Das vegetative Nervensystem (VNS), auch autonomes Nervensystem genannt, steuert lebenswichtige Körperfunktionen, die der Mensch nicht willentlich beeinflussen kann. Es funktioniert also ohne willentliche Steuerung. Dazu gehören beispielsweise Herzfrequenz, Atmung, Verdauung, Stoffwechsel und Blutdruck. Als Spezialist für das vegetative Nervensystem befasst man sich mit der Diagnose und Behandlung von Störungen dieses Systems, die sich in vielfältigen Symptomen äußern können.
Die Aufgaben des vegetativen Nervensystems
Das vegetative Nervensystem gliedert sich in zwei Hauptkomponenten:
- Sympathikus: Dieser Teil des VNS versetzt den Körper in erhöhte Leistungsbereitschaft und verbraucht Energiereserven. Er ist aktiv bei Stress, Anstrengung und in Notfallsituationen ("Fight-or-Flight"-Reaktion). Durch den Sympathikus werden vorwiegend Körperfunktionen gesteuert, die den Körper in erhöhte Leistungsbereitschaft versetzen und Energiereserven verbrauchen. Bei einem Angriff oder der Flucht steigt der Blutdruck, der Herzschlag nimmt zu und der Puls steigt. Der Körper wird dadurch leistungsfähiger und wappnet sich.
- Parasympathikus: Er ist der Gegenspieler des Sympathikus und steuert Erholung, Entspannung und den Aufbau von Energiereserven. Der Parasympathicus steht für das Gegenteil: Er sorgt dafür, dass der Körper entspannt, zur Ruhe kommt und sich erholt.
Im Idealfall befinden sich Sympathikus und Parasympathikus in einem Gleichgewicht. Dieses Zusammenspiel der beiden Gegenpole reicht weit in die Entwicklung des Menschen zurück.
Vegetative Dystonie: Wenn das Gleichgewicht gestört ist
Kommt es zu einem Ungleichgewicht zwischen Sympathikus und Parasympathikus, spricht man von einer vegetativen Dystonie oder vegetativen Dysregulation. Dabei kann entweder der Sympathikus überwiegen (Sympathikotonie) oder der Parasympathikus (Parasympathikotonie). Bei andauerndem Stress oder bei Krankheiten kommt das Gleichgewicht durcheinander: Der laufende Ausgleich von Erregung und Ruhe wird zu einem Dauerstress, bei dem der Sympathikus laufend die Überhand hat. Damit steigen Blutdruck und Blutzuckerspiegel. Gleichzeitig zieht sich der Parasympathikus zurück und damit werden auch Verdauung und Immunsystem auf Sparflamme betrieben.
Ursachen einer vegetativen Dystonie
Für eine vegetative Dystonie gibt es oft keine konkrete Ursache. Es können sowohl körperliche als auch psychische Faktoren eine Rolle spielen. Nicht selten ist es eine Kombination aus beidem. Zu den häufigsten körperlichen Ursachen zählt Diabetes mellitus (Typ 2). Die Stoffwechselerkrankung kann das autonome Nervensystem, einschließlich des Sympathikus, schädigen.
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Ebenso kann die vegetative Dystonie durch neurologische Erkrankungen, wie Parkinson oder Erkrankungen des peripheren Nervensystems ausgelöst werden. Weitaus seltener sind Verletzungen des Rückenmarks, Medikamente oder Virusinfektionen die Ursache für eine Funktionsstörung des vegetativen Nervensystems.
Da Körper und Psyche über das vegetative Nervensystem eng miteinander verbunden sind, können sich auch psychologische und soziale Faktoren wie Stress, Sorgen oder Überforderung auf das vegetative Nervensystem auswirken. Oftmals lösen die Beschwerden weitere Ängste bei den Betroffenen aus, da sie befürchten, es könne eine schwerwiegende Erkrankung zugrunde liegen. Auf diese Weise können sich die Symptome zusätzlich verschlimmern.
Symptome einer vegetativen Dystonie
Eine Störung des vegetativen Nervensystems kann sich auf unterschiedliche Weise äußern. Die Vielfalt an unspezifischen Symptomen macht es oft schwierig, ein überreiztes Nervensystem unmittelbar zu erkennen. Daher ergibt sich das Krankheitsbild einer vegetativen Dystonie in der Regel über das Ausschlussverfahren anderer Erkrankungen.
Zu den häufigsten Symptomen gehören:
- Herz-Kreislauf-Beschwerden: Herzstechen, Herzklopfen, Herzrasen, nervlich bedingter Bluthochdruck
- Atembeschwerden
- Schwindel oder Ohnmacht beim Aufstehen
- Übermäßiges Schwitzen oder mangelndes Schwitzen
- Verdauungsbeschwerden: Verstopfung, Durchfall, Magenlähmung
- Schluckbeschwerden
- Sexuelle Funktionsstörungen
- Probleme beim Entleeren der Blase
- Innere Unruhe
- Schlafstörungen
- Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit
Diagnose einer vegetativen Dystonie
Bis vor wenigen Jahren konnte ein Ungleichgewicht des vegetativen Nervensystems nur anhand der Symptome vermutet werden. Seit einigen Jahren kann die Aktivität des vegetativen Nervensystems tatsächlich gemessen werden. Dies gelingt mit Hilfe der Bestimmung der Herzschlagvariabilität.
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Die Messung der Herzratenvariabilität (HRV) mittels VNS-Analyse bietet die Möglichkeit, Einblick in die Regulationsfähigkeit des gesamten Organismus zu erhalten. Selbst wenn Blutparameter und andere Diagnoseverfahren noch keine Auffälligkeiten zeigen, kann bereits eine Regulationsstörung des vegetativen Nervensystems vorliegen. Diese kann durch eine HRV-Analyse nachgewiesen werden. Sie bildet die Grundlage für vorbeugende bzw. therapeutische Maßnahmen.
VNS-Analyse: Bei der VNS-Analyse werden insgesamt 520 Herzschläge aufgezeichnet. Anders als bei einem klassischen EKG wird dabei der zeitliche Abstand zwischen den einzelnen Herzschlägen ausgewertet. Über die Variabilität dieser Abstände können Rückschlüsse auf die Funktionsfähigkeit des vegetativen Nervensystems und die allgemeine Anpassungs- und Regulationsfähigkeit des Organismus gezogen werden. Die VNS Analyse ist die erste, die mit einem iPad vorgenommen werden kann. Für die ca. 7 Minuten dauernde Messung wird ein Brustgurt angelegt. Die Messung findet im bekleideten Zustand im Sitzen statt. Im Sitzen, weil in dieser Position die Körperentspannung normalerweise aktiv wird und die Körperspannung im Sitzen abnimmt.
Bedeutung der Herzratenvariabilität (HRV): Ein gesundes Herz schlägt nicht exakt regelmäßig, sondern zeigt ständig kleine Schwankungen der Herzschlagfolge. Gemessen wird hierbei die Veränderung des Abstandes der einzelnen Herzschläge. Diese spiegelt die Leistungsfähigkeit des Organismus bei der Bewältigung von Stress und außergewöhnlichen Belastungen wider. Eine gute Herzratenvariabilität ist Ausdruck einer hohen Anpassungsfähigkeit an alle äußeren und inneren Belastungen. Umgekehrt wächst die Wahrscheinlichkeit zu erkranken, wenn sich das Herz nicht mehr anpassen kann. So geht eine gestörte Regulation mit zunehmender Starre und Gleichförmigkeit des Herzschlages einher.
Behandlung einer vegetativen Dystonie
Je nach Ursache und Schweregrad der Störung kann eine vegetative Dystonie ernsthafte gesundheitliche Probleme verursachen, doch lässt sie sich in den meisten Fällen erfolgreich behandeln. Die Behandlung erfordert eine individuelle Herangehensweise, die sich an der eigentlichen Ursache und der Lebenssituation der Patienten orientiert.
- Behandlung der Grunderkrankung: Wenn die vegetative Dystonie durch eine andere Erkrankung (z.B. Diabetes, Parkinson) verursacht wird, steht die Behandlung dieser Grunderkrankung im Vordergrund. Während beispielsweise die Behandlung von Typ-2-Diabetes-Patienten auf eine optimale Blutzuckereinstellung abzielt, benötigen Parkinson-Patienten andere Medikamente.
- Psychotherapie: Da Körper und Psyche eng miteinander verbunden sind, kann eine Psychotherapie hilfreich sein, um Stressoren zu identifizieren und Strategien zur Stressbewältigung zu erlernen.
- Physiotherapie: Physiotherapeutische Maßnahmen können helfen, Verspannungen zu lösen und die Körperwahrnehmung zu verbessern.
- Medikamente: In einigen Fällen können Medikamente eingesetzt werden, um die Symptome der vegetativen Dystonie zu lindern.
- Entspannungsverfahren: Das Erlernen und Anwenden von Entspannungsverfahren wie Yoga, Meditation oder autogenem Training kann helfen, das Stresslevel zu senken und das Nervensystem wieder zu beruhigen.
- Weitere Maßnahmen: Schlafhygiene (regelmäßiger Wach-/Schlafrhythmus, angenehme und schlaffördernde Schlafumgebung schaffen), Hydrotherapie (Wechsel von Wärmereiz und Kältereiz regen Regulation an), Sport/Bewegung, Ausdauertraining und Störfeldbehandlung mittels eIRT können ebenfalls zur Regulation des vegetativen Nervensystems beitragen.
Pflanzliche und homöopathische Mittel: Pflanzliche oder homöopathische Mittel können eine unterstützende Therapieoption sein, da sie eine gute Verträglichkeit bei geringem Gewöhnungspotenzial aufweisen, dies trifft jedoch nicht auf alle pflanzlichen Arzneimittel zu. Zur Linderung der Beschwerden bei innerer Anspannung durch Stress, haben sich vor allem homöopathische Arzneipflanzen bewährt: Die Passionsblume kann bei Unruhezuständen oder Schlafstörungen helfen. Gelber Jasmin und Schlangenwurzel können bei Schwindel, nervlich bedingtem Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Beschwerden Linderung verschaffen. Und die gelbe Nieswurz kann Kreislaufproblemen vorbeugen.
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Vorsorge: Das vegetative Nervensystem stärken
Um das vegetative Nervensystem zu stärken und einer Dystonie vorzubeugen, können folgende Maßnahmen helfen:
- Stressmanagement: Stress ist in unserem Leben allgegenwärtig. Problematisch wird es bei zu intensivem akutem Stress, zu langer Dauer und/oder zusätzlichen psychischen Faktoren. Dann können Anpassungen nicht angemessen erfolgen, das System wird überfordert und es kommt zu einer Schädigung von körperlichen und psychischen Faktoren. Wichtig ist es, Stressoren zu erkennen und Strategien zur Stressbewältigung zu entwickeln.
- Ausgewogene Ernährung: Vitaminmangel, insbesondere ein Mangel an Vitamin B12, kann die Funktion des Nervensystems beeinträchtigen. Eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukten und gesunden Fetten kann die Gesundheit des autonomen Nervensystems unterstützen. Um möglichen Beschwerden vorzubeugen, empfiehlt es sich außerdem, auf Alkohol und Koffein zu verzichten.
- Regelmäßige Bewegung: Regelmäßige Bewegung wie Ausdauertraining oder Krafttraining fördert den Stressabbau.
- Ausreichend Schlaf: Ein gesunder Schlaf ist unerlässlich für die Stressbewältigung und Regeneration des Nervensystems. Dazu sollte die Schlafumgebung eine Temperatur von etwa 18 Grad haben und sich gut abdunkeln lassen. Ebenso wichtig ist ein ruhiges Schlafumfeld. Fernseher oder mobile Geräte wie Smartphones sollten abends ausgeschaltet werden, um Ablenkung und laute Geräusche zu vermeiden. Deftiges Essen, Alkohol und Stress am Abend können die Schlafqualität erheblich beeinträchtigen. Besser sind daher leicht verdauliche Speisen und warme Getränke wie Tee am Abend. Ebenso unterstützen regelmäßige Zubettgehzeiten und Aufstehzeiten, regelmäßige Bewegung und eine ergonomische Matratze einen gesunden Schlaf und stärken damit auch indirekt das vegetative Nervensystem.
Spezialisten für das vegetative Nervensystem
Spezialisten für das vegetative Nervensystem sind in der Regel Ärzte mit einer Zusatzausbildung in den Bereichen Neurologie, Innere Medizin, Psychosomatik oder Allgemeinmedizin. Sie verfügen über spezielle Kenntnisse in der Diagnostik und Therapie von Störungen des autonomen Nervensystems.
Kompetenzzentren: In größeren Kliniken und Universitätskliniken gibt es häufig Kompetenzzentren für Nervensystem, Gehirn sowie seelisch-psychische Krankheiten. Diese Zentren bieten eine umfassende Versorgung von Patienten mit Erkrankungen des Nervensystems. In der Notfallmedizin ist die München Klinik die Nr. 1 der Region. Über ein Drittel aller Notfälle der Landeshauptstadt werden in den vier Notfallzentren aufgenommen. Das sind über 130.000 Menschen im Jahr.
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