Apraxie ist eine neurologische Störung, die dazu führt, dass Betroffene Schwierigkeiten haben, zielgerichtete Bewegungen auszuführen, obwohl ihre Muskeln und Sinne intakt sind. Sie tritt häufig als Begleiterscheinung von Demenzerkrankungen auf und kann den Alltag der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte der Apraxie im Zusammenhang mit Demenz, einschließlich ihrer Ursachen, Formen, Auswirkungen und verfügbaren Therapieansätze.
Was ist Apraxie?
Der Begriff Apraxie stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet „Untätigkeit“. In der Medizin beschreibt er eine neurologische Störung, bei der bewusste und willentliche Bewegungen nicht mehr korrekt ausgeführt werden können, obwohl keine Lähmungen oder Muskelveränderungen vorliegen. Es handelt sich also nicht um eine motorische Störung im eigentlichen Sinne, sondern um eine konzeptuelle Störung, die durch eine fehlerhafte Organisation von Bewegungen und Handlungen gekennzeichnet ist.
Ursachen und Auslöser
Apraxie wird immer durch Schädigungen im Gehirn verursacht. In den meisten Fällen ist das Gewebe in den Parietallappen betroffen oder die Schädigung ist in jenen Projektionsbahnen zu lokalisieren, in denen die Erinnerungen an im Laufe des Lebens erlernte Bewegungsmuster enthalten sind. Seltener liegt die Ursache in einer Schädigung im Bereich des prämotorischen Kortex oder eines anderen Teils des Frontallappens. Als Auslöser kommen Traumata ebenso in Betracht wie Hirntumore oder degenerative Prozesse im Rahmen von Demenzerkrankungen wie Morbus Alzheimer, Lewy-Body-Demenz oder Frontotemporale Demenz (Pick-Krankheit). Häufig tritt Apraxie als Folge eines Schlaganfalls oder Apoplex auf. Auch Multiple Sklerose oder eine entzündliche Erkrankung des Gehirns wie beispielsweise eine Enzephalitis kann zu Einschränkungen der Organisation von Bewegungsabläufen führen. Es ist auch möglich, dass sich die Störung aufgrund eines langfristigen und schweren Alkoholmissbrauchs entwickelt.
Klassifikation der Apraxien
Die Medizin unterscheidet verschiedene Formen der Apraxie, wobei die ideomotorische und die ideatorische Apraxie die häufigsten sind. Anhand der Lokalisation der Symptomatik werden weitere Formen wie etwa die Gangapraxie oder die konstruktive Apraxie definiert, wobei solche Begriffe in Fachkreisen nicht einheitlich genutzt werden.
- Ideomotorische Apraxie: Bei dieser Form können sich die Betroffenen den Bewegungsablauf zwar vorstellen, aber nicht korrekt ausführen. Sie sind nicht in der Lage, einfache alltägliche Bewegungen einzelner Körperbereiche auf Aufforderung oder als Imitation durchzuführen. Hände und Arme können ebenso betroffen sein wie Füße und Beine oder das Gesicht. Typisch ist, dass sich die Symptome in beiden Körperhälften bemerkbar machen. Eine ideomotorische Apraxie in den Armen und Händen führt beispielsweise dazu, dass der Patient nach Aufforderung nicht fähig ist, eine Faust zu bilden, zu winken oder andere Gesten zu zeigen. Im Gesicht macht sich die Störung durch ein Unvermögen bemerkbar, die Nase zu rümpfen, die Zunge herauszustrecken, die Wangen aufzublasen oder zu zwinkern.
- Ideatorische Apraxie: Hier fehlt die Vorstellung bestimmter Bewegungsabläufe. Die Betroffenen sind nicht mehr in der Lage, differenzierte Handlungen eines Bewegungsentwurfes korrekt aneinanderzureihen. Dadurch kommt es bei alltäglichen Tätigkeiten zu entstellten Bewegungsmustern und falschen Abläufen, die von ständigen Wiederholungen einzelner Handlungen oder dem Abbruch von Aktionen geprägt sind. Diese Einschränkungen können einfache Fähigkeiten wie das Spitzen eines Bleistiftes oder das Falten von Papier ebenso betreffen wie Tätigkeiten, die mehrere aneinandergereihte Handlungen erfordern, wie Kaffeekochen oder andere Arbeiten im Haushalt, An- und Ausziehen, Körperpflege oder das Verfassen und Kuvertieren eines Schriftstücks.
- Gliedkinetische Apraxie: Eine Form der exekutiven Apraxie, bei der die fein abgestimmten Finger- und Handbewegungen fehlen, die beispielsweise notwendig sind, um ein kleines Objekt mit den Fingerspitzen zu ergreifen oder ein Ei so zu halten, dass es weder herunterfällt noch zerquetscht wird.
- Weitere Formen: Je nach betroffener Körperregion oder Funktion werden weitere Apraxieformen unterschieden, wie z.B. die bukkofaziale Apraxie (Gesichtsapraxie), die okulomotorische Apraxie (Störung der Augenbewegungen) oder die konstruktive Apraxie (Schwierigkeiten beim Nachzeichnen oder Gestalten von Formen).
Apraxie bei Demenz: Was im Gehirn geschieht
Die Ursache für Apraxie liegt in einer strukturellen Schädigung des zentralen Nervensystems, meist in der linken Hirnhälfte. Demenzielle Erkrankungen wie Alzheimer, Lewy-Body-Demenz oder Frontotemporale Demenz können Apraxien auslösen. Oft tritt die Apraxie gemeinsam mit Aphasie (Sprachstörung) auf.
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Die für komplexe motorische Handlungen erforderliche Informationsverarbeitung spielt sich in domänenspezifisch unterschiedlichen Netzwerken ab, an denen der visuelle Kortex im Okzipitallappen maßgeblich beteiligt ist. Dabei ist der sogenannte dorsale Strom von Bedeutung, der von okzipital über parietal nach frontal führt. Dieser dorsale Strom ist für die Bewegungsabfolge und -kontrolle zuständig. Eine weitere Unterteilung des dorsalen Stroms in zwei Unterströme ist sinnvoll: Den dorso-dorsalen Strom, der für die schnelle „Online“-Kontrolle von Bewegungsabläufen sorgt, und den ventro-dorsalen Strom, der langsamer ablaufende, wissensbasierte Prozesse der Bewegungsprogrammierung und -koordination repräsentiert.
Auswirkungen auf den Alltag
Apraxie kann sich auf Mimik, Gestik, Sprache und Motorik auswirken. Betroffene können keine Werkzeuge oder Alltagsgegenstände mehr richtig nutzen. Einfache Bewegungsabläufe bleiben oft länger erhalten als komplexe Handlungen. Selbst scheinbar gleiche Aufgaben, wie das Hochziehen eines Reißverschlusses, gelingen an einem Kleidungsstück, aber nicht an einem anderen. Das liegt nicht an mangelndem Willen, sondern an den unterschiedlichen Anforderungen. Menschen mit Apraxie benötigen im Alltag viel Unterstützung, da selbst vertraute Handgriffe plötzlich nicht mehr gelingen.
Im Alltag kann es zu folgenden Schwierigkeiten kommen:
- Probleme bei der Körperpflege (z.B. Zähneputzen, Kämmen, Waschen)
- Schwierigkeiten beim An- und Ausziehen
- Unfähigkeit, Mahlzeiten zuzubereiten oder Besteck richtig zu benutzen
- Probleme bei der Bedienung von Haushaltsgeräten
- Schwierigkeiten bei der Kommunikation durch Gesten oder Mimik
Diagnose
Die Diagnose von Apraxie erfordert eine umfassende neurologische und neuropsychologische Untersuchung. Dabei werden verschiedene Tests durchgeführt, um die Fähigkeit des Patienten zu beurteilen, Bewegungen auszuführen, Werkzeuge zu benutzen und Handlungen zu planen.
Die neuropsychologische Testung erfasst genau, wie sehr Gedächtnis, Konzentration, Sprache und Orientierung beeinträchtigt sind. In Zusammenarbeit mit den Kolleg:innen der Neuroradiologie wird mit einer Magnetresonanztomographie (MRT) oder Computertomographie (CT) nach zu Grunde liegenden Strukturveränderungen des Gehirns geschaut. Eventuell erfolgt auch eine Stoffwechseluntersuchung des Gehirns in der Abteilung für Nuklearmedizin.
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Therapieansätze
Eine vollständige Heilung der Apraxie ist nicht immer möglich, insbesondere wenn sie im Zusammenhang mit einer fortschreitenden Demenzerkrankung auftritt. Dennoch gibt es verschiedene Therapieansätze, die den Umgang mit der Störung verbessern und die Lebensqualität der Betroffenen erhöhen können.
- Ergotherapie: Ziel der Ergotherapie ist es, den Betroffenen zu helfen, verlorengegangene Fähigkeiten wiederzuerlangen und Strategien zu entwickeln, um den Alltag trotz der Apraxie zu bewältigen. Dabei werden spezifische Übungen durchgeführt, die auf die individuellen Bedürfnisse und Einschränkungen des Patienten zugeschnitten sind.
- Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, die motorischen Fähigkeiten und die Koordination zu verbessern. Dies ist besonders wichtig bei der gliedkinetischen Apraxie.
- Logopädie: Bei sprechbezogenen Apraxien kann Logopädie sinnvoll sein, um die Kommunikationsfähigkeit zu verbessern.
- Anpassung des Wohnraums: Wenn Bewegungen nicht mehr zielgerichtet funktionieren, sollte der Lebensraum angepasst werden. Praktische Lösungen im Alltag können Slipper statt Schnürschuhe, Klettverschlüsse statt Knöpfe sowie Röcke oder Jogginghosen mit Gummizug sein.
Verhalten von Angehörigen und Mitmenschen
Für Angehörige ist es belastend, mitzuerleben, wie alltägliche Fähigkeiten verloren gehen. Umso wichtiger ist ein liebevoller und verständnisvoller Umgang - mit Geduld, Flexibilität und angepassten Erwartungen. Es ist wichtig, ruhig auf Menschen mit Apraxie einzugehen und die Geduld aufzubringen, deren Aktionen und Bewegungen richtig zu deuten.
Im Alltag hilft es:
- Handlungen in kleine Schritte aufzuteilen
- Dinge gemeinsam zu tun
- Ruhig und einfach zu sprechen
- Darauf zu achten, dass Betroffene nicht durch zu viele Reize überfordert werden
Medikamentöse Behandlung
Ein Großteil der Demenzen kann nach heutigem Wissensstand nicht geheilt werden. Jedoch finden sich zahlreiche Methoden und Medikamente, die den Prozess verlangsamen und Nebenerscheinungen abmildern. Eine weitere behandelbare Ursache sind Erkrankungen der Hirngefäße. In manchen Fällen kann der Verlauf der Demenz verzögert werden. Hierfür ist allerdings eine neurologische Klärung der Ursachen im Einzelfall Voraussetzung. Trotz aller Fortschritte der Medizin kann die Alzheimer-Erkrankung weiterhin nicht geheilt werden.
Forschung und Ausblick
Die Forschung im Bereich der Apraxie konzentriert sich auf die Identifizierung der zugrunde liegenden neuronalen Mechanismen und die Entwicklung neuer Therapieansätze. Ein vielversprechender Ansatz ist das sogenannte Zweischleifenmodell, das auf dem Wissen basiert, dass Funktion im Gehirn immer in Netzwerken und letztlich durch bidirektionale Interaktion zwischen Frontal- und hinteren Lappen entstehe. Mithilfe der Diffusionstensorbildgebung (DTI) kann man die Nervenfaserverbindungen der weißen Substanz räumlich darstellen. Dieses Modell könnte in Zukunft dazu beitragen, das Verhalten von Patienten besser zu verstehen und gezieltere Therapien zu entwickeln.
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