Diagnosekriterien der Multiplen Sklerose: Aktueller Stand und Neuerungen

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die das Gehirn und das Rückenmark betrifft. Die Diagnose der MS stellt aufgrund der Vielfalt der Symptome und des Mangels an eindeutigen biologischen Markern eine Herausforderung dar. Im Gegensatz zu vielen anderen Erkrankungen gibt es bei der MS keine eindeutigen biologischen Marker, die eine sichere Diagnose oder gar Prognose erlauben. Aktuell gelten zur Diagnose der MS die sogenannten modifizierten McDonald - Kriterien. Diese beruhen auf dem Konzept der zeitlichen und örtlichen Streuung (Dissemination). Hierbei bedeutet die zeitliche Dissemination, dass im Verlauf der Erkrankung neue Entzündungsherde nachweisbar sind, die zu klinischen Symptomen führen können, die räumliche Dissemination das Auftreten von Entzündungsherden an mehr als einem Ort. Die Diagnose stützt sich daher auf klinische Befunde, bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomographie (MRT) und die Analyse des Nervenwassers (Liquor).

Die McDonald-Kriterien: Ein Überblick

Die McDonald-Kriterien, benannt nach dem Neurologen William Ian McDonald, stellen den internationalen Standard für die Diagnose der MS dar. Sie wurden mehrfach überarbeitet, um denFortschritt in den diagnostischen Möglichkeiten widerzuspiegeln und eine frühe und sichere Diagnose zu ermöglichen. Die Kriterien legen fest, mit welchen Befunden die Diagnose einer MS eindeutig gestellt werden kann. Im Kern müssen zwei Dinge nachgewiesen werden:

  • Räumliche Dissemination: Es müssen klinische Symptome bzw. Entzündungsherde (Läsionen) in unterschiedlichen Bereichen des Zentralnervensystems nachgewiesen werden, z.B. in verschiedenen Hirnregionen oder im Rückenmark.
  • Zeitliche Dissemination: Es muss gezeigt werden, dass die Entzündungen zu verschiedenen Zeitpunkten aufgetreten sind, entweder durch einen zweiten Schub, zeitgleich nachgewiesene Herde mit und ohne Kontrastmittelaufnahme im selben MRT, neue Herde in einem weiteren MRT oder Veränderungen im Nervenwasser (oligoklonale Banden, OKB).

Die McDonald-Kriterien prüfen, ob die neurologischen Beschwerden sowie die Befunde aus den Untersuchungen mit der typischen räumlichen und zeitlichen Verteilung der Entzündungsherde bei MS übereinstimmen. Die Kriterien erlauben je nach klinischer Präsentation und Befunden eine zuverlässige Diagnose. Zur Diagnostik kommen meist Magnetresonanztomographie (MRT), Nervenwasser- und Blutuntersuchungen und neurologische Tests zum Einsatz.

Magnetresonanztomographie (MRT) in der MS-Diagnostik

Die Magnetresonanztomographie (MRT) spielt eine zentrale Rolle bei der Diagnose und Verlaufskontrolle der MS. Sie ermöglicht die Visualisierung von Entzündungsherden (Läsionen) im Gehirn und Rückenmark, die für die MS charakteristisch sind. Revidierte McDonald-Kriterien (Polman et al. Abb. Klassische Demyelinisierungsherde der MS entstehen zunächst durch aktivierte T-Lymphozyten, die vom peripheren Blutsystem vor allem durch die Gefäßwände kleiner und feinster Blutgefäße ins Gehirngewebe wandern. Hierdurch zeigen sich die klassischen Plagues im MRT, mit ihrer charakteristischen meist ovaloide Form (siehe Abb. Darüber hinaus zeigen sich Entzündungsherde in einer spezifischen Struktur des Gehirns, dem Corpus callosum, das sonst bei (fast) keiner anderen entzündlichen Erkrankung betroffen ist. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass die Interpretation der MRT-Aufnahmen mit Vorsicht erfolgen muss, da erkennbare Herde nicht zwangsläufig klinische Symptome bedeuten. So können im Extremfall Patienten mit vielen Herden wenig oder auch keine klinischen Symptome haben und Patienten mit wenig Herden sehr krank sein.

Typische MRT-Befunde bei MS

Die Regionen, die von der MS-bedingten Entzündung im zentralen Nervensystem typischerweise betroffen sind, sind wie bisher Läsionen in/nahe der Hirnrinde (juxta-/kortikal), am inneren Nervenwasserraum (periventrikulär), in tiefer gelegenen Hirnabschnitten (infratentoriell) und im Rückenmark (spinal). Neu kann auch die Beteiligung des Sehnervs im MRT berücksichtigt werden. Ebenso neu ist, dass der Nachweis von zwei betroffenen Regionen von nun fünf möglichen ausreichend für den Beweis der räumlichen Verteilung („dissemination in space“) ist, unabhängig davon, ob oder welche der Läsionen symptomatisch sind. Bei primär progredienter MS, also einer MS von Beginn an ohne Schübe, können zwei spinale Läsionen schon als Beweis der räumlichen Verteilung dienen.

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Neben den bisher bereits festgelegten MRT-Kriterien, also dem Nachweis entzündlicher Läsionen in den oben genannten, definierten Regionen des Gehirns und Rückenmarks mit oder ohne Kontrastmittelaufnahme, werden zwei neue Läsionsmuster bzw. -eigenschaften beschrieben. Der zweite neue MRT-Marker ist das Vorhandensein mindestens einer Läsion mit einem paramagnetischen Rand (PRL) als MS-spezifisches Zeichen (Bild 2).

Diese beiden MRT-Marker können hilfreich sein, wenn nur eine Lokalisation betroffen ist. Zusätzlich muss zur MS-Diagnose dann aber weiterhin die zeitliche Verteilung (wie in den McDonald-Kriterien 2017 definiert) oder ein entsprechender Nervenwasserbefund vorliegen.

Bedeutung der MRT für die Diagnose

Die MRT ermöglicht nicht nur den Nachweis von Läsionen, sondern auch die Beurteilung ihrer Aktivität. Aktive Läsionen zeigen eine Kontrastmittelaufnahme, was auf eine akute Entzündung hinweist. Der Nachweis von Läsionen zu verschiedenen Zeitpunkten (zeitliche Dissemination) ist ein wichtiges Kriterium für die MS-Diagnose.

Liquordiagnostik bei MS

Die Liquordiagnostik bleibt ein unverzichtbarer Baustein in der Diagnostik der MS, besonders auch um die MS von anderen Erkrankungen abzugrenzen, was die MRT nicht eindeutig leisten kann. Kern der Liquordiagnostik ist der Nachweis einer speziellen immunologischen Reaktion. Während allgemeinen Liquorparameter meist normal sind (Protein, Laktat, Glukose normal, Zellzahl allenfalls diskret erhört) zeigen sich bei den meisten MS-Patienten sog. oligoklonale Banden, die sich im Serum nicht zeigen dürfen. In der verfeinerten Analytik kann ferner die sogenannte intrathekale IgG-Synthese bestimmt werden, die sehr spezifisch für autoimmunologische Prozesse und eine MS ist, diese aber nicht mit letzter Sicherheit beweist. Ergänzend kann die sog. MRZ-Reaktion (Masern, Röteln, Zoster) untersucht werden. Zeigt sich im Liquor eine eigenständige Antikörperproduktion (gemessen am sog. Antikörper-Index) für eines oder mehrere Viren, spricht dies ebenfalls sehr für eine MS. Umgekehrt kann ein komplett unauffälliger Liquor eine MS nicht vollständig ausschließen.

Oligoklonale Banden und Kappa-Leichtketten

Ein wichtiger Bestandteil der Liquordiagnostik ist der Nachweis von oligoklonalen Banden (OKB). Dies sind Antikörper, die im Liquor vorhanden sind, aber nicht im Serum. Sie sind ein Zeichen für eine Entzündung im ZNS und kommen bei etwa 90 % der MS-Patienten vor. Für das Nervenwasser werden neben den vorbekannten oligoklonalen Banden (OKB) gleichwertig erhöhte kappa freien Leichtketten (kFLC) als diagnostisches Kriterium akzeptiert. Bei zwei vorhandenen Läsionsorten im MRT kann somit bei Vorhandensein eines dieser Nervenwasserbefunde eine MS diagnostiziert werden. Während einer chronischen Entzündung des zentralen Nervensystems werden auch sogenannte freie Kappa-Immunglobulin-Leichtketten von Plasmazellen freigesetzt. Diese lassen sich einfacher nachweisen als OCB, sind zudem quantifizierbar und gewinnen über den sogenannten k-FLC-Index (Liquor im Vergleich zu Blutserumwerten) eine hohe Aussagekraft.

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Bedeutung der Liquordiagnostik für die Diagnose

Die Liquordiagnostik dient nicht nur der Diagnose der MS, sondern auch dem Ausschluss anderer Erkrankungen, die ähnliche Symptome verursachen können. Sie ist daher ein wichtiger Bestandteil der MS-Diagnostik. Die Nervenwasser-Diagnostik wäre den neuen Kriterien nach unter bestimmten MRT-Bedingungen, insbesondere wenn bereits vier oder mehr Regionen betroffen sind, nicht mehr zwingend erforderlich. Sie dient uns aber auch als wichtiges differentialdiagnostisches Mittel, um andere Diagnosen abklären zu können, und wird daher auch weiterhin wichtig bleiben.

Weitere diagnostische Verfahren

Neben MRT und Liquordiagnostik kommen weitere diagnostische Verfahren zum Einsatz, um die Diagnose der MS zu sichern und andere Erkrankungen auszuschließen.

Neurologische Untersuchung

Im Rahmen der neurologischen Untersuchung können Funktionsbeeinträchtigungen des Nervensystems erkannt werden, selbst lange bevor sie vom Betroffenen selbst wahrgenommen werden. Die Multiple Sklerose führt zu Einschränkungen u. a. in den Bereichen Koordination, Gleichgewicht, Reflexe, Muskelkraft oder Sensibilität.

Bei einer neurologischen Untersuchung werden folgende Funktionen getestet:

  • die grobe Kraft und die Feinmotorik: Handdrücken, Fingerspreizen gegen einen Widerstand, Beugung und Streckung in Ellenbogen und Knien, Arm- und Beinvorhalteversuche, Reflexe - dabei zählt insbesondere der Seitenvergleich
  • Sensibilität: Untersuchung der Schmerz-, Temperatur- und Tiefensensibilität mit spitzen oder stumpfen, warmen oder kalten, weichen oder rauen Gegenstände; Außerdem Untersuchung der Tiefensensibilität, des Lagesins und des Vibrationsempfindens durch weitere Übungen
  • Koordination: Testung von Zielbewegungen z. B. mit dem Finger-Nase-Versuch
  • Gleichgewicht: Überprüfung des Gangbildes bei geschlossenen Augen, beim Balancieren auf einer gedachten Linie, auf Zehenspitzen oder auf den Fersen
  • Funktion der zwölf Hirnnerven: Durchführung bestimmter Bewegungen im Bereich des Gesichts durch den Patienten und Überprüfung der Reaktionen auf bestimmte Reize

Elektrophysiologie

Die Elektrophysiologie, als eine Teilbereich der Neurophysiologie analysiert die Funktionalität elektrochemischer Signal­übertragungen im Nervensystem. Ein zentrales Gebiet ist dabei die elektrische und chemische Interaktion und Kommunikation zwischen Nervenzellen und Muskeln.

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Kardiologische Funktionsdiagnostik

MS-Patienten sind im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung häufiger von Herz-Kreislauf-Erkrankungen betroffen. Zum Ausschluss oder Nachweis möglicher Risiken und Erkrankungen aus diesem Gebiet halten wir mehrere Untersuchungen für unsere Patienten bereit.

Neurourologische Diagnostik

Bis zu 80 % aller MS-Patienten leiden unter Störungen der Blasenfunktion. Typisch ist die stark wechselnde Intensität der Beschwerden. Wir haben uns dieser Problematik angenommen und können eine detaillierte Diagnostik sowie eine anschließende Schulung mit Hilfsmitteln im Rahmen einer Therapie anbieten.

Augendiagnostik mittels optischer Kohärenztomographie (OCT)

Die Multiple Sklerose ist charakterisiert durch einen Abbau der Nervenzellen und Nervenzellfortsätze im zentralen Nervensystem (ZNS). Daher sind Sehnervenentzündungen ein häufiges Symptom: Denn auch die Netzhaut des Auges (Retina) enthält solche Nervenzellen und Nervenzellfortsätze. Neben dem MRT als möglichem Beweis der Sehnervbeteiligung kann auch die optische Kohärenztomographie (OCT) oder die visuell evozierten Potentiale (VEP) genutzt werden. Vor allem ist hier ein relevanter Unterschied zwischen dem linken und dem rechten Auge ein wichtiger Hinweis. Auch andere pathologische Befunde können, wenn sich keine andere Erklärung für diese findet, herangezogen werden.

Schluckdiagnostik

Das Schlucken geschieht in einem komplexen Zusammenspiel aus einer Vielzahl von Muskeln, Nerven und mehreren Hirnregionen.

Differentialdiagnostik

Die Differentialdiagnostik ist die Abgrenzung der MS gegenüber anderen Erkrankungen. Wie bereits angekündigt, erfolgte die Veröffentlichung der neuen internationalen MS-Diagnosekriterien (2024, Revision der McDonald-Kriterien). Die relevanten Neuerungen sollen hier erläutert werden. Eine wichtige Botschaft vorab: nach „alten“ Kriterien diagnostizierte Menschen mit MS müssen nicht „neu“ diagnostiziert werden. Personen, die die vorherigen Kriterien erfüllen, erfüllen auch nach den neuen Kriterien die MS-Diagnose. Bei zuvor unklaren Fällen oder Befunden kann die Anwendung der neuen Kriterien aber sinnvoll sein, um eine gesicherte Diagnose stellen zu können.

Aktualisierung der McDonald-Kriterien (2024)

Die Anpassungen in den diagnostischen sog. McDonald-Kriterien für die MS tragen vor allem der Weiterentwicklung und verbesserten Datenlage zu den diagnostischen Möglichkeiten Rechnung. Es sind daher neben den weiterhin bestehenden vorherigen Kriterien Erweiterungen aufgenommen worden für diagnostische Marker aus der Bildgebung (magnetresonanztomographische Verfahren, MRT), dem Nervenwasser und Marker für die Beteiligung der Sehbahn. Die MS wird zudem als ein Erkrankungsspektrum mit verschiedenen Ausprägungen (Verlaufsformen) wahrgenommen, dem die gleichen biologischen Krankheitsmechanismen zugrunde liegen, so dass sehr frühe Erkrankungsstadien (u.a. auch das radiologisch isolierte Syndrom (RIS) unter bestimmten Bedingungen), schubförmige und chronisch fortschreitende Verläufe unter einem einheitlichen diagnostischen Pfad zusammengefasst werden.

Für besondere Patientengruppen (Kinder und Jugendliche, ältere Personen und Menschen mit bestimmten Begleiterkrankungen) werden zudem zusätzliche Kriterien festgelegt, die die Diagnosesicherheit verbessern sollen (siehe Infobox 1).

Ziele der Aktualisierung

Ziel der Aktualisierung der Kriterien ist die raschere Diagnosestellung bei hoher Diagnosesicherheit. Dies soll damit eine möglichst frühe, zielgerichtete Festlegung eines Therapieplanes ermöglichen.

Wichtige Änderungen und Neuerungen

In einem ersten Schritt wird festgelegt, dass klare Beweise aus der Zusatzdiagnostik, vor allem im MRT, für eine MS-Diagnose vorliegen müssen. Eine MS-Diagnose ohne MRT mit entsprechenden Veränderungen (bzw.

Beteiligung des Sehnervs

Eine Beteiligung des Sehnerven (N.opticus) ist hinweisend auf eine räumliche Dissemination. Typische MS-Läsionen wurden bisher an bestimmten Stellen im ZNS (periventrikulär, infratentorial, spinal sowie kortikal/juxtakortikal) klassifiziert. Als fünftes Areal kommt nun der Nervus opticus hinzu. Eine Beteiligung des Nervs kann in der MRT nachgewiesen werden, aber auch über abnorme visuell evozierte Potenziale oder einen Befund bei der optischen Kohärenztomografie (OCT). Da jedoch Sehprobleme, diagnostiziert als Optikusneuritis, oft zu den Erstsymptomen einer MS gehören, wird schon die Aufnahme von Sehnervschäden den erneuerten Kriterien zufolge als mögliche Voraussetzung für eine räumliche Verteilung bei MS so manche Diagnose beschleunigen:

Sind zwei von fünf Regionen betroffen (Läsion oder Sehnervschäden), braucht es oft nur noch eine weitere Läsion in zeitlichem Abstand.

Sind vier der fünf räumlichen Regionen betroffen, braucht man in einigen Fällen gar keine zeitliche Verteilung abzuwarten.

Treten CSV oder PRL auf, kann mitunter sogar auf zeitliche und räumliche Verteilung ("Dissemination") verzichtet werden.

Anzahl der Läsionsorte

Läsionen in vier Arealen reichen für eine MS-Diagnose. Weisen Personen mit MS-Symptomen in der MRT in vier der fünf typischen ZNS-Regionen T2-Läsionen auf, genügt dies für eine MS-Diagnose. Ein Nachweis der zeitlichen Dissemination (= mehrere entzündliche Veränderungen, die sich im Laufe der Zeit unabhängig voneinander gebildet haben) ist nicht mehr nötig.

Radiologisch isoliertes Syndrom (RIS)

Ein radiologisch isoliertes Syndrom (RIS) kann eine MS sein. Werden in MRT-Aufnahmen bei Personen ohne MS-Symptomatik zufällig typische MS-Veränderungen entdeckt, die aufgrund ihrer Lage und des Aussehens an MS-Läsionen erinnern, kann unter bestimmten Umständen von einer MS ausgegangen werden. Diese sind:

  • Die Kriterien für die räumliche und zeitliche Verteilung (Dissemination) sind erfüllt, oder
  • es lassen sich eine räumliche Verteilung und ein positiver Liquorbefund beobachten, oder
  • es werden neben einer räumlichen Dissemination mindestens sechs zentrale Venenzeichen (CVS), also Läsionen mit einer Vene im Zentrum, beobachtet.

Da aus Beibachtungsstudien bekannt ist, dass innerhalb von zehn Jahren rund die Hälfte und nach 15 Jahren knapp drei Viertel der Personen mit RIS eine klinische MS entwickeln, ist die frühzeitige Einordnung der Veränderungen wichtig.

Kappa-Leichtketten (k-FLC)

Der Nachweis freier kappa-Leichtketten wird gleichgesetzt mit oligoklonalen Banden (bei Liquorentnahme), um eine chronische Entzündung des Zentralen Nervensystems (ZNS) zu zeigen.

Infobox 1: Besondere Patientengruppen

Um Fehldiagnosen bei bestimmten Personengruppen zu verhindern, soll bei Personen über 50 Jahren bei erster Symptomatik, Menschen mit einer Kopfschmerzerkrankung (z.B. Migräne) oder Gefäßerkrankungen bzw. -risikofaktoren (auch Rauchen!) besonders streng nach den Kriterien geschaut werden. Insbesondere helfen das Vorhandensein einer spinalen Läsion, der typischen Nervenwasserbefunde (wie oben beschrieben) oder der mindestens 6 CVS als Zusatzkriterien weiter.

Aufgrund anderer Häufigkeiten für die akute demyelinisierende Enzephalomyelitis (ADEM) und MOG-Antikörper-assoziierte Erkrankungen (MOGAD, englisch kurz für Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein-Antikörper-assoziierte Erkrankung) im Kindesalter sollen Kinder unter 12 Jahren immer auf die Anwesenheit entsprechender MOG-Antikörper getestet werden. Bei älteren Kindern und Jugendlichen sollen diese Antikörper wie bei Erwachsenen nur untersucht werden, wenn der klinische Befund hinweisend darauf ist, dass es sich nicht um eine typische MS handelt. Im Übrigen werden dieselben diagnostischen Algorithmen für Kinder und Jugendliche wie für Erwachsene angewendet.

Einflussfaktoren auf die Diagnosezeit

Ob die Diagnose früher oder später erfolgt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Menschen, die bei Krankheitsbeginn älter sind, mehrere Symptome gleichzeitig zeigen oder bestimmte Beschwerden wie Kribbeln oder Taubheitsgefühle entwickeln, erhalten im Durchschnitt schneller eine Diagnose. Auch ein höherer Bildungsstand kann sich günstig auf die Diagnosezeit auswirken.

Auf der anderen Seite dauert es oft länger, wenn die Erkrankung schleichend beginnt - wie bei der primär progredienten MS - oder wenn die ersten Symptome eher unspezifisch sind, etwa Blasenprobleme, motorische Einschränkungen oder depressive Verstimmungen. Dennoch: Der Trend geht eindeutig in die richtige Richtung, und extreme Verzögerungen sind heute die Ausnahme. Nur noch zwei Prozent der Menschen mit MS müssen länger als fünf Jahre auf eine Diagnose warten - im Jahr 2015 waren es noch neun Prozent.

Therapiebeginn

Auch nach der Diagnosestellung hat sich die Versorgung verbessert. Die Zeit bis zum Beginn einer medikamentösen Therapie ist seit 2014 deutlich gesunken. Besonders bei Frauen, die früher oft später mit der Behandlung begannen als Männer, zeigt sich inzwischen eine deutlich frühere Einleitung der Therapie. Im Schnitt beginnt die Behandlung heute rund zwei Monate nach der Diagnose - das ist im internationalen Vergleich ein sehr guter Wert. In den USA beträgt dieser Zeitraum etwa drei Monate, im Vereinigten Königreich sogar neun Monate.

Unterschiede in der Geschwindigkeit bis zum Behandlungsbeginn können unter anderem mit dem Zugang zu spezialisierten Ärztinnen und Ärzten, mit den Gesundheitssystemen oder mit der Verfügbarkeit bestimmter Medikamente zusammenhängen. In Deutschland profitieren Patientinnen und Patienten besonders vom schnellen Zugang zu Diagnostik und Behandlung - auch dank der spezialisierten MS-Zentren, die nach DMSG-Qualitätskriterien arbeiten.

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