Nonnenstudie Demenz: Einblicke in die Alzheimer-Forschung

Die Demenzforschung hat durch die sogenannte „Nonnenstudie“ aus den USA, an der mehr als 600 Ordensschwestern beteiligt waren, verblüffende Erkenntnisse gewonnen. Diese Langzeitstudie, die neue Erkenntnisse zur Alzheimer-Krankheit lieferte und Zweifel an bisherigen medizinischen Annahmen weckte, spielt eine besondere Rolle in der Demenzforschung. Die Nonnenstudie zeigte, dass Eiweißablagerungen im Gehirn allein nicht zwangsläufig zu Demenz führen.

Grundlagen der Nonnenstudie

Die Nonnenstudie, durchgeführt von 1986 bis 2003, wurde von dem Epidemiologen David Snowdon an der Universität von Kentucky initiiert. Beteiligt waren 678 katholische Nonnen des Ordens der „Armen Schulschwestern Unserer Lieben Frau“ im Alter von 75 bis 106 Jahren. Diese Schwestern, Mitglieder des Ordensverbundes der School Sisters of Notre Dame, lebten in den USA. Aufgrund ihres ähnlichen Lebensstils, Bildungsniveaus und Tagesablaufs galten sie als besonders geeignete Vergleichsgruppe für die Forschung. Die Nonnen erklärten sich zudem bereit, ihr Gehirn nach dem Tod für die medizinische Forschung zur Verfügung zu stellen, was es Forschern ermöglichte, die kognitive Entwicklung im Alter und die organischen Veränderungen im Gehirn zu untersuchen.

Methodik und Durchführung

Die Nonnenstudie wurde von Dr. David Snowdon an der University of Minnesota durchgeführt. Die Studie begann im Jahr 1986 und verfolgte über mehrere Jahrzehnte das Leben und die psychische und physische Gesundheit von über 600 Nonnen. Jährlich wurden physische und kognitive Tests durchgeführt, u.a. Auswertung persönlicher Unterlagen (z. B. Autobiographien).

Überraschende Ergebnisse zur Alzheimer-Ursache

Im Verlauf der Studie wurden die kognitiven Fähigkeiten der Nonnen regelmäßig getestet. Die Befunde waren bemerkenswert:

  • Nur rund 10 % der Nonnen, die klinisch an Alzheimer erkrankt waren, zeigten bei der Obduktion die typischen Eiweißablagerungen (Plaques) im Gehirn.
  • Gleichzeitig wurden solche Ablagerungen bei vielen Nonnen gefunden, die bis zu ihrem Tod geistig fit und symptomfrei geblieben waren.
  • Etwa ein Drittel der untersuchten Nonnen hatte keinerlei Demenzsymptome, obwohl ihre Gehirne deutlich geschrumpft und stark von Ablagerungen betroffen waren.

Diese Ergebnisse stellten die bis dahin gängige Vorstellung infrage, dass Plaques die direkte Ursache für Demenz seien. Die im Jahr 2001 veröffentlichten Erkenntnisse der Nonnenstudie sorgten international für Aufsehen.

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Kognitive Reserve als Schutzfaktor

Die Studie legt nahe, dass es sogenannte kognitive Reserven gibt, also geistige Ressourcen mit denen das Gehirn trotz Schädigung weiterhin leistungsfähig bleibt. Viele Nonnen waren zeitlebens geistig aktiv, unterrichteten als Lehrerinnen und bildeten sich regelmäßig weiter. Der Forscher Snowdon sowie der bekannte Neurobiologe Gerald Hüther vermuten, dass neben geistiger Stimulation auch Faktoren wie Lebensfreude, Sinnerfüllung und soziale Eingebundenheit zur geistigen Gesundheit beitragen können.

Die Rolle von Emotionen und Lebensstil

Die Autobiographien der Nonnen wurden noch für weitere Analysen herangezogen: Auslöser von Emotionen (z. B. Tod eines Familienmitglieds), die Emotionen selbst (z. B. Trauer), die nachfolgenden Verhaltensäußerungen (z. B. Das Gebet als Meditation. Die emotionale Antwort auf verschiedenste externe Auslöser ist verbunden mit unterschiedlichen Aktivierungen des autonomen Nervensystems (ANS). Eine Suppression von Emotionen kann sogar zur Verstärkung der ANS-Reaktion führen. Häufige und anhaltende negative Erregungen des ANS sind mit beschleunigten kardiovaskulären Krankheitsmechanismen verbunden. Positive Emotionen können hingegen den Stress auf das kardiovaskuläre System verringern, welcher durch unvermeidbare negative Lebensereignisse hervorgerufen wurde.

Die Daten der Nonnenstudie wurden nach verschiedenen Gesichtspunkten ausgewertet und in verschiedenen Studien analysiert. Sie eröffnen wichtige Erkenntnisse über Zusammenhänge von psychischen, physischen und sozialen Faktoren sowie dem Lebensstil auf Gesundheit und Langlebigkeit. Beispielsweise zeigen die Daten, dass ein höherer Bildungsgrad und eine höhere kognitive Aktivität im späteren Leben mit einem verringerten Risiko für Alzheimer und anderen altersbedingten neurologischen Erkrankungen verbunden sind. Eine positive, optimistische Lebenseinstellung und eine positive emotionale Ausdrucksweise im jungen Alter waren mit einer längeren Lebensdauer verbunden. Außerdem unterstreicht die Nonnenstudie auch die Bedeutung sozialer Beziehungen und sozialer Unterstützung für die Gesundheit im Alter.

Weitere Forschung und Studien

Es gibt auch Studien in anderen Klöstern. Beispielsweise gibt es die Deutsch-Österreichische Klosterstudie. Das Forschungsprojekt wurde von Dr. Marc Luy gegründet. Die Klosterstudie beschäftigt sich mit den Mechanismen von Gesundheit, Alterung und Lebenserwartung und besteht aus drei miteinander verknüpften Teilprojekten.

Kritik und Einschränkungen

Der einzigartige Lebensstil und die Lebensumstände der Nonnen machen eine Generalisierung der Studienergebnisse schwierig. Es ist bekannt, dass sich die pathologischen Veränderungen einer Alzheimer-Erkrankung schon Jahrzehnte vor einer klinischen Auffälligkeit manifestieren können und medizinische Tests oder fachgerechte Überweisungen unmittelbar nach dem ersten Auftreten von Gedächtnisproblemen durchgeführt werden sollten. „Post hoc ergo propter hoc“ (lat. „Danach also deswegen“) ist ein Trugschluss, bei dem das korrelierte Auftreten zweier Ereignisse ohne genaue Prüfung als Begründung aufgefasst wird.

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Die Amyloid-Hypothese auf dem Prüfstand

Die Nonnenstudie trug dazu bei, die Amyloid-Hypothese, wonach Amyloid-Plaques die Hauptursache für Alzheimer sind, zu hinterfragen. Obwohl Veränderungen des Gehirns, wie die Ablagerung von Beta-Amyloid-Proteinen in und an Nervenzellen, typisch bei Patienten mit der Alzheimer-Krankheit sind, werden abnorme Aß Ablagerungen im Gehirn jedoch auch bei älteren Personen gefunden, die normale geistige Fähigkeiten zeigen.

Kognitive Reserve und Gehirnprozesse

Der Befund normaler kognitiver Funktion trotz hoher Beta-Amyloid-Ablagerungen deutet darauf hin, dass einige ältere Menschen offenbar eine erhöhte Toleranz gegen Alzheimer-typische Gehirnveränderungen aufweisen. Klinische Studien haben gezeigt, dass eine größere kognitive Reserve, z. B. erlangt durch den Ausbildungsgrad oder Intelligenzquotienten, mit einer erhöhten Resistenz gegen dementielle Symptome, assoziiert ist (selbst wenn sich Alzheimer-Plaques im Gehirn gebildet haben). Allerdings sind die Gehirnmechanismen der kognitiven Reserve noch weitgehend unbekannt.

Im Rahmen eines Projekts soll der spannenden Frage nachgegangen werden, welche adaptiven Gehirnprozesse die Gedächtnisfunktionen trotz einer Vielzahl von Beta-Amyloid-Plaques im Gehirn aufrechterhalten. Mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) werden Veränderungen der Gehirnaktivierung während einer Gedächtnisaufgabe (Lernen von Gesichter-Namen Paaren) bei älteren, kognitiv gesunden Probanden gemessen. Zusätzlich zur fMRT werden Beta-Amyloid-Ablagerungen im Gehirn durch moderne Positronen-Emissions-Tomographie (PET) erfasst.

Neue Ansätze in der Demenzforschung

Da die Erfolge der medikamentösen Therapie bisher dürftig sind, wird mit Hochdruck an einer Alzheimer-Impfung gearbeitet. Auch dieser Weg ist holprig: Bereits vor mehr als zehn Jahren wurde das Konzept einer aktiven Immunisierung entwickelt, bei der dem Patienten Fragmente der Alzheimer-Plaques zur Antikörper-Bildung injiziert werden, es wurde dann aber wegen schwerer Nebenwirkungen (Enzephalitis) relativ rasch wieder aufgegeben.

Um das Problem der Autoimmunität zu umgehen, setzten Wissenschaftler fortan auf die passive Immunisierung mit Antikörpern, die die Alzheimer-Plaques angreifen. Zurzeit laufen international 40 klinische Studien mit mehr als zehn verschiedenen Antikörpern und insgesamt mehr als 10 000 Patienten. Andere Impfstoff-Kandidaten werden noch im Mausmodell geprüft.

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Parallel dazu wird weiter an einer aktiven Immunisierung geforscht. So hat Ende 2010 eine europäische Phase-II-Studie mit dem Impfstoff AD02 (Affiris AG, Wien) begonnen, an der 420 Probanden mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz teilnehmen sollen. Der Impfstoff besteht aus einem „kurzen“ Peptid-Antigen, das keine T-Zell-Antwort auslöst und das Risiko einer humoralen Autoimmunität reduziert.

Prävention und Lebensstil

Da wir in diesem Jahrzehnt kaum mit bahnbrechenden Erfolgen in der Therapie des Morbus Alzheimer rechnen können, richtet sich der bange Blick auf die Prävention - was wurde bisher unternommen, um (womöglich vermeidbare) Risikofaktoren zu identifizieren? Der Enthusiasmus in diesem Forschungsbereich hält sich in Grenzen, da der Hauptrisikofaktor für die Erkrankung nun einmal das höhere Lebensalter ist.

Zwei neue Studien stützen die These, dass sich das Risiko für Alzheimer-Demenz durch Modifikation des Lebensstils - und damit Absenkung des kardiovaskulären Risikos - senken lässt. So fand man in einer Metaanalyse drei Risikofaktoren für Alzheimer (Diabetes mellitus, Hyperlipidämie in der Lebensmitte, Nikotinkonsum) sowie fünf Faktoren, die das Erkrankungsrisiko statistisch senken (Mittelmeer-Diät, Folsäure-Substitution, geringer bis mäßiger Alkoholkonsum, kognitives Training, Bewegungsaktivität).

Verbesserung des zellulären Energiestoffwechsels

Eine Verbesserung des zellulären Energiestoffwechsels, der durch mitochondriale Dysfunktion eingeschränkt ist, scheint eine vielversprechende Interventionsstrategie zu sein. Auch haben mehrfach gesättigte Fettsäuren womöglich eine mitochondriale Schutzfunktion. Ganz neu sind Hinweise, wonach die Synthese von Isoprenoiden bei Alzheimer-Patienten gestört sein könnte. Isoprenoide sind Intermediärprodukte im Cholesterinstoffwechsel, könnten aber auch die Funktion von neuronalen Signalmolekülen haben und über zelluläre Proteine die synaptische Plastizität modulieren.

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