Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems, bei der das Immunsystem die Myelinscheiden der Nervenzellen angreift. Die Symptome sind vielfältig und reichen von leichten Empfindungsstörungen bis hin zu schweren Behinderungen. Die genaue Ursache der MS ist noch nicht vollständig geklärt, aber die Forschung hat in den letzten Jahren die Rolle der Darm-Hirn-Achse und des Mikrobioms in den Fokus gerückt.
Die Rolle der Ernährung bei Multipler Sklerose
Eine entzündungshemmende Ernährung kann helfen, den Verlauf von Multipler Sklerose zu verlangsamen und die Lebensqualität zu erhalten. Da MS bislang nicht heilbar, aber behandelbar ist, geht es für Betroffene darum, den Verlauf der Erkrankung zu verlangsamen und die Lebensqualität bestmöglich zu erhalten.
Anti-entzündliche Ernährung bei MS
Die Ernährung sollte vor allem aus Gemüse, Pilzen, Nüssen und Samen bestehen. Unbedingt einzuschränken ist der Fleischkonsum, denn insbesondere rotes Fleisch und Wurst enthalten viele entzündungsfördernde Stoffe. Positiv wirken sich dagegen die entzündungshemmenden Omega-3-Fettsäuren aus, die in Leinöl, Algenöl und fettreichem Fisch wie Lachs, Hering und Makrele vorkommen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Begrenzung des Zuckerkonsums, da zu hoher Zuckerkonsum Entzündungen fördert. Daher ist es sinnvoll, den Verzehr von Kohlenhydraten (etwa Weißbrot, Nudeln) und vor allem von Zucker- und Knabberkram zu begrenzen. Das betrifft auch zum Beispiel Eis oder gesüßte Joghurts und Müslis.
Die Bedeutung der Darmgesundheit
Ein weiterer Ansatz ist, für mehr gute Darmbakterien zu sorgen: und zwar mit Pro- und Präbiotika. Denn aus ballaststoffreichen Lebensmitteln stellen Darmbakterien wertvolle kurzkettige Fettsäuren wie Butyrat und Propionat her. Sie werden zur Reparatur der Nervenzellen gebraucht. Propionsäure kann offenbar das Immunsystem stärken: In einer internationalen Studie reduzierte die Gabe zusätzlich zu MS-Medikamenten langfristig die Schubrate.
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Die Darm-Hirn-Achse ermöglicht es dem Darm, über Nervenbahnen, das Immunsystem und hormonelle Signale mit dem Gehirn zu kommunizieren. Ein gesundes Mikrobiom, das eine ausgewogene Anzahl nützlicher und schützender Mikroben enthält, kann dabei helfen, das Immunsystem zu regulieren und Entzündungen zu kontrollieren. Bei MS-Patienten ist das Mikrobiom jedoch häufig gestört, was zu einer übermäßigen Aktivierung des Immunsystems führen kann. Dies verstärkt die Entzündungsprozesse im Zentralnervensystem und trägt zur Schädigung der Nervenzellen bei.
Studien haben gezeigt, dass MS-Patienten im Vergleich zu gesunden Menschen eine veränderte Mikrobiota aufweisen. Besonders auffällig ist, dass entzündungshemmende Bakterien wie Lactobacillus und Bifidobacterium weniger häufig vorkommen. Diese Ungleichgewichte, auch als Dysbiose bezeichnet, können die Immunantwort des Körpers fehlregulieren und so die Entzündungen im Körper fördern.
Ernährung zur Regulierung der Darm-Hirn-Achse
Ernährung hat einen enormen Einfluss auf das Mikrobiom und somit auf die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn. Bestimmte Nahrungsmittel und Nährstoffe können entzündungsfördernde Prozesse verstärken, während andere entzündungshemmende Effekte haben. Für MS-Patienten bedeutet das, dass eine gezielte Ernährung das Mikrobiom stabilisieren und die Krankheitsaktivität möglicherweise verringern kann.
Eine Ernährung, die reich an entzündungshemmenden Nahrungsmitteln ist, kann das Mikrobiom positiv beeinflussen und den Krankheitsverlauf von MS lindern. Zu solchen Nahrungsmitteln gehören:
- Omega-3-Fettsäuren: Diese kommen in fettem Fisch wie Lachs und Makrele sowie in pflanzlichen Quellen wie Leinsamen und Walnüssen vor. Omega-3-Fettsäuren haben entzündungshemmende Eigenschaften und können die Immunantwort regulieren.
- Antioxidantien: Obst und Gemüse, insbesondere solche mit hohem Gehalt an Polyphenolen (z. B. Beeren, Spinat, Kurkuma), helfen, oxidativen Stress zu reduzieren, der bei MS eine zentrale Rolle spielt.
- Ballaststoffe: Ballaststoffreiche Nahrungsmittel fördern die Produktion von kurzkettigen Fettsäuren wie Butyrat, die entzündungshemmend wirken und die Darmbarriere stärken.
Vermeidung entzündungsfördernder Lebensmittel
Bestimmte Nahrungsmittel können jedoch Entzündungen fördern und das Mikrobiom negativ beeinflussen.
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Diäten zur Stabilisierung des Mikrobioms
Es existieren verschiedene Diäten, die darauf abzielen, das Mikrobiom zu stabilisieren und entzündliche Prozesse zu minimieren:
- Die Paleo-Diät: Die Paleo-Diät setzt auf unverarbeitete Nahrungsmittel wie Fleisch, Fisch, Gemüse, Obst, Nüsse und Samen und vermeidet Getreide, Hülsenfrüchte und Milchprodukte. Diese Diät hat sich als entzündungshemmend erwiesen und unterstützt ein gesundes Mikrobiom.
- Die ketogene Diät: Die ketogene Diät, die einen hohen Fettanteil und eine sehr reduzierte Zufuhr von Kohlenhydraten beinhaltet, könnte die Energieversorgung der Nervenzellen verbessern und Entzündungen im Körper verringern. Diese Diät hat sich in verschiedenen Studien als vorteilhaft für neurologische Erkrankungen gezeigt.
- Das Wahls-Protokoll: Dieses Ernährungsprogramm wurde von der Ärztin Dr. Terry Wahls entwickelt, die selbst an MS leidet. Es basiert auf einer nährstoffreichen Ernährung, die insbesondere Omega-3-reiche Lebensmittel und viel Gemüse umfasst. Das Wahls-Protokoll hat sich als hilfreich für die Verbesserung der MS-Symptome erwiesen.
Prä- und Probiotika: Unterstützung der Darmgesundheit
Präbiotika und Probiotika spielen eine zentrale Rolle bei der Regulierung des Mikrobioms und der Darm-Hirn-Achse. Präbiotika, die in Ballaststoffen enthalten sind, fördern das Wachstum nützlicher Darmbakterien, während Probiotika, lebende Mikroorganismen wie Lactobacillus oder Bifidobacterium, das Mikrobiom unterstützen können.
Probiotische Lebensmittel sind: Joghurt, Kefir, Sauerkraut und Kimchi. Sie können helfen, das Mikrobiom zu stabilisieren und entzündungshemmende Effekte zu erzielen. Präbiotische Lebensmittel sind: Knoblauch, Zwiebeln, Spargel und Hafer. Sie fördern das Wachstum der nützlichen Bakterien im Darm.
Vitamin D und Mikronährstoffe
Vitamin D spielt eine zentrale Rolle bei der Regulierung des Immunsystems und ist für MS-Patienten besonders wichtig. Ein Mangel an Vitamin D wurde mit einem erhöhten Risiko für MS sowie schwereren Krankheitsverläufen in Verbindung gebracht.
Multiple Sklerose und Glutenunverträglichkeit: Der Zusammenhang
Forschende haben Hinweise darauf, dass Zöliakie (Glutenunverträglichkeit) häufiger zusammen mit anderen Autoimmunerkrankungen wie etwa MS auftritt. Der Zusammenhang ist jedoch nicht klar und noch nicht ausreichend erforscht. Einzelnen Betroffenen kann ein Glutenverzicht Linderung verschaffen, dasselbe gilt für einen Verzicht auf Milchprodukte: Forschende haben gezeigt, dass Casein (Kuhmilcheiweiß) in Mäusen eine Autoimmunreaktion triggern kann, die die Nervenzellen schädigt.
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Es gibt jedoch auch Forschungsergebnisse, die zeigen, dass Zöliakie bei Multipler Sklerose nicht gehäuft vorkommt. Genau genommen trat Zöliakie bei MS-Patienten sogar etwas weniger oft auf als in der Allgemeinbevölkerung, jedoch war diese negative Abweichung nicht signifikant.
Zöliakie und Glutenunverträglichkeit: Was ist der Unterschied?
Zöliakie ist eine Autoimmunerkrankung des Dünndarms, die durch die Einnahme von Gluten ausgelöst wird. Gluten ist ein Protein, das in Weizen sowie anderen Getreidearten vorkommt. Nicht jede Glutenunverträglichkeit ist hingegen eine Zöliakie. Nicht verwechseln sollte man die Zöliakie als Autoimmunerkrankung mit einer "bloßen" Glutenunverträglichkeit oder Glutensensitivität. Eine zöliakie-freie Glutenunverträglichkeit hat andere Ursachen und verläuft weitaus milder. Nach einer Zeit der Abstinenz wird Gluten oft wieder vertragen. Zöliakie hingegen ist ein Krankheitsbild mit teils ernsten Folgen wie Gewichtsverlust und Mangelernährung.
Weizenproteine und MS
Ein Forschungsteam der Universitätsmedizin Mainz hat herausgefunden, dass eine weizenhaltige Ernährung die Schwere einer Multiple Sklerose-Erkrankung (MS) fördern kann. Dies bewirkten Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI), natürliche Proteine im Weizen, während die Glutenproteine die entzündlichen Reaktionen nicht beeinflussten. Die Studien bestätigen, dass die Ernährung und die Darmgesundheit den Verlauf von chronisch-entzündlichen Erkrankungen, zu denen auch MS gehört, beeinflussen können.
Die initiale Untersuchung des Forschungsteams im Tiermodell ergab, dass sich bei einer Ernährung, die 25 Prozent Weizen enthält, die Symptome der MS stark verschlechtert haben im Vergleich zur gleichen, aber weizenfreie Ernährung. Die Ergebnisse aus dem Tiermodell konnte das Forschungsteam dann auch in einer klinischen Pilotstudie bestätigen. Die MS-Betroffenen berichteten während der weizenfreien Diät von signifikant weniger Schmerzen.
Autoimmunerkrankungen und genetische Veranlagung
Autoimmunerkrankungen entstehen durch eine Fehlregulation des körpereigenen Immunsystems. Die Immunzellen richten sich nicht ausschließlich gegen unwillkommene Eindringlinge, zum Beispiel, Bakterien oder Viren, sondern auch gegen körpereigene Zellen und Gewebe. Den Autoimmunerkrankungen liegen definierte genetische Veranlagungen zugrunde. Darüber hinaus wird ihre Ausprägung durch Umwelteinflüsse verstärkt oder vermindert.
Bei der Zöliakie kommt es sehr häufig zu weiteren Autoimmunerkrankungen. Das liegt insbesondere an mehreren gemeinsamen genetischen Voraussetzungen. Umgekehrt findet man bei Patienten mit Typ-1-Diabetes, Morbus Basedow und Hashimoto-Thyreoiditis auch häufig eine Zöliakie.
Einiges spricht dafür, dass eine glutenfreie, das heißt im Wesentlichen weizenfreie, Ernährung, die Entstehung weiterer Autoimmunerkrankungen möglicherweise hinauszögern und vielleicht sogar verhindern kann. Klar ist mittlerweile jedoch, dass Autoimmunerkrankungen durch Weizenkonsum verstärkt werden können. Das liegt an speziellen Proteinen in glutenhaltigen Getreiden, den sogenannten ATI (Amylase-Trypsin-Inhibitoren), die nur 3 bis 4 Prozent des Weizenproteins ausmachen. Sie aktivieren nach Weizenverzehr Immunzellen in der Darmwand. Die so aktivierten Immunzellen scheinen über den Blutstrom in entfernte Organe zu wandern, um dort eine bereits laufende Autoimmunerkrankung zu verstärken.
Ernährungstherapeutische Ansätze bei Multipler Sklerose
Eine gezielte Lebensmittelauswahl kann den Verlauf einer Multiplen Sklerose beeinflussen. Das zeigen Erfahrungen naturheilkundlicher Ernährungskonzepte sowie zahlreiche Studien. Betroffene sollten daher die Möglichkeiten der Ernährungstherapie nutzen, um die konventionelle Behandlung sinnvoll zu ergänzen.
Historische Ernährungskonzepte
- Bircher-Benner-Diät: Frischkostkonzepte bei chronischer Entzündung.
- Budwig-Diät: Öl-Eiweiß-Ernährungsform mit hohem Anteil an pflanzlichen Omega-3-Fettsäuren aus Leinöl.
- Kousmine-Diät: Kombination aus Budwig-Crème, Darmhygiene, Säure-Basen-Gleichgewicht, Nahrungsergänzungsmittel und psychosozialer Betreuung.
- Evers-Diät: Naturbelassene Vollwertkost, vorwiegend vegetarisch mit fettarmen Milchprodukten.
- Swank-Diät: Fettarme Diät mit Omega-3-Fettsäuren, vegetarisch orientiert.
Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren
Mehrere epidemiologische Studien konnten einen direkten Zusammenhang der MS mit dem geografischen Breitengrad sowie der Vitamin-D-Konzentration im Blut aufzeigen. Auch Fallkontrollstudien in den USA wiesen einen deutlichen Zusammenhang zwischen MS und der durchschnittlichen Vitamin D-wirksamen UV-Strahlung nach. Zudem erwiesen sich eine erhöhte Aufnahme von Vitamin D mit der Ernährung sowie erhöhte Serumspiegel für Vitamin D als vorbeugend bezüglich MS.
Omega-3-Fettsäuren haben sich in vielen Studien bei rheumatoider Arthritis als entzündungshemmend erwiesen. Aufgrund epidemiologischer Daten sowie auch nach den Erfahrungen mit der Swank- sowie der Budwig-Diät scheinen sie auch bei MS die Entzündung günstig zu beeinflussen.
Gluten und MS: Eine kontroverse Diskussion
Ob die Aufnahme von Gluten bei MS nachteilig ist, wird immer wieder diskutiert. Denn Zöliakie ist mit einem gehäuften Auftreten weiterer Autoimmunerkrankungen verbunden. Unklar ist allerdings noch, ob dies das Ergebnis einer genetischen Veranlagung ist, oder ob Gluten andere Autoimmunphänomene bedingt. Eine Zöliakie kann zudem mit neurologischen Symptomen auftreten, die eine MS regelrecht überdecken. Aus klinischen Studien kann diese Frage derzeit nicht beantwortet werden. Jedoch werden immer wieder eindrucksvolle Fallbeispiele veröffentlicht, wie sich eine MS nach Diagnose und Therapie einer Zöliakie verbessert.
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