Wie negative Gefühle das Gehirn beeinflussen

Wir alle tragen Erinnerungen mit uns herum, an die wir am liebsten nie wieder denken möchten. Diese Erinnerungen sind oft mit schmerzhaften und unerträglichen Gefühlen verbunden, die wir gerne verdrängen würden. Obwohl es möglich ist, diese Gefühle zu unterdrücken, insbesondere als Überlebensstrategie in bestimmten Lebensphasen, verschwinden sie langfristig nicht. Es ist wichtig, einen gesunden Umgang mit diesen Gefühlen zu entwickeln, sie bewusst zuzulassen und konstruktiv zu verarbeiten.

Die Natur der Gefühle

Gefühle sind subjektive Zustände, die entstehen, wenn unsere Gedanken bewusst und unbewusst mit unserer Umwelt interagieren. Positive Emotionen wie Freude und Glück sind genauso wichtig wie negative Gefühle wie Ärger und Traurigkeit. Sie entstehen durch unsere Interpretation von Ereignissen und beeinflussen unsere Beziehungen zu anderen Menschen. Gefühle ermöglichen es uns, uns in andere hineinzuversetzen und ihre Bedürfnisse zu verstehen. Sie bieten uns auch einen Zugang zu uns selbst, indem sie uns auf innere Spannungszustände und unerfüllte Bedürfnisse hinweisen. Das limbische System, das Gefühlszentrum im Gehirn, bildet die neuronale Basis für Gefühle.

Gründe für die Unterdrückung von Gefühlen

Es gibt vielfältige Gründe, warum Gefühle unterdrückt werden. Glaubenssätze wie "Gefühle zeugen von Schwäche", "Wütend sein gehört sich nicht" oder "Männer dürfen nicht weinen" können ihren Ursprung bereits in der Kindheit haben. Das Unterdrücken unangenehmer Gefühle kann jedoch auch ein Schutzmechanismus sein, um das seelische Überleben zu sichern.

Mechanismen der Gefühlsunterdrückung

Es gibt verschiedene Mechanismen, die bei der Unterdrückung von Gefühlen eingesetzt werden:

  • Ablenkung: Indem ein Gefühl bewertet, hinterfragt und rational eingeordnet wird, erhält der Verstand die Oberhand. Infolgedessen kann das Gefühl leichter weggedrückt und als irrelevant oder lächerlich abgetan werden. Der Verstand kann auf andere Dinge gelenkt werden, wie Fernsehen, Internetnutzung, exzessives Ausgehen oder Arbeiten.
  • Betäubung: Klassische Betäubungsmechanismen sind Drogen wie Alkohol oder Nikotin, übermäßiges Essen und der Drang nach immer neuen Erlebnissen.

Auswirkungen unterdrückter Gefühle auf das Gehirn

Das Unterdrücken von Gefühlen hat erhebliche Auswirkungen auf das Gehirn und den Körper.

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  • Erhöhter Energieaufwand: Gefühle zu unterdrücken, ist zunächst einmal mit einem hohen Energieaufwand verbunden. Trägheit, Erschöpfung oder Müdigkeit können auftreten, ohne dass eine Aktivität vorausgegangen ist. Dies ist vergleichbar mit einem luftgefüllten Ball, der immer wieder versucht wird, unter Wasser zu drücken. Es funktioniert, erfordert jedoch ständige Aufmerksamkeit und Anstrengung.
  • Anstauung von Gefühlen: Trotz des hohen Energieaufwandes verschwinden Gefühle keineswegs, sie stauen sich über die Zeit an und drängen sich in Form von körperlichen Beschwerden (wie Bluthochdruck, Magenproblemen oder Herzerkrankungen), aber vor allem durch psychische Erkrankungen noch stärker wieder an die Oberfläche.
  • Verlust des emotionalen Navigationssystems: Bei all den Krankheitsbildern, denen unterdrückte Gefühle zugrunde liegen, weiß die betroffene Person irgendwann gar nicht mehr, was sie fühlt. Das ist sehr schlecht, denn Gefühle sind das menschliche Navigationssystem, um zu wissen, ob etwas gut oder schlecht für einen ist und steuern dementsprechend das Denken und auch Handeln. Es kann sich nicht mehr für Träume und Ziele eingesetzt werden und Konflikten wird aus dem Weg gegangen, um weitere negative Gefühle zu vermeiden. Dies wiederum erschwert das Führen von Beziehungen, die gerade von Gefühlen leben.
  • Unterdrückung positiver Gefühle: Das Verdrängen negativer Gefühle birgt die Gefahr, auch alle positiven Gefühle zu unterdrücken und diese nicht mehr fühlen zu können.

Viele Wissenschaftler sind sich einig, dass ca. 90 Prozent aller Krankheiten durch emotionale Altlasten entstehen. Diese Altlasten bestehen aus einem Bündel von Gefühlen, die eine Art Aufzeichnung der Vergangenheit im Nervensystem darstellen.

Spezifische negative Gefühle und ihre Auswirkungen

Verschiedene negative Gefühle haben spezifische Auswirkungen auf unser Verhalten und unsere Gesundheit:

  • Wut: Wut ist ein sehr starkes Gefühl, das vermehrt in unangenehmen wahrgenommenen Situationen entsteht, zum Beispiel bei einem Angriff der Persönlichkeit. Sie hat zwei sehr bedeutsame Funktionen: Einerseits kann sie Angst bei unseren Mitmenschen erzeugen, wodurch diese die Situation wahlweise versuchen zu entspannen, fliehen oder in Konfrontation treten. Andererseits wirkt Wut auch stimulierend, um uns selbst auf einen Konflikt vorzubereiten. Wenn Wut und Ärger zugelassen wird, können körperliche Symptome wie eine Beschleunigung des Atems, Herzschlages oder Blutdruckes auftreten. Gerade Wut wird häufig unterdrückt, da sie in unserer heutigen Gesellschaft meist als unangemessen gilt.
  • Trauer: Trauer ist ein Gefühl des Schmerzes oder der Betroffenheit, das in Situationen entsteht, die wir nicht beeinflussen können. Häufig ist sie eine Reaktion auf ein tragisches Ereignis wie den Verlust eines geliebten Menschen, des Arbeitsplatzes oder Ablehnung. Grundsätzlich hilft Trauer beim Verarbeiten und ist notwendig, um Erlebnisse zu akzeptieren und eine Neuorientierung zu wagen. Physisch kann sich Trauer in Müdigkeit, Schlafstörungen, Appetit- und Kraftlosigkeit sowie allgemeinem Unwohlsein widerspiegeln.
  • Angst: Angst hilft, Gefahren rechtzeitig zu erkennen und besitzt einen Schutzmechanismus. Durch sie fühlen wir uns gestresst, nervös und werden vorsichtiger sowie aufmerksamer. Grundsätzlich wird Angst durch Situationen ausgelöst, die als subjektiv bedrohlich eingestuft werden. Dies können etwa Prüfungen, ein Arztbesuch oder die Sorge um Mitmenschen sein. Angst bietet jedoch auch die Chance, uns aus unserer Komfortzone herauszubringen und uns mutig sein zu lassen. Sie bietet die Möglichkeit für Entwicklung und Neues zu tun.

Der Einfluss von Emotionen auf das Gedächtnis

Emotionen spielen eine wichtige Rolle bei der Gedächtnisbildung und dem Abruf von Erinnerungen. Emotionale Inhalte oder Erlebnisse werden generell länger erinnert und als lebendiger wahrgenommen. Allerdings kann sehr starke emotionale Erregung, wie Stress, sich nachteilig auf den Gedächtnisabruf auswirken.

Verschiedene Botenstoffe wie Katecholamine, Noradrenalin oder Dopamin werden ausgeschüttet und aktivieren verschiedene Hirnregionen. Die Amygdala spielt eine zentrale Rolle für die Emotionsverarbeitung und den Einfluss von Emotionen auf Gedächtnisprozesse. Auch die Insula, die Erregungszustände repräsentiert, und Regionen der Basalganglien, wie das ventrale Striatum, sind beteiligt. Diese Regionen modulieren gedächtnisrelevante Hirnregionen, wie den Hippocampus.

Negative Erfahrungen haben tendenziell stärkere Auswirkungen auf das Gedächtnis als positive. Ob Erinnerungen überhaupt verschwinden, wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Emotionale Zustände können durch Musik, Filmausschnitte oder das bewusste Hineindenken in vergangene Momente hervorgerufen werden. Das Zusammenspiel der Stimmung, in der wir eine bestimmte Sache wahrnehmen, und die Abrufsituation spielen eine Rolle (mood-congruent memory). Wenn wir in einem bestimmten emotionalen Zustand sind, erinnern wir typischerweise vermehrt Sachen, die zu diesem emotionalen Zustand passen (mood-dependent memory).

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Die Rolle der Inselrinde

Die Inselrinde, die inmitten der Großhirnrinde liegt, verarbeitet Sinneseindrücke, körperliche Zustände, Gefühle und Emotionen. Die Nervenzellen der hinteren Inselrinde reagieren auf eine Vielzahl von negativen Reizen wie Bitter, Furcht, Schmerz, Durst und körperliches Unwohlsein. Sie leiten die Informationen über zwei unterschiedliche Nervenbahnen zum Mandelkern oder dem Nucleus accumbens weiter, die das Verhalten direkt beeinflussen können. Die Aktivierung der Nervenbahn von der Inselrinde zum Mandelkern bewirkt vor allem Verhaltensanpassungen an Angst, während die Aktivierung der Nervenbahn zum Nucleus accumbens den gleichen Effekt wie eine Krankheit hat.

Man geht davon aus, dass die Inselrinde aus vorherigen Erfahrungen lernt, so dass die Zellen beim nächsten negativen Eindruck stärker oder schneller reagieren. Sie ist wichtig für das Regulieren von Emotionen, Empathie und Sozialverhalten.

Negativitätsbias

Negative Eindrücke wirken stärker als positive, was als "Negativitätsbias" bekannt ist. Dieses Phänomen hat seine Wurzeln in der Evolution und wird durch die Funktionsweise unseres Gehirns sowie kognitive Prozesse verstärkt. In der gefährlichen Umgebung unserer Vorfahren war es überlebenswichtig, Bedrohungen frühzeitig zu erkennen. Unser Gehirn hat sich deshalb darauf spezialisiert, Negatives stärker wahrzunehmen und langfristiger abzuspeichern.

Die Amygdala spielt eine Schlüsselrolle in der Verarbeitung von Emotionen, insbesondere Angst und Bedrohung. Negative Erlebnisse aktivieren die Amygdala stärker und intensiver als positive. Studien zeigen, dass Verluste psychologisch etwa doppelt so stark empfunden werden wie gleich große Gewinne ("Verlustaversion"). Menschen tendieren dazu, über negative Erlebnisse länger nachzudenken und sie zu analysieren ("Rumination").

Umgang mit negativen Gefühlen

Der richtige Umgang mit negativen Gefühlen kann helfen, besser und reflektierter mit schwierigen Situationen umzugehen. Anstatt diese Gefühle zu unterdrücken, ist es wichtig, sie anzuerkennen und zu verstehen.

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  • Ausdruck: Gefühle benennen und konstruktiv ausdrücken. Die Verarbeitung der eigenen Gefühlswelt kann auf verschiedensten Wegen erfolgen. Die einen sprechen gerne über ihre Befindlichkeiten, die anderen powern sich lieber körperlich beim Sport aus.
  • Achtsamkeit: Bewusste Wahrnehmung des Moments ohne Bewertung.
  • Emotionale Regulierung: Erlernen und Üben, die eigenen Gefühle auf eine gesunde Art und Weise zu regulieren.

Es gibt jedoch einige Emotionen, die unser Gehirn derart überwältigen, dass wir mit rationalem Denken kaum dagegen ankommen. Dazu gehören Angst, Wut und Lust. Diese Gefühle verengen unseren Fokus, erzeugen einen intensiven inneren Druck und lenken uns von wichtigeren Prioritäten ab.

Theo Tsaousides empfiehlt die sogenannte "LAPS-Strategie":

  1. Label: Benennen der starken Emotion, die wir gerade fühlen.
  2. Allow: Erlaubnis geben, dass es in Ordnung ist, zu fühlen, was wir gerade fühlen.
  3. Pause: Bewusst innehalten und nicht sofort reagieren, sondern Zeit nehmen, das Gefühl abebben zu lassen.
  4. Shift: Aufmerksamkeit auf etwas lenken, das uns beruhigt und ablenkt.

Grundsätzlich sollten wir nicht versuchen, Gefühle wegzuschieben oder zu ignorieren, sondern sie bewusst annehmen und sie untersuchen, ohne zu werten.

Neurozentriertes Training

Bewegung entsteht im Gehirn und wird von da gesteuert. Wenn das Hirn nicht optimal lenkt oder es ihm an Informationen dazu mangelt, wird Bewegung "suboptimal" oder gar einseitig und schmerzhaft. Daraus folgt der Ansatz für neurozentriertes Training: Mit dem Hirn kann man den Körper fit machen.

Neuroplastizität

Das menschliche Gehirn ist neuroplastisch und kann sich unser gesamtes Leben lang verändern. Die Struktur des Gehirns passt sich unserem Verstand und unserem Verhalten an. Wir können also die physische Beschaffenheit unseres Hirns durch unseren Verstand verändern.

Selbstreflexion ist der Versuch, uns selbst und unsere Gefühle, Gedanken und Wünsche besser zu verstehen. Wir sollten beginnen, so zu denken und so zu verhalten, dass unser Gehirn gut darin wird, Gelassenheit zu empfinden.

Das Zusammenspiel von Gefühl und Verstand

Gefühle steuern viele unserer Handlungen, aber auch die Vernunft hat ein Wörtchen mitzureden. Im limbischen System sind unsere Emotionen verankert, im präfrontalen Cortex sitzt unser Verstand, der rational Vor- und Nachteile abwägt und unsere Handlungen in der Zukunft plant. Zwar kann der Verstand die Gefühle in gewissem Maße kontrollieren, in der Realität steuern aber meist Gefühle das Handeln, auch wenn dem Menschen dies gar nicht bewusst wird.

Hirnforscher unterscheiden das rein spontane Bauchgefühl von der Intuition, die Erfahrungswissen aufarbeitet, welches über Jahre hinweg gespeichert wurde. Studien zeigen: Komplexe Entscheidungen, die viele Faktoren berücksichtigen müssen, überfordern das Arbeitsgedächtnis. Hier sollte man - wenn möglich - der Intuition vertrauen.

Der portugiesische Neurowissenschaftler António Damásio sieht so genannte somatische Marker - quasi Körpersignale - als Grundlage aller menschlichen Entscheidungen an. Bei Entscheidungen, die sehr viele verschiedene Faktoren einbeziehen, ist nachweislich das Arbeitsgedächtnis im präfrontalen Cortex überfordert.

Die Rolle der Amygdala und des Belohnungssystems

Die Amygdala feuert vor allem, wenn Angst im Spiel ist, etwa wenn die Gefahr besteht, etwas zu verlieren. Das Belohnungssystem im Gehirn, zu dem unter anderem der Nucleus accumbens gehört, ist ebenfalls ein Frühindikator für Entscheidungen.

Gefühle geben auch dann den Ton an, wenn wir etwas als unfair empfinden. Bei unfairen Angeboten regen sich Inselrinde, Gyrus cinguli und der präfrontale Cortex im Gehirn. Der präfrontale Cortex versucht also, die Gefühle zu kontrollieren und zu überstimmen, aber es klappt nicht immer.

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