Alkohol, gesellschaftlich akzeptiert und oft in geselliger Runde genossen, birgt bei übermäßigem Konsum erhebliche Risiken für das Nervensystem. Die neurologischen Langzeitfolgen werden oft unterschätzt, obwohl sie die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen können. Dieser Artikel beleuchtet die vielfältigen alkoholbedingten neurologischen Störungen, ihre Ursachen, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten.
Einführung
Ein gelegentliches alkoholisches Getränk in Gesellschaft von Freunden oder Familie mag harmlos erscheinen. Doch regelmäßiger und übermäßiger Alkoholkonsum kann verheerende Auswirkungen auf das Nervensystem haben. Alkohol beeinflusst die Neurotransmitter, was zu einer fehlerhaften Signalübertragung führt. Zudem begünstigt er einen Vitaminmangel, insbesondere an B-Vitaminen, die für den Stoffwechsel unerlässlich sind.
Die Auswirkungen von Alkohol auf das Nervensystem
Neurotoxische Wirkung
Ethanol, der in alkoholischen Getränken enthaltene Alkohol, wirkt direkt neurotoxisch. Bereits die anfänglich angenehme Wirkung ist im Grunde eine Nervenvergiftung, die langfristig zum Absterben von Nervenzellen führt. Acetaldehyd, ein Abbauprodukt von Alkohol, gilt als hochgradig nervenschädigend und krebserregend. Es entsteht bei der Oxidation von Ethylalkohol in Hepatozyten, Lunge und Nieren durch die Alkoholdehydrogenase und mischfunktionelle Oxygenasen. Acetaldehyd kann mit Serotonin, Adrenalin und Noradrenalin zu morphinähnlichen Alkaloiden kondensieren, was zur Suchtentwicklung beiträgt.
Einfluss auf Neurotransmitter
Alkohol beeinflusst verschiedene Rezeptoren und Rezeptorgruppen im Gehirn, darunter GABA- und NMDA-Rezeptoren. Normalerweise hemmt Alkohol über GABA-/Benzodiazepin-Rezeptoren noradrenerge Zellgruppen, insbesondere im Locus coeruleus. Das plötzliche Ende dieser Hemmung bei Alkoholentzug erzeugt eine sympathische Überaktivität und eine Hypersensibilität der Noradrenalinrezeptoren. Gleichzeitig werden exzitatorische Mechanismen über Katecholamine und NMDA-Rezeptoren aktiviert, während hemmende Rezeptoren in ihrer Funktion gestört werden.
Vitaminmangel
Chronischer Alkoholmissbrauch führt häufig zu Mangelernährung, insbesondere zu einem Mangel an B-Vitaminen. Einerseits werden durch einseitige Ernährung zu wenig Vitamine und Spurenelemente zugeführt, andererseits ist durch den Alkohol der Bedarf gesteigert. Gastrointestinale Probleme, die oft mit Alkoholismus einhergehen, beeinträchtigen zusätzlich die Aufnahme von Nährstoffen. Thiamin (Vitamin B1) ist besonders wichtig für gesunde Nerven, da es für die Bildung von Nukleinsäuren und Neurotransmittern benötigt wird. Alkohol unterbindet jedoch die Thiaminaufnahme und -verwertung im Körper.
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Entzündungen
Alkohol kann Entzündungen im Nervengewebe verursachen. Er erhöht die Anzahl entzündungsfördernder Zytokine, die die Blut-Hirn-Schranke überwinden und Entzündungen im Gehirn verursachen können. Zudem begünstigt Alkohol die Inflammation durch Verschiebung der Neurotransmitterspiegel, beispielsweise durch Erhöhung des Glutamatspiegels.
Spezifische neurologische Störungen durch Alkohol
Alkoholische Polyneuropathie
Die alkoholische Polyneuropathie ist eine der häufigsten neurologischen Folgeerkrankungen des Alkoholismus. Schätzungen zufolge sind zwischen 22 und 66 Prozent aller Alkoholkranken betroffen. Sie entsteht durch die direkte toxische Wirkung des Alkohols auf die peripheren Nerven sowie durch Vitaminmangel.
Symptome:
- Kribbeln, Brennen oder Taubheitsgefühle in den Füßen und Beinen
- Schmerzen, die sich oft als brennend, stechend oder bohrend äußern
- Muskelschwäche, Krämpfe oder Zuckungen
- Koordinationsprobleme und Gangunsicherheit
- Störungen der Temperatur- und Schmerzwahrnehmung
- Impotenz, Verdauungsbeschwerden und Herzrhythmusstörungen (bei Beteiligung des vegetativen Nervensystems)
Diagnose:
Die Diagnose erfolgt anhand der Anamnese, neurologischen Untersuchung und elektrophysiologischen Tests zur Messung der Nervenleitgeschwindigkeit. Blutuntersuchungen können Vitaminmängel und andere zugrunde liegende Ursachen aufdecken.
Therapie:
- Alkoholabstinenz: Der wichtigste Schritt ist der vollständige Verzicht auf Alkohol.
- Vitaminzufuhr: Ausgleich von Vitaminmängeln, insbesondere mit B-Vitaminen.
- Schmerztherapie: Medikamente zur Schmerzlinderung, wobei opioide Schmerzmittel aufgrund ihres Suchtpotenzials vermieden werden sollten.
- Physiotherapie: Übungen zur Verbesserung der Muskelkraft, Koordination und Beweglichkeit.
- Reizstromtherapie (TENS): Kann bei chronischen Schmerzen eingesetzt werden.
Wernicke-Korsakow-Syndrom
Das Wernicke-Korsakow-Syndrom ist eine schwere neurologische Erkrankung, die durch Thiaminmangel infolge von Alkoholmissbrauch verursacht wird. Es besteht aus zwei Phasen:
- Wernicke-Enzephalopathie: Eine akute, potenziell lebensbedrohliche Erkrankung mit den Leitsymptomen Augenbewegungsstörungen, Ataxie und Verwirrtheit.
- Korsakow-Psychose: Eine chronische Gedächtnisstörung mit Desorientierung, Konfabulationen (Erfinden von Geschichten) und Persönlichkeitsveränderungen.
Ursachen:
Thiaminmangel aufgrund von Fehlernährung oder mangelnder Resorption, oft in Verbindung mit chronischem Alkoholabusus.
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Symptome der Wernicke-Enzephalopathie:
- Augenmotilitätsstörungen (Nystagmus, Blickparesen)
- Ataktische Gangstörung
- Desorientierung und Vigilanzstörung
Symptome der Korsakow-Psychose:
- Gedächtnisstörungen (anterograde und retrograde Amnesie)
- Konfabulationen
- Desorientierung
- Apathie und Antriebslosigkeit
Diagnose:
Klinische Untersuchung, Anamnese und neurologische Tests. Bildgebende Verfahren (MRT) können Veränderungen in den Corpora mamillaria und anderen Hirnregionen zeigen.
Therapie:
- Thiaminsubstitution: Hochdosierte intravenöse Gabe von Thiamin.
- Alkoholabstinenz: Vollständiger Verzicht auf Alkohol.
- Unterstützende Maßnahmen: Ernährungstherapie, neuropsychologische Therapie.
Alkoholentzugsdelir (Delirium tremens)
Das Alkoholentzugsdelir ist ein potenziell lebensbedrohlicher Zustand, der nach plötzlicher Alkoholabstinenz bei Alkoholabhängigen auftreten kann.
Ursachen:
Plötzliches Ende der hemmenden Wirkung von Alkohol auf das Nervensystem, was zu einer sympathischen Überaktivität und einer Hypersensibilität der Noradrenalinrezeptoren führt.
Symptome:
- Tremor (Zittern)
- Tachykardie (erhöhte Herzfrequenz)
- Hypertonie (erhöhter Blutdruck)
- Schwitzen
- Schlaflosigkeit
- Angst
- Halluzinationen (visuell, taktil)
- Desorientierung
- Psychomotorische Erregung
- Grand-Mal-Anfälle
Diagnose:
Klinische Beurteilung, Anamnese und Ausschluss anderer Ursachen für Bewusstseinstrübungen.
Therapie:
- Medikamentöse Behandlung: Clomethiazol oder Benzodiazepine zur Dämpfung der Entzugssymptome.
- Flüssigkeitszufuhr: Ausgleich von Flüssigkeitsverlusten durch Schwitzen.
- Elektrolytausgleich: Korrektur von Elektrolytstörungen.
- Vitamin B1-Substitution: Prophylaktische Gabe von Vitamin B1 zur Vermeidung einer Wernicke-Enzephalopathie.
- Überwachung: Engmaschige Überwachung von Vitalfunktionen und Bewusstseinszustand.
Alkoholbedingte Spätepilepsie
Die alkoholbedingte Spätepilepsie tritt nach jahre- bis jahrzehntelangem Alkoholabusus auf und ist wahrscheinlich durch eine diffuse Hirnparenchymschädigung bedingt.
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Therapie:
Eine antikonvulsive Therapie ist nur bei strikter Alkoholabstinenz sinnvoll.
Alkoholtoxische Psychose
Bei einer akuten Alkoholintoxikation kann es zu einer reversiblen exogenen Psychose mit Minderung der Selbstkontrolle und -kritik, Stimulation und Enthemmung sowie einer Euphorie oder auch Depression kommen.
Weitere neurologische Folgen von Alkoholmissbrauch
Neben den genannten spezifischen Störungen kann chronischer Alkoholmissbrauch auch zu folgenden neurologischen Problemen führen:
- Hirnschädigung und Demenz: Alkohol kann zu einer Schrumpfung des Gehirns führen und das Risiko für Demenz erhöhen.
- Gleichgewichtsstörungen und Ataxie: Alkohol beeinträchtigt die Funktion des Kleinhirns, was zu Gleichgewichtsstörungen und Koordinationsproblemen führen kann.
- Schlafstörungen: Alkohol kann den Schlafzyklus stören und zu Schlaflosigkeit führen.
- Depressionen und Angststörungen: Alkoholmissbrauch ist oft mit psychischen Problemen wie Depressionen und Angststörungen verbunden.
- Erhöhtes Suizidrisiko: Neurologische Erkrankungen, die durch Alkohol verursacht werden, können das Suizidrisiko erhöhen.
Prävention und Behandlung
Die beste Prävention gegen alkoholbedingte neurologische Störungen ist ein maßvoller Alkoholkonsum oder, noch besser, der vollständige Verzicht auf Alkohol. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) rät inzwischen aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, „am besten keinen Alkohol zu sich zu nehmen“.
Behandlung:
- Alkoholabstinenz: Der wichtigste Schritt zur Behandlung alkoholbedingter neurologischer Störungen ist der vollständige Verzicht auf Alkohol.
- Medizinische Behandlung: Behandlung der spezifischen neurologischen Störungen, z. B. mit Vitaminen, Schmerzmitteln oder Antikonvulsiva.
- Psychotherapie: Unterstützung bei der Alkoholentwöhnung und Behandlung von Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen.
- Rehabilitation: Maßnahmen zur Verbesserung der körperlichen und geistigen Funktionen.
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