Welche Gehirnhälfte macht was? Aufgaben und Funktionen im Überblick

Unser Gehirn ist ein faszinierendes Organ, das ständig Höchstleistungen vollbringt. Es steuert unsere Bewegungen, verarbeitet Sinneswahrnehmungen, ermöglicht uns zu denken, zu fühlen und zu lernen. Dabei ist das Gehirn in zwei Hälften unterteilt, die miteinander interagieren und sich ergänzen. Doch welche Aufgaben übernehmen die einzelnen Gehirnhälften? Und welche Unterschiede gibt es zwischen ihnen? Dieser Artikel gibt einen umfassenden Überblick über die Funktionen der linken und rechten Gehirnhälfte und räumt mit einigen Mythen auf.

Anatomie des Gehirns: Zwei Hälften, unterschiedliche Strukturen

Das Gehirn besteht aus zwei Hälften, die auch als Hemisphären bezeichnet werden. Auf den ersten Blick wirken diese Hälften symmetrisch, doch bei genauerer Betrachtung zeigen sich feine Unterschiede. Bestimmte Gehirnareale können in der linken oder rechten Hemisphäre unterschiedlich dick ausgeprägt sein. Auch die Mikrostruktur der kortikalen Schichten kann sich zwischen den beiden Hemisphären unterscheiden. Diese anatomischen Unterschiede deuten darauf hin, dass strukturelle Variationen zu funktionellen Unterschieden führen könnten.

Dr. Sofie Valk, Forschungsgruppenleiterin im Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften und Forschungszentrum Jülich, erklärt: "Betrachtet man die Anatomie des Gehirns, zeigt sich, dass bestimmte Gehirnareale der linken und rechten Hemisphäre unterschiedlich dick ausgeprägt sind. Analysen der Mikrostruktur offenbaren zudem Unterschiede im Aufbau der kortikalen Schichten zwischen den beiden Hemisphären. Diese Erkenntnisse legen nahe, dass strukturelle Unterschiede zu funktionellen Variationen führen könnten, wodurch die Organisation des Gehirns dynamisch bleibt."

Lateralisierung: Spezialisierung der Gehirnhälften

Die beiden Gehirnhälften sind nicht einfach nur Duplikate voneinander, sondern haben sich im Laufe der Evolution auf unterschiedliche Funktionen spezialisiert. Diese Spezialisierung wird als Lateralisierung bezeichnet.

Einige Beispiele für Lateralisierung sind:

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  • Motorische Funktionen: Die rechte Gehirnhälfte steuert die linke Körperhälfte, und die linke Gehirnhälfte steuert die rechte Körperhälfte.
  • Sinneswahrnehmung: Informationen aus der linken Gesichtsfeldhälfte werden zur rechten Gehirnhälfte geleitet, und Informationen aus der rechten Gesichtsfeldhälfte zur linken Gehirnhälfte. Ebenso wird die Information der linken Hand an die rechte Gehirnhälfte und die der rechten Hand an die linke Gehirnhälfte geleitet.
  • Sprache: Wichtige Zentren für die Sprachverarbeitung, wie das Wernicke- und das Broca-Areal, sind eher in der linken Gehirnhälfte lokalisiert. Allerdings spielt auch die rechte Gehirnhälfte eine wichtige Rolle bei der Sprachverarbeitung.
  • Aufmerksamkeit: Bestimmte Aspekte der Aufmerksamkeit werden eher von der rechten Gehirnhälfte gesteuert.

Es ist wichtig zu betonen, dass der Grad der Lateralisierung individuell variiert und sich im Laufe des Lebens verändern kann. Mit zunehmendem Alter nimmt die Lateralisierung von Aufmerksamkeitsaufgaben ab, sodass sich die für die Aufmerksamkeit zuständigen Gehirnareale zunehmend symmetrischer in beiden Gehirnhälften verteilen.

Die linke Gehirnhälfte: Logik, Sprache und Analyse

Die linke Gehirnhälfte wird oft als die "analytische" oder "logische" Hälfte bezeichnet. Sie ist spezialisiert auf:

  • Logisches Denken: Die linke Gehirnhälfte denkt logisch, abstrakt und analytisch.
  • Sprache: Sie ist zuständig für das Verarbeiten von Sprache, das Lesen, Schreiben und Sprechen. Wichtige Sprachzentren wie das Broca- und Wernicke-Areal befinden sich in der linken Gehirnhälfte.
  • Mathematik: Auch das Rechnen und der Umgang mit Zahlen werden von der linken Gehirnhälfte gesteuert.
  • Detailorientierung: Die linke Gehirnhälfte nimmt Details wahr und denkt in logischen Schritten.
  • Sequenzielle Verarbeitung: Sie verarbeitet Informationen sequenziell, also Schritt für Schritt.
  • Regeln und Anweisungen: Die linke Gehirnhälfte ist zuständig für die Befolgung von Regeln und Anweisungen.

Die rechte Gehirnhälfte: Kreativität, Emotionen und Intuition

Die rechte Gehirnhälfte wird oft als die "kreative" oder "emotionale" Hälfte bezeichnet. Sie ist spezialisiert auf:

  • Gefühlsmäßiges Denken: Die rechte Gehirnhälfte denkt bildhaft, gefühlsbetont und schöpferisch.
  • Räumliches Denken: Sie ist zuständig für das räumliche Vorstellungsvermögen und die Orientierung im Raum.
  • Ganzheitliche Verarbeitung: Die rechte Gehirnhälfte verarbeitet Informationen ganzheitlich und erfasst Zusammenhänge.
  • Intuition: Sie ist zuständig für Intuition und Kreativität.
  • Emotionen: Die rechte Gehirnhälfte spielt eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen, insbesondere negativer Emotionen.
  • Körpersprache: Sie kontrolliert die Körpersprache, Mimik und Gestik.
  • Musik und Kunst: Die rechte Gehirnhälfte ist zuständig für das Erkennen und Verarbeiten von Musik sowie für künstlerische Tätigkeiten wie Zeichnen und Malen.

Mythen und Realität: Was stimmt wirklich?

Um die Unterschiede zwischen der linken und rechten Gehirnhälfte ranken sich viele Mythen. Besonders verbreitet ist die Theorie einer "left-brained" versus "right-brained" Persönlichkeit. Demnach sollen "linkshirnige" Menschen eher analytisch und rational sein, während "rechtshirnige" Menschen eher kreativ und emotional sein sollen.

Diese Theorie ist jedoch wissenschaftlich nicht fundiert. Neurowissenschaftler untersuchen zwar funktionelle Asymmetrien der Gehirnhälften, sogenannte Lateralisierungen, aber sie messen die Dominanz einer Seite für eine bestimmte Funktion. Es gibt also keine "linkshirnigen" oder "rechtshirnigen" Menschen im Allgemeinen.

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Dr. Sofie Valk betont: "Es gibt also Unterschiede zwischen den beiden Gehirnhälften, doch übernehmen sie auch viele ähnliche Funktionen. Beide Gehirnhälften sind essenziell und arbeiten eng zusammen. Aus Gründen der Effizienz kann eine Gehirnhälfte eine bestimmte Aufgabe stärker übernehmen, während ihr Gegenstück für eine andere Funktion dominanter ist."

Zusammenarbeit der Gehirnhälften: Ein unschlagbares Team

Trotz ihrer unterschiedlichen Spezialisierungen arbeiten die beiden Gehirnhälften eng zusammen. Sie sind durch den Balken (Corpus callosum) miteinander verbunden, der einen regen Informationsaustausch ermöglicht.

Das Zusammenspiel von linker und rechter Gehirnhälfte ist für uns von großer Bedeutung. Die linke Gehirnhälfte liefert die Fakten und analysiert die Details, während die rechte Gehirnhälfte den Kontext erfasst und die Emotionen interpretiert. Gemeinsam ermöglichen sie uns ein umfassendes Verständnis der Welt um uns herum.

Ein Beispiel: Beim Verstehen von Sprache analysiert die linke Gehirnhälfte die einzelnen Wörter und Sätze, während die rechte Gehirnhälfte die Bedeutung hinter den Worten erfasst und die emotionale Botschaft interpretiert.

Gehirntraining: Beide Hälften profitieren

Es gibt viele Angebote für Gehirntraining, die versprechen, bestimmte Fähigkeiten zu verbessern. Einige dieser Angebote konzentrieren sich auf die Stärkung einer bestimmten Gehirnhälfte. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass Gehirntraining immer beide Gehirnhälften anspricht.

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Auch wenn die rechte Gehirnhälfte eine Dominanz für räumliche Aufmerksamkeit hat, arbeiten im gesunden Gehirn die Hälften immer zusammen.

NeuroNation bietet beispielsweise ein wissenschaftlich fundiertes Trainingsprogramm, das in Zusammenarbeit mit Universitäten und Forschungsinstituten entwickelt wurde. Die Übungen sprechen gezielt verschiedene Funktionen und Fähigkeiten an und verbessern die Aufmerksamkeitsspanne und den Fokus. Dabei werden immer beide Gehirnhälften aktiviert.

Neglect: Wenn eine Gehirnhälfte ausfällt

Ein Neglect ist eine neurologische Störung, die nach einer Schädigung einer Gehirnhälfte auftreten kann, meist am Scheitellappen. Betroffene nehmen dann eine Körperhälfte oder einen Teil des Raumes nicht mehr wahr.

Bei einem linksseitigen Neglect, der durch eine Schädigung der rechten Gehirnhälfte verursacht wird, wird die linke Hälfte der Welt normal wahrgenommen, aber kaum verarbeitet und deshalb ignoriert. Betroffene beachten beispielsweise keine Menschen, die sich links im Raum befinden, oder ziehen sich nur den rechten Jackenärmel an.

Der Neglect zeigt, wie wichtig die Zusammenarbeit beider Gehirnhälften für eine vollständige Wahrnehmung der Umwelt ist.

Die Rolle der Gehirnhälften bei Depressionen

Studien haben gezeigt, dass eine Hyperaktivität der rechten Gehirnhälfte mit negativen Emotionen und Depressionen in Verbindung gebracht werden kann. Die sogenannte Valenzhypothese besagt, dass eine Dominanz der rechten Gehirnhälfte dazu führt, dass negative Gefühle stärker verarbeitet werden, pessimistische Gedanken auftauchen und unkonstruktive Denkmuster entstehen.

Aktivität in der rechten Hirnhälfte sei außerdem verknüpft mit Selbstreflektion, die bei depressiven Patient:innen häufig intensiver ist als bei gesunden Menschen. Die rechte Hirnhälfte spielt auch eine wichtige Rolle bei der Anpassung unseres Erregungszustands. Das könnte erklären, wieso depressive Menschen häufig an Schlafproblemen leiden.

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