Blutegel: Mehr als nur Blutsauger – Eine faszinierende Welt

Blutegel, oft missverstanden und unterschätzt, sind faszinierende Lebewesen mit einer langen Geschichte in der Medizin. Diese wurmartigen Tiere, die in Süßwasser leben, haben nicht nur eine überraschende Anatomie, sondern auch bemerkenswerte Fähigkeiten, die sie zu wertvollen Helfern in der Heilkunde machen.

Anatomie und Biologie der Blutegel

Blutegel gehören zur Klasse der Gürtelwürmer (Clitellata) und zur Ordnung der Egel (Hirudinea). Wie andere Ringelwürmer (Anneliden) ist auch der Blutegel ein segmentiertes Tier, aber bei ihm wird die Segmentierung durch die äußere Annulation maskiert. Sie sind nicht rund wie Regenwürmer, sondern haben einen ovalen Körperquerschnitt, der sich zu den Körperenden hin verjüngt, vorne mehr als hinten. Am Vorder- und Hinterende befindet sich jeweils ein Saugnapf. Die Mundöffnung befindet sich im vorderen Saugnapf. Ausgestreckt kann ein Blutegel bis zu 15 Zentimeter lang werden. Der medizinische Blutegel kann über 30 Jahre alt werden.

Das "Gehirn" des Blutegels

Entgegen der landläufigen Meinung haben Blutegel kein einzelnes Gehirn im herkömmlichen Sinne. Stattdessen besitzen sie ein dezentrales Nervensystem, das aus mehreren Ganglien besteht. Die ersten 5 Segmente werden als Kopf bezeichnet und beinhalten das vordere Gehirn, mehrere Augenflecken dorsal und den Sauger ventral. Die folgenden 21 Mittelkörpersegmente enthalten jeweils ein Nervenganglion und dazwischen zwei Fortpflanzungsorgane. An jedem Saugnapf befindet sich ein Nervenring. Diese sind durch das Bauchmark verbunden, das aus circa 20 Ganglienpaaren besteht. Daran angeschlossen sind zahlreiche Berührungsrezeptoren und einige Augenpaare am Vorderende auf der Oberseite des Blutegels.Nun sind weder das vordere, noch das hintere „Gehirn“, und schon gar nicht die Nervenganglien mit den Gehirnen von Säugetieren vergleichbar.

Sinnesorgane und Fortbewegung

Blutegel besitzen mehrere Augenpaare am Vorderende, die ihnen helfen, Licht und Schatten wahrzunehmen. Sie reagieren äußerst empfindlich auf Wasserbewegungen, die von potentiellen Wirtstieren ausgelöst werden. Blutegel bewegen sich im Wasser mit delphinartigen Schwimmbewegungen fort. Sie können aber auch an Land recht geschickt sein, indem sie ihre Saugnäpfe nutzen, um sich vorwärts zu ziehen.

Ernährung und Verdauung

Blutegel sind Parasiten, die sich vom Blut anderer Tiere ernähren. Junge Blutegel ernähren sich zunächst von kleinen Tieren im Wasser, die sie fressen. Erwachsene Blutegel bevorzugen das Blut von Wirbeltieren, einschließlich Menschen. Mit dem lang gestreckten Vorderende sucht er tastend nach einer geeigneten Bissstelle. Hat er sein Opfer erreicht, setzt er sich auf der Haut fest und beginnt eine geeignete Stelle zum Beißen zu suchen. In der Regel beißt er nicht gleich am ersten Ort. Zum Durchsäbeln der Haut bewegen sich die Kiefer des Blutegels bogenförmig hin und her. Durch den dreistrahligen Kiefer entsteht eine mercedessternförmige Wunde.

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Während des Saugens geben sie verschiedene Substanzen in die Wunde ab. Sie hemmen die Blutgerinnung, bekämpfen Entzündungen und lindern Schmerzen. Das im Blut enthaltene Wasser scheidet der Egel über seine Haut aus, sodass die Nahrung noch während des Saugvorgangs eingedickt wird. Blutegel können das gesaugte Blut über lange Zeit in ihrem Magen speichern und innerhalb mehrerer Monate verdauen. Nach einer Blutmahlzeit können sie bis zu zwei Jahre ohne Nahrung leben.

Fortpflanzung

Blutegel sind Zwitter, das heißt jedes Tier hat männliche und weibliche Fortpflanzungsorgane. Zur Fortpflanzung brauchen Blutegel ein Gewässer mit gleichbleibendem Wasserstand. Die Befruchtungszeit ist Juni bis August, in wärmeren Gegenden auch April bis Oktober. Nach der gegenseitigen Befruchtung legen die Blutegel eichelgroße Kokons mit 5 - 30 Eiern in die feuchte Ufererde oberhalb der Wasserlinie ab, so dass sie nicht austrocknen können. Die Tiere können bis zu 8 Kokons in Abständen von 5 - 12 Tagen ablegen. Nach etwa sechs Wochen schlüpfen die jungen Blutegel. Sie messen nur 16 Millimeter.

Der medizinische Blutegel: Eine "lebende Apotheke"

Der medizinische Blutegel (Hirudo medicinalis) wird seit Jahrhunderten in der Medizin eingesetzt. Schon 1.500 vor Christi kamen sie in der Heilkunde als Heilmittel zum Einsatz. Er wird unter strengen Auflagen gezüchtet - auch um die Übertragung von Krankheiten auszuschließen.

Wirkstoffe im Speichel

Der Speichel des Blutegels enthält eine Vielzahl von bioaktiven Substanzen, die für seine therapeutische Wirkung verantwortlich sind. Bis zu 40 Inhaltsstoffe vermuten Forscher im Speichel der Tiere. Dazu zählen gerinnungshemmende, gefäßweitende, entkrampfende, entzündungshemmende und schmerzlindernde Stoffe. Zu den wichtigsten Wirkstoffen gehören:

  • Hirudin: Ein starkes Antikoagulans, das die Blutgerinnung hemmt.
  • Eglin: Ein Entzündungshemmer und Schmerzstiller.
  • Hyaluronidase: Erhöht die Durchlässigkeit des Gewebes und fördert die Ausbreitung der Wirkstoffe.
  • Bradykinin-Antagonisten: Wirken entzündungshemmend und schmerzlindernd.

Anwendungsgebiete der Blutegeltherapie

Die Blutegeltherapie wird bei einer Vielzahl von Erkrankungen eingesetzt, darunter:

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  • Venenerkrankungen: Krampfadern, Venenentzündungen, Thrombosen
  • Gelenkerkrankungen: Arthrose, Arthritis, Spondylose
  • Durchblutungsstörungen: Blutgerinnsel, Blutergüsse
  • Entzündliche Erkrankungen: Rheuma
  • Hufrehe beim Pferd: Die "Deutsche Huforthopädische Gesellschaft e.V." führte in den Jahren 2008 und 2009 eine bundesweite Studie durch, um die Wirksamkeit der Blutegeltherapie bei der akuten Hufrehe zu untersuchen. Die Studienergebnisse zeigen, dass der Einsatz von Blutegeln vor allem im akuten Stadium der Hufrehe eine sinnvolle therapeutische Maßnahme sein kann.
  • Plastische Chirurgie: Verbesserung des Heilungsprozesses bei Transplantationen und rekonstruktiven Eingriffen

Durchführung der Blutegeltherapie

Vor der Behandlung wird die Hautstelle gereinigt und eventuell rasiert, da sich die Egel ungern durch dickes Pferdehaar beißen. Die Egel werden dann direkt an der betroffenen Stelle angesetzt. Wenn die Blutegel vollgesogen sind, lassen sie sich fallen. Das geschieht im Schnitt nach 20 bis 45 Minuten, kann aber auch mal eine Stunde und länger dauern. Die Stellen bluten danach oft nach. Das ist ungefährlich, denn die Egel geben beim Loslassen entzündungshemmende Stoffe ab. Und auch das Nachbluten reinigt die Wunde. Dazu wirkt dieser „kleine Aderlass“ entstauend. Nach der Therapie kann es zu leichten Rötungen, Schwellung oder Juckreiz kommen. Dies sind normale Begleiterscheinungen.

Risiken und Kontraindikationen

Obwohl die Blutegeltherapie im Allgemeinen als sicher gilt, gibt es einige Risiken und Kontraindikationen zu beachten:

  • Blutgerinnungsstörungen: Patienten mit Blutgerinnungsstörungen oder die blutverdünnende Medikamente einnehmen, sollten keine Blutegeltherapie erhalten.
  • Anämie: Bei Anämie sollte keine Blutegeltherapie angewendet werden.
  • Allergische Reaktionen: In seltenen Fällen kann es zu allergischen Reaktionen auf den Speichel der Egel kommen.
  • Infektionen: Durch den Biss der Egel können Bakterien in die Wunde gelangen und Infektionen verursachen.
  • Nicht bei allen Tieren: So sollten Pferden, die blutverdünnende Medikamente erhalten oder an Anämie leiden, keine Blutegel angesetzt werden. Dazu sollten Pferde einen stabilen Allgemeinzustand haben.

Bezugsquellen und rechtliche Aspekte

In der Regel verkaufen die Blutegel-Züchter nur an ausgebildete Fachpersonen - und nur sie sollten eine Blutegeltherapie am Pferd durchführen. Sprich: Wende Dich an Deinen Tierarzt oder Deine Tierärztin, wenn Du glaubst, Dein Pferd könnte von einer Blutegeltherapie profitieren. Auch einige Tierphysiotherapeuten bieten die Behandlung mit Blutegeln an.

Mit Inkrafttreten des neuen Tierarzneimittelgesetzes (TAMG) am 28.01.2022 hat sich für meine Blutegelbehandlungen eine wesentliche Änderung ergeben. Nach §50 Abs. Hintergrund ist das mit dem neuen Gesetz verabschiedete Verbot, Humanarzneimittel ohne eine veterinärmedizinische Approbation an Tieren anzuwenden. Und da es aktuell keine Blutegel zum Gebrauch an Tieren (ad us.

Blutegel in der Natur: Vorkommen und Schutz

Blutegel sind auf der ganzen Welt verbreitet. Sie tummeln sich meist im Süßwasser, also in Tümpeln, Teichen und Pfützen, aber auch in langsam fließenden Gewässern. Auf der Welt gibt es rund 600 verschiedene Blutegel-Arten. In der freien Natur findet man medizinische Blutegel heute in Europa nur noch in wenigen Gewässern, hauptsächlich in stehenden, stark verschlammten Teichen mit hoher Wasserpflanzendichte. Der medizinische Blutegel steht in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern unter Naturschutz. Wer ihn ohne CITES-Bewilligung sammelt, macht sich strafbar.

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