Der Zusammenhang zwischen Vagusnerv und Kopfschmerzen: Ein umfassender Überblick

Der Vagusnerv, auch bekannt als Nervus vagus oder "der umherschweifende Nerv", ist einer der wichtigsten Nerven im Körper. Als zehnter Hirnnerv (N. X) entspringt er im Hirnstamm und durchzieht den gesamten Körper wie ein inneres Steuerkabel. Er ist ein zentraler Bestandteil des parasympathischen Nervensystems, das für Entspannung, Regeneration und Heilung zuständig ist.

Die Anatomie des Vagusnervs

Der Vagusnerv entspringt beidseitig im verlängerten Mark (Medulla oblongata) im Gehirn. Von dort aus treten sowohl der linke als auch der rechte Vagusnerv durch eine Öffnung an der Schädelbasis (Foramen jugulare) aus und ziehen dann seitlich entlang des Halses. Nach dem gemeinsamen Durchtritt durch das Zwerchfell erreichen beide Vagusnerven den Oberbauch, wo sie sich weiter verzweigen.

Etwa 80 % der Fasern des Vagusnervs sind afferent, also aufnehmend, während nur rund 20 % der Fasern Befehle vom Gehirn in den Körper senden.

Die Funktionen des Vagusnervs

Der Vagusnerv ist mit vielen Organen und Körpersystemen verbunden und spielt eine entscheidende Rolle für viele wichtige Funktionen im Körper, darunter:

  • Förderung der Verdauung: Der Vagusnerv steuert die Muskelbewegungen im Magen-Darm-Trakt und die Ausschüttung von Verdauungssäften.
  • Regulation des Herzschlags: Der Vagusnerv verlangsamt den Herzschlag und senkt den Blutdruck.
  • Stressregulation: Der Vagusnerv hilft dem Körper, vom Alarmzustand (aktivierter Sympathikus) wieder in den Ruhemodus (aktivierter Parasympathikus) zu wechseln. Dies ist essenziell für die emotionale Stabilität.
  • Beeinflussung von Entzündungsreaktionen: Der Vagusnerv ist Teil eines komplexen Kommunikationsnetzes, das als neuro-immunologisches System bekannt ist und Entzündungsreaktionen im Körper beeinflusst.
  • Steuerung des Sättigungsgefühls und des Blutzuckerspiegels: Der Vagusnerv spielt eine zentrale Rolle in der Darm-Hirn-Achse und reguliert das Sättigungsgefühl und den Blutzuckerspiegel während der Nahrungsaufnahme.

Vagusnerv-Dysfunktion: Ursachen und Symptome

Gerät der Vagusnerv aus dem Gleichgewicht, kann sich das auf die körperliche und psychische Gesundheit auswirken. Ein eingeklemmter oder überreizter Vagusnerv kann sich auf ganz unterschiedliche Weise bemerkbar machen. Weil er Herz, Magen, Darm, Kehlkopf und viele weitere Bereiche beeinflusst, sind die Symptome oft vielseitig und für Betroffene nicht immer eindeutig zuzuordnen. Besonders tückisch: Diese Symptome können plötzlich auftreten und wieder verschwinden.

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Mögliche Ursachen für eine Vagusnerv-Dysfunktion sind:

  • Körperliche Faktoren: Muskelverspannungen und Fehlhaltungen, insbesondere im Nacken-, Kiefer- oder Brustbereich, können den Vagusnerv mechanisch reizen oder einengen. Der Vagusnerv verläuft vom Schädel aus durch den Hals, entlang der Brustwirbelsäule bis in den Bauchraum. Dabei passiert er enge anatomische Räume und ist anfällig für Druck, Reibung oder Einschränkung.
  • Seelische Verfassung: Anhaltender psychischer Stress, ungelöste Konflikte oder emotionale Überlastung können die Aktivität des Vagusnervs spürbar herunterfahren.
  • Entzündungen: Eine chronische Entzündung, wie beispielsweise im Darm, kann über sogenannte Zytokine die Funktion des Vagusnervs hemmen. Gleichzeitig steuert der Nerv auch immunologische Prozesse.
  • Darmflora: Vagusnerv-Rezeptoren reagieren sehr sensibel auf Stoffwechselprodukte aus dem Darmmikrobiom. Wenn das Mikrobiom aus dem Gleichgewicht gerät, kann dies die Vagusfunktion beeinträchtigen.
  • Hormonelle Dysbalancen: Hormonelle Veränderungen können ebenfalls Auswirkungen auf den Vagusnerv haben.

Mögliche Symptome einer Vagusnerv-Dysfunktion sind:

  • Herzstolpern
  • Verdauungsprobleme wie Übelkeit oder Völlegefühl
  • Schluckbeschwerden oder ein Kloßgefühl im Hals
  • Kopfschmerzen
  • Schwindel
  • Chronische Müdigkeit
  • Nackenschmerzen
  • Herz- und Lungenbeschwerden wie Brustschmerzen, Asthma, Herzrhythmusstörungen und Bluthochdruck
  • Magen-Darm-Probleme wie Durchfall, Verstopfung, Sodbrennen
  • Appetitlosigkeit oder übermäßiges Essen
  • Migräne oder Spannungskopfschmerzen
  • Chronische Verspannungen, wie verhärtete Muskeln, zusammengebissene Zähne, nächtliches Zähneknirschen, verspannte Gesichts-, Nacken- und Schultermuskulatur
  • Kalte Hände und Füße oder grundloses Schwitzen
  • Wandernde Schmerzen im Körper
  • Seelisch-geistige Probleme wie Groll, Energiemangel, Weinerlichkeit, Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen, übermäßige Besorgnis oder Entscheidungsunfähigkeit

In bestimmten Fällen kann eine plötzliche Überaktivierung des Vagusnervs zu einem starken Abfall von Puls und Blutdruck führen (eine sogenannte vasovagale Synkope). Auslöser können z. B. Schmerzen, Stress, langes Stehen oder kaltes Wasser sein.

Der Zusammenhang zwischen Vagusnerv und Kopfschmerzen

Kopfschmerzen, insbesondere Migräne und Spannungskopfschmerzen, können mit einer gestörten Vagusfunktion in Verbindung stehen. Der Vagusnerv spielt eine Rolle bei der Schmerzentstehung, da er die Freisetzung von Glutamat beeinflusst, einem Neurotransmitter, der bei der Schmerzwahrnehmung eine wichtige Rolle spielt. Eine Stimulation des Vagusnervs kann die Glutamatsynthese im trigeminalen Nucleus caudalis (TNC) hemmen und so die Schmerzweiterleitung reduzieren.

Darüber hinaus kann eine Vagusnerv-Dysfunktion zu chronischen Verspannungen im Nacken- und Schulterbereich führen, die wiederum Kopfschmerzen auslösen können. Auch Schlafstörungen, die häufig mit einer Vagusnerv-Dysfunktion einhergehen, können Kopfschmerzen begünstigen.

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Therapieansätze bei Vagusnerv-bedingten Kopfschmerzen

Die Behandlung von Vagusnerv-bedingten Kopfschmerzen zielt darauf ab, die Vagusfunktion zu verbessern und die Symptome zu lindern. Es gibt verschiedene Therapieansätze, die einzeln oder in Kombination eingesetzt werden können:

Nicht-invasive Vagusnervstimulation (nVNS)

Die nicht-invasive Vagusnervstimulation (nVNS) ist eine vielversprechende Therapieoption bei Kopfschmerzen, insbesondere bei Migräne und Clusterkopfschmerzen. Bei der nVNS wird der Vagusnerv über die Haut am Hals oder im Ohr mit elektrischen Impulsen stimuliert. Dies kann zu einer Reduktion der Kopfschmerz-Attackenfrequenz und -intensität führen.

Aktuell sind zwei Stimulatoren für die nichtinvasive Vagusnervstimulation (nVNS) in Deutschland zugelassen: Device GammaCore®, bei dem die Stimulation am Hals erfolgt, und Device Vitos®, bei dem die Stimulation im Ohr erfolgt.

Studien haben gezeigt, dass die nVNS bei episodischer und chronischer Migräne die Schmerzfreiheit nach zwei Stunden erhöhen und die Einnahme von Rescue-Medikation reduzieren kann. Auch bei chronischen Clusterkopfschmerzen konnte eine Reduktion der Attackenfrequenz und der Einnahme von Akutmedikation mit Sumatriptan beobachtet werden.

Die nVNS ist in der Regel gut verträglich. Seltene Nebenwirkungen sind das Auftreten anderer Kopfschmerzen, oropharyngeale Schmerzen sowie Nackenschmerzen.

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Invasive Vagusnervstimulation (VNS)

Die invasive Vagusnervstimulation (VNS) ist eine etablierte Methode zur Behandlung therapierefraktärer Epilepsie und Depression sowie von Angststörungen. In einigen Fällen wurde auch bei Patienten mit Migräne eine Reduktion der Attackenfrequenz berichtet.

Bei der invasiven VNS werden Elektroden im Bereich der linken Karotisbifurkation implantiert und mit einem Stimulator unterhalb der Clavicula verbunden. Aufgrund der Invasivität des Verfahrens wird die invasive VNS nur bei Patienten mit therapierefraktären Kopfschmerzen empfohlen.

Weitere Therapieansätze

Neben der Vagusnervstimulation gibt es weitere Therapieansätze, die bei Vagusnerv-bedingten Kopfschmerzen hilfreich sein können:

  • Physiotherapie: Physiotherapeutische Behandlungen können helfen, Muskelverspannungen im Nacken- und Schulterbereich zu lösen und Fehlhaltungen zu korrigieren.
  • Entspannungstechniken: Entspannungstechniken wie progressive Muskelentspannung, autogenes Training, Yoga oder Meditation können helfen, Stress abzubauen und die Aktivität des Parasympathikus zu erhöhen.
  • Atemübungen: Tiefe, langsame Atemübungen können den Vagusnerv aktivieren und Entspannung fördern.
  • Kälteanwendungen: Kälteanwendungen, wie z.B. ein kalter Umschlag auf der Stirn oder Wechselduschen, können beruhigend wirken und den Parasympathikus aktivieren.
  • Gesunde Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit viel frischem Obst und Gemüse kannEntzündungen im Körper reduzieren und die Darmflora verbessern.
  • Stressmanagement: Ein effektives Stressmanagement ist entscheidend, um die Aktivität des Sympathikus zu reduzieren und die Vagusfunktion zu verbessern.

Übungen zur Selbststimulation des Vagusnervs

Es gibt eine Reihe von Übungen, die man selbst durchführen kann, um den Vagusnerv zu stimulieren und die Entspannung zu fördern:

  • Atemübungen: Tiefes, langsames Atmen aktiviert den Vagusnerv und fördert Entspannung.
  • Meditation und Achtsamkeit: Regelmäßige Meditation und Achtsamkeitsübungen können das parasympathische System aktivieren.
  • Bewegungsübungen: Drehe den Kopf langsam nach links und fixiere dabei mit den Augen einen nahen Gegenstand. Drehe dann den Kopf langsam nach rechts und stelle ebenfalls einen Gegenstand scharf. Wiederhole diese Bewegung mehrmals.
  • Kältereiz: Lege einen kalten Umschlag auf deine Stirn oder mache Wechselduschen.
  • Gesang und Summen: Singen, Summen oder Gurgeln kann den Vagusnerv durch Vibrationen im Halsbereich stimulieren.
  • Massagen: Sanftes Streichen mit den Fingern entlang der Seiten des Halses oder leichte, kreisende Fingerbewegungen am Kiefergelenk können entspannend wirken. Auch Ohrmassagen können helfen.

Fazit

Der Vagusnerv spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Kopfschmerzen, insbesondere Migräne und Spannungskopfschmerzen. Eine Vagusnerv-Dysfunktion kann zu chronischen Verspannungen, Schlafstörungen und einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit führen. Die nicht-invasive Vagusnervstimulation (nVNS) ist eine vielversprechende Therapieoption bei Kopfschmerzen, die in Kombination mit anderen Therapieansätzen wie Physiotherapie, Entspannungstechniken und Stressmanagement zu einer deutlichen Verbesserung der Symptome führen kann. Auch Übungen zur Selbststimulation des Vagusnervs können helfen, die Entspannung zu fördern und die Vagusfunktion zu verbessern.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Vagusnervstimulation nicht für jeden geeignet ist. Bei Herz- oder Kreislaufproblemen oder in der Schwangerschaft sollte vor der Anwendung jeglicher Art von Vagusnervstimulation ärztlicher Rat eingeholt werden.

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