Multiple Sklerose (MS), auch Encephalomyelitis disseminata genannt, ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die Gehirn und Rückenmark betrifft. Die Erkrankung ist durch vielfältige Symptome und unterschiedliche Verläufe gekennzeichnet, was die Diagnose und Behandlung erschwert.
Was ist Multiple Sklerose?
Multiple Sklerose ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise gesunde Strukturen im Gehirn und Rückenmark angreift. Insbesondere die Myelinschicht, die die Nervenfasern umgibt und für eine schnelle Signalübertragung sorgt, wird durch Entzündungen geschädigt. Diese Schädigung führt zu Störungen in der Nervenleitung, was eine Vielzahl neurologischer Symptome verursacht.
Die Krankheit manifestiert sich bei jeder betroffenen Person anders, weshalb sie auch als "Krankheit der tausend Gesichter" bezeichnet wird. Die Symptome können sich im Laufe der Zeit verändern oder zeitweise verschwinden.
Typische Symptome der Multiplen Sklerose
MS-Symptome sind sehr vielfältig und zeigen sich bei jedem Betroffenen anders. Die Art und Schwere der Symptome hängen davon ab, welche Nerven im Gehirn oder Rückenmark von den Entzündungen betroffen sind. Symptome können je nach Verlaufsform schubförmig oder kontinuierlich auftreten und auch ineinander übergehen.
Ein MS-Schub macht sich bemerkbar, indem ein Symptom innerhalb weniger Stunden oder über wenige Tage immer stärker wird. Das kann Tage oder Wochen so bleiben und sich dann komplett oder teilweise wieder normalisieren.
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Häufige Symptome sind:
- Sehstörungen: Trüber Blick, Sehausfall im Zentrum des Blickfelds, Doppelbilder, eingeschränktes Farbensehen, Schmerzen bei Augenbewegung, vorübergehende Blindheit
- Missempfindungen: Taubheitsgefühl, Kribbeln, Brennen auf der Haut
- Lähmungen: Muskelschwäche, Koordinationsstörungen
- Gleichgewichtsstörungen: Unsicherer Gang, Schwindel
- Erschöpfung: Fatigue, Konzentrationsschwierigkeiten
- Weitere Symptome: Blasen- und Darmfunktionsstörungen, Sprech- und Schluckstörungen, kognitive Beeinträchtigungen, Schmerzen
Viele dieser Symptome können jedoch auch bei anderen Erkrankungen auftreten oder harmlose Ursachen haben.
Ursachen der Multiplen Sklerose
Die genauen Ursachen der Multiplen Sklerose sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass eine Kombination aus genetischen und Umweltfaktoren eine Rolle spielt.
Klar ist bisher nur der Krankheitsmechanismus: eine fehlerhafte Ausbildung bestimmter Immunzellen. Immunzellen lernen, bevor sie im Körper patrouillieren, zwischen körpereigenen und fremden, potenziell gefährlichen Strukturen zu unterscheiden. Greifen sie während ihrer „Ausbildung“ körpereigene Strukturen an, werden sie sicherheitshalber vernichtet.
Die wichtigsten Risikofaktoren für Multiple Sklerose:
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- Genetische Faktoren: Multiple Sklerose ist zwar keine erbliche Erkrankung - allerdings ist es wahrscheinlicher zu erkranken, wenn ein Familienmitglied MS hat.
- Bestimmte Infektionen im Kindes- und Jugendalter: Das Epstein-Barr-Virus steht besonders im Verdacht, das Risiko für Multiple Sklerose zu erhöhen. Auch Masern und das humane Herpesvirus 6, das beispielsweise das Drei-Tage-Fieber auslöst, werden diskutiert.
- Vitamin-D-Mangel: Zu wenig Vitamin D im Blut ist ebenfalls ein Risikofaktor für MS. Denn Vitamin D, das unser Körper mithilfe von Sonnenlicht bildet, unterstützt die optimale Funktion unseres Immunsystems.
- Rauchen: Wer raucht, riskiert einen schnelleren und stärkeren Verlauf einer Multiplen Sklerose.
- Übergewicht: Studien zeigen, dass Übergewicht im Kindes- und Jugendalter wie auch im jungen Erwachsenenalter das MS-Risiko erhöht.
- Luftverschmutzung: Schadstoffe wie Stickoxide, Schwefeloxide und Mikrofeinstaub stehen im Verdacht, Multiple Sklerose zu begünstigen beziehungsweise zu verschlimmern.
Häufigkeit der Multiplen Sklerose
Weltweit sind laut Schätzungen etwa 2,8 Millionen Menschen an Multipler Sklerose erkrankt, in Deutschland rund 280.000. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Meist wird MS zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr festgestellt, in manchen Fällen aber auch im Kindes- und Jugendalter.
Verlaufsformen der Multiplen Sklerose
Die Erkrankung verläuft bei jeder Patientin und jedem Patienten anders. Fachleute unterscheiden bei der Multiplen Sklerose drei grundlegende Verlaufsformen, die ineinander übergehen können:
- Schubförmig remittierende MS (RRMS): Bei den meisten Betroffenen treten die ersten Symptome in Schüben auf und lassen zwischendurch wieder komplett oder teilweise nach. Bei etwa 80 Prozent der Patientinnen und Patienten beginnt die Erkrankung auf diese Weise im jungen Erwachsenenalter.
- Sekundär progrediente MS (SPMS): Eine ursprünglich schubförmig verlaufende Multiple Sklerose entwickelt sich häufig nach 10 bis 20 Jahren in ihrem Verlauf: Die Beschwerden verändern sich bei etwa 15 Prozent der Betroffenen langsam und kommen weniger in Schüben, sondern bleiben länger oder sogar dauerhaft.
- Primär progrediente MS (PPMS): Bei etwa 10-15% der Patienten verschlechtern sich die Symptome von Beginn an kontinuierlich, ohne dass es zu deutlichen Schüben kommt.
Diagnose der Multiplen Sklerose
Die Diagnose ist nicht immer einfach, denn die Symptome sind vielfältig und können unspezifisch beginnen, etwa mit einem Kribbeln im Arm. Die erste Anlaufstelle bei solch unspezifischen Symptomen ist die hausärztlich Praxis, die bei einem Verdacht auf eine neurologische Erkrankung wie Multiple Sklerose an eine Facharztpraxis überweist.
Um Multiple Sklerose eindeutig festzustellen, schließen Neurologinnen und Neurologen dort zunächst andere Erkrankungen aus, die MS-ähnliche Symptome hervorrufen können. Dazu zählen beispielsweise Migräne und psychische Störungen.
Um eine MS festzustellen oder auszuschließen, helfen unterschiedliche Untersuchungen:
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- Magnetresonanztomografie (MRT): Eine MRT-Untersuchung macht MS-typische Entzündungen in Gehirn und Rückenmark sichtbar. Auf den Bildern sind sie als helle oder dunkle Flecken zu sehen und werden Läsionen oder Herde genannt. Die MRT dient nicht nur der Diagnose, sondern auch der Verlaufsbeobachtung.
- Blutuntersuchung: Manche Erkrankungen wie die durch Zecken übertragene Borreliose und die Autoimmunerkrankung Lupus verursachen ähnliche Symptome wie MS und auffällige Blutwerte. Mit einer Blutuntersuchung lassen sich solche Erkrankungen ausschließen.
- Nervenwasseruntersuchung (Lumbalpunktion): Im Nervenwasser, das Gehirn und Rückenmark umgibt, lassen sich ebenfalls Hinweise auf Entzündungen finden - beispielsweise in Form von bestimmten Immunzellen oder Eiweißen, die bei autoimmunen Entzündungen entstehen. Für die Untersuchung wird der Patientin oder dem Patienten mit einer dünnen Nadel ein wenig Nervenwasser aus dem Rückenmarkskanal entnommen.
- Nervenvermessung (evozierte Potentiale): Bei Menschen mit Multipler Sklerose schädigt die Erkrankung nach und nach die isolierenden Hüllen von Nervenfasern. Die betroffenen Nervenzellen leiten Signale langsamer weiter als bei gesunden Menschen.
Behandlung der Multiplen Sklerose
Multiple Sklerose ist nicht heilbar - aber behandelbar. Da die Symptome und Verläufe bei allen Betroffenen unterschiedlich sind, gibt es auch keine Multiple-Sklerose-Therapie, die für alle funktioniert. Die Behandlung setzt sich daher aus unterschiedlichen Therapieformen zusammen, die auf die Betroffenen abgestimmt werden.
Die Behandlung setzt sich aus mehreren Bausteinen zusammen: Medikamente hemmen akute Entzündungen und beeinflussen das Immunsystem, nicht medikamentöse Verfahren wie Physiotherapie und Psychotherapie helfen, Symptome zu lindern.
Medikamentöse Therapie bei Multipler Sklerose
- Akuttherapie (Schubtherapie): Damit sich akute MS-Schübe schneller zurückbilden, wird in der Regel entzündungshemmendes Cortison eingesetzt, entweder in Tablettenform oder als Infusion in eine Vene.
- Verlaufsmodifizierende Therapie (Immuntherapie): Zusätzlich stehen Immuntherapien zur Verfügung, die das Immunsystem verändern oder dämpfen. Dadurch können sie den Krankheitsverlauf verlangsamen und abmildern sowie MS-Schübe dämpfen. Immuntherapien werden auch verlaufsmodifizierende Therapien genannt.
- Plasmapherese/Immunadsorption (Blutwäsche): Haben die Medikamente nicht die gewünschte Wirkung und drohen daher bei einem akuten Schub bleibende Schäden, kann eine sogenannte Blutwäsche (Plasmapherese beziehungsweise Immunadsorption) zum Einsatz kommen. Dabei werden bestimmte Bestandteile aus dem Blut der MS-Betroffenen gefiltert, die bei Entzündungsprozessen eine Rolle spielen.
Behandlung der Symptome
Manche MS-Symptome können den Alltag der Betroffenen einschränken. Gezielte Therapien helfen, die Beschwerden zu lindern und Komplikationen zu verhindern.
- Physiotherapie: Wirkt beispielsweise Bewegungs- und Gleichgewichtsstörungen und Blasenstörung entgegen.
- Neuropsychologisches Training: Vermindert Aufmerksamkeit- und Gedächtnisschwäche.
- Logopädie: Hilft bei Sprech- und Schluckstörungen.
- Ergotherapie: Unterstützt bei der Bewältigung alltäglicher Aufgaben.
- Psychotherapie: Kann helfen, besser mit der Erkrankung umzugehen.
Anpassung des Lebensstils
Multiple-Sklerose-Patientinnen und -Patienten können durch einen gesunden und ausgewogenen Lebensstil zu einem gewissen Grad selbst den Verlauf ihrer Erkrankung und die Stärke ihrer Symptome beeinflussen.
- Regelmäßige Bewegung: Kraft- und Ausdauertrainings helfen, die Muskelkraft und Balance zu verbessern. Zudem profitieren die Lebensqualität und Psyche von regelmäßigem Sport - ein wichtiger Punkt bei einer Erkrankung, die sehr belasten kann.
- Gesunde Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst, Gemüse und Ballaststoffen kann das Immunsystem stärken.
- Vitamin-D-Spiegel optimieren: Ein ausreichender Vitamin-D-Spiegel ist wichtig für die Immunfunktion.
- Nicht rauchen: Rauchen verschlimmert den Verlauf der MS.
- Stress reduzieren: Chronischer Stress kann das Immunsystem negativ beeinflussen.
Wichtige Aspekte im Umgang mit Multipler Sklerose
Rund um die Multiple Sklerose halten sich noch immer hartnäckig einige Vorurteile. Beispielsweise, dass sie zwangsläufig zu schweren Behinderungen oder einem Leben mit Rollstuhl führt und die Lebenserwartung stark verkürzt. Doch das stimmt so nicht: Viele Betroffene leben über Jahrzehnte hinweg ohne Gehhilfe. Selbst nach einer Krankheitsdauer von etwa 40 Jahren benötigen nur rund 30 Prozent einen Rollstuhl. Und auch dann unterstützen Mobilitätshilfen dabei, möglichst aktiv und selbstbestimmt zu bleiben.
Zudem ist Multiple Sklerose mittlerweile dank moderner Medikamente und eines besseren Verständnisses der Krankheit gut behandelbar.
Psychische Gesundheit
Die Diagnose MS kann eine Belastung für die Psyche sein. Erschrecken, Ratlosigkeit oder Verzweiflung sind häufige Reaktionen auf eine solche Nachricht. Es ist wichtig, psychische Symptome zu erkennen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, um die Krankheitsbewältigung zu unterstützen.
Unterstützung durch Selbsthilfegruppen
Der Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen kann sehr hilfreich sein, um Erfahrungen zu teilen, Informationen zu erhalten und emotionale Unterstützung zu finden.
Frühzeitige Diagnose und Therapie
Eine frühzeitige Diagnose und Therapie sind entscheidend, um den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen und bleibende Schäden zu vermeiden.