Tiefe Hirnstimulation bei Epilepsie: Eine Übersicht

Epilepsie ist eine weit verbreitete neurologische Erkrankung, von der etwa 1 % der Bevölkerung betroffen ist. Bei rund 70 % der Betroffenen kann durch eine zielgerichtete Pharmakotherapie mit einem oder mehreren Antikonvulsiva eine anhaltende Anfallsfreiheit erreicht werden. Bei etwa einem Drittel der Patienten können die Anfälle jedoch nicht medikamentös unterdrückt werden, was zu einem pharmakotherapierefraktären Verlauf führt. Für diese Patienten steht mit der tiefen Hirnstimulation (THS) eine neue Therapieoption zur Verfügung.

Was ist tiefe Hirnstimulation?

Bei der tiefen Hirnstimulation (THS) werden Gehirnareale mit elektrischen Impulsen aktiviert oder deaktiviert, um bestimmte Erkrankungen bzw. Symptome zu behandeln. Die THS gehört zur funktionellen Neurochirurgie, bei der Funktionen des Gehirns beeinflusst werden, dieser Einfluss jedoch reversibel ist. In der operativen Therapie von Bewegungsstörungen hat sich die THS zu einem effektiven und anerkannten Verfahren entwickelt. Weltweit wurden bereits über 80.000 Patienten damit behandelt.

Wie wirkt die tiefe Hirnstimulation?

Bei der THS werden feine Elektroden in das Gehirn eingesetzt, die dauerhaft elektrischen Strom übertragen und so die krankmachende Hirnregion ausschalten. Die Elektrode wird durch eine kleine Öffnung im Schädel in das Gehirn implantiert. Die Stimulationseffekte zeigen sich an der gegenüberliegenden Körperhälfte. Somit kann eine Elektrode in der rechten Gehirnhälfte die Bewegungsfähigkeit der linken Körperhälfte verbessern. Die Funktion der Hirnareale bleibt erhalten und der Effekt der Stimulation kann jederzeit rückgängig gemacht werden. Trotz der klinischen Effektivität ist der genaue Wirkungsmechanismus der THS bei der Behandlung von Bewegungsstörungen noch unbekannt.

Vorteile der tiefen Hirnstimulation

Der Hauptvorteil gegenüber Verfahren, bei denen Hirngewebe zerstört oder entfernt wird (Pallido- oder Thalamotomie), liegt in der Möglichkeit, die Stimulation abhängig von der erzielten Wirkung anzupassen. Die THS ist eine Behandlungsmethode, die wieder rückgängig gemacht werden kann, ohne das Gewebe in großem Umfang zerstört oder entfernt werden muss. Auch die zum Teil gravierenden Nebenwirkungen der Medikamente bei Parkinson, essentiellem Tremor oder Dystonie sind in dieser Form nicht gegeben. Im Gegensatz zu vielen neurologischen Krankheitsbildern, bei denen das rasch fortschreitende Krankheitsgeschehen den Neurochirurgen zu einem operativ-therapeutischen Schritt zwingt, handelt es sich bei der THS um einen im Voraus gut planbaren Eingriff.

Anwendungsbereiche der tiefen Hirnstimulation

Die THS wird bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen eingesetzt, darunter:

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  • Tremor: Thalamische THS (ViM DBS) bei Tremor (Zittern der Extremitäten/Kopfes), der familiär gehäuft auftritt (Essentieller Tremor), bei Multipler Sklerose, nach Hirnschädigung durch Unfall oder Schlaganfall oder im Rahmen der Parkinson-Erkrankung.
  • Epilepsie: Thalamische THS (ANT DBS) bei Epilepsie.
  • Schmerzsyndrome: Thalamische THS (VPL - CmPf - ACC DBS) bei Schmerzsyndromen.
  • Dystonie: Globus pallidus THS (GPi DBS) bei Dystonie und Morbus Parkinson.
  • Morbus Parkinson: Subthalamicus THS (STN DBS) für die Parkinson-Erkrankung, wenn sogenannte Wirkfluktuationen auftreten. Hierbei reagiert der Körper kurz nach der Einnahme des Medikamentes Dopamin mit einer überschießenden Beweglichkeit (Dyskinesie), gefolgt von langen Phasen mit geringer Beweglichkeit (Bradykinese) und erhöhter Muskelspannung (Rigidität).

Tiefe Hirnstimulation bei Epilepsie

Die tiefe Hirnstimulation wird zunehmend auch für die Therapie anderer neurologischer wie psychiatrischer Erkrankungen, insbesondere von Schmerzstörungen und Epilepsien, interessant. Konzeptuell kann die tiefe Hirnstimulation eingesetzt werden, um eine Ausbreitung epileptischer Anfälle zu verhindern oder ihre Generierung zu supprimieren. Verschiedene Zielpunkte im Gehirn wie Thalamus, subthalamischer Kern, hippocampale und neocorticale Foci sind derzeit von Interesse und werden in klinischen multizentrischen Studien analysiert. Parallel werden experimentelle Epilepsiemodelle zur Wahl geeigneter Stimulationsparameter, beispielsweise Reizfrequenz oder Stimulationsform, verwendet.

In den USA laufen zurzeit umfangreiche Studien zur Stimulation des Thalamus und von Foci der Hirnrinde. Basierend auf den günstigen Ergebnissen der Fokusstimulation vergleicht eine europäische multizentrische Studie derzeit die Wirksamkeit und Verträglichkeit der hippocampalen Stimulation mit operativen Behandlungsverfahren.

Neuromodulation als Therapieoption

Für Patienten mit komplexen Epilepsieformen gibt es eine weitere Therapiemethode der Neuromodulation: die Implantation eines Schrittmachers am Vagus Nerven im linken Halsbereich. Voraussetzung für die Behandlung der Betroffenen ist, dass bei ihnen weder eine medikamentöse Behandlung anschlägt noch ein operatives Entfernen des Krampfherdes möglich ist. Ähnlich einem Hirnschrittmacher wird ein Impulsgeber unter die Haut im Brustbereich implantiert. Ein dünnes Kabel verbindet den Schrittmacher mit drei Elektroden am linken Vagus-Nerven am Hals. Die Impulse werden von dort in die Hirnregion weitergeleitet, in der die anfallsverursachenden Entladungen auftreten. Durch die Kollision dieser gegensätzlichen elektrischen Impulse kann sowohl die Anfallsfrequenz als auch die Dauer der epileptischen Anfälle in vielen Fällen deutlich gesenkt werden.

Schrittmacher bei Epilepsie

Neurostimulation schützt Gehirnzellen vor Fehlentladungen und kann eine medikamentöse Therapie ergänzen, wenn die Nebenwirkungen der Medikamente vermindert oder gestoppt werden sollen oder wenn Begleiterkrankungen vorliegen. Neurostimulation senkt in etwa vier von zehn Fällen die Anfallshäufigkeit. Schrittmacher bei Epilepsie geben kontinuierlich Reize an die Gehirnzellen ab. Gezielter wirkt die sogenannte Responsive Hirnstimulation, bei der Schrittmacher sich anbahnende Anfälle erkennen und gezielt unterbinden.

Schrittmacheroperationen bei Epilepsie werden in der Regel durch Neurochirurginnen und Neurochirurgen durchgeführt. Die Operation dauert in der Regel bis zu sechs Stunden. Schrittmacher am Vagusnerv können gelegentlich zu Heiserkeit und Kitzeln führen, während Schrittmacher im Gehirn meist kaum bemerkt werden.

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Risiken und Komplikationen

Jeder operative Eingriff birgt Risiken. Wie bei allen operativen Eingriffen kann es auch beim Einsetzen des Schrittmachers zu Blutungen und Infektionen kommen. Schrittmacher benötigen Strom und müssen regelmäßig ausgetauscht werden. Moderne Schrittmacher müssen etwa alle 5 - 8 Jahre ausgetauscht werden.

Tiefe Hirnstimulation von Medtronic bei Epilepsie

Die bilaterale Stimulation des Nucleus anterior thalami (ANT) mit dem Medtronic THS-System ist als adjunktive Therapie indiziert, um die Anfallshäufigkeit bei Patienten über 18 Jahren zu reduzieren, bei denen eine Epilepsie mit fokalen Anfällen mit oder ohne sekundäre Generalisierung diagnostiziert wurde und die auf mindestens drei Antiepileptika nicht ansprechen. Für das Medtronic THS-System bei Epilepsie wurden die Sicherheit und Wirksamkeit bei Patienten nachgewiesen, die in den letzten drei Monaten vor der Implantation des THS-Systems durchschnittlich 6 oder mehr Krampfanfälle pro Monat hatten.

Die tiefe Hirnstimulation von Medtronic bei Epilepsie zielt auf den Nucleus anterior thalami (ANT) ab, der Teil eines Netzwerks im Gehirn ist, das an der Verursachung und Übertragung von Anfällen beteiligt ist. Die Implantation des THS-Systems erfolgt mittels stereotaktischer Ausrichtung. Der Eingriff besteht aus zwei Teilen: Elektroden werden bilateral über zwei kleine Eintrittspunkte im Nucleus anterior thalami platziert, und die Verlängerungen werden hinter das Ohr geführt.

Die THS-Therapie bei Epilepsie führte nachweislich zu einer Reduktion der medianen Anfallshäufigkeit, wobei sich die Ergebnisse im Laufe der Zeit noch verbesserten. Die Medtronic THS-Therapie bei Epilepsie kann individuell auf den Patienten zugeschnitten werden. Mit einem Arzt-Programmiergerät können die Stimulationsparameter an die individuellen Bedürfnisse des Patienten angepasst werden.

Anders als bei einem resektiven Eingriff muss für die THS-Therapie kein Hirngewebe entfernt werden, und die Therapie ist reversibel. Die Therapie kann ausgeschaltet werden.

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Die Implantation des THS-Systems erfordert einen operativen Eingriff am Gehirn, bei dem es zu schweren und sogar tödlichen Komplikationen wie Koma, Gehirnblutungen, Schlaganfall, Krampfanfällen und Infektionen kommen kann. Sobald das System implantiert wurde, kann es zu Infektionen kommen, Teile des Systems können sich durch die Haut scheuern und die Elektrode bzw. der Anschluss zwischen Elektrode und Kabel kann sich verschieben. Die Medtronic THS-Therapie könnte auch plötzlich aufgrund mechanischer oder elektrischer Probleme unterbrochen werden.

Diese Therapie ist nicht für jeden Patienten gleichermaßen geeignet und sollte nicht bei Patienten angewendet werden, die mit Diathermie oder transkranieller Magnetstimulation behandelt werden. Eine Magnetresonanztomographie (MRT) darf nur gemäß der Beschreibung in der Produktkennzeichnung durchgeführt werden.

Neben den Risiken und Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der THS-Therapie können bei der THS-Therapie bei Epilepsie die folgenden Nebenwirkungen auftreten: Status epilepticus und Veränderungen der Anfälle (neue Art von Anfällen oder Verschlechterung der Anfälle).

Epilepsiechirurgie als Alternative

In den letzten 30 Jahren hat sich die Epilepsiechirurgie als sicheres und wirksames Verfahren zur Behandlung pharmakoresistenter Epilepsie etabliert. Voraussetzung für eine epilepsiechirurgische Behandlung ist, die genaue Lage und Ausdehnung der epileptogenen Zone im Gehirn festzustellen. Das ist der Hirnbereich, von dem die typischen epileptischen Anfälle ausgehen können. Daneben ist eine hoch-auflösende Kernspin-(MRT-) Bildgebung erforderlich, um feinste, möglicherweise für die Epilepsie verantwortliche Strukturauffälligkeiten (Läsionen) zu identifizieren. Für die Einschätzung des OP-Risikos ist u.a. eine neuropsychologische Untersuchung erforderlich, z.B. um das Ausmaß von Gedächtnisstörungen festzustellen.

Erstes Ziel einer epilepsiechirurgischen Behandlung ist die Anfallsfreiheit. Je nach Lage der epileptogenen Zone und je nach Ausmaß des Bildbefunds im MRT kann die Chance auf Anfallsfreiheit im optimalen Fall bei 70 bis 80 Prozent liegen. Wenn keine Anfallsfreiheit erreicht wird, kann eine Linderung der Anfallshäufigkeit zumindest ein Teilerfolg sein. Eine epilepsiechirurgische Behandlung hat nicht das Ziel, Epilepsiemedikamente (Antikonvulsiva) abzusetzen. Diese sollten auch nach einem epilepsiechirurgischen Eingriff weiter eingenommen werden.

Epilepsiechirurgische Eingriffe

  • Temporale Lobektomie / Läsionektomie: Entfernung von Teilen des vorderen Schläfenlappens, ggf. in Kombination mit Entfernung von Amygdala und Hippocampus.
  • Selektive Amygdalohippocampektomie: Selektive Entfernung der temporo-mesialen Strukturen Amygdala und Hippocampus.
  • Extratemporale Läsionektomie: Gezielte Entfernung des Anfallsgenerators außerhalb des Temporallappens.
  • Funktionelle Hemisphärektomie: Abtrennung der epileptogenen Hirnarealen einer gesamten Hirnhälfte vom gesunden Hirn.
  • Implantation eines Vagus-Nerv-Stimulators: Herabsetzung der epileptogenen Aktivität des Gehirns durch Stimulation des Nervus vagus im Halsbereich.
  • Tiefenhirnstimulation (ANT-DBS): Verhinderung der Entstehung der Anfälle über Stimulation von einem bestimmten Hirnkern (Nucl. anterior thalami).

Ablauf einer Epilepsiechirurgischen Behandlung

In der Regel erfolgt zunächst die Abklärung der Epilepsie in der Sektion Epileptologie der Klinik für Neurologie. Dort erfolgt die neurochirurgische und anästhesiologische Aufklärung, sowie Durchführung weiterer für die Operation notwendiger Untersuchungen.

Experimentelle Therapieansätze

Wissenschaftlerinnen haben einen neuen Therapieansatz zur Prävention epileptischer Anfälle bei Schläfenlappenepilepsie erforscht. Sie zeigten bei Mäusen, dass sich mit einer niederfrequenten Stimulation bestimmter Hirnareale die epileptische Aktivität komplett beenden ließ. Statt mit Strom stimulierten die Forscherinnen die Zellen mit Licht. Dafür hatten sie zuvor ein lichtsensitives Molekül in die Zellen eingeschleust, das eine besonders präzise Stimulation erlaubt. Die Ergebnisse veröffentlichten sie im Dezember 2020 im Fachmagazin elife.

Sobald die Hirnregion mit einer Frequenz von einem Hertz stimuliert wurde, waren die epileptischen Anfälle verschwunden. Dieser Effekt war über mehrere Wochen stabil. Eine Gewöhnung, wie sie bei einer medikamentösen Therapie auftreten kann, fand nicht statt. Die Hirnregion wurde täglich eine Stunde stimuliert.

Die Forscher*innen nutzten dieses Fasersystem, um die Aktivität des Hippocampus unter dem Einsatz lichtabhängiger Proteine spezifisch und zeitlich präzise zu manipulieren. Bei der Messung der Hirnströme zeigte sich, dass eine rhythmische Aktivierung des erkrankten Hippocampus mit einer niedrigen Frequenz von einem Hertz die epileptische Aktivität unterdrückt und deren Ausbreitung verhindert.

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