Chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP): Ursachen, Symptome und Therapie

Die chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) ist eine seltene Autoimmunerkrankung des peripheren Nervensystems. Sie manifestiert sich durch Muskelschwäche und Empfindungsstörungen. Die korrekte und frühzeitige Diagnose ist entscheidend für die Auswahl der optimalen CIDP-Therapie. Jedoch ist es aufgrund der Vielfalt der Symptome und des individuellen Krankheitsverlaufs nicht ganz einfach, CIDP zu erkennen.

Was ist CIDP?

CIDP ist eine langsam verlaufende und andauernde Nervenerkrankung, bei der es durch entzündliche Reaktionen zum Abbau der Ummantelung der Nervenfasern kommt. Folge ist eine Störung der Signalweiterleitung in den Nerven. Durch den Abbau der Nervenfaserummantelungen (Myelin) wird die Signalweiterleitung der Nerven gestört. Betroffen ist in der Hauptsache das periphere Nervensystem. Es befindet sich außerhalb von Gehirn und Rückenmark (zentrales Nervensystem) und durchzieht mit seinen Nervenbahnen den ganzen Körper. Dabei hat es unter anderem zwei wichtige Funktionen: Es ist für die Weiterleitung von Sinneseindrücken zum Gehirn und für die Muskelbewegung zuständig. CIDP bedeutet:

  • Chronische: langsamer Verlauf, lange andauernd
  • Inflammatorische: entzündlich
  • Demyelinisierende: schädigt die Myelinscheiden, die „Ummantelung“ der Nervenfasern
  • Polyneuropathie: betrifft mehrere Nerven gleichzeitig

Epidemiologie

Sie ist eine sehr seltene Erkrankung und tritt bei ca. 4 - 8 von 100 000 Menschen auf. CIDP ist eine seltene Krankheit, die nur bei etwa 2,8 von 100.000 Personen auftritt. Sie kann in jedem Alter auftreten, gehäuft allerdings im 6. und 7. Lebensjahrzehnt und betrifft häufiger Männer. Das mittlere Alter bei Symptombeginn liegt bei 50 Jahren. Männer sind häufiger betroffen als Frauen: 60 - 70 % Männer, 30 - 40 % Frauen.

Ursachen und Pathogenese

Die CIDP gilt als autoimmunologisch bedingte Erkrankung des peripheren Nervensystems. Ursächlich für die Entstehung einer Autoimmunerkrankung ist wahrscheinlich eine Kreuzreaktion (Molekulare Mimikry). Hierbei entsteht auf dem Boden einer Infektion eine Immunantwort aufgrund von gemeinsamen, kreuzreagierenden Epitopen, die ihrerseits mit Komponenten des peripheren Nervensystems reagieren. Diese können zum Beispiel gegen die Hüllschicht, also das Myelin, gerichtet sein. Es kommt zu einer Schädigung des Myelins, also zu einer sogenannten Demyelinisierung. Höchstwahrscheinlich trägt aber auch eine Vorschädigung der Nerven, durch die bestimmte Epitope freigesetzt werden können, entscheidend dazu bei. Ist diese geschädigt, können die Signale nicht mehr so gut weitergegeben werden und es kommt zu Störungen in der Bewegung oder in der Wahrnehmung. Der „Angreifer“ der Nerven ist das körpereigene Immunsystem, das bei einer Autoimmunerkrankung nicht mehr zuverlässig zwischen „eigen“ und „fremd“ unterscheiden kann. Es zerstört daher fälschlicherweise auch körpereigene Zellen. Bei CIDP betrifft das die Nervenfaserummantelungen und teilweise auch die Nervenfasern selbst. Daher ist es wichtig, nach der Diagnose so bald wie möglich mit einer Therapie zu beginnen, um diese Prozesse zu unterbrechen und damit weitere Schäden bzw. Folgeschäden zu verhindern.

Symptome

Das periphere Nervensystem umfasst Nerven, die sowohl motorische, sensible aber auch sogenannte autonome Funktionen übernehmen. In der klassischen Ausprägung, die ca. 50 % aller Patienten mit der Diagnose einer CIDP umfasst, klagen die Patientinnen und Patienten typischerweise über eine sich im Verlaufe von Wochen bis Monaten entwickelnde Schwäche der Beine sowie der Arme, die sowohl körperstammnah (proximal) als auch körperfern (distal) auftritt. Die Fußhebung und das Treppensteigen können erschwert sein. Es können Schwierigkeiten in der Feinmotorik der Hände aber auch bei Überkopfarbeiten auftreten. Darüber hinaus treten sensible Störungen in Form von Taubheitsgefühlen, Kribbelgefühlen oder auch in Form von Gangunsicherheit auf. Selten treten auch Brennschmerzen auf. Bei der klassischen CIDP stehen die motorischen Ausfälle im Vordergrund. Neben der klassischen Ausprägung kann sich eine CIDP aber auch in „atypischen“ Varianten ausprägen. Im Gegensatz zu der am ehesten altersbedingten idiopathischen Polyneuropathie, die sehr langsam über Jahre fortschreitet, entwickelt sich die Symptomatik bei allen Erscheinungsformen (klassisch und atypische Varianten) jedoch in der Regel rascher, d.h. innerhalb von Wochen und Monaten. Der Verlauf kann sowohl kontinuierlich fortschreitend, aber auch schubförmig sein.

Lesen Sie auch: Was ist CIDP?

Typische CIDP-Symptome sind sensorische und motorische Störungen in Armen und Beinen. Sensorische Störungen äußern sich als Kribbeln und Taubheitsgefühl, motorische Störungen können als Ausfall von Reflexen, Schwäche oder gar Lähmungen auftreten.

Weitere Symptome können sein:

  • Koordinationsstörungen
  • Einschränkung der Feinmotorik
  • Gefühls- oder Wahrnehmungsstörungen
  • Gestörtes Temperaturempfinden
  • Sehen von Doppelbildern, Schluck- oder Hörstörungen
  • Schmerzen
  • Parästhesien
  • Fatigue

Es gibt verschiedene Verlaufsformen der CIDP. Die Symptome entwickeln sich entweder langsam über einen längeren Zeitraum, oder in Schüben und schwanken dabei in ihrer Intensität. Einen schleichend fortschreitenden Krankheitsverlauf findet man häufiger bei älteren Menschen mit CIDP. Beim schubförmigen Verlauf folgt nach einem Krankheitsschub eine Phase der Erholung (sogenannte Remission), in der sich die Symptome zurückbilden können. Diesen Verlauf findet man eher bei jüngeren Patienten.

Diagnose

Die Diagnose wird gestellt auf dem Boden der typischen klinischen Präsentation, dem Ausschluss aller anderen in Fragen kommenden Ursachen für eine demyelinisierende Polyneuropathie sowie Nachweis einer Demyelinisierung in der elektrophysiologischen Untersuchung.

Die Diagnose der chronisch inflammatorischen demyelinisierenden Polyradikuloneuropathie (CIDP) kann herausfordernd sein. Die Krankheit hat einen individuellen Verlauf und verursacht Symptome, die auch bei anderen Nervenerkrankungen wie dem Guillain-Barré-Syndrom (GBS) auftreten können. Deshalb ist eine gründliche Untersuchung notwendig.

Lesen Sie auch: Aktuelle Erkenntnisse zu CIDP

Einschlusskriterien:

  • Typische CIDP und erloschener oder generell abgeschwächter Reflexstatus
  • Atypische CIDP (rein sensibel, MADSAM, DADS, rein motorisch, fokal) sowie abgeschwächte/erloschenen Reflexe in betroffenen Regionen

Ausschlusskriterien:

  • Borrelieninfektion
  • Diphtherie
  • Drogen (Alkohol) oder Gifte
  • Vererbte Neuropathie (Hereditäre sensomotorische demyelinisierende Neuropathie)
  • Im Vordergrund stehende Blasen- und Mastdarmstörungen
  • Diagnose anderweitiger Immunneuropathie
  • IgM monoklonale Gammopathie mit anti-MAG-Antikörpern
  • Andere Gründe für demyelinisierende Polyneuropathie

Elektrophysiologische Kriterien für definitiv diagnostizierte CIDP:

  • um ≥ 50 % verlängerte distal-motorische Latenzen in mindestens zwei Nerven über obere Normgrenze (ULN, upper limit of normal)
  • motorische Leitgeschwindigkeit ≥ 30 % unter untere Normgrenze (LLN, lower limit of normal) in mindestens zwei Nerven
  • ≥ 20 % Verlängerung über ULN der F-Wellen-Latenzen in mindestens zwei Nerven (≥ 50 %, falls distales CMAP < 80 % LLN)
  • Abwesenheit von F-Wellen in mindestens zwei Nerven, falls distales CMAP ≥ 20 % und zusätzlich ein demyelinisierender Parameter in einem weiteren Nerven
  • partieller motorischer Leitungsblock: ≥ 50 % Amplitudenreduktion im CMAP proximal versus distal, falls distaler MAP ≥ 20 % LLN in zwei Nerven oder in einem Nerv und zusätzlich ein demyelinisierender Parameter in einem weiteren Nerven
  • abnormale zeitliche Dispersion (> 30 % Anstieg der Dauer zwischen proximalem und distalem negativen Ausschlag des CMAP)
  • Distale Dauer des CMAP (Muskelsummenpotenzial, negativer Ausschlag, compound muscle action potential) ≥ 9 ms in mindestens einem Nerv und zusätzlich ein demyelinisierender Parameter in einem weiteren Nerven

Unterstützend für die Diagnose ist die Untersuchung des Nervenwassers, die bei 70 - 90 % aller Patienten mit CIDP eine typische Eiweißerhöhung ohne sonstige entzündliche Veränderungen zeigt. Zudem zeigen ca. 50 % aller CIDP-Patienten in der MR-tomographischen Darstellung entzündliche Veränderungen im Nervenplexus bzw. den -wurzeln. Auch in der ultrasonographischen Darstellung können multiple Nervenschwellungen als typischer Hinweis dargestellt werden.

Wichtige Diagnoseverfahren:

  • Körperliche und elektrodiagnostische Untersuchungen: Untersuchungen mithilfe der Elektroneurographie (ENG) und Elektromyographie (EMG) helfen, Schäden an Nerven und Muskeln zu erkennen. Sie liefern Hinweise darauf, ob CIDP oder eine andere Erkrankung vorliegt.
  • Laboruntersuchungen: Blut- oder Nervenwasseranalysen können Auffälligkeiten wie erhöhte Eiweißwerte oder bestimmte Antikörper zeigen. Diese Werte allein reichen jedoch nicht aus, um CIDP sicher zu diagnostizieren.
  • Weitere Untersuchungen: Falls die Ergebnisse nicht eindeutig sind, können zusätzliche Tests wie eine Nervenbiopsie notwendig sein.

Da CIDP ähnliche Symptome wie andere Polyradikuloneuropathien verursacht, ist die Diagnose oft ein Ausschlussverfahren.

Differentialdiagnose

Neben der klassischen Form kann die CIDP auch in Zusammenhang mit anderen, meist entzündlichen Erkrankungen auftreten. Hierzu zählen neben Infektionen auch chronisch entzündliche Darmerkrankungen, entzündlich rheumatische Erkrankungen, Sarkoidose sowie metabolische Erkrankungen, wie z.B. Diabetes mellitus. Auch eine Assoziation mit malignen Erkrankungen wurde vereinzelt beobachtet. Eine Assoziation mit einer monoklonalen Gammopathie unbestimmter Signifikanz (MGUS) liegt häufiger vor.

Differentialdiagnostisch sind andere Immunneuropathien abzugrenzen, wie z.B.:

  • Multifokale motorische Neuropathie (MMN)
  • Vaskulitische Neuropathien
  • Polyneuropathien aus dem rheumatischen Formenkreis
  • Polyneuropathien im Rahmen von monoklonalen Gammopathien unklarer Signifikanz (MGUS)
  • Guillain-Barré-Syndrom

Therapie

Bei der gesicherten CIDP sind wirksame Therapien die immunmodulatorische Therapie mit intravenösen Immunglobulinen (IVIG), Glukokortikosteroiden (GS) und Plasmaaustauschverfahren, die in prospektiven und kontrollierten Studien Ansprechraten von ca. 50 - 75 % aufweisen konnten. Nicht jede entzündliche Polyradikuloneuropathie muss zwingend behandelt werden. Betroffene entscheiden gemeinsam mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin, ob eine Behandlung begonnen wird und welche Therapie am besten geeignet ist.

Lesen Sie auch: Ursachen, Diagnose und Behandlung der AIDP

Die Behandlung besteht üblicherweise aus zwei Phasen:

  • Initialtherapie: Bei Therapiebeginn eingesetzte Behandlungen, um die Symptome zu verbessern.
  • Erhaltungstherapie: Langfristige Behandlung, um die Krankheit unter Kontrolle zu halten.

Die Wahl der geeigneten Therapie hängt in erster Linie von der Gesamtsituation des Patienten ab. Bei Versagen dieser Therapien kommen auch immunsuppressive Medikamente wie Azathioprin, Methotrexat, Mycophenolat Mofetil, Ciclosporin A in Betracht. Unter Umständen kommen auch therapeutische Antikörper, wie z.B. Rituximab, zum Einsatz.

Medikamentöse Therapien:

  • Kortikosteroide: Diese Medikamente können das fehlgeleitete Immunsystem unterdrücken und Entzündungen in den Nerven verringern. Sie werden bei CIDP seit vielen Jahren erfolgreich eingesetzt.
  • Immunglobuline (Ig): Sie regulieren das Immunsystem und helfen, schädliche Autoantikörper zu neutralisieren. Sie können als Infusion über die Vene (IVIG) oder unter die Haut (SCIG) verabreicht werden. Beide Formen zeigen in der Regel eine gute Wirkung in der Initial- und Erhaltungstherapie.

Intravenös oder subkutan?

  • Intravenöse Immunglobuline (IVIG) werden im Krankenhaus oder in einer spezialisierten Praxis verabreicht, was für Betroffene mit Aufwand verbunden sein kann.
  • Subkutane Immunglobuline (SCIG) haben eine vergleichbare Wirkung wie IVIG, können aber nach einer Schulung selbstständig zu Hause angewendet werden. Die Infusion erfolgt über eine Kanüle und Pumpe ins Unterhautfettgewebe.

Weitere Therapieoptionen:

  • Plasmapherese

Leben mit CIDP

CIDP ist eine chronische Krankheit mit einem fortschreitenden (progredienten) Verlauf und bedarf in der Regel einer lebenslangen Therapie. Ein erfülltes Leben trotz Diagnose CIDP ist möglich.

tags: #inflammatorische #demyelinisierende #Polyneuropathie #CIDP #Ursachen #Symptome