Die Vigilanzminderung ist ein häufiges Leitsymptom in Notaufnahmen und stellt eine diagnostische und therapeutische Herausforderung dar. Dieser Artikel konzentriert sich auf die diagnostischen Aspekte und ein strukturiertes Vorgehen in der Notaufnahme bei Patienten mit nichttraumatologischer akuter Vigilanzminderung.
Einordnung des Begriffs Vigilanzminderung
Eine Vigilanzminderung ist gleichzusetzen mit einer quantitativen Bewusstseinsstörung, die wie folgt eingeteilt wird: Somnolenz, Sopor und Koma. Quantitative Bewusstseinsstörungen werden international mithilfe der Glasgow Coma Scale (GCS) skaliert. Von quantitativen Bewusstseinsstörungen müssen sogenannte qualitative Bewusstseinsstörungen abgegrenzt werden. Diese beschreiben Störungen des Bewusstseinsinhalts unabhängig von einer Minderung des Bewusstseins. Quantitative und qualitative Bewusstseinsstörungen können unabhängig voneinander, aber auch im Wechsel oder in Kombination auftreten.
Differenzialdiagnostische Überlegungen
Vigilanzminderungen können sowohl durch primär neurologische Erkrankungen als auch im Rahmen sekundärer ZNS-Affektionen im Kontext systemischer Erkrankungen auftreten. Bei etwa einem Drittel der Patienten mit schwerer Vigilanzminderung liegen mehrere Pathologien simultan vor. Als Merkspruch für die verschiedenen Ätiologien einer akuten Vigilanzminderung gilt „AEIOU TIPS“:
- A - Alkohol und andere Intoxikationen
- E - Epilepsie, Elektrolyte, endokrine Ursachen, Enzephalopathie
- I - Insulin
- O - Opiate, O2/CO2 (Hypoxie beziehungsweise Hyperkapnie), „Overdose“
- U - Urämie (metabolisch)
- T - Trauma
- I - Infektion
- P - psychiatrische Notfälle, Pharmakologie, Porphyrie
- S - Schock, Subarachnoidalblutung, Stroke, Sepsis
Allgemeine Untersuchungen
Ein wichtiger Baustein für weitere differenzialdiagnostische Überlegungen ist die Anamnese. Neben den Informationen durch Rettungsdienst und Notarzt sowie einer Befragung der Patienten selbst (falls möglich) soll die Fremdanamnese so früh wie möglich durch telefonischen Kontakt mit Angehörigen oder Dritten erweitert werden. Wichtige Kerninhalte sind die Dynamik der Entstehung der Vigilanzminderung, das mögliche Vorliegen von Red Flags und die Abfrage von Vorerkrankungen und Medikamenten. Auch medizinische Vorbefunde/Arztbriefe geben oft Hinweise.
Nach der (Fremd-)Anamnese sollte zur weiteren differenzialdiagnostischen Einteilung eine gezielte körperliche Untersuchung erfolgen. Folgende Schwerpunkte der Untersuchung sind unerlässlich:
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- Vitalparameter inklusive Temperatur
- Erhebung der GCS (gute Basis für spätere Verlaufsbeurteilungen)
- Untersuchung von Blickwendungen, Pupillomotorik, Okulomotorik und vestibulookulärem Reflex (CAVE bei zervikalem Trauma) sowie Kornealreflex bei schwerer Vigilanzminderung
- Suche nach Hinweisen auf das Vorliegen eines epileptischen Anfalls (wie lateraler Zungenbiss, Kloni der Extremitäten)
- Untersuchung des Meningismus
- Motorik (Extremitätenbewegungen spontan und auf Schmerzreiz)
- Lungen- und Herzauskultation und orientierende Untersuchung des Abdomens
- Suche nach Hinweisen auf Trauma (Stichwort „Bodycheck“)
- Inspektion der Haut mit Suche nach Ausschlägen/ Rötungen
Bei allen Patientinnen und Patienten mit akuter Vigilanzminderung ist - unabhängig von differenzialdiagnostischen Überlegungen - eine Basis-Zusatzdiagnostik unerlässlich. Dazu zählen eine Blutgasanalyse (BGA), die auch die Bestimmung der Glukose sowie der wichtigsten Elektrolyte beinhaltet, sowie eine Labordiagnostik inklusive Messung des Alkoholspiegels und gegebenenfalls ein toxikologisches Screening aus Urin. Eine zügige bildgebende Diagnostik inklusive Darstellung der zerebralen Gefäße ist anzustreben.
Wichtige "Red Flags"
Neben der großen Liste an Differenzialdiagnosen gibt es Warnhinweise (sogenannte „Red Flags“), die auf bestimmte lebensbedrohliche und akut zu behandelnde Ursachen hinweisen können. Wichtig ist, dass trotz des Vorliegens einzelner „Red Flags“ bei persistierend schwer vigilanzgeminderten Patientinnen und Patienten in der Regel nicht auf eine multimodale Akutbildgebung verzichtet werden kann. Das Erkennen wichtiger „Red Flags“ kann aber dazu beitragen, bestimmte diagnostische Schritte zu priorisieren. Wichtig ist, dass typische „Red Flags“ bei fast allen entsprechenden Krankheitsbildern auch fehlen können.
- Perakuter Beginn: Ein perakuter Beginn mit sofortiger Ausbildung des maximalen klinischen Bildes weist bis zum Beweis des Gegenteils auf eine vaskuläre zentrale Genese hin (intrazerebrale Blutung, Subarachnoidalblutung oder Thrombose der Arteria [A.] basilaris).
- Pupillomotorikstörung: Bei Okulo- oder Pupillomotorikstörungen im Kontext von akuten Bewusstseinsstörungen muss dringend an eine Hirnstammischämie ebenfalls aufgrund einer Basilaristhrombose oder eine massive intrakrankielle Druckerhöhung durch raumfordernde Blutung oder eine massive Subarachnoidalblutung gedacht werden.
- Fokale neurologische Defizite: Akute Bewusstseinsstörungen mit Nachweis einer fokalen Symptomatik sind ebenfalls bis zum Beweis des Gegenteils durch eine vaskuläre zentrale Erkrankung verursacht.
- Meningismus: Liegt ein begleitender Meningismus vor, so weist dies auf das Vorliegen einer Meningitis/Meningoenzephalitis oder einer Subarachnoidalblutung hin.
- Kopfschmerzen: Ein fremd- oder eigenanamnestisch erhobener Donnerschlag-Kopfschmerz weist immer auf die Hauptdifferenzialdiagnose einer Subarachnoidalblutung hin.
- Tachykardie und Tachypnoe (± Fieber): Beim Vorliegen der Kardinalsymptome Bewusstseinsstörung, Tachykardie und Tachypnoe sind alle drei Kriterien des Quick-SOFA-Scores erfüllt, die auf ein septisches Geschehen hindeuten.
- Muskelkontraktionen/Myoklonien: Finden sich begleitende fokale, generalisierte oder auch nur subtile rhythmische Muskelkontraktionen steht die Hauptdifferenzialdiagnose eines Status epilepticus im Raum.
- Hautauffälligkeiten: Veränderungen der Haut können wichtige Hinweise auf die Ursache der Bewusstseinsstörung liefern.
Versorgung von Patienten mit schwerer Vigilanzminderung
Patienten mit schwerer, neu aufgetretener unklarer Vigilanzminderung (GCS ≤ 9), Status epilepticus, fehlenden Schutzreflexen oder neuem akutem neurologischem Defizit sollten über den Schockraum aufgenommen werden. Ein strukturiertes und standardisiertes Anmeldeverfahren ermöglicht es, die strukturellen, organisatorischen und personellen Ressourcen einer Zentralen Notaufnahme und des gesamten Krankenhauses optimal einzusetzen.
Delir als Ursache für Vigilanzminderung
Ein Delir ist eine akute Aufmerksamkeitsstörung mit Vigilanzminderung (quantitativer Bewusstseinsstörung) und/oder qualitativer Bewusstseinsstörung (z.B. Desorientiertheit). Es entwickelt sich akut über Stunden bis Tage und hat oft einen fluktuierenden Verlauf. Insbesondere das hypoaktive Delir wird häufig übersehen, während das hyperaktive Delir dem Umfeld meist schnell auffällt.
Zur Diagnose eines Delirs kann der 4AT-Test verwendet werden. Dieser umfasst die Beurteilung von Wachheit, Orientierung, Aufmerksamkeit und akuter oder fluktuierender Symptomatik. Eine Punktzahl von 4 oder mehr deutet auf ein mögliches Delir hin.
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Die Ursachensuche bei einem Delir umfasst die Anamnese (insbesondere Fremdanamnese), Vitalwerte, BGA (Elektrolyte, CO2 etc.) und Laboruntersuchungen. Mögliche Ursachen können durch das Akronym "I WATCH DEATH" zusammengefasst werden:
- I - Infektion
- W - Withdrawal (z.B. Benzodiazepine, Neuroleptika, Alkohol)
- A - Acute Metabolic (Elektrolyte, Niereninsuffizienz, Glykose…)
- T - Trauma (SHT, Fraktur/Schmerz, Harnverhalt, Obstipation)
- C - CNS (ZNS-Pathologie: Tumor, Encephalitis, Meningitis…)
- H - Hypoxie (COPD, Herzinsuffizienz…)
- D - Deficiencies (Vit. B12-/ Folsäure-Mangel, Exsikkose, Mangelernährung)
- E - Endokrin (Schilddrüse, Nebenniere, Krebserkrankung)
- A - Acute Vascular (Myokardinfarkt, Schlaganfall)
- T - Toxine/Medikamente (insb. Anticholinergika, Benzodiazepine, Psychopharmaka)
- H - Heavy Metals (Schwermetalle)
Die Therapie des Delirs umfasst die kausale Behandlung der Ursache (z.B. Infektion, Elektrolytstörung) sowie nicht-medikamentöse Maßnahmen wie Reizreduktion, Schaffung eines ruhigen Umfelds und Chronorhythmisierung. Medikamentöse Therapie kann bei Bedarf mit Melperon, Pipamperon, Risperidon oder Haloperidol erfolgen.
Demenzen als Ursache für Vigilanzminderung
Demenzen sind Erkrankungen des höheren Lebensalters, wobei das Alter der bedeutendste Risikofaktor ist. Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Ursache einer Demenz. Demenzen werden anhand des Manifestationsalters in früh beginnende (vor dem 65. Lebensjahr) und spät beginnende Demenzen unterteilt.
Die Ursachen der Demenzen können grob unterteilt werden in primär neurodegenerative Erkrankungen, vaskuläre Demenzen und sekundäre Demenzen. Bei jüngeren Patienten sind sekundäre Demenzen prozentual häufiger als bei älteren Menschen.
Die Diagnostik bei Demenz umfasst die Erhebung der Krankheitsgeschichte, körperliche und neurologische Untersuchung sowie neuropsychologische Tests. Bildgebende Verfahren wie CT oder MRT können zur Abklärung anderer Ursachen eingesetzt werden.
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Alzheimer-Krankheit
Die Alzheimer-Krankheit ist eine der häufigsten Ursachen für Demenz. Sie verursacht Probleme mit dem Gedächtnis, dem Denken und dem Verhalten. Die Symptome entwickeln sich in der Regel langsam und verschlechtern sich zunehmend über mehrere Jahre.
Die Behandlung der Alzheimer-Krankheit umfasst medikamentöse und nicht-medikamentöse Maßnahmen. Medikamente können die Symptome lindern und den Krankheitsverlauf verlangsamen. Nicht-medikamentöse Maßnahmen wie Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie können die Lebensqualität der Betroffenen verbessern.
Vaskuläre Demenz
Vaskuläre Demenz entsteht aufgrund von Durchblutungsstörungen im Gehirn. Ursachen hierfür können Ablagerungen in Blutgefäßen, Blutgerinnsel oder Hirnblutungen sein. Das Risiko für eine vaskuläre Demenz kann steigen, wenn das Herz-Kreislaufsystem beeinträchtigt ist.
Bei vaskulärer Demenz können zu Beginn vor allem Probleme mit Aufmerksamkeit, verlangsamtem Denken sowie Persönlichkeitsveränderungen auftreten. Dazu können Gangstörungen oder Kontrollverluste der Blase sowie Probleme mit der Sprache kommen.
Die Behandlung der vaskulären Demenz umfasst die Behandlung der Durchblutungsstörungen im Gehirn sowie die Behandlung von Risikofaktoren wie Bluthochdruck.
Prävention von Delir im Alter
Ein Delir kann die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen und weitreichende Folgen haben. Zum Glück gibt es einige vorbeugende Maßnahmen, die das Risiko verringern. Eine angemessene Flüssigkeitszufuhr verhindert Dehydratation und damit verbundene Elektrolytstörungen. Ältere Menschen sollten täglich etwa 1,5 bis 2 Liter Flüssigkeit zu sich nehmen, sofern keine medizinischen Gründe dagegen sprechen. Etwa alle sechs Monate sollten Sie Ihre Medikamentenliste in Ihrer Hausarztpraxis oder Apotheke überprüfen lassen. Kognitive Stimulation kann das Gehirn aktiv und gesund halten. Eine Ernährung, die reich an Vitaminen und Mineralien ist, unterstützt Ihre allgemeine Gesundheit und kann das Risiko eines Delirs reduzieren. Regelmäßige körperliche Aktivität verbessert die Durchblutung und kann so einem Delir vorbeugen. Ein gesunder Schlaf-Wach-Rhythmus wirkt einem Delir entgegen. Regelmäßiger sozialer Kontakt ist auch gut für die kognitive Gesundheit. Gehen Sie regelmäßig zu medizinischen Check-ups, damit Erkrankungen frühzeitig erkannt und behandelt werden können. Wenn Sie diese Maßnahmen umsetzen, tragen Sie aktiv dazu bei, Ihr Delir-Risiko zu senken.
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