Ein Schlaganfall kann eine Vielzahl von neurologischen Defiziten verursachen, darunter auch Sehstörungen. Diese können von leichten Beeinträchtigungen bis hin zu schwerwiegenden Gesichtsfeldausfällen reichen und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Ein häufiges Phänomen ist der sogenannte Tunnelblick, eine Einschränkung des peripheren Sehens.
Ursachen für Sehstörungen nach einem Schlaganfall
Sehstörungen nach einem Schlaganfall sind meist neurologisch bedingt und entstehen nicht durch eine Schädigung der Augen selbst. Bis zu 66 % der Schlaganfallpatienten erleben Veränderungen ihres Sehvermögens. Die Ursache liegt in der Schädigung von Arealen im Gehirn, die für die Verarbeitung visueller Informationen zuständig sind.
Es gibt verschiedene Arten von Sehstörungen, die im Zusammenhang mit einem Schlaganfall auftreten können:
Direkte Schädigung der Sehbahn oder des Auges: In seltenen Fällen kann die Sehbahn oder das Auge selbst durch eine unzureichende Blutversorgung infolge des Schlaganfalls direkt betroffen sein. Dies kann zu einer Erblindung auf einem Auge führen.
Schädigung der visuellen Verarbeitungszentren im Gehirn: Häufiger ist eine Schädigung von Hirnregionen, die für die Verarbeitung der Informationen des Auges zuständig sind. In diesem Fall ist das Auge intakt, aber die Informationsverarbeitung im Gehirn funktioniert nicht mehr richtig. Dies führt zu Wahrnehmungsstörungen.
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Arten von Sehstörungen nach einem Schlaganfall
Wenn das Gehirn die Informationen, die das Auge weiterleitet, nicht mehr richtig aufnehmen kann, kann dies zahlreiche Folgen haben. Die häufigsten Sehstörungen nach einer Hirnschädigung sind:
Gesichtsfeldeinschränkungen: Die Gesichtsfeldeinschränkung ist die mit Abstand häufigste Sehstörung nach einer Hirnschädigung. Die Einschränkung kann sehr unterschiedlich ausfallen, von kleinen „blinden Flecken“ (sogenannten Skotomen) über einen „Tunnelblick“ bis hin zu dem Ausfall einer kompletten Gesichtshälfte - je nach Größe, Ort und Art der Schädigung im Gehirn. Die führt dazu, dass im Alltag Hindernisse übersehen werden und sich Betroffene zum Beispiel oft stoßen. Da es mit einem eingeschränkten Blickfeld schwieriger ist, sich schnell zur orientieren und einen Überblick zu verschaffen, kann es zu entsprechenden Unsicherheiten kommen - vor allem im öffentlichen Raum und im Straßenverkehr. Auch die Lesegeschwindigkeit ist oft verringert, da Satzanfänge oder -enden übersehen werden.
Hemianopsie: Hierbei handelt es sich um eine Halbseitenblindheit, bei der Betroffene mit beiden Augen nur noch die Hälfte des normalen Bildes sehen. Bei einem Schlaganfall in der linken Hemisphäre des Gehirns kann das rechte Gesichtsfeld beider Augen beeinträchtigt sein.
Skotom: Skotome sind dunkle Flecken im Gesichtsfeld, die das Bild stören.
Tunnelblick: Der Tunnelblick bezieht sich auf den Verlust des peripheren Sehens (zum Rand hin), was den Eindruck hinterlässt, man würde durch einen Tunnel sehen.
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Doppelbilder: Doppelbilder oder ein „verschwommenes“ Sehen können Folgen eines Schlaganfalls sein. Dabei können die Doppelbilder auch zu Schwindel führen.
Herdblick: Der Herdblick kann ein erstes Anzeichen für einen Schlaganfall sein, das häufig nicht als solches wahrgenommen wird. Der Blick „kippt“ zur linken oder zur rechten Seite, der Betroffene kann seine Blickrichtung nicht mehr kontrollieren. In manchen Fällen drehen sich nicht die Augen, sondern der ganze Kopf in eine Richtung.
Visuell-räumliche Störungen: Durch eine Hirnschädigung kann es sein, dass die Raumachsen nicht mehr richtig wahrgenommen werden können. Das führt dazu, dass Betroffene zum Beispiel Schwierigkeiten haben, geradeaus zu gehen oder ein Fahrrad oder Rollstuhl zu steuern.
Neglect: Neglect bedeutet, dass eine Raum- und/oder Körperhälfte nicht mehr wahrgenommen wird. Das heißt, dass der Betroffene seine Aufmerksamkeit einer Raum- oder Körperseite nicht mehr zuwenden kann. Es gibt verschiedene Arten des Neglects, der visuelle Neglect tritt am häufigsten auf. Der Unterschied zwischen einen Gesichtsfeldausfall und einem visuellen Neglect ist manchmal schwierig auszumachen, teilweise tritt auch beides zusammen auf. Grundsätzlich ist ein Neglect eine Störung der Aufmerksamkeit auf eine Raumseite, Ein Gesichtsfeldausfall ist eine Störung des Sehens. Bei einem Gesichtsfeldausfall ist dem Betroffenen in der Regel bewusst, dass die Raumhälfte existiert - er sie selbst allerdings nicht wahrnehmen kann. Bei einem visuellen Neglect lenkt der Betroffene seine Aufmerksamkeit nicht spontan auf die betroffene Seite. So bemerken die Betroffene oft selbst nicht, dass etwas „fehlt“. Dabei sind die Augen selbst vollkommen gesund. Ursache ist vielmehr eine gestörte neuronale Verarbeitung der visuellen Information - überwiegend im Sehnerv.
Auswirkungen von Gesichtsfeldausfällen im Alltag
Patienten, die unter einem erheblichen Gesichtsfeldverlust leiden, können in Hindernisse laufen, über diese stolpern oder sogar hinfallen. Sie werden von Menschen oder auch Gegenständen überrascht, die anscheinend plötzlich aus dem Nichts (aus dem blinden Bereich) auftauchen. Sie verlieren im Straßenverkehr und auf überfüllten Plätzen schnell die Orientierung und finden ihren Weg nicht mehr. Daher wagen sich viele aus Angst nicht mehr allein aus dem Haus oder in die Öffentlichkeit. Im Supermarkt nach Waren im Regal zu suchen ist für viele ein Alptraum. Andere bemerken auf der Straße nicht, dass links oder rechts vor ihnen eine Laterne steht, der sie ausweichen müssen. Bei einigen fehlt ein kleiner Teil der Textzeile, wenn sie lesen. Der Gesichtsfeldausfall besteht vor beiden Augen auf derselben Seite, kann aber unterschiedlich stark ausgeprägt sein.
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Diagnose von Sehstörungen nach Schlaganfall
Um festzustellen, ob ein Gesichtsfeldausfall besteht und was ihn verursacht, sind augenärztliche und/oder neurologische Untersuchungen nötig, wie zum Beispiel:
- Sehtests
- Fingertest (Finger wird von außen ins Gesichtsfeld geführt, wobei ein Auge abgedeckt ist und eins geradeaus blickt)
- Gesichtsfeldmessung (Perimetrie)
- Augenspiegelung
- Bildgebende Verfahren wie eine Magnetresonanztomografie (MRT) oder Computertomografie (CT)
Die Perimetrie ist der häufigste Test, um den Tunnelblick zu diagnostizieren. Ein Perimetrie-Gerät projiziert Lichtpunkte in unterschiedlichen Intensitäten und Positionen auf eine Kuppel oder einen Bildschirm vor dem Patienten. Der Patient fixiert einen Punkt in der Mitte und drückt einen Knopf, wenn er die Lichtpunkte im peripheren Sichtfeld bemerkt. Auf diese Weise wird ein Kartenbild des Sichtfelds erstellt, das den Grad des Tunnelblicks zeigt. Auch mit dem Goldmann-Gesichtsfeldtest wird der Tunnelblick untersucht. Der Patient sitzt in einem abgedunkelten Raum und fixiert ein bestimmtes Ziel in der Mitte. Der Arzt bewegt einen Lichtpunkt von außen nach innen und umgekehrt, während der Patient angibt, wann er den Lichtpunkt sieht. Dieser Test hilft dabei, den Bereich des peripheren Sichtverlusts zu bestimmen.
Behandlung von Sehstörungen nach Schlaganfall
Die Behandlung von Sehstörungen nach einem Schlaganfall zielt darauf ab, die Sehfähigkeit zu verbessern, die Kompensation des Gesichtsfeldausfalls zu fördern und die Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen.
Spontane Rückbildung und Rehabilitation
„Bei etwa 40 Prozent der betroffenen Schlaganfall-Patienten verbessert sich die Situation innerhalb der ersten Wochen. Wer nach sechs Monaten noch Ausfälle hat, muss damit rechnen, dass sie dauerhaft sind“, erklärt Prof. Susanne Trauzettel-Klosinski.
Auch wenn Sie einen Gesichtsfeldausfall nach einem Schlaganfall nicht verhindern können, gibt es Dinge, die Sie tun können um wieder so gesund wie möglich zu werden. Ein Arzt oder Therapeut kann die Art und das Ausmaß des Gesichtsfeldausfalls genau diagnostizieren und eine geeignete Rehabilitation mit Ihnen planen. Durch diese Rehabilitationsmaßnahmen kann sehr häufig eine gute Kompensation des Ausfalls und erfolgreiches Zurechtkommen im Alltag, oft auch eine Verbesserung der Sehfunktionen bzw.
Visuelles Explorationstraining
Das Prinzip ist relativ einfach: Die Betroffenen lernen, ihre Umgebung gezielt wahrzunehmen. Das heißt, mit suchenden Augenbewegungen (Sakkaden) wird der Gesichtsfeldausfall zur blinden Seite hin verschoben und die Informationen der blinden Seite können genutzt werden. Es gibt spezialisierte Reha-Einrichtungen, in denen solche Trainingsprogramme angeboten werden. Doch auch am Bildschirm zu Hause können Betroffene mithilfe des Computerprogramms „VISIOcoach“ trainieren. Dabei müssen Suchaufgaben am Bildschirm gelöst werden. „Nach sechs Wochen intensiven Trainings haben unsere Studienteilnehmer deutliche Verbesserungen bemerkt. Danach ist es sinnvoll, ein bis zwei Mal pro Woche zu üben, um die Fähigkeiten zu erhalten“, rät die Expertin. Besonders freut sie sich, wenn Betroffene durch das Training im Alltag wieder besser zurechtkommen. „Manche trauen sich das erste Mal nach Jahren, Fahrrad zu fahren, weil sie sicher sind, ihre Umgebung wieder ausreichend wahrzunehmen.
Visuelles Restitutionstraining (VRT)
Eine weitere Therapieoption ist das sogenannte visuelle Restitutionstraining (VRT). "Der Nutzen der VRT ist gerade in jüngster Vergangenheit durch neue Studien bestätigt worden", betonte Professor Bernhard Sabel von der Universitätsklinik Magdeburg im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". "Aus einer Befragung von 69 Patienten ging zum Beispiel hervor, daß die meisten Patienten deutliche Verbesserungen im Alltag erleben. Die Hälfte kann zudem besser lesen. Das habe auch die retrospektive Auswertung von 300 Patienten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz bestätigt. Das Ergebnis: Nach sechs Monaten nahmen die Patienten 63 Prozent der Lichtreize war, vor Trainingsbeginn waren es nur 54 Prozent. Ein längeres Training verbesserte die Ergebnisse weiter. "Die wichtigste Erkenntnis aus dieser Studie aber ist, daß die Verbesserung der Sehfähigkeit auch nach Therapieende stabil anhält", so Sabel. Und so läuft die Therapie ab: Im Sehzentrum Magdeburg oder bei einem kooperierenden Augenarzt wird das Gesichtsfeld vermessen. Aufgrund der Daten wird ein individuelles Trainingsprogramm erstellt. Die Software wird auf dem heimischen PC installiert, an dem die Patienten täglich insgesamt eine Stunde trainieren - insgesamt für mindestens sechs Monate. Gezielt werden Lichtimpulse in jene Bereiche des Gesichtsfeldes projiziert, die bislang Dunkel blieben. Jeder erkannte Lichtblitz wird per Tastendruck bestätigt. So zeichnet der Computer exakt auf, was objektiv gesehen wurde. Die VRT nutzt dabei die als Neuroplastizität bezeichnete Fähigkeit zerebraler Neuronen, Verletzungen durch Reorganisation auszugleichen und ihre Aktivität entsprechend der Stimulationen aus der Umwelt anzupassen. Das Training kann jederzeit nach einem Schlaganfall begonnen werden. "Es gibt kein Zeitfenster für den optimalen Beginn. Lediglich für die Größe des teilgeschädigten Sehbereichs sei eine gewisse Korrelation gefunden worden, das heißt, je größer die Läsion, desto geringer der Erfolg. "Aber das ist ein statistischer Befund, der beim einzelnen Patienten oft ganz anders aussieht". Der Nutzen des Verfahren ist inzwischen auch von der FDA anerkannt worden. Durch eine Modifikation des Verfahrens kann der Erfolg offenbar gesteigert werden. Dabei mußten neun Patienten ihre Aufmerksamkeit nicht allgemein auf den Bildschirm mit dem üblichen Fixationspunkt in der Mitte im Auge richten, sondern gezielt auf ein dünn markiertes Aufmerksamkeitsquadrat auf dem PC, das einem Randbereich ihres Gesichtsfeldes mit residueller Sehfähigkeit entsprach. "Das ist so, als ob sie zwar die Türklinke fixieren, aber auch - ohne wegzugucken - auf ein Bücherregal achten, das zwei Meter entfernt ist" beschreibt Sabel. Die Auswertung nach sechs Monaten ergab, daß sich die Sehfähigkeit bei den Patienten mit modifizierter VRT deutlich mehr verbessert hatte als bei jenen, die die übliche VRT absolviert hatten. Vertrieben wird das Computerprogramm für das Sehtraining vom Unternehmen Nova Vision, das Sabel im Jahr 2000 mitgegründet hat. Nach Unternehmensangaben gibt es aber Fälle, in denen Private Krankenversicherungen oder Gesetzliche Krankenkassen die Kosten im Einzelfall übernommen haben.
Weitere Behandlungsmöglichkeiten
Die Behandlungsmöglichkeiten für den Tunnelblick hängen von der zugrunde liegenden Ursache ab. Da die periphere Sehstörung oft aufgrund von Augenerkrankungen wie Glaukom oder Netzhauterkrankungen auftritt, konzentrieren sich die Behandlungsansätze darauf, diese zugrunde liegenden Probleme zu bewältigen. Hier sind einige mögliche Behandlungsmöglichkeiten für den Verlust des peripheren Sehens:
Medikamentöse Therapie: Wenn der Tunnelblick aufgrund von Glaukom verursacht wird, können Augentropfen oder andere Medikamente verschrieben werden, um den Augeninnendruck zu senken und den Zustand zu kontrollieren. In einigen Fällen können Medikamente helfen, den Fortschritt des Glaukoms zu verlangsamen und das periphere Sehen zu erhalten.
Glaukomchirurgie: Bei fortgeschrittenem Glaukom oder anderen schweren Augenerkrankungen kann eine Operation erforderlich sein, um den Druck im Auge zu regulieren und Schäden zu minimieren. Chirurgische Eingriffe wie Trabekulektomie oder minimalinvasive Glaukomchirurgie können in Erwägung gezogen werden.
Sehtraining und Rehabilitation: Bei einigen Fällen von Tunnelblick kann Sehtraining und Rehabilitation helfen, die verbliebene Sehfähigkeit im peripheren Sichtfeld zu maximieren. Spezialisten können Techniken vermitteln, um besser mit eingeschränktem Sichtfeld umzugehen und die Lebensqualität zu verbessern.
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