Die Diagnose Epilepsie bei einem Kind kann für Eltern und Angehörige beängstigend sein. Die Furcht vor erneuten Anfällen ist verständlich, doch die moderne Medizin ermöglicht es vielen Kindern, anfallsfrei zu werden und ein weitgehend normales Leben zu führen. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über den Umgang mit Epilepsie bei Kindern, von der Diagnose über die Behandlung bis hin zur Unterstützung im Alltag.
Was ist Epilepsie?
Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte epileptische Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle entstehen durch plötzliche, synchrone Entladungen von Nervenzellen im Gehirn. Die Art und Weise, wie sich ein Anfall äußert, kann sehr unterschiedlich sein, abhängig davon, welcher Bereich des Gehirns betroffen ist.
Arten von Anfällen
- Generalisierte Anfälle: Betreffen beide Gehirnhälften und können zu Bewusstseinsverlust, Muskelverkrampfungen (tonisch-klonische Anfälle) oder kurzzeitigen Bewusstseinsstörungen (Absencen) führen.
- Fokale Anfälle: Beginnen in einem bestimmten Bereich des Gehirns. Die Symptome hängen davon ab, welcher Bereich betroffen ist, und können Muskelzuckungen, Gefühlsstörungen oder Veränderungen des Bewusstseins umfassen.
Epilepsieformen im Kindesalter
Epilepsien bei Kindern und Jugendlichen werden nach sogenannten epileptischen Syndromen eingeteilt, die typischerweise eine bestimmte Altersgruppe betreffen und mit einem charakteristischen Verlauf einhergehen.
- Rolando-Epilepsie: Eine häufige Form, die im Alter von 2 bis 10 Jahren auftritt. Typische Symptome sind Zuckungen im Gesicht, Sprechstörungen und Schluckbeschwerden. Sie bildet sich meist bis zur Pubertät zurück.
- Absencen-Epilepsie: Charakterisiert durch kurzzeitige Bewusstseinsstörungen, die im Alter von 2 bis 15 Jahren auftreten können.
- Fieberkrämpfe: Treten bei Kindern zwischen 6 Monaten und 5 Jahren im Zusammenhang mit Fieber auf. Wichtig ist die Abgrenzung zur Epilepsie, da Fieberkrämpfe nur bei Fieber auftreten.
Ursachen von Epilepsie
Epilepsie kann verschiedene Ursachen haben. Bei Kindern können angeborene Hirnschäden oder Stoffwechselstörungen eine Rolle spielen. In höherem Alter kommen Infektionen des Nervensystems, Kopfverletzungen, Hirntumore oder erbliche Faktoren infrage. In vielen Fällen bleibt die Ursache jedoch unklar.
Auslösende Faktoren
Bestimmte Faktoren können epileptische Anfälle auslösen, wie zum Beispiel:
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- Fieber
- Schlafmangel
- Flackernde Lichter
- Alkohol
Erste Hilfe bei einem epileptischen Anfall
Es ist wichtig, Ruhe zu bewahren und zu wissen, wie man bei einem epileptischen Anfall richtig reagiert. Die meisten Anfälle sind nach kurzer Zeit vorüber und ungefährlich.
Was zu tun ist:
- Ruhe bewahren: Panik hilft niemandem.
- Auf die Uhr schauen: Notieren Sie die Dauer des Anfalls für den Arzt.
- Verletzungen verhindern: Schaffen Sie eine sichere Umgebung und schützen Sie das Kind vor Verletzungen. Legen Sie beispielsweise eine Jacke oder ein Kissen unter den Kopf.
- Nichts in den Mund stecken: Vermeiden Sie es, etwas in den Mund des Kindes zu stecken.
- Nicht festhalten: Versuchen Sie nicht, das Kind festzuhalten oder zu Boden zu drücken.
- Atemwege freihalten: Lockern Sie enge Kleidung am Hals.
- Nach dem Anfall: Kontrollieren Sie die Atmung und bringen Sie das Kind in die stabile Seitenlage. Bleiben Sie beim Kind und leisten Sie ihm Beistand.
Wann den Notruf wählen (112):
- Der Anfall dauert länger als fünf Minuten.
- Atemprobleme bestehen.
- Es handelt sich um den ersten Anfall.
- Das Kind hat sich verletzt.
- Sie sind unsicher, wie Sie reagieren sollen.
Diagnose und Behandlung
Diagnose
Um eine Epilepsie zu diagnostizieren, sind genaue Informationen zum Ablauf des Anfalls wichtig. Da sich Betroffene oft nicht erinnern, sind Augenzeugenberichte und Videoaufnahmen sehr hilfreich.
- Körperliche und neurologische Untersuchung: Diese kann zwischen den Anfällen unauffällig sein.
- Blutuntersuchung: Kann wichtige Hinweise liefern.
- Elektroenzephalografie (EEG): Misst die elektrische Aktivität des Gehirns und kann epilepsietypische Muster zeigen. Die Genauigkeit kann durch Schlafentzug oder flackernde Lichter erhöht werden.
- Magnetresonanztomografie (MRT): Wird durchgeführt, um Veränderungen oder Verletzungen am Gehirn auszuschließen.
- Ultraschalluntersuchung: Kann bei Säuglingen über die offene Fontanelle erfolgen.
Behandlung
Ziel der Behandlung ist es, Anfallsfreiheit und eine gute Lebensqualität zu erreichen.
- Medikamente (Antiepileptika): In vielen Fällen können Medikamente die Anfälle kontrollieren oder sogar verhindern. Die Auswahl des Wirkstoffs erfolgt individuell. Einige Antiepileptika können Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Schwindel oder Konzentrationsschwierigkeiten haben.
- Operation: Bei einer kleinen Gruppe von Patienten, die nicht auf Medikamente ansprechen, kann eine Operation in Erwägung gezogen werden. Dabei wird der Bereich des Gehirns entfernt, von dem die Anfälle ausgehen.
- Ernährungstherapie (ketogene Diät): Bei bestimmten Epilepsieformen kann eine ketogene Ernährung, die reich an Fett und arm an Kohlenhydraten ist, hilfreich sein.
- Vermeidung von Auslösern: Ein geregelter Lebensrhythmus ohne Schlafmangel und die Vermeidung von bekannten Auslösern wie flackerndem Licht können Anfälle reduzieren.
Leben mit Epilepsie im Alltag
Epilepsie kann viele Lebensbereiche beeinflussen, aber mit der richtigen Unterstützung ist ein weitgehend normales Leben möglich.
Medikamenteneinnahme
Eine der wichtigsten Maßnahmen ist, dass Sie immer ausreichend Anfallsmedikamente zu Hause haben. Die regelmäßige Einnahme der verschriebenen Medikamente ist wichtig, um Anfällen vorzubeugen. Um die Medikamenteneinnahme zu erleichtern, können folgende Hilfsmittel nützlich sein:
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- Wochendosette: Ermöglicht das Vorsortieren der Medikamente für die ganze Woche.
- Erinnerungsstützen: Handyalarm oder Aufkleber können helfen, an die Einnahme zu denken.
Sicherheit im Alltag
- Baden und Duschen: Solange die Gefahr besteht, dass Ihr Kind im Anfall in die Badewanne unter Wasser rutscht, sollte es besser Duschen.
- Praktische Hilfsmittel: Türen von Bad und Gästetoilette sollten nach außen aufgehen. Statt eines Schlosses mit Schlüssel ist eine sogenannte WC-Garnitur sinnvoll.
Kindergarten und Schule
Die meisten Kinder mit Epilepsie können einen normalen Kindergarten oder eine Regelschule besuchen. Eine gute Aufklärung der ErzieherInnen und LehrerInnen ist jedoch notwendig.
- Aufklärung: Informieren Sie ErzieherInnen und LehrerInnen über die Epilepsie und was bei einem Anfall zu tun ist. Je besser sie sich auskennen, desto gelassener können sie mit dem Kind umgehen. Dies gilt auch für weniger auffällige Anfallsformen (Absencen).
- Schriftliche Vereinbarung: Treffen Sie eine schriftliche Vereinbarung mit der Einrichtung über die notwendigen Maßnahmen im Falle eines Anfalls, einschließlich der Gabe von Notfallmedikamenten.
- Integrationshelfer: In einigen Fällen kann ein Integrationshelfer beantragt werden, der das Kind im Kindergarten oder in der Schule begleitet.
- Nachteilsausgleich: Informieren Sie sich über Möglichkeiten des Nachteilsausgleichs in der Schule, um Ihrem Kind bestmöglich zu helfen.
Sport und Freizeit
Kinder und Jugendliche mit Epilepsie sollten so viel wie möglich unternehmen können. Übervorsichtig zu sein, kann das Selbstwertgefühl schwächen und die Entwicklung hemmen.
- Sportarten: Die meisten Sportarten sind ohne Einschränkungen möglich, wenn das Kind ansonsten gesund ist. Wegen der Unfallgefahr während eines Anfalls sind bestimmte Disziplinen wie Schwimmen oder Klettern allerdings weniger geeignet.
- Schwimmen: Beim Schwimmen sollte ein Kind gut beaufsichtigt werden und wenn nötig Schwimmhilfen tragen.
- Klettern: Klettern am Seil oder der Stange ohne Absicherung sollte vermieden werden. Klettern mit Sicherungsmaßnahmen in einer Kletterhalle oder im Freien ist möglich.
- Schutz: Hat ein Kind regelmäßig Anfälle, ist es wichtig, dass es beim Sport vor Kopfverletzungen geschützt ist - zum Beispiel durch einen Helm.
Berufswahl
Es gibt nur wenige Berufe, die Menschen mit Epilepsie grundsätzlich nicht ausüben können. Allgemein sollten Berufe vermieden werden, bei denen jemand sich oder andere durch die Epilepsie gefährden könnte. Wichtig ist, sich rechtzeitig vor Schulabschluss damit zu beschäftigen, welche Berufe infrage kommen und welche nicht. Dazu kann man sich ärztlich beraten lassen oder an eine Epilepsie-Beratungsstelle wenden.
Führerschein
Ob man mit Epilepsie den Führerschein machen kann, muss eine Ärztin oder ein Arzt beurteilen. Eine Fahrerlaubnis kann nur erhalten, wer über eine längere Zeit anfallsfrei geblieben ist und voraussichtlich keinen Anfall während des Autofahrens bekommt.
Urlaub
Auch Familien mit epilepsiekranken Kindern können in Urlaub fahren. Eine gut bestückte Reiseapotheke mit ausreichend Medikamenten, auch Notfallmedikamenten, trägt viel zu einem entspannten Urlaub bei. Hilfreich ist ein Notfallausweis oder die nötigsten Daten wie Diagnose, Medikation und Telefonnummern der Eltern als Hintergrundbild auf dem Smartphone des Kindes zu speichern. Bei Flugreisen erkundigen Sie sich bitte vor der Buchung bei der Fluggesellschaft, ob Sie eine ärztliche Reisetauglichkeitsbescheinigung benötigen.
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Überwachung im Schlaf
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Anfälle im Schlaf zu registrieren, auch wenn das Kind in seinem eigenen Bett bzw. Zimmer schläft:
- Klingelarmband: Geeignet für Anfälle mit Zuckungen.
- Alarmgerät fürs Bett: Reagiert auf rhythmische Bewegungen und gibt Alarm, wenn das Kind anfängt zu krampfen.
- Alarmgerät fürs Handgelenk: Registriert die Herzfrequenz und Bewegungen im Schlaf.
- Pulsoxymeter: Misst die Sauerstoffsättigung im Blut während des Anfalls.
- Babyfon mit/ohne Kamera: Meldet Geräusche oder zeigt Bilder, wenn „Unruhe“ herrscht.
Unterstützungsmöglichkeiten
Es gibt vielfältige Unterstützungsmöglichkeiten für Kinder mit Epilepsie und ihre Familien.
- Frühförderstellen: Unterstützen Familien medizinisch, psychologisch, bei der Erziehung und im Alltag.
- Sozialpädiatrische Zentren (SPZ): Bieten Unterstützung bei chronischen Erkrankungen, Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsstörungen von Kindern.
- Selbsthilfegruppen: Bieten die Möglichkeit zum Austausch mit anderen Betroffenen.
- Epilepsie-Beratungsstellen: Beraten, informieren und unterstützen Betroffene und ihre Familien.
- Pflegedienste: Bieten pflegerische Unterstützung je nach Hilfebedarf.
- Familienentlastende Dienste (FED): Betreuen und begleiten erkrankte und hilfebedürftige Kinder im Alltag.
- Integrationshilfe: Begleitet und unterstützt das Kind im Kindergarten oder in der Schule.
- Lerntherapie: Bei Lernschwierigkeiten.
- Antrag auf Schwerbehinderung: Kann zusätzliche Unterstützungsleistungen ermöglichen.
Umgang mit Ängsten und Sorgen
Die Diagnose Epilepsie kann Ängste und Sorgen auslösen, sowohl bei den Kindern als auch bei den Eltern. Es ist wichtig, offen über die Erkrankung zu sprechen und sich professionelle Hilfe zu suchen, wenn nötig.
Plötzlicher und unerwarteter Tod bei Epilepsie (SUDEP)
SUDEP ist eine seltene, aber beängstigende Komplikation. Das Risiko kann durch Anfallsfreiheit, regelmäßige Medikamenteneinnahme und Vermeidung von Risikofaktoren minimiert werden.
Entwicklungsstörungen
Nicht jedes Kind mit Epilepsie entwickelt Entwicklungsstörungen. Kinder, die trotz Medikamenten noch Anfälle haben, sind jedoch gefährdet. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung von Entwicklungsstörungen ist wichtig.
Stigmatisierung
Epilepsie ist leider immer noch gesellschaftlich stigmatisiert. Es ist wichtig, offen mit der Erkrankung umzugehen und Vorurteile abzubauen.