Neurologische Symptome bei Long COVID: Ein umfassender Überblick

Im dritten Jahr der COVID-19-Pandemie rücken die Langzeitfolgen einer SARS-CoV-2-Infektion immer stärker in den Fokus. Erste Langzeitstudien zeigen, dass viele Betroffene auch zwölf Monate nach der Infektion noch nicht vollständig genesen sind. Dabei scheinen neurologische Symptome eine bedeutende Rolle zu spielen. Schätzungen zufolge könnten weltweit bis zu 200 Millionen Menschen von den Langzeitfolgen betroffen sein. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nennt als häufigste Symptome nach einer Corona-Infektion krankhafte Erschöpfung (Fatigue), Kurzatmigkeit, Atembeschwerden sowie Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme. Diese anhaltenden Symptome werden als Long COVID bezeichnet, wenn sie länger als vier Wochen bestehen.

Was ist Long COVID? Definition und Abgrenzung

Die Begriffe Long COVID und Post-COVID-Syndrom werden oft synonym verwendet, wobei es sich um eine rein zeitliche Definition handelt:

  • Long COVID: Symptome, die länger als vier Wochen nach Beginn der akuten COVID-19-Erkrankung bestehen oder neu auftreten.
  • Post-COVID-Syndrom: SARS-CoV-2-assoziierte Manifestationen, die mehr als drei Monate nach dem akuten Infekt auftreten.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Ursachen und Auslöser für die Langzeitsymptome noch nicht vollständig geklärt sind. Sie können auch nach milden Infektionen auftreten, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Schwere akute Symptome und eine geringe Resilienz scheinen das Auftreten von Langzeitsymptomen zu begünstigen.

Häufige neurologische und neuropsychiatrische Symptome

Eine Metaanalyse hat die häufigsten neurologischen und neuropsychiatrischen Symptome des Post-COVID-19-Syndroms bei Erwachsenen identifiziert:

  • Fatigue (Erschöpfung): 37 Prozent
  • Gehirnnebel (Brain Fog): 32 Prozent
  • Gedächtnisprobleme: 28 Prozent
  • Aufmerksamkeitsstörungen: 22 Prozent
  • Muskelschmerzen: 17 Prozent
  • Kopfschmerzen: 15 Prozent
  • Geruchsverlust: 12 Prozent
  • Geschmacksstörungen: 10 Prozent

Fatigue: Mehr als nur Müdigkeit

Fatigue ist eines der am häufigsten berichteten Symptome nach einer Corona-Infektion. Es ist wichtig, die Begrifflichkeiten genau zu betrachten, um die Beschwerden richtig einordnen zu können. Fatigue ist unverhältnismäßig zur vorangegangenen Anstrengung und wird durch Schlaf nicht beseitigt.

Lesen Sie auch: Kribbeln bei Long-COVID: Was steckt dahinter?

  • Chronische Fatigue: Fatigue im Rahmen einer chronischen Erkrankung, die auch die ICD-10-Codierung bestimmt.
  • Postvirale Fatigue: Übermäßige Erschöpfung nach einer Viruserkrankung.
  • Postexertionelle Malaise (PEM): Unverträglichkeit gegenüber körperlicher und geistiger Belastung, die unmittelbar oder zeitverzögert (12-48 Stunden) auftreten kann und Tage bis Wochen andauern kann. Betroffene beschreiben diesen Zustand oft als "Crash".

Ein weiterer Begriff, der im Zusammenhang mit dem Post-COVID-19-Syndrom häufiger auftaucht, ist die Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue Syndrom (ME/CFS), ein eigenständiges Krankheitsbild (ICD-Code G93.3). Leitsymptom der ME/CFS ist die Postexertionelle Malaise, zudem leiden Betroffene häufig unter neurokognitiven Beschwerden. Es gibt also Überschneidungen zur postviralen Fatigue, allerdings kommen bei der ME/CFS noch weitere Symptome hinzu, wie ausgeprägte Schmerzen, immunologische und autonome Symptome. Die ME/CFS ist eine chronische Erkrankung, bei der die Symptome mindestens sechs Monate bestehen. Einige Long-COVID-Betroffene erfüllen auch die Kriterien für ein ME/CFS.

Kognitive Beeinträchtigungen: Konzentrations- und Gedächtnisprobleme

Kognitive Beschwerden wie Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen gehören ebenfalls zu den häufigsten Symptomen nach einer Corona-Infektion. Studien zeigen, dass sich viele Betroffene dadurch bei der Arbeit stark beeinträchtigt fühlen. Kognitive Beschwerden treten oft zusammen mit Fatigue auf. Erste Verlaufsstudien deuten darauf hin, dass kognitive Störungen länger anhalten als andere neurologische Symptome nach einer Corona-Infektion. Bildgebungsstudien haben Veränderungen in Bereichen des Gehirns gezeigt, die die kognitiven Beschwerden teilweise erklären könnten.

Geruchs- und Geschmacksstörungen

Bei einer SARS-CoV-2-Infektion tritt häufig ein plötzlicher Geruchsverlust mit begleitender Minderung des Geschmackssinns auf. Bei einigen Betroffenen hält dieser Geruchsverlust über längere Zeiträume an. Eine Studie hat gezeigt, dass mehr als ein Jahr nach einer leichten COVID-19-Infektion noch fast die Hälfte der Betroffenen unter Geruchsproblemen leidet. Die Ursache hierfür ist noch nicht vollständig geklärt. Eine Bildgebungsstudie aus Großbritannien, die Gehirnschnittbilder vor und nach der Infektion verglich, wies Veränderungen in Bereichen auf, die mit dem Geruchszentrum des Gehirns verbunden sind. Dieser Mangel an "Input" könnte diese Veränderungen teilweise erklären.

Psychiatrische Folgeerscheinungen: Depressionen und Angstzustände

Es ist schon länger bekannt, dass ein Zusammenhang zwischen psychiatrischen Erkrankungen und RNA-Viren, insbesondere Coronaviren, besteht. So wurden Depressionen, Angstzustände und posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) nach einer Corona-Infektion beschrieben. Personen mit einer schweren Infektion, die im Krankenhaus behandelt werden mussten, litten häufiger unter PTBS. Ein wichtiger Risikofaktor für psychische Folgeerscheinungen ist das Vorliegen einer zuvor diagnostizierten psychiatrischen Störung. Interessanterweise stieg die Häufigkeit psychischer Symptome zwischen mittel- und langfristigen Nachbeobachtungszeiträumen erheblich an, was darauf hindeutet, dass psychische Symptome eher keine direkte Folge der Virusinfektion sind.

Kopfschmerzen und Muskelschmerzen

Kopfschmerzen treten sehr häufig im Rahmen der Akuterkrankung, aber auch im Langzeitverlauf auf. Die Kopfschmerzintensität in der akuten Phase war mit einer längeren Dauer der Kopfschmerzen verbunden. Die Kopfschmerzen ähneln teilweise einer Migräne mit begleitender Geräusch- oder Lichtempfindlichkeit sowie Übelkeit und Erbrechen. Überbelastung ist ein häufiger Auslöser. In den meisten Fällen handelt es sich nicht um eine Verschlechterung vorbestehender Kopfschmerzen. Weiterhin werden sehr häufig Muskelschwäche und -schmerzen angegeben, oft in Zusammenhang mit Fatigue. Aktuell fehlen noch Studien, um zu beurteilen, ob die Muskelschwäche mit einer erhöhten Entzündung, einer Muskelerkrankung oder einer anderen Störung zusammenhängt, die direkt oder indirekt nach einer SARS-CoV-2-Infektion erworben wurde.

Lesen Sie auch: Finden Sie den richtigen Neurologen in Ulm

Weitere neurologische Komplikationen

Langfristige Folgen einer Corona-Infektion können auch durch akute Ereignisse während der Infektion bedingt sein. Im Rahmen einer intensivstationären Behandlung kann es zu bleibenden sensiblen und motorischen Nervenschäden (Critical-Illness-Polyneuropathie/Myopathie, CIP/CIM) kommen. Besonders hoch war das Risiko für Erkrankte, die während der Infektion auf einer Intensivstation behandelt werden mussten.

Schlaganfälle sind bei COVID-19 zwar häufiger als beispielsweise bei Influenza, jedoch mit 0,5 %-2 % insgesamt selten. Ischämien treten dabei ungefähr siebenmal häufiger auf als Blutungen. Auch jüngere, zuvor gesunde Patienten können betroffen sein; die Schlaganfälle können Erstmanifestation der Infektion sein. Sie sind meist schwerer als Non-COVID-Schlaganfälle und haben eine schlechtere Prognose.

Ursachenforschung: Was steckt hinter den neurologischen Symptomen?

Die Mechanismen der Krankheitsentstehung sind noch nicht vollständig verstanden, was die Entwicklung von effektiven Therapien erschwert. Eine Durchblutungsstörung kleinster Gefäße aufgrund einer chronischen Entzündungsreaktion, Autoimmunität und/oder Gerinnungsstörung spielen möglicherweise eine Rolle. Zudem zeigen viele Symptome wie Fatigue, kognitive Beschwerden, psychische Symptome, Schmerzen und Schlafstörungen eine starke wechselseitige Beziehung und können gleichzeitig Ursache und Folge von Symptomen sein.

Eine Studie der Charité - Universitätsmedizin Berlin liefert Belege dafür, dass neurologische Beschwerden wie Fatigue nicht durch eine direkte Infektion des Gehirns mit dem SARS-CoV-2-Virus ausgelöst werden, sondern durch die körpereigene Immunabwehr. Die Forschenden konnten zwar Viruspartikel im Gehirn nachweisen, fanden aber keine infizierten Nervenzellen. Sie gehen davon aus, dass Immunzellen das Virus im Körper aufgenommen haben und dann ins Gehirn gewandert sind. Dennoch konnten sie auffällige Veränderungen in manchen Gehirnzellen von COVID-19-Betroffenen feststellen, wie Botenstoffe, die typischerweise bei der Immunabwehr von Virusinfektionen ausgeschüttet werden. Diese reaktiven Nervenzellen fanden sich hauptsächlich im Kern des Vagusnervs, der im Hirnstamm sitzt und dessen Fortsätze bis in die Organe Lunge, Darm und Herz reichen.

Eine weitere Studie von Helmholtz Munich und der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) hat einen Mechanismus identifiziert, der möglicherweise die neurologischen Symptome von Long COVID erklärt. Die Studie zeigt, dass das SARS-CoV-2-Spike-Protein in den schützenden Schichten des Gehirns, den Hirnhäuten, und im Knochenmark des Schädels bis zu vier Jahre nach der Infektion verbleibt. Diese dauerhafte Präsenz des Spike-Proteins könnte bei den Betroffenen chronische Entzündungen auslösen und das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen erhöhen.

Lesen Sie auch: Tagesklinik für Neurologie

Therapieansätze: Was hilft bei neurologischen Long-COVID-Symptomen?

Eine unmittelbare Therapie des Long- oder Post-COVID-Syndroms existiert bislang noch nicht. Die Behandlung erfolgt symptomorientiert. Die erste Anlaufstelle ist der Hausarzt, der bei Bedarf an Fachärzte überweist.

  • Symptomatische Behandlung: Schmerzen werden mit herkömmlichen Schmerzmitteln behandelt.
  • Psychotherapie: Eine begleitende Psychotherapie kann bei langandauernden und wechselhaften Symptomen sinnvoll sein.
  • Komplementärmedizin: Naturheilkundliche Komplexbehandlungen können therapieunterstützend wirken und dazu beitragen, die chronische Erschöpfung zu lindern, die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit zu steigern, Atembeschwerden zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern.
  • Rehabilitation: Inzwischen gibt es spezielle Reha-Angebote für Long-COVID-Patienten.

Prävention: Wie kann man Long COVID vorbeugen?

Eine Grundimmunisierung gegen das Virus scheint einen schützenden Effekt auf die Langzeitfolgen zu haben. Die Studie von Helmholtz Munich und der LMU zeigt, dass mRNA-COVID-19-Impfstoffe die Anreicherung des Spike-Proteins im Gehirn deutlich reduzieren können.

tags: #neurologische #symptome #long #covid