstörung.
Erhöhte Reizbarkeit, Impulsivität und gesteigerte Aggressivität: Manche PatientInnen entwickeln nach einem Schlaganfall auch eine erhöhte Reizbarkeit, Impulsivität und gesteigerte Aggressivität.
Diagnostik neuropsychologischer Störungen
Eine differenzierte Diagnostik neuropsychologischer Störungen nach einem Schlaganfall bildet die Grundlage für eine erfolgreiche, individuelle Rehabilitation. Bereits im Akutkrankenhaus werden kurze Screening-Verfahren eingesetzt, um kognitive Störungen rasch zu erfassen. Für die detaillierte Therapieplanung werden anschließend aufeinander abgestimmte Testbatterien eingesetzt. Neben den Testverfahren ist die alltagsnahe Beurteilung entscheidend. Mittels Bildgebung (CT oder MRT) können Läsionen lokalisiert, alternative Diagnosen ausgeschlossen und das Ausmaß der Schädigung eingeschätzt werden. Ein besonderer diagnostischer Schwerpunkt liegt auf der Prüfung der Krankheitseinsicht, beispielsweise bei einer Anosognosie.
Frührehabilitation: Ein entscheidender Schritt zur Genesung
Die Frührehabilitation nach einem ischämischen Insult ist ein kritischer Schritt auf dem Weg zur Genesung. Sie beginnt unmittelbar nach der Akutbehandlung und trägt maßgeblich dazu bei, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Primäres Ziel der Frührehabilitation ist es, Langzeitbehinderungen zu minimieren. Dies umfasst die Wiederherstellung der motorischen Funktionen, die Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten und die Unterstützung bei emotionalen und sozialen Anpassungen.
Ziele und Methoden der Frührehabilitation
Physiotherapie: Die Rückkehr zu gezielten Bewegungen ist ein zentrales Ziel der neurologischen Frührehabilitation. Anfangs starke Lähmungen können mit Physiotherapie und Alltagsübungen behandelt werden, damit Patienten wieder selbst greifen, laufen oder sich bewegen können. Für ein intensives Training werden zunehmend computergestützte Verfahren genutzt. Der Lokomat® unterstützt das Gehen mit einem Exoskelett, während der Armeo® Bewegungen von Schulter bis Hand erleichtert.
Ergotherapie: Um die Selbstständigkeit zu fördern, werden Alltagsaktivitäten geübt.
Dysphagietherapie: Nach einem Schlaganfall ist die Schluckfunktion oft erheblich beeinträchtigt.
Herausforderungen in der Frührehabilitation
Der Verlauf der Rehabilitation ist individuell unterschiedlich. Je nach Schwere und Art der neurologischen Schädigung können unterschiedliche Herausforderungen auftreten. Ein interdisziplinäres Team aus Ärzt:innen, Therapeut:innen und Pflegekräften arbeitet eng zusammen, um einen auf die Bedürfnisse des Patienten zugeschnittenen Rehabilitationsplan zu erstellen.
Schritte zum Wiedererlangen der Funktionen
Die Frührehabilitation nach einem ischämischen Insult ist ein mehrstufiger Prozess. Er zielt darauf ab, die durch die Hirnschädigung verursachten Beeinträchtigungen zu minimieren und die betroffene Person so weit wie möglich in ihren Alltagsfunktionen zu unterstützen. Von Beginn an wird die Verfassung durch ein interdisziplinäres Team umfassend bewertet. Bei Aufnahme in die Frührehabilitation werden viele Patient:innen noch maschinell beatmet. Die Entwöhnung vom Beatmungsgerät ist daher meist das erste Therapieziel. Eine sehr häufige Folge von Einblutungen in das Hirngewebe sind Schluckstörungen (neurogene Dysphagie). Um den Schluckvorgang bewerten zu können, werden bildgebende und endoskopische Verfahren eingesetzt. Mit dem Behandlungsbeginn erfolgt die frühe Mobilisierung.
In der intensiven Rehabilitationsphase liegt der Fokus auf spezifischen Trainingsprogrammen, die auf die individuellen Defizite abgestimmt werden. Es werden auch moderne Technologien wie robotergestützte Therapiegeräte und die Funktionelle Elektrostimulation (FES) eingesetzt. Im Rahmen des Rehabilitationsprozesses wird die soziale Integration der Patient:innen gefördert und psychologische Unterstützung geleistet.
Nach Abschluss der intensiven Rehabilitationsphase beginnt die Langzeitrehabilitation. Sie soll die erzielten Fortschritte erhalten und weiter verbessern. Während des gesamten Prozesses werden regelmäßige Beurteilungen durchgeführt.
Bedeutung der Frührehabilitation
Nach einem ischämischen Schlaganfall ist die Frührehabilitation entscheidend für die Prognose und das langfristige Wohlbefinden der Betroffenen. Wird diese Phase nicht adäquat durchgeführt, können die Konsequenzen weitreichend sein.
Nachsorge und Weiterführung der Therapie
Für den weiteren Genesungsprozess spielt die Nachsorge nach einer erfolgreichen Frührehabilitation eine zentrale Rolle. In dieser Phase können sich die motorischen Fähigkeiten, kognitiven Funktionen und die Unabhängigkeit im Alltag allmählich verbessern. In der Regel beginnt die Nachsorge mit einer ambulanten oder teilstationären Rehabilitation. Wichtig ist, dass die Patienten auch zu Hause weiter trainieren. Um den Rehabilitationsfortschritt zu überwachen und den Therapieplan gegebenenfalls anpassen zu können, sind regelmäßige Kontrolltermine notwendig. Auch nach der Frührehabilitation ist eine psychosoziale Unterstützung wichtig. Das langfristige Ziel ist es, die Patient:innen in ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu entlassen.
Innovative Therapieansätze
Neben den etablierten Therapieverfahren gibt es auch innovative Therapieansätze, die vielversprechende Ergebnisse zeigen.
Gehirn-Computer-Schnittstelle (BCI) kombiniert mit Funktioneller Elektrostimulation (FES)
Eine spezielle Kombinationstherapie aus Gehirnsignalerkennung und elektrischer Muskelstimulation kann die Erholung der Armbeweglichkeit nach einem Schlaganfall deutlich verbessern. Bei dieser Therapie überwacht das BCI-System die Hirnaktivität und steuert gezielt die FES-Vorrichtung, die elektrische Impulse an die Muskeln der Teilnehmenden sendet, um Bewegungen zu unterstützen und die Erholung zu fördern.
Transkranielle Gleichstromstimulation
Die transkranielle Gleichstromstimulation ist ein weiteres vielversprechendes Verfahren zur Verbesserung der Sprachfähigkeit und der Lebensqualität von Aphasikern. Dabei wird eine Elektrode außen am Kopf, direkt über dem sog. motorischen Kortex, befestigt. Eine zweite Elektrode wird an der Stirn fixiert. Dann fließt für 20 Minuten ein schwacher Strom zwischen den Elektroden. Der Stromfluss stimuliert die Kompensation von Funktionsverlusten im Sprachzentrum.
Kombination aus bildgebenden Verfahren und transkranieller Magnetstimulation (TMS)
Die Kombination von bildgebenden Verfahren und transkranieller Magnetstimulation (TMS) hat sehr vielversprechende Ergebnisse bei der Reorganisation neuronaler Netzwerke gezeigt. Die funktionelle Bildgebung mittels MRT oder Elektroenzephalografie (EEG) macht die Hirnareale sichtbar, die am meisten von einer TMS profitieren.
Künstliche Intelligenz (KI)
Die Nutzung künstlicher Intelligenz (KI) trägt ebenfalls zu einer präziseren, personalisierten Therapie bei. KI-Algorithmen können anhand von Patientendaten den individuellen Verlauf eines Schlaganfalls vorhersagen und Faktoren identifizieren, die eine schnelle Regeneration oder einen komplizierten Verlauf begünstigen.
Neurorehabilitation in Deutschland: Kurorte und Sanatorien
Deutschland ist für seine fortschrittlichen medizinischen Technologien und erstklassigen Sanatorien bekannt und gehört zu den führenden Ländern auf dem Gebiet der Neurorehabilitation. Einige der bekanntesten Kurorte sind:
Baden-Baden: Der Kurort ist auf die Neurorehabilitation und die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen spezialisiert.
Bad Kissingen: Besonderes Augenmerk legt das Resort auf die Genesung nach Schlaganfällen und die Behandlung von Erkrankungen des Nervensystems.
Bad Nauheim: Der Kurort ist bekannt für seine Wirksamkeit bei der Rehabilitation von Patienten mit kardiovaskulären und neurologischen Erkrankungen, einschließlich der Folgen von Schlaganfällen.
Bad Wiessee: Der Ort ist ideal, um sich von Schlaganfällen und Erkrankungen des Bewegungsapparats zu erholen.
Prävention und langfristige Perspektiven
Neben der Akuttherapie und Rehabilitation ist die Prävention eines erneuten Schlaganfalls von großer Bedeutung. Patientinnen und Patienten sollen zur Vorbeugung eines wiederholten Schlaganfalls „Blutverdünner“ einnehmen. Seit wenigen Jahren gibt es eine neue Form dieser so genannten oralen Antikoagulanzien, NOAK abgekürzt.
Die Forschung zu neuropsychologischen Störungen nach einem Schlaganfall entwickelt sich dynamisch weiter. Fortschritte in der Bildgebung und bei molekularen Markern ermöglichen es zunehmend, bereits früh subtile Störungen neuronaler Netzwerke zu erkennen.
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