Multiple Sklerose und Impfungen: Empfehlungen und wichtige Hinweise

Impfungen sind ein Eckpfeiler der modernen Medizin und ein wirksames Mittel zur Vorbeugung von Infektionskrankheiten. Für Menschen mit Multipler Sklerose (MS) stellt sich jedoch oft die Frage, wie sicher und wirksam Impfungen sind und welche besonderen Aspekte zu berücksichtigen sind. Dieser Artikel fasst die aktuellen Empfehlungen und Erkenntnisse zum Thema Impfungen bei MS zusammen und berücksichtigt dabei die vielfältigen Therapieansätze und individuellen Bedürfnisse von MS-Patienten.

Multiple Sklerose und das Immunsystem

Multiple Sklerose ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der das Immunsystem die Myelinscheiden der Nervenbahnen angreift. Dieser Autoimmunprozess führt zu vielfältigen neurologischen Symptomen wie Sehstörungen, Taubheitsgefühlen, Lähmungserscheinungen und Fatigue. Die Behandlung der MS zielt darauf ab, die Entzündung zu reduzieren, das Immunsystem zu modulieren und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen.

Viele MS-Therapien, insbesondere die sogenannten krankheitsmodifizierenden Arzneimittel (Disease-modifying Therapies, DMTs), wirken immunsuppressiv, d.h. sie schwächen die Immunantwort des Körpers. Dies kann das Risiko für Infektionen erhöhen, was wiederum Schübe auslösen und die Krankheitsverschlechterung beschleunigen kann. Daher ist eine konsequente Infektionsvorbeugung durch Impfungen bei Menschen mit MS von großer Bedeutung.

Allgemeine Impfempfehlungen für MS-Patienten

Grundsätzlich gilt, dass eine Multiple Sklerose keine Kontraindikation für Impfungen darstellt. Impfungen lösen keine MS aus und haben in der Regel keine negativen Auswirkungen auf die Krankheitsaktivität. Die Experten sind sich einig, dass der Nutzen einer Impfung die potenziellen Risiken bei MS-Patienten überwiegt.

MS-Patienten sollten sich an den allgemeinen Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) orientieren. Dazu gehören:

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  • Grundimmunisierung: Schutz gegen Tetanus, Diphtherie, Polio, Keuchhusten, Masern, Mumps, Röteln (für nach 1970 Geborene mit unvollständigem Impfschutz)
  • Auffrischimpfungen: Diphtherie, Tetanus, Pertussis alle 10 Jahre
  • Saisonale Grippeimpfung: Jährlich, besonders wichtig für Risikogruppen
  • Pneumokokken-Impfung: Für ältere Menschen und Risikogruppen
  • Herpes Zoster-Impfung (Gürtelrose): Für Personen ab 60 Jahren

Zusätzlich zu diesen Standardimpfungen können für MS-Patienten weitere Impfungen ratsam sein, abhängig von individuellen Risikofaktoren, Therapie und Reiseplänen.

Impfungen unter MS-Therapie: Was ist zu beachten?

Bei MS-Patienten unter Immuntherapie sind einige Besonderheiten bei Impfungen zu berücksichtigen:

  • Impfzeitpunkt: Idealerweise sollten notwendige Impfungen bereits bei Diagnosestellung oder in frühen Krankheitsstadien verabreicht werden, um den Beginn einer MS-Behandlung nicht zu verzögern. Zwischen der letzten Impfung und dem Beginn einer immunsupprimierenden Therapie sollten optimalerweise zwei Wochen liegen.
  • Impfstatus überprüfen: Vor Beginn einer immunsupprimierenden Therapie sollte der Impfstatus überprüft und gegebenenfalls aufgefrischt werden.
  • Inaktivierte Impfstoffe: Inaktivierte Impfstoffe (Totimpfstoffe) können in der Regel jederzeit, auch unter DMT, verabreicht werden.
  • Lebendimpfstoffe: Lebendimpfstoffe sollten unter bestimmten MS-Therapien vermieden werden, da sie bei immungeschwächten Patienten Infektionen auslösen können. Zu diesen Therapien gehören Dimethylfumarat, Teriflunomid, Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor-Modulatoren (Fingolimod, Ozanimod, Ponesimod, Siponimod), Natalizumab, Cladribin, Alemtuzumab und CD20-Antikörper (Ocrelizumab, Ofatumumab).
  • Impfantwort: Einige MS-Medikamente können die Impfantwort reduzieren. In solchen Fällen kann eine Bestimmung des Impftiters ein bis zwei Monate nach der Impfung sinnvoll sein, um den Impfschutz zu überprüfen und gegebenenfalls eine Boosterimpfung in Erwägung zu ziehen.
  • Aktiver Schub: Bei einem akuten MS-Schub sollte mit einer Impfung gewartet werden, bis der Patient wieder klinisch stabil ist.

Spezielle Impfempfehlungen für bestimmte Gruppen von MS-Patienten

Kinder mit MS

Auch für Kinder mit Multipler Sklerose gelten die allgemeinen Impfempfehlungen der STIKO für die gesunde Alterskohorte. Vor Beginn einer MS-Behandlung sollten Ärzte den Impfstatus des Kindes überprüfen und Impflücken schließen.

Schwangere mit MS

Für schwangere Frauen mit MS gelten dieselben Impfempfehlungen wie für Schwangere ohne MS. Ziel ist es, Mutter und Kind vor möglichen Infektionen zu schützen. Empfohlene Impfungen sind Grippe, Keuchhusten, Tetanus und Diphtherie.

Ältere Menschen mit MS

Für ältere Menschen mit Multipler Sklerose gelten die allgemeinen Impfempfehlungen für die ältere Bevölkerung. Besonders wichtig sind die jährliche Grippeschutzimpfung, die Pneumokokken-Impfung und der Schutz vor Gürtelrose (Herpes Zoster).

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Reiseimpfungen für MS-Patienten

Für MS-Patienten mit oder ohne DMT gelten die Reiseimpfempfehlungen wie für gesunde Menschen. Sie können sicher gegen Hepatitis A und B, Tollwut, Japanische Enzephalitis, Meningokokken, Cholera, FSME, Polio (IPV) und Typhus (inaktiviert) geimpft werden. Unter immunsupprimierender Behandlung dürfen Lebendimpfstoffe gegen Gelbfieber, Dengue-Fieber, Windpocken, Masern, Mumps, Röteln und Typhus (oral) allerdings nicht verabreicht werden.

Herausforderungen und Lösungsansätze

Trotz klarer Impfempfehlungen weisen viele MS-Patienten einen unzureichenden Impfstatus auf. Eine Studie des Universitätsklinikums Jena hat gezeigt, dass nur etwa die Hälfte der MS-Patienten die empfohlenen Standardimpfungen vollständig erhalten hat. Gründe dafür sind Unsicherheiten bei Ärzten und Patienten, Impfskepsis und die Annahme, dass Impfungen MS-Schübe auslösen könnten.

Um die Impfquoten bei MS-Patienten zu verbessern, sind folgende Maßnahmen erforderlich:

  • Verbesserung der Impfberatung: Ärzte sollten MS-Patienten aktiv über die Bedeutung von Impfungen informieren und ihre Bedenken ausräumen.
  • Schulung von Ärzten: Gezielte Aufklärung von Hausärzten und Neurologen über Impfungen bei MS kann Unsicherheiten reduzieren.
  • Etablierung spezialisierter Impfzentren: Die Einrichtung von Impfzentren in MS-Behandlungszentren könnte die Versorgung verbessern.
  • Aufklärung der Öffentlichkeit: Die Verbreitung von Informationen über die Sicherheit und Wirksamkeit von Impfungen bei MS kann Impfskepsis entgegenwirken.

Impfstoffe im Detail

Totimpfstoffe

Totimpfstoffe enthalten abgetötete Krankheitserreger oder deren Bestandteile. Sie können sich im Körper nicht mehr vermehren und sind daher auch für immungeschwächte Personen in der Regel sicher. Totimpfstoffe werden unter anderem gegen Grippe, Tetanus, Diphtherie, Polio, Hepatitis A und B, FSME und Pneumokokken eingesetzt.

Lebendimpfstoffe

Lebendimpfstoffe enthalten geringe Mengen von abgeschwächten, aber noch lebenden Krankheitserregern. Sie können eine leichte Infektion auslösen, die jedoch in der Regel harmlos verläuft. Bei immungeschwächten Personen können Lebendimpfstoffe jedoch zu schwerwiegenden Infektionen führen. Daher sollten sie bei MS-Patienten unter bestimmten Immuntherapien vermieden werden. Zu den Lebendimpfstoffen gehören Impfstoffe gegen Masern, Mumps, Röteln, Windpocken, Gelbfieber und orale Typhusimpfstoffe.

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Grippeimpfstoffe

Für die Grippeimpfung stehen sowohl Totimpfstoffe als auch Lebendimpfstoffe zur Verfügung. Für MS-Patienten wird die Verwendung von Totimpfstoffen empfohlen. Es gibt auch spezielle Hochdosis-Grippeimpfstoffe für ältere Menschen, die eine stärkere Immunantwort hervorrufen sollen.

RSV-Impfstoffe

Seit kurzem sind Impfstoffe gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) verfügbar. Die STIKO empfiehlt eine RSV-Impfung für Personen ab 75 Jahren und für Personen ab 60 Jahren mit bestimmten chronischen Erkrankungen.

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