Nervenregeneration: Dauer, Mechanismen und therapeutische Ansätze

Nervenverletzungen können erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität haben, von chronischen Schmerzen bis hin zu sensorischen und motorischen Ausfällen. Während sich periphere Nerven prinzipiell durch ein ausgeprägtes Regenerationspotential auszeichnen, können die Heilungsprozesse langwierig sein und in manchen Fällen zu unvollständiger Wiederherstellung oder neuropathischen Schmerzen führen. Dieser Artikel beleuchtet die Dauer der Nervenregeneration, die zugrunde liegenden Mechanismen und aktuelle Forschungsergebnisse zu therapeutischen Ansätzen.

Einführung

Unser Körper ist von Millionen von Nervenfasern durchzogen, die Informationen übertragen. Diese Nervenfasern ermöglichen es uns, Muskeln anzusteuern, Sinneseindrücke wahrzunehmen und auf unsere Umwelt zu reagieren. Periphere Nerven, die sich in Armen und Beinen befinden, sind jedoch anfällig für Schädigungen durch akute Verletzungen oder chronische Erkrankungen. Schädigungen des peripheren Nervensystems können sich unterschiedlich äußern. Abhängig von den betroffenen Nervenfasern treten starke Schmerzen, sensorische, motorische und vegetative sowie trophische Störungen auf, welche die Betroffenen im Alltag einschränken und ihre Lebensqualität mindern können.

Grundlagen der Nervenregeneration

Unterschiedliche Regenerationsfähigkeit im Nervensystem

Nervenzellen verschiedener Körperbereiche unterscheiden sich in ihrer Fähigkeit zur Regeneration. Nervenzellen des zentralen Nervensystems (ZNS), also des Gehirns und Rückenmarks, wachsen nach einer Verletzung kaum wieder aus. Dagegen können die Nerven des peripheren Nervensystems (PNS), zum Beispiel in den Armen und Beinen, eine Beschädigung deutlich besser überwinden.

Wird die Ursache der Nervenschädigung etwa bei chronischen Rückenschmerzen, Polyneuropathie oder Karpaltunnel Syndromen behoben, können sich Nerven regenerieren.

Der Prozess der Nervenregeneration

Bei einer Quetschung oder Durchtrennung eines Nervs sterben die einzelnen Nervenfasern, die von der Schädigung betroffen sind, zunächst ab. Grundsätzlich besitzen sie aber die Fähigkeit, erneut auszuwachsen und vollständig zu regenerieren. Abhängig sind sie dabei von den die Nervenfasern umgebenden Schwann-Zellen. Diese sterben nach einer Nervenverletzung nicht ab, sondern sind dafür verantwortlich, den Abbau wie auch das erneute Auswachsen der Nervenfasern zu ihren ursprünglichen Gebieten hin zu koordinieren. Bisher war aber unbekannt, wie diese Zellen die enorme Stoffwechselbelastung, die mit dem Abbau und dem Wiederaufbau des Nervengewebes einhergeht, bewältigen. Wissenschaftler:innen der Universitätsmedizin Leipzig haben nun herausgefunden, dass Schwann-Zellen bei der Nervenreparatur von dem Fettgewebe, welches die Nerven im Körper umgibt, entscheidend unterstützt werden. Leptin wird vor allem von Zellen des Fettgewebes produziert und ist bisher im Ernährungskontext für seine appetitzügelnde Wirkung bekannt. Überraschenderweise zeigte sich im aktuellen Forschungsprojekt, dass die Leptin-Signalwirkung auch einen wichtigen Faktor für die Reparatur verletzter Nerven durch Schwann-Zellen darstellt. „Das Leptin der Fettzellen regt den Energiehaushalt regenerierender Schwann-Zellen an, indem es deren Mitochondrien stimuliert“, erklärt Dr. „Gleichzeitig nutzen die Mitochondrien der Schwann-Zellen dabei Anteile des geschädigten Nervengewebes als Energiesubstrat, damit eine erfolgreiche Regeneration stattfinden kann“, ergänzt Prof. Dr. Ruth Stassart vom Paul-Flechsig-Institut für Neuropathologie am Universitätsklinikum Leipzig, Co-Leiterin der Studie. Die Kommunikation zwischen Fettzellen und Schwann-Zellen könnte dabei möglicherweise neue therapeutische Optionen eröffnen, die den Stoffwechsel der Reparaturzellen bei Nervenschädigungen positiv beeinflussen.

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Die Rolle der Schwann-Zellen

Schwann-Zellen spielen eine entscheidende Rolle bei der Nervenregeneration. Sie überleben die Nervenverletzung und koordinieren den Abbau beschädigter Nervenfasern sowie das erneute Auswachsen der Nervenfasern zu ihren ursprünglichen Zielgebieten. Nach einer Axonschädigung bilden die verbliebenen Schwann-Zellen eine Art Leitschiene von der Kontaktstelle, mit der das Axon der Nervenzelle früher verbunden war. Zusammen mit anderen Zellen geben sie Eiweiße ab, die als Wachstumsfaktor fungieren. Sobald das Axon die frühere Kontaktstelle erreicht, bilden sich wieder Synapsen aus, und die Schwann-Zellen umhüllen die nachgewachsenen Axonabschnitte mit Myelin.

Axonales Wachstum und Regeneration

Um zu verstehen, warum ein Axon des Zentralen Nervensystems nach einer Verletzung nicht wieder auswächst, nahmen die Martinsrieder Neurobiologen das Schnittende einer verletzten Nervenzelle genauer unter die Lupe. Bei jungen Nervenzellen befindet sich an der Spitze eines auswachsenden Axons ein so genannter Wachstumskegel. Hier befinden sich ganz spezielle Gene und Proteine, die es dem Axon ermöglichen, zwischen Tausenden von Nervenzellen den Weg zur richtigen Partnerzelle zu finden. Außerdem enthält der Wachstumskegel eine große Ansammlung von Mitochondrien, den Kraftwerken der Zellen, und parallel gebündelte Mikrotubuli, um das Auswachsen des Axons überhaupt zu ermöglichen. Mikrotubuli sind winzige Protein-Röhrchen, deren koordiniertes Vorstoßen zur Verlängerung des Axons führt.

Wird ein Axon im Peripheren Nervensystem durchgeschnitten, so bildet sich an seiner Spitze ein Wachstumskegel - ganz wie bei einer jungen Zelle -, und das Axon wächst erneut aus. Auch im Zentralen Nervensystem bildet sich an der verletzten Axonspitze eine Verdickung. Anders als beim Wachstumskegel im peripheren Bereich zeigt diese sogenannte Verkürzungsknolle (Abb. 2) jedoch keinerlei Bestreben zum Weiterwachsen.

Blick in die Verkürzungsknolle

Verkürzungsknollen sind somit ein wichtiger Ansatzpunkt, um die Wachstumsbremse im Zentralen Nervensystem zu verstehen. Jedoch war es lange Zeit nicht möglich, die Bildung von Verkürzungsknollen direkt zu beobachten, da die entsprechenden Methoden fehlten. Durch die großen Fortschritte in der Genetik und die damit verbundene Entwicklung neuer Analysemethoden konnten die Max-Planck-Forscher nun erstmals die Vorgänge in den Verkürzungsknollen genauer untersuchen. Denn mithilfe des grün-fluoreszierenden Proteins (GFP) ist es möglich, einzelne Nervenzellen gezielt zu beobachten. Die Wissenschaftler konnten so die Veränderungen ausgewählter Verkürzungsknollen direkt unter dem Mikroskop verfolgen [1]. Neue Erkenntnisse ließen nicht lange auf sich warten: Es zeigte sich, dass eine Verkürzungsknolle bereits knapp eine Stunde nach einer Verletzung zu erkennen ist. Während das Ende des verletzten Axons somit in den folgenden Stunden langsam anschwillt, sammeln sich im Inneren der Verkürzungsknolle Mitochondrien - ähnlich wie bei einem Wachstumskegel. Mit diesen Kraftwerken vor Ort scheint es eher unwahrscheinlich, dass der Grund für den Wachstumsstopp ein Mangel an Energie ist. Richtig spannend wurde es jedoch, als sich die Neurobiologen den Mikrotubuli zuwandten. Normalerweise sind diese sehr regelmäßig und parallel angeordnet. Sind es also die verstreuten Mikrotubuli, die das Weiterwachsen des Axons verhindern? Um dies zu überprüfen, setzten die Wissenschaftler Nocodazole ein. Dieser Wirkstoff wird in der Zellbiologie häufig verwendet, um Mikrotubuli zu destabilisieren. Und tatsächlich: Wurde Nocodazole zu einem Wachstumskegel hinzugegeben, so entstand daraus eine Verkürzungsknolle, und das Axon stellte sein Wachstum ein. Das war ein eindeutiger Hinweis darauf, dass das Durcheinanderbringen der Mikrotubuli in der Verkürzungsknolle eine der Hauptursachen für den Wachstumsstopp des Axons ist. Nach diesem Ergebnis lag die nächste Frage auf der Hand: Was passiert, wenn anstatt Nocodazole ein Mittel eingesetzt wird, das die Mikrotubuli stabilisiert? Für diese Untersuchungen bot sich der Wirkstoff Paclitaxel an. In der Krebstherapie führt die Mikrotubuli-stabilisierende Wirkung von Paclitaxel dazu, dass sich Krebszellen nicht mehr teilen können. Wurde der Wirkstoff nun zu verletzten Nervenzellen des Zentralen Nervensystems gegeben, zeigten sich recht ermutigende Effekte.

Vielversprechende Stabilisierung

Durch Zugabe von Paclitaxel gelang es den Wissenschaftlern, einer jungen Zelle die Entscheidung abzunehmen, welcher ihrer Fortsätze zum Axon wird. Mithilfe des Wirkstoffs konnten die Mikrotubuli jedes beliebigen Fortsatzes stabilisiert werden, wodurch dieser Fortsatz zum Axon auswuchs [2]. Wurde das Mittel im lebenden Organismus nach einer Verletzung direkt in die Axonspitze injiziert, so wurde die Ausbildung der Verkürzungsknolle unterdrückt. Mehr noch: In Versuchen mit Zellkulturen konnten verletzte Nervenzellen des Zentralen Nervensystems mithilfe von Paclitaxel selbst dann wieder auswachsen, wenn zur Umgebung der Nervenzelle wachstumshemmende Substanzen aus dem Zentralen Nervensystem zugegeben wurden.

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Das große Potenzial von Paclitaxel zeigte sich auch, als die Wissenschaftler den Wirkstoff zu ausgewachsenen Nervenzellen gaben [3]. Eine „typische“ Nervenzelle besteht aus einem Axon und mehreren Dendriten. Dendriten empfangen Informationen von anderen Nervenzellen, die dann über das Axon an nachgeschaltete Zellen weitergegeben werden. Wird in einer noch wachsenden Nervenzelle das Axon verletzt, kann einer der entstehenden Dendriten zu einem Axon werden. Mit der Stabilisierung der Mikrotubuli durch Paclitaxel konnten die Wissenschaftler auch ausgereifte Dendriten in der Zellkultur dazu bringen, ihre Identität zu ändern. Nach nur fünf Tagen gaben die neu gewachsenen Dendriten-Axone bereits Informationen an andere Nervenzellen weiter.

Dauer der Nervenregeneration

Die Dauer der Nervenregeneration ist von verschiedenen Faktoren abhängig, darunter die Art und Schwere der Verletzung, das Alter des Patienten und der allgemeine Gesundheitszustand. Im Durchschnitt beginnen die Nervenzellen etwa zwei bis drei Tage nach der Schädigung damit, sich zu regenerieren, und das Axon wächst nach - circa 0,5 bis 3 Millimeter pro Tag. Die Nervenregeneration beginnt dabei jeweils an der Stelle, an der das Axon durchtrennt oder beschädigt wurde.

Einflussfaktoren auf die Regenerationsdauer

  • Art und Schwere der Verletzung: Eine einfache Quetschung benötigt weniger Zeit zur Heilung als eine vollständige Durchtrennung des Nervs.
  • Alter: Jüngere Patienten haben in der Regel eine schnellere und vollständigere Regeneration als ältere Patienten.
  • Allgemeiner Gesundheitszustand: Erkrankungen wie Diabetes oder Gefäßerkrankungen können die Nervenregeneration beeinträchtigen.
  • Lokalisation der Verletzung: Nerven, die näher am Zellkörper liegen, regenerieren tendenziell schneller.

Therapien zur Förderung der Nervenregeneration

Multimodale Therapieansätze

Eine umfassende, multimodale Patientenversorgung kann neben einer sorgfältigen Differenzialdiagnose, eine Symptombekämpfung mittels Membranstabilisatoren, Analgetika und/oder Antidepressiva sowie gezieltes Bewegungstraining und entlastende orthopädische Hilfsmittel beinhalten. Ebenfalls einbezogen werden sollte die Möglichkeit, gleichzeitig kausal vorzugehen, und die Regeneration der peripheren Nerven zu unterstützen. „Damit sich die Nerven erfolgreich regenerieren können, müssen zunächst die auslösenden Ursachen, die zu ihrer Zerstörung geführt haben, behandelt werden“, erklärte Wimmer. „Zusätzlich kann eine Supplementation neurotroper Substanzen die Regeneration peripherer Nerven fördern.“

Uridinmonophosphat (UMP)

Bei einer peripheren Nervenschädigung sind meist die Myelin produzierenden Schwann-Zellen der peripheren Nerven betroffen, sodass ein wesentlicher Aspekt der Behandlung in der Regeneration und dem Schutz der Myelinscheide besteht. In klinischen Modellen zu Myelinscheiden- Schädigungen hat sich die Gabe von Nukleotiden wie Uridinmonophosphat (UMP) als sinnvoller Ansatz erwiesen.

UMP besteht aus den Komponenten Uracil, einer Ribose sowie Phosphat. Das Pyrimidinnukleotid ist ein natürlicher Bestandteil der in allen Zellen vorkommenden Ribonukleinsäure (RNA). UMP kann mit weiteren Phosphaten energiereiche Verbindungen eingehen und als Bestandteil gruppenübertragender Coenzyme mit der abgegebenen Energie zahlreiche Stoffwechselreaktionen aktivieren. Dadurch wird die Synthese von Phospho- und Glykolipiden sowie Glykoproteinen angeregt und der Wiederaufbau der Myelinschicht unterstützt. Zusätzlich fördert UMP als RNA-Baustein die Biosynthese von Strukturproteinen und Enzymen. Insgesamt trägt die gezielte Stimulation des Nervenstoffwechsels zur Unterstützung der physiologischen Reparaturmechanismen nach Nervenläsionen bei.

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UMP in Form von Nahrungsergänzungsmitteln

„Wenn ein Nerv wachsen soll, sollte Uridinmonophosphat in ausreichender Menge vorhanden sein. In Kombination mit Vitamin B12 und Folsäure ist es ein wichtiger Baustein, um das optimale Millieu für eine Regeneration zu schaffen“, erläuterte Wimmer. Enthalten ist UMP sowohl in tierischen als auch in pflanzlichen Lebensmitteln. Um aber die benötigte Menge zu sich zu nehmen, können Nahrungsergänzungsmittel mit entsprechend hoher UMP-Konzentration in die Therapie zur Unterstützung der Nervenregeneration einbezogen werden. Diese sollten regelmäßig und über einen längeren Zeitraum von mindestens 60 Tagen eingenommen werden, da die Regeneration zerstörter Nervenfasern Zeit benötigt. „Für alle Patienten mit Nervenschädigungen, insbesondere bei langfristigen Beschwerden, kann die Einnahme von UMP in Verbindung mit Vitamin B12 und Folsäure empfohlen werden“, so Wimmer.

Weitere Therapieansätze

  • Physiotherapie: Gezielte Übungen können die Muskelkraft erhalten und die Koordination verbessern.
  • Ergotherapie: Hilft Patienten, Alltagsaktivitäten trotz Nervenschädigung auszuführen.
  • Schmerztherapie: Medikamente und andere Verfahren können neuropathische Schmerzen lindern.
  • Chirurgische Eingriffe: In manchen Fällen kann eine Operation erforderlich sein, um den Nerv zu reparieren oder zu entlasten.

Neue Forschungsergebnisse und potenzielle Wirkstoffe

Ein Kölner Forschungsteam des Zentrums für Pharmakologie stellt nun eine Studie vor, in welcher ein möglicher Wirkstoff zur Nervenregeration untersucht wurde.

Axonales Wachstum und Regeneration (Bradke) (Dr. ZusammenfassungEine Verletzung im Gehirn oder Rückenmark hat meist schlimme Folgen, denn anders als zum Beispiel in Armen und Beinen wachsen durchtrennte Nervenfasern hier nicht nach. Nun konnten die Vorgänge in verletzten Nervenzellen erstmals beobachtet werden. Dabei zeigte sich, dass der Stabilisierung zellinterner Protein-Röhrchen eine wichtige Bedeutung beim Wachsen dieser Zellen zukommt. Die Ergebnisse könnten langfristig auch zu neuen Therapieansätzen führen.SummaryAn injury of nerve cells in the brain or spinal cord has generally serious consequences, since these cells can not regrow - in contrast to nerve cells e.g. in the arms or legs. For the first time scientists were now able to investigate the processes within an injured nerve cell. The investigations showed that the stabilization of small protein tubes within the cells is crucial for the cells' growth.

Parthenolid

Diesem Ziel könnten nun das Kölner Forscherteam um Dr. Philipp Gobrecht und Univ.-Prof. Dr. Dietmar Fischer, Direktor des Zentrums für Pharmakologie der Uniklinik Köln, nähergekommen sein. In einer neu veröffentlichten Studie im Journal of Neuroscience untersuchten sie Proteine, sogenannte Vasohibine, die den Zustand des Skelets der axonalen Wachstumsspitzen (Mikrotubuli) beeinflussen. Sie stellten fest, dass sich das Gleichgewicht zwischen detyrosinierten und tyrosinierten Mikrotubuli zwischen erwachsenen Tieren und neugeborenen unterscheidet. Dies ist daher von Relevanz, da das axonale Wachstum bei Neugeborenen durch optimal tyrosinierte Mikrotubuli fast doppelt so hoch ist wie bei Erwachsenen. Mithilfe eines definierten Inhaltsstoffes aus dem Mutterkraut (Tanacetum Parthenium) wurden die Vasohibine so stark gehemmt, dass sich das Gleichgewicht zwischen detyrosinierten und tyrosinierten Mikrotubuli bei Nervenzellen von adulten Tieren dem von neugeborenen Tieren annäherte. Dies führte bei adulten Nervenzellen zu einer deutlichen Beschleunigung der axonalen Regeneration. Bemerkenswert ist, dass die Forscher auch im lebenden Tier zeigen konnten, dass Parthenolid nach täglicher intravenöser Gabe den Heilungsprozess von geschädigten Nerven deutlich beschleunigt, sodass die Tiere nach einer Behandlung deutlich früher wieder ihre Zehen bewegen und Reize spüren konnten. Eine modifizierte Form von Parthenolid, die auch oral verabreicht werden kann, zeigte hierbei ähnliche Effekte.„Versuche an menschlichen Nervenzellen haben bereits eine regenerationsfördernde Wirkung gezeigt. Bis der Wirkstoff allergindings in der Theaphie Verwendung finden kann, sind noch weitere Untersuchungen in klinischen Studien notwendig", sagt Prof. Fischer.

Neuropathische Schmerzen nach Nervenregeneration

Selbst ausgeheilte Nervenverletzungen hinterlassen häufig chronischen Schmerz und Überempfindlichkeit gegenüber sanften Berührungen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Pharmakologischen Instituts und des Instituts für Anatomie und Zellbiologie der Medizinischen Fakultät Heidelberg (MFHD) haben nun im Tierversuch gezeigt, dass fehlerhafte „Verschaltungen“ der Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) zu einer bisher noch nicht untersuchten Form sogenannter neuropathischer Schmerzen führen. Sie treten erst im Zuge der Regeneration von Nervenverbindungen beim Ausheilen der Verletzung auf.

Falsch „verschaltete“ Schmerzrezeptoren als Ursache

Bei chronischen Schmerzen wird zwischen nozizeptiven und neuropathischen Schmerzen unterschieden. Nozizeptive Schmerzen haben ihren Ursprung in Gewebeverletzungen, neuropathische Schmerzen in der Schädigung der Nervenfasern selbst. Nerventraumata oder Quetschungen, bei welchen verletzte und intakte Nervenfasern in direktem Kontakt stehen, sind besonders anfällig für die Entwicklung chronischer neuropathischer Schmerzen. Die neuen Ergebnisse zeigen nun, dass die chronischen Schmerzen nicht etwa durch die eigentliche Verletzung entstehen, sondern auf einer fehlerhaften Nervenregeneration sowie auf einer fehlerhaften Wiederherstellung der nervalen Versorgung, der sogenannten Reinnervation, beruhen.

Fehlende Reinnervation taktiler Nervenfasern

Während sich die taktilen Nervenfasern, die Berührungsreize an Rückenmark und Gehirn weiterleiten, nach der Verletzung nicht oder nur langsam regenerieren - daher das anfängliche Taubheitsgefühl -, sind die schmerzleitenden Fasern dazu schneller in der Lage. Sie nehmen statt der sensorischen Fasern den Platz der gekappten Berührungssensoren in der Haut ein. Die Folge: Jeder taktile Reiz wirkt nun wie ein Schmerzreiz - selbst ein sanftes Streicheln oder das Gefühl von Kleidung auf der Haut kann dann Schmerzen verursachen. „Die Ursache der Schmerzen ist eine falsche Verschaltung von Sensoren und tritt entsprechend erst nach einiger Zeit auf, wenn die Verbindung hergestellt ist. Diese Form des chronischen Schmerzes ist also die unmittelbare Folge der Reinnervation der Sensoren durch schmerzleitende Fasern bei gleichzeitig ausbleibender Reinnervation der taktile Nervenfasern. „Dieser Zusammenhang war bisher völlig unbekannt“, sagt Erstautor Dr. Vijayan Gangadharan. Die Teams um Prof. Dr. Thomas Kuner vom Institut für Anatomie und Zellbiologie der Universität Heidelberg sowie Prof. Dr. Björn Ommer vom Interdisciplinary Center for Scientific Computing der Universität Heidelberg, steuerten moderne und speziell angepasste Bildgebungsverfahren sowie die entsprechenden Algorithmen bei, um die Heilung der Nervenfasern über Monate zu verfolgen und quantitativ zu analysieren.

Zukünftige Forschung

Derzeit gibt es keine Behandlungsmöglichkeit, diese Form von chronischen Schmerzen zielgerichtet zu lindern oder zu verhindern. Das interdisziplinäre Team wird sich daher zukünftig mit der Frage beschäftigen, wie die verletzten taktilen Fasern zur Regeneration angeregt werden können, damit es erst gar nicht zum Verlust des Gleichgewichts zwischen Berührungs- und schmerzhaften Empfindungen kommt.

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