Dissoziative Anfälle und epileptische Anfälle können sich in ihren Symptomen ähneln, was die Unterscheidung erschwert. Beide Arten von Anfällen können zu plötzlichen Bewegungsstörungen oder Bewusstseinsveränderungen führen. Im Gegensatz zur Epilepsie haben dissoziative Anfälle jedoch keine organische Ursache im Gehirn. Stattdessen sind sie funktionelle Störungen, die oft auf unbewusste seelische Belastungen zurückzuführen sind.
Einleitung
Die Unterscheidung zwischen dissoziativen und epileptischen Anfällen ist eine der größten Herausforderungen in der Diagnostik paroxysmaler Störungen. Es ist wichtig, die Unterschiede zu verstehen, da die Behandlungsmethoden unterschiedlich sind. Eine falsche Diagnose kann zu einer unwirksamen Therapie mit Antiepileptika und unnötigen Nebenwirkungen führen.
Was sind epileptische Anfälle?
Epileptische Anfälle sind Störungen des Gehirns, die durch eine kurzzeitige, übermäßige Entladung von Nervenzellen verursacht werden. Die Symptome können je nach betroffenem Bereich des Gehirns variieren. Epileptische Anfälle können fokal (in einem bestimmten Bereich des Gehirns beginnend) oder generalisiert (das gesamte Gehirn betreffend) sein.
Die Ursachen für epileptische Anfälle sind vielfältig und können altersabhängig sein. Akute Hirnerkrankungen, Anlageanomalien, Substanzmissbrauch und -entzug können Anfälle auslösen. In etwa der Hälfte der Fälle bleibt die Ursache jedoch unbekannt.
Was sind dissoziative Anfälle?
Dissoziative Anfälle ähneln epileptischen Anfällen, haben aber keine epileptische Ursache. Sie sind oft eine Folge unbewusster seelischer Belastung oder traumatischer Erfahrungen. Bei dissoziativen Anfällen verlieren die Betroffenen vorübergehend die Kontrolle über ihren Körper. Es kann zu Zuckungen, Verkrampfungen oder Ohnmachtsanfällen kommen. Einige Betroffene erleben ein Gefühl der Entfremdung oder Unwirklichkeit. Es kann sich anfühlen, als würde man sich von seinem eigenen Körper oder seinen eigenen Emotionen entfernt selbst beobachten.
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Hauptsymptome
Während eines dissoziativen Anfalls kommt es zu einem plötzlichen Verlust der Kontrolle über den eigenen Körper, oft begleitet von einer starken Einschränkung der Bewusstseinsfunktionen. Typisch ist ein plötzlicher Kontrollverlust über den Körper. Es kann zu Zuckungen, Verkrampfungen oder einem Ohnmachtsanfall kommen. Anders als bei Epilepsie fehlt jedoch eine krankhafte elektrische Entladung im Gehirn. Die Anfälle entstehen ohne erkennbare körperliche Ursache und dauern oft mehrere Minuten.
Dissoziative Anfälle sind meist Folge unbewusster seelischer Belastung. Manchmal stehen frühere medizinische Ereignisse wie ein epileptischer Anfall oder eine Ohnmacht am Anfang. Menschen mit anderen chronischen Erkrankungen wie Epilepsie, Migräne, Depression, Angst- oder Schlafstörungen haben ein erhöhtes Risiko.
Unterscheidung zwischen dissoziativen und epileptischen Anfällen
Die Unterscheidung zwischen dissoziativen und epileptischen Anfällen kann schwierig sein, da sich die Symptome ähneln können. Es gibt jedoch einige wichtige Unterschiede:
- EEG: Bei epileptischen Anfällen zeigen sich im EEG krankhafte elektrische Entladungen im Gehirn. Bei dissoziativen Anfällen fehlen diese Entladungen.
- Anfallsbeschreibung: Menschen mit epileptischen Anfällen sind oft bemüht, das Anfallsgeschehen detailliert zu rekonstruieren. Sie fokussieren auf den Anfall selbst und schildern subjektiv empfundene Symptome. Menschen mit dissoziativen Anfällen schildern die Abläufe oft bruchstückhaft und ungeordnet. Sie konzentrieren sich eher auf die situativen Begleitumstände und teilen keine subjektiven Empfindungen mit.
- Verhaltensweisen: Bestimmte Verhaltensweisen während des Anfalls können auf einen dissoziativen Anfall hindeuten, wie z. B. ein allmählicher Beginn oder Ende, Pseudoschlaf, diskontinuierliche Bewegungen und forcierter Augenschluss.
- Gefühle: Die Art und Weise, wie Patienten ihre Anfälle schildern, kann bei den Untersuchenden unterschiedliche Gefühle hervorrufen. Dies wird in der Psychoanalyse als "Gegenübertragung" bezeichnet.
Diagnostisches Vorgehen
Die Diagnose dissoziativer Anfälle stützt sich auf das typische Erscheinungsbild der Anfälle und den Ausschluss anderer Ursachen. Das diagnostische Vorgehen umfasst in der Regel:
- Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte und der Anfallsbeschreibung.
- Klinische Untersuchung: Beobachtung des Patienten während eines Anfalls.
- EEG: Ableitung der Hirnströme, um epileptische Aktivität auszuschließen.
- (c)MRT: Bildgebung des Gehirns, um strukturelle Ursachen auszuschließen.
- Video-EEG-Monitoring: Aufzeichnung von Anfallsereignissen mit Video und EEG, um den Anfallsverlauf detailliert zu analysieren und epileptische Entladungen auszuschließen.
Die Rolle der Anfallsschilderung
Die Art und Weise, wie Patienten ihre Anfälle schildern, kann wichtige Hinweise auf die Diagnose geben. Forscher haben herausgefunden, dass sich die Schilderungen von Menschen mit dissoziativen Anfällen grundlegend von denen mit Epilepsie unterscheiden.
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Menschen mit epileptischen Anfällen bemühen sich, das Anfallsgeschehen differenziert und nachvollziehbar darzustellen. Sie geben Unterschiede zwischen den Anfällen an und teilen ihre subjektiven Empfindungen vor und während des Anfalls mit. Beim Zuhören entsteht so eine klare Vorstellung von den Anfällen.
Im Gegensatz dazu differenzieren Menschen mit dissoziativen Anfällen nicht zwischen verschiedenen Anfällen. Sie schildern die Abläufe bruchstückhaft und ungeordnet und unterbrechen ihre Schilderungen durch holistische Äußerungen der Art "dann bin ich weg" oder "dann weiß ich nix mehr". Der Zuhörer wird bei diesen Anfallsschilderungen eher verwirrt und ratlos. Subjektive Empfindungen werden gar nicht mitgeteilt, stattdessen liegt der Fokus der Schilderung eher auf Elementen der situativen Begleitumstände der Anfälle.
Diagnosemitteilung
Die Diagnosemitteilung von dissoziativen Anfällen kann für Ärztin und Patient schwierig sein, insbesondere wenn bereits seit Jahren die Diagnose Epilepsie besteht und eine erfolglose Behandlung durchgeführt wurde. Verwirrung, Ärger, Verleugnung und Suizidgedanken können als Reaktionen auf die Diagnosemitteilung auftreten.
Es ist wichtig, dass die Diagnose auf eine kompetente und verständliche Weise vermittelt wird. Ein gemeinsames, umfassendes Verständnis der Diagnose aus neurologischer, psychiatrischer und psychotherapeutischer Sicht ist notwendig.
Therapie
Zentral ist eine individuell angepasste Psychotherapie. Jeder zweite Betroffene wird mit Therapie anfallsfrei - früh beginnen lohnt sich! Eine spontane Heilung ist selten - aber mit gezielter Therapie sind die Chancen gut: Bei über der Hälfte der Patienten nehmen die Anfälle stark ab oder verschwinden ganz. Wichtig ist ein offener Umgang mit der Erkrankung. Angehörige, Freunde und Kolleg:innen sollten wissen, wie sie im Ernstfall reagieren.
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Psychotherapeutische Behandlungsansätze
Unterschiedliche Faktoren sind bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Anfälle beteiligt. Die Heterogenität der Ursachen legt nahe, Behandlungsziele und Behandlungsmethoden an die Problematik des einzelnen Patientinnen anzupassen. Es liegen Erfahrungen mit kognitiver Verhaltenstherapie, psychodynamischer Psychotherapie und Hypnose vor.
Psychopharmakologische Behandlung
Die psychische Komorbidität erfordert sehr häufig den Einsatz von Psychopharmaka. Der Einsatz von Psychopharmaka sollte nur in Kombinationsbehandlung mit Psychotherapie und in genauer Abstimmung mit dem Gesamtbehandlungskonzept erfolgen.
Prognose
Ohne gezielte Therapie bleiben dissoziative Anfälle oft über Jahre bestehen. Mit einer individuell angepassten Psychotherapie sind die Chancen gut: Bei über der Hälfte der Patienten nehmen die Anfälle stark ab oder verschwinden ganz.
Bedeutung einer frühen Diagnose und Therapie
Je mehr Zeit vergeht, bis die richtige Diagnose gestellt und die richtige Therapie eingeleitet werden, desto schlechter ist auch das Ansprechen auf die Therapie. Eine frühe Diagnose und Therapie können die Prognose verbessern und die Lebensqualität der Betroffenen erhöhen.
Zusammenfassung
Dissoziative Anfälle sind funktionelle Störungen, die sich in ihren Symptomen ähneln können, aber keine organische Ursache im Gehirn haben. Die Unterscheidung zwischen dissoziativen und epileptischen Anfällen ist wichtig, da die Behandlungsmethoden unterschiedlich sind. Eine sorgfältige Anamnese, klinische Untersuchung, EEG-Diagnostik und die Analyse der Anfallsschilderung können helfen, die richtige Diagnose zu stellen. Eine individuell angepasste Psychotherapie ist die Behandlung der Wahl für dissoziative Anfälle.
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